134 An die HochWolgeborne […] Fräwlein Eleonora Evsebja

134 An die HochWolgeborne [...] Fräwlein Eleonora Evsebja

1632 Dü 139 Sz 142

An die HochWolgeborne Fräwlein⧸ Fräwlein Eleonora Evsebja, Burggräffin zu Dohna. [Breslau?]: o. Dr. 1632.

Die 72 Alexandriner auf den Namenstag der Eleonora Eusebia, Burggräfin zu Dohna, liegen ausschließlich als Einzeldruck vor, der in besonders ornamentaler Type gestaltet ist. Es findet sich zwar kein Nachweis des Druckers; die Ziertype, die auch in anderen Einzeldrucken von Gelegenheitsgedichten zu finden ist, spricht aber für Georg Baumann. Bei der Geehrten handelt es sich um die Tochter von Karl Hannibal zu Dohna (1588–1633), in dessen Diensten Opitz seit 1626 steht. Da dieser katholisch ist, kommt dem Namenstag (vgl. v. 3) der ältesten Tochter (ca. 1612–1676) ein hoher Stellenwert zu (vgl. Dohna 2013, 153). Eleonora Eusebia ging aus der Ehe mit Anna Elisabeth Zapsky von Zap († 1659) hervor (vgl. Duch 1959, 51).

Opitz schlägt den hohen Ton höfischer Panegyrik an, der Anlass und Adressatin – der Tochter des Dienstherrn von Dohna – angemessen (v. 72: »gemesse«) scheint. Musenanruf (vgl. v. 1 ff.) und mythologische Draperie (v. 51 f.: »sie hat wol Adlers Pracht | Von jhrem Jupiter«) verweisen auf die Sphäre höfischer Repräsentation. Genealogisches steht im Zentrum: Die Geehrte gehört einem alten Adelsgeschlecht aus dem Raum Meißen an. Diese Abstammung garantiere nicht nur materiellen Wohlstand, sondern auch Verstand und Tugendreichtum (vgl. v. 30). Auch in der nächsten Generation werde diese Vortrefflichkeit fortgesetzt, indem sich die Geehrte einen geeigneten Bräutigam erwählt habe (Johann Rudolph Wagen von Wagensperg). Gegenüber Herkunft (v. 19: »Stamm«), Macht und äußerer Schönheit seien jedoch innere Werte (v. 35: »besser[e] Gaben«) bedeutsamer. Fast brüsk wird statuiert: »Doch Tugend zu beschönen | Mit Ahnen ist nicht noth« (v. 25 f.). Es folgt ein Tugendkatalog, der unter Rückgriff auf vanitas-Motive (vgl. v. 37 ff.) in die religiöse Tugend der »Gottesfurcht« (v. 43) mündet. Am Ende bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Opitz spricht mit zwei Stimmen: Höfische Enkomiastik und Hofkritik stehen in einer Spannung, die am Ende durch Bescheidenheits- und recusatio-Topik abgebrochen wird. Angesichts dieser unaufgelösten Spannung – Hofdichtung als Hofkritik – verwundert es nicht, dass Opitz den Text in keine der folgenden Werkausgaben aufgenommen hat.

Dohna, Siegmar Graf zu: Aufzeichnungen über die erloschenen Linien der Familie Dohna. Berlin 1876.

Dohna, Lothar Graf zu: Die Dohnas und ihre Häuser. Profil einer europäischen Adelsfamilie. Bd. 2. Göttingen 2013.

Graf, Fritz / Anne Ley: Iuno. In: DNP online 2006 http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e603690 [30. 7. 2018].

Schings, Hans-Jürgen: Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funebres und Trauerspielen. Köln 1966.

Strothmann, Jürgen: Herrscher. In: DNP online 2006 http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e1403750 [30. 7. 2018].

An die HochWolgeborne | Fräwlein ⧸ Fräwlein | ELEONORA | EVSEBJA | Burggräffin zu Dohna.

[[A1]r]

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Jhr Musen⧸ krönet mir die Kron vnd Zier der Jugendt⧸Das blühende Gestirn⧸ den außbundt aller Tugendt⧸Die werthe Leonor’ auff jhren NamensTag.Meint jhr daß ewre Hand nicht auch vmbkräntzen magJhr Haupt⧸ jhr schönes Haupt⧸ dieweil es pflegt zu scheinenMit Perlen reicher Art⧸ mit Gold’ vnd edlen Steinen?O nein; sie sieht es wol Gold sey ein blosser Schein⧸Die Perlen raub der See⧸ vnd Steine nichts als Stein.Sie weis daß alles diß was herrlich ist gewesenNichts als gewesen ist⧸ vnd jetzund nur im lesen⧸ Jn dem was jhr verleiht⧸ noch lebet vnd besteht.Was Mensch-vnd weltlich ist⧸ ja Mensch vnd Welt vergeht;Durch Neid⧸ durch Todt⧸ durch Zeit muß alles diß zerrinnenWorauff die Sonne scheint. Was jhr⧸ jhr Pierinnen⧸ Mit klugen Sorgen hegt⧸ vnd trewlich einverleibt Jn’s Feldt der Ewigkeit⧸ das grünet vnd bekleibt.Worvon dann sollen nun die Schwestern erstlich singen?Wann⧸ Fräwlein⧸ alles hier pflegt auff sein quell zu dringen⧸

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So hat vns deinen Stamm noch niemand recht gesagt⧸Als wie man etwan sonst nach grossen flüssen fragt⧸ Vnd weis den vrsprung nicht. Vor achtmal hundert JahrenJst dieser thewre Held mit Tode schon verfahrenDer dein Geblüte hat aus Franckreich hergebracht⧸Vnd an der Elbe Strandt gepflantzt der Waffen PrachtDadurch dein Stand geblüht: Doch Tugend zu beschönen Mit Ahnen ist nicht noth⧸ vnd du darffst nichts entlehnenVon dem was erblich ist; Natura schencket dir Ein reiches Eigenthumb⧸ vnd was sie noch von ZierDir nicht verleihen kan⧸ ersetzet dein GemüteAn Sitten⧸ an Verstand’⧸an aller Tugendt güte⧸ An Schönheit die nicht stirbt. Eusebia⧸ diß Haar⧸Der Wangen Milch vnd Blut⧸ der Augen liechtes Par⧸Die Stirne⧸ diesen Mund⧸ vnd was dich sonst erhebetAls wie ein heller Stern in seinen Wolcken schwebet⧸Das alles schmückest du mit bessern Gaben aus⧸ Vnd setzest durch Vernunfft in dieses schöne HaußNoch einen schönern Wirth. Dann nur bey Sommerszeiten Der braune Himmelhund so sehr nicht kan bestreitenDer zarten Blumen Pracht⧸ als wie die strenge ZeitDiß Reichthumb der gestalt⧸ den Glantz der Eitelkeit

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Bergab zu führen pflegt. Du hast dir vorgenommenDem Himmel der dich ziehrt noch näher beyzukommenMit heisser Gottesfurcht⧸ bey der die Tugendt stehtAls wie der Schatten stets nechst seinem Cörper geht.Du bist dem Ansehn huld⧸ doch wilt du es vermählen Mit süsser Freundligkeit⧸ hast mehr lust dich zu zehlenBey denen derer Zweck das Lob der Demut ist⧸Als die zwar anderer Verachtung außerkiest⧸ Vnd selbst verächtlich sind. Vnd diß hat dich gelehretDie Perle dieser Zeit⧸ die Auff- vnd Abgang ehret⧸ Die grosse Keyserin: sie hat wol Adlers PrachtVon jhrem Jupiter⧸ ist Juno an der Macht⧸Vnd geht mit Zeptern vmb; doch ist sie mehr Diane⧸Wann diese Göttin sich auff einem schönen PlaneMit jhrer Nimfen Schar⧸ der edlen Schar⧸ ergetzt⧸ Vnd legt den Himmel ab der dennoch vnverletzt Jn jhr bey Würden bleibt. wo frü die Sonne stralet Aus jhrem Bette her⧸ wo sie des Abends mahletDas Meer darein sie fellt⧸ wird Demut stets geliebt:Diß ist das reiche Quell das so viel Ströme gibt Der Gaben die du hast⧸ der sitsamen Geberden⧸ Der reden voller Zucht⧸ vnd was dich von der Erden

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Noch sonst empor erhebt⧸ das an der Feder statDes Himmels milde Gunst dir eingemahlet hatJn dein Gesichte selbst: er wird dir gleichfals geben Mit einer vollen Hand das Glück also zu lebenWie deine Tugend heischt⧸ er wird dich lassen sein⧸O Fräwlein⧸ wie du bist der deinen Trost vnd Schein⧸Des Standes reiche Zier⧸ vnd dann in kurtzen heissenDer Musen weises Volck sich auff ein Lied befleissen Das höher möge gehn als mein Getichte kömpt⧸Vnd dem gemesse sey was er dir hat bestimmt.

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Martin Opitz von Boberfeldt.

14 Was jhr⧸ jhr Pierinnen] Unter diesem Namen (auch Pieriden) sind die neun Töchter des Pierus bekannt, die mit den olympischen Musen einen Wettkampf anstellten. Nach ihrer Niederlage wurden die Pieriden zur Strafe für ihr anmaßendes Verhalten in Elstern verwandelt (vgl. Ovid, Metamorphosen 5, 294–678).

16 bekleibt] zusammenwachsen, Wurzeln schlagen, fortdauern. Vgl. DWb 1, 1419.

17 Worvon dann sollen nun die Schwestern erstlich singen] Gemeint sind wiederum die Musen.

21–25 Vor achtmal hundert Jahren … Dadurch dein Stand geblüht] Urkundlich wird als erster Vertreter der Familie zu Dohna 1127 Heinrich von Rotau genannt. Die Abstammung der Dohnas von einem Aloysius von Urbach, der mit Karl dem Großen um 800 aus Südfrankreich nach Deutschland gekommen und in die Burggrafschaft gesetzt worden sei, geht vermutlich auf den Historiker, Heraldiker und Genealogen Bartholomäus Paprocky zurück (vgl. zu Dohna 1876, 42 f.).

24 Vnd an der Elbe Strandt gepflantzt der Waffen Pracht] Damit ist die Ansiedlung des Adelsgeschlechts im Raum Meißen im 12. Jahrhundert gemeint. Diese Besitztümer wurden jedoch im frühen 15. Jahrhundert enteignet. Dies sorgte für die endgültige Aufspaltung der Familie in fünf Hauptlinien: die schlesische, die böhmische, die ostpreußische, die schwedische sowie die in der Lausitz verbliebene Linie.

31–33 Eusebia⧸ diß Haar … Die Stirne⧸ diesen Mund] Petrarkistisches Motivinventar, das auf die klassischen Schönheitsideale anspielt.

38 bestreiten] bekämpfen, beschädigen.

48 außerkiest] auserwählt.

51 Die grosse Keyserin] Der Adler gilt als vornehmster Vogel der Antike und Siegverkünder. In der Tradition der Emblematik findet sich der Adler oftmals als Sinnbild für eine (beginnende) Herrschermacht (vgl. Schings 1966, 27). Konkret wird hier auf den doppelköpfigen Reichsadler angespielt und auf Kaiserin Eleonora von Mantua, Gemahlin Ferdinands II.

52 Von jhrem Jupiter] Sowohl in der Ikonographie als auch in der Mythologie ist Jupiter oftmals mit dem Adler in Verbindung gebracht worden (vgl. Strothmann 2006).

52 f. ist Juno an der Macht ⧸ Vnd geht mit Zeptern vmb] Juno ist eine der wichtigsten Frauengöttinnen. Typisches Attribut der Juno in der antiken wie nachantiken Ikonographie ist das Zepter (vgl. Graf ∕ Ley 2006).

53 doch ist sie mehr Diane] Römische Göttin der Jagd, aber auch Beschützerin der Mädchen und Frauen.

55 Mit jhrer Nimfen Schar] In der (bildlichen) Rezeption wird Diana oft mit dem Mythos um den Jäger Aktaion in Verbindung gebracht, der Diana und ihre Nymphen beim Baden beobachtet und zur Strafe von seinen eigenen Hunden zerrissen wird. Vgl. Ovid, Metamorphosen 3, 138–252.




Zitierempfehlung:

, , in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

, , in: und (Hrsg.),