127 Auff Nicolai-Antons Deß […] Herrn Michael Flandrins […] Söhnleins Begräbniß

127 Auff Nicolai-Antons Deß [ … ] Herrn Michael Flandrins [ … ] Söhnleins Begräbniß

1631 Dü 124 Sz 130

Auff Nicolai-Antons Deß Edlen vnd Vesten Herrn Michael Flandrins Deß Breßlawischen Fürstenthumbs Landrechtens Adsessoris Söhnleins Begräbniß. Breslau: Georg Baumann 1631. (a). 1

Wieder abgedruckt in:

Unter dem Titel: Auff Herrn Michael Flandrins lieben Kindes Nicolai-Antons Begräbnüß. In: Martin Opitz: Weltliche Poemata. Der Ander Theil […]. Frankfurt am Main: Thomas Matthias Götze 1644, S. 147–150. (F). (VD17 23:248428E).

Moderne Ausgabe:

Martin Opitz: Weltliche Poemata 1644. Zweiter Teil. Mit einem Anhang: Florilegium variorum epigrammatum. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg. v. Erich Trunz. Tübingen 1975, S. 147–150.

Michael Flandrin (1594–1646) war ein Breslauer Senator, dem Opitz die Beschäftigung mit dem Annolied zu verdanken hatte. Er wurde 1632 in den Rat gewählt und war bis zu seinem Tod am 17. November 1646 wechselnd als Schöffe und Ratmann tätig (vgl. Stein 1963, 251). Von 1618 an war er bereits Stadtfähnrich in Breslau, wurde später Herr auf Groß- und Klein-Bresa, Gniefgau und Saarawenze und damit Königlicher Mann (vgl. Früh / Goedeke / von Wilckens 1978, 861). Daneben war er Landesältester und Steuereinnehmer im Fürstentum Breslau. 1618 heiratete er Maria von Eben, mit der er neun Kinder hatte, unter ihnen der bedichtete Nicolai Anton, der am 21. Juli 1631 im zweiten Lebensjahr starb (vgl. Pusch 1986, 416). Von den Kindern erreichten vier, zwei Töchter und zwei Söhne, das Erwachsenenalter (vgl. Stein 1963, 252).

Das 12 Strophen umfassende Epikedion beginnt mit einem starken emblematischen Affekt-Bild (Str. 1–3): Der Löwe, der von der Futtersuche zurückkommt und seine Jungen nicht findet, bricht in wilden Schmerz aus. Solche buchstäblich animalischen »schmertzen« (v. 13) quälen auch den Vater Flandrin. Die folgenden Strophen (Str. 4–7) verbleiben – wie das Gedicht insgesamt – im Allgemeinen; der Verstorbene wird nur beiläufig (v. 40 f.) erwähnt. Vergegenwärtigt werden typische Szenen der Kindheit, ausgehend von einer Wiedersehensszene, die das Anfangsbild des heimkehrenden Löwen aufnimmt (Str. 5). Die consolatio (Str. 8–10) setzt mit einer einprägsamen Sentenz (v. 43: »Der Todt der hat nicht ohren«) ein: Mit der Hoffnung ist zugleich die Furcht verloren. Dem jungen Nicolai Anton bleiben die bitteren Folgen des Krieges (Plünderungen, Zerstörung, Flucht) ebenso erspart wie das unsichere Leben bei Hof und in der Stadt und überhaupt die Wechselfälle »beydes Glücke[s]« (v. 58). So wird der frühe Tod zum Segen für das Kind und zum Trost der Eltern (Str. 11–13).

Früh, Gustav / Hans Goedeke / Hans Jürgen von Wilckens (Hrsg.): Die Leichenpredigten des Stadtarchivs Braunschweig. Bd. 2: Eisele–Gvisius. Hannover 1978.

Stein, Rudolf: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau. Würzburg 1963.

[[A1]r]

Auff | Nicolai-Antons | Deß Edlen vnd Vesten | Herrn Michael Flandrins | Deß Breßlawischen Fürstenthumbs | Landrechtens Adsessoris | Söhnleins Begräbniß. | Gedruckt im Jahr ⧸ 1631.

[A2r]

ALs wie ein edler LöweSich mit gerechter reweSehnt nach der Jungen zuchtDie man jhm auffgefangenJn dem er ist gegangenVndt Essen hat gesucht;

5

Sein augen stehn voll threnen⧸Der schaum läufft von den zähnen⧸Die mane steigt empor;Er sucht⧸ er rufft vnd brülletDaß Libyen erschüllet⧸Vndt sich entsetzt davor:

10

So rühren sich die schmertzenJn ewrem Vater-hertzenJngleichen⧸ Herr FLANDRJN⧸Der Frewden hoffnung schwindetJn dem jhr nicht mehr findet Was nur ist gantz dahin.

15

[A2v]

Ein trawriger willkommen:Der Todt hat weggenommenEin grosses theil der Lust⧸Der Lust die solchen sinnenWie Eltern haben könnenNur einig ist bewust.

20

25

Wo ist die schöne weise⧸Wann nach des Vaters reiseEin armes liebes KindtKömpt auff jhn zugerissen⧸Vndt wiel die augen küssenDie seine nährer sind?

30

Wo ist das trewe lachen⧸Der will ein wort zue machenDas noch gelähmet ist⧸Das angenehme zancken⧸Die Kindtheit der gedanckenDie Obst für Goldt erkiest?

35

[A3r]

Der trost jhn zue erziehenSo daß er möchte fliehenWas Eltern Kummer macht⧸Daß seine gantze JugendtErlernte witz vndt tugendt⧸Liegt jetzt in tieffer Nacht.

40

Der Todt der hat nicht ohren:Die hoffnung ist verlohren⧸Die furchte doch mit jhrNoch Zeiten zue erlebenDie der in der wir schwebenAm Jammer gienge für.

45

Er wird nicht täglich hörenEin armes Landt zerstören⧸Durchplündern Feldt vndt Stadt⧸Wird nimmer dürffen fliehenVndt auß dem Hause ziehenDas er gebauet hatt.

50

55

[A3v]

Er wird nicht mussen schawenDer Höfe mißlichs trawen⧸Den stetten wanckelmuth⧸Nicht sehn wie beydes GlückeDiß angst hat⧸ jenes tücke⧸Vndt nur ein falsches guet.

60

Vns allen ist gegebenZum lauffe kurtzes Leben;Zum Kummer gar zu lang:Dehm ist es ja zue gönnenDer selig kan entrinnenDurch einen graden gang.

65

So hört dann auff zue klagenEin Kindt das nicht darff tragen⧸Jhr Eltern⧸ was vns krenckt⧸Darff nicht derselben Zehren⧸Wann GOtt euch wird begehren⧸Die jhr jhm jetzundt schenckt.

70

Martin Opitz.

1 Nicht im VD17 verzeichnet.

Titel: Auff Herrn Michael Flandrins lieben Kindes Nicolai-Antons Begräbnüß F 3 Zucht F 6 Vnd F 7 Sein Augen stehn voll Threnen F 8 Schaum F 8 Zähnen F 9 Mane F 12 Vnd F 13 Schmertzen F 14 Vatter-Hertzen F 16 Hoffnung F 19 Willkommen F 20 Tod F 21 Theil F

22 Sinnen F 24 einig] allein 25 Weise F 26 deß Vatters Reyse F 27 Kind F 29 Vnd wil die Augen F 32 Der Will’ ein Wort zu F 35 Die Kindheit der Gedancken F 36 Gold F 37 Der Trost ihn zu F 40 Jugend F 41 Witz vnd Tugend F 43 Tod F 43 Ohren F 44 Hoffnung F 45 Furcht auch doch mit jhr F 46 zu F 49 Fehlt in F 50 Land F

51 Feld vnd Statt F 53 Vnd F 54 gebawet hat F 55 müssen F 57 stehten Wanckelmuth F 59 Angst F 59 Tücke F 60 Vnd F 60 Gut F 64 Dem F 64 zu F 66 Gang F 67 zu F 68 Kind F 72 jetzund F

1 ALs wie ein edler Löwe] Das Motiv findet sich bei verschiedenen antiken Dichtern wie Homer (Ilias 18, 318–322), Vergil (Georgica 3, 245 f.), Horaz (Carmina 3, 20, 2) und Ovid (Metamorphosen 13, 547 f.). Im religiösen Kontext steht der Löwe als allegorisches Tier für Christus und königlichen Edelmut (Offb 10, 3).

11 Daß Libyen erschüllet] Analog zu Horaz, Carmina 3, 20, 2 (s. o.), wo die Löwenjagd in Nordafrika verortet wird.

36 erkiest] auswählt.

45 doch] aber auch.

56–59 Der Höfe mißlichs trawen … Diß angst hat⧸ jenes tücke] Motiv der Hofkritik, vielleicht mit aktuellem Bezug auf den Wankelmut der unterschiedlichen Kriegsparteien.

68 darff] muss.

70 Darff] bedarf, d. h.: muss nicht dieselben Tränen vergießen.




Zitierempfehlung:

, , in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

, , in: und (Hrsg.),