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.1 Es ist ja glaublich wol
.2 So viel hier Menschen sterben
Leichsermon. Nach dem Christlichen ... Begräbnüß der ... Jung- frawen Susannae ... Aichhäuserin ... Stentzel Aichhäusers ... Einigen Tochter ... Zu Breßlaw druckts Georg Baumann.
4: A–L Exemplare: Breslau; Wolfenbüttel HAB, SSLS 5276
Die am 13. Juli 1609 geborene, am 28. August 1629 verstorbene Susanne war die Tochter des kaiserlichen Rates und Breslauer Stadtkämmerers Stanislaus (Stenzel) Aichhäusers (Eichheusers). Die Beerdigung fand am 2. September statt. Der prominente Predi- ger Joachim Fleischer, Pfarrer in der Neustadt und Assessor des Breslauer Konsistoriums (Jöcher), hielt die Leichenpredigt, die bald darauf bei Baumann gedruckt wurde. Angehängt an diesen Sermon, unter dem ganzseitigen Zwischentitel ›Parentationum et Epicediorum Monumenta ... ab amicis erecta‹, wurden zahlreiche Epicedien. Beiträger waren u. a. Nicolaus Henel, Caspar Cunradus, Elias Major, David Rhenisch, Georg Stirius et al.
Der Vater, S. Aichhäuser von Leonhardtwitz, auf Protsch, Weida und Lilienthal, war seit 1619 Breslauer Ratsherr. Man beschuldigte ihn, sich als Verwalter der Breslauer Münze (1614–17) über Gebühr bereichert zu haben. Bei seinem Tode 1643 erlosch die 1571 in den Adelsstand erhobene Familie (Sil. tog., Sinapius I 235, Jb. der Univ. Breslau 5 [1960], 22 und 7 [1962], 163 ff.)
.1 beginnt auf Bl. H2b der obigen Schrift; .2 auf H3b unten. Beide Gedichte wurden in F II, 142–44 wiederholt: Drittes Buch der Poe- tischen Wälder, über Leichenbegängnisse. .1 beginnt unter einer Zierleiste aus 15 horizontal arrangierten Eicheln und 4 Doppel- punkten; es ist aus einer kleineren Schrift (Garmond Fraktur) ge- setzt. Es folgt .2 unter einer Zierleiste aus 18 nach oben weisenden Eicheln und 2 Doppelpunkten; die Ode ist aus der Cicero-Fraktur gesetzt. Bei .1 finden sich weder wechselseitige Einzüge noch Zeilen- ziffern. Auch .2 weist keine Zählung auf.
Zu .1 siehe Hoffmann v. Fallersleben in Weim. Jb. 3 (1855), 138 und Gel 246 f. über das Thema der Weltverachtung bei Opitz. Zu .2 siehe Gel 255 f.
[.1]
1.
ES ist ja glaublich wol/ Susanna/ daß dein Tod/
Wie Selig er auch ist/ den deinen Weh vnd Noth
In jhrem Hertzen schafft: doch wer wil jetzt genesen/
Der auch genesen wil? die Jahre sind gewesen
5 Da Eltern jhren Gott noch baten für jhr Kind/
Vnd wolten zuvorher: die Zeit ist in den Wind/
Man wüntscht das wüntschen nicht/ woferren man beschawet
Warumb ein fromer sinn auff Sterbenßhoffnung bawet
Der erst am besten lebt. Diß hastu auch gethan/
10 Du Bild der Frömigkeit: Du hattest schon voran
Noch in dem Leibe hier den Himmel eingenommen
Der fromen Seelen Stadt/ bist nicht erst heute kommen
Zu deinem Bräutigam/ den niemand hertzlich liebt
Der nicht zuvor die Lust der Erden vbergiebt/
15 Vnd jhre Liebe haßt. was zwang doch deine Jugendt/
Wer hat dich doch geführt/ du reines Hauß der Tugendt/
Auff diesen grawen Sinn? hat etwan dir gefehlt
Das jene was die Welt für Gutt vnd Gütter zehlt/
Vnd macht das Leben lieb? gebrach dir ein Geblüte/
20 Ein Standt der Edel macht? nein: oder ein Gemüte
Das selber Edel ist? diß auch nicht: oder Ziehr
Des Alters? alles nein: das Glücke hatte dir
An Gaben nichts versagt. wann schon des Menschen Sinnen
Mit Eyfer der sie treibt den Himmel lieb gewinnen/
25 Vnd steigen vber sich/ so sehen sie die Welt/
Ihr wesen/ jhre Pracht/ jhr Lob/ jhr Gutt vnd Gelt
Mit stoltzen Augen an; sie treten es mit Füssen
Was vns mit Füssen tritt/ vnd lernen täglich wissen
Daß blosses Fleisch vnd Blut den Himmel nicht besitzt/
30 Der nach der Seelen siht die von nichts anders hitzt
Alß jhres Schöpffers brunst/ der gleichfals sie auch liebet/
Vnd jhr das höchste Gutt sich selbst zu pfande giebet/
Sie leitet vnd regiert/ biß jhre Stunde kömpt/
Da Er sie gantz zu sich an seine Seite nimpt.
35 Da wohnest du auch jetzt/ bist mit der Schar vmbgeben
Vmbgeben mit der Schar der du am reinen Leben
Vnd Sitten hast gegleicht/ du Licht der Frömigkeit.
Ihr Eltern seid getrost/ schickt ewer Hertzeleidt
Vnd Trawren vber See: ist ewer Kind verloren/
40 So denckt es war zuvor einmal auch vngeboren:
Es nam sie zwar der Todt zuschnelle von euch hin;
Sie aber hat die Zeit im Himmel zu gewin/
Ist Selig noch für euch. es wird vmbsonst begehret
Zu endern was alhier vns allen widerfehret:
45 Die Glocke die jetzt klingt die deutet täglich an
Daß niemand der Natur Befehl entgehen kan/
Die vnser Meister ist. die Menschen so die Erden
Schon haben zugefüllt/ vnd die noch folgen werden/
Bezeugen daß man stirbt. erwegt vnd dencket nicht
50 Wie lange/ sondern wie sie dieser Sonnen Licht
Bißher beschauet hat: die so den Geist auffgeben
Die haben wol gelebt/ wer so auch pflegt zu leben
Stirbt anders nicht als wol: derselb ist klagens werth
Wer lebet daß er jhm zusterben nicht begehrt/
55 Vnd stirbet vngelebt. sie hat nicht sehen sollen
Der schwartzen Wolcken sturm die auff vns fallen wollen/
Vnd drewen vns die Nacht. wer gönnt jhr lieber hier
In furcht vnd angst zusein/ als da wo für vnd für
Ihr gantzes Hertze war/ davon sie schon gesaget/
60 Darauff sie sich gefrewt eh’ als sie was geklaget
Vnd Kranckheit hat gefühlt: als wie ein Schiffer thut/
Der weit gesegelt ist durch Klippen/ Wind vnd Flut/
Steigt oben auff den Mast/ vnd schicket sein Gesichte
Mit sehnlicher begiehr nach etwan einem Lichte
65 Das vmb die Berge gläntzt/ erblickt er dann das Landt/
So ruffet er: ich seh’/ ich sehe schon den Strandt!
Streicht Segel/ anckert ein/ wir haben vberwunden.
O wol/ Susanna/ dir/ du hast das Vfer funden
Darnach ein Christ sich sehnt/ vnd sihest auff das Meer
70 Des Lebens da wir sind von deinem Himmel her.
[.2]
Ode.
SO viel hier Menschen sterben/
Vnd eine Nacht erwerben
Die lange Jahre wehrt/
Die können nicht entfliehen;
5 Der Geist muß weiter ziehen
Wie bald es GOTT begehrt.
Wann Seuffzen vnd Gebethe
Noch grösser Wunder thete
Dann/ Orfeus/ deine Kunst/
10 Als durch dein schönes Singen
Sich Wild vnd Wald ließ zwingen/
So ist es doch vmbsunst.
Susanna/ deine Jugendt/
Die Sitten/ diese Tugendt/
15 Der Menschen Augen Licht/
Kein Singen vnd kein sagen
Vermag den Todt zu jagen;
Er sieht vnd höret nicht.
Doch bist du nie gestorben;
20 Ist gleich das Hauß vertorben/
Der Wirt lebt für vnd für:
Die Seel’ ist vnbegraben/
Vnd deine werthe Gaben
Die rühmt man jetzt noch hier.
25 Ihr Eltern/ last die Sorgen
Noch heute/ nicht erst morgen;
Klagt wie es sich gebührt:
Ihr liebster/ Ihr Gespiele/
Dem sie so wol gefiele/
30 Der hat sie euch entführt.
Ein Weltlichs Ehebette/
Das Ruh mit Vnruh hette/
War nicht für ewer Kindt:
Sie gieng von gantzem Hertzen
35 Dahin wo keine Schmertzen
Bey jhrer Liebe sind.
Im Alter wann den Jahren
Geschmack vnd Kraft entfahren
Da stirbet jederman:
40 Das Lob muß der erwerben
So dann wil frölich sterben
Weil er noch leben kan.
Martin Opitz
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