Vielguet

[Druckausgabe S. 394]

109
  • Sz 101
  • Dü 105
  • 1629

    Vielguet

    Einzeldruck X: [Innerhalb eines Kupferstichrahmens] MARTIN | OPITZEN | VIELGVET. [Kolophon, Bl. C2b:] Gedruckt zum Brieg/ durch Augustinum | Gründern. | In Verlegung David Mül- lers Buch- | händlers in Breßlaw. 1629.

    4°: A–C2 Exemplare: Berlin SB (PK), Yh 9151 u. Yh 9408; Yale UL, FdF 214

    Einzeldruck Y: MARTINI OPITZII | VielGut. | In Verlegung David Müllers/ Buchhendlers in | Breßlaw. | [Linie, 8,5 cm] | Anno M DC XXIX.

    4°: A–C2 Benutzte Exemplare: Yale UL, FdF 214b; Göttingen UB; eins im Besitz des Hrsg.s

    Druck X unterscheidet sich von Y vor allem durch das Titelblatt. Bei allen andern Unterschieden handelt es sich lediglich um Setzer- varianten. Der Stich des Titelblattes von X zeigt ein seinerzeit häufig benutztes Motiv: einen Portalbau. Zwei mit Blatt- und Rankenwerk verzierte Säulen ruhen auf einem dreigeteilten Unterbau, dessen mehr oder weniger ovale Paneele hier keinerlei Mitteilungen enthal- ten. Zwischen den Säulen die Angabe von Autor und Titel im Typen- druck. Der kopflastige Oberteil enthält in der Mitte das Wappen des Auftraggebers. Am Ende, unter dem Kolophon findet sich ein klei- nes Ornament: zwei mit den Blüten nach rechts und links weisenden Röschen. Die Blattsignatur auf Bl. C2 ist als C3 verdruckt.

    Druck (Sz 102 Dü 105 a) Y ist ganz im Typendruck hergestellt worden. Der Name des Verlegers steht jetzt auf dem Titelblatt, doch fehlt die Auskunft über den Drucker. Die Blattsignatur C2 ist ausge- fallen und das Gedicht endet ohne Verzierung auf Bl. C2b. In beiden Drucken ist die Rückseite des Titelblattes unbedruckt. In beiden ist die Anrede aus einer größeren Schrift, der Tertia, gesetzt, während für den Text des Gedichtes eine Ciceroschrift benutzt wurde.

    In Sammlung F, Teil I, steht das Werk zwischen Vesuvius und Dafne. S. [85] enthält den ganzseitigen Zwischentitel: MARTIN | OPITZEN | Vielguet. Name und Titel des Herzogs Heinrich Went- zel, aus verschiedenen Schriftgraden gesetzt, findet sich auf S. [86]; die Widmungsprosa folgt in größerer Schrift auf S.87 unter sechs Doppelarabesken von insgesamt 1,8 × 7,8 cm. Auf S. 88 beginnt der

    [Druckausgabe S. 395]
    nach X gesetzte Text des Werkes unterhalb von sechs nach oben gerichteten Einzelarabesken von 0,9 × 7,8 cm. Der Kopftitel lautet Martin Opitzen I Vielguet. Der Kolumnentitel, S. 89–102, bleibt un- verändert und lautet l. und r. Vielguet. Einige auktorielle Än- derungen sind wahrzunehmen. Abschluß ohne Verzierung auf S. 102 unten.

    In den drei authentischen Fassungen des Werkes wird die Unter- teilung in 28 Absätze durch kurze Einzüge am Zeilenanfang ange- deutet (in vorliegender Ausgabe durch etwas größeren horizontalen Abstand). Nicht vorhanden sind Zeilenzählung und wechselseitiger Einzug der Alexandrinerpaare; auf das Fehlen erklärender Anmer- kungen sei hingewiesen.

    Triller bringt Vielgut in Bd. I, S.45–58, mit der Anrede, aber ohne die Widmungsprosa. Trillers Anmerkungen beschränken sich auf sechs Quellenangaben. Tittmann, S.38–51, druckt nach F, doch ohne den Vorspann; er fügt erklärende Anmerkungen und zum ersten Mal Zeilenzählung bei. Oesterley, S. 96–106, hat Zeilenzäh- lung und eine gegenüber Tittman verminderte Zahl von Anmerkun- gen. Schließlich enthält die von Jan-Dirk Müller herausgegebene Auswahl von Opitz’ Gedichten, Stuttgart, Reclam (RUB 361–63), Vielguet nach F auf S. 109–24. Anrede und Widmung sind wider Erwarten nicht abgedruckt, doch finden sich Sacherklärungen, Va- rianten gegenüber X und Zeilenzählung.

    Der Auftraggeber, Herzog Heinrich Wenzel von Bernstadt (1592–1639), war der ältere Sohn des 1617 verstorbenen Herzogs Karl II. von (Münsterberg), Oels und Bernstadt und dessen zweiter Gemahlin, Elisabeth Magdalena (1562–1630), der Tochter Georg II. von Liegnitz-Brieg. Heinrich Wenzel hatte in Frankfurt studiert und die übliche Bildungsreise absolviert. Nach der Gebiets- teilung mit seinem Bruder Karl Friedrich hatte er 1617 seine Resi- denz in dem 40 km östlich von Breslau gelegenen Bernstadt genom- men. Nachdem er 1623 zum kaiserlichen Rat, 1627 zum kaiserlichen Kämmerer ernannt worden war, übernahm er im Juli 1629 unter Zusicherung protestantischer Religionsübung die kürzlich vom Kai- ser zur Scheinwürde degradierte Landeshauptmannschaft, die Georg Rudolf niedergelegt hatte. Er erfreute sich unentwegt der kai- serlichen Gunst und starb am 21. August 1639 auf seinem Besitztum Vielgut an der Weida. Heinrich Wenzels Bruder Karl Friedrich

    [Druckausgabe S. 396]
    (1593–1647) heiratete in zweiter Ehe Sophia Magdalene (1624–66), Tochter Johann Christians (Grotefend, Tafel XIV). Heinrich Wen- zel wurde 1641 in Oels beigesetzt. Die 1644 in Oels erschienene Lei- chenschrift enthält Epizedien von 44 Dichtern, nicht eines davon auf deutsch (Mende 336).

    Anhaltspunkt für die Entstehung ist das Datum »Breslaw/ im Ju- lio des 1629. Jhares.« am Ende der Widmung. In der Korrespon- denz finden sich nur zwei Erwähnungen des Werkes: Colerus bittet im Sept. und Okt. des Jahres 1629 um ein Exemplar (Rei 306,16 u. 310,4); im zweiten Briefe nennt er Vielgut das »carmen de vita beata«.

    Abgesehen von einigen kürzeren Erwähnungen in Verbindung mit Opitz’ Gedichten zum Landleben, besonders Zlatna, hat Vielguet nicht viel Beachtung gefunden. In seiner Dissertation, Das Lehrge- dicht bei Martin Opitz, S. 102–05, bespricht Horst Nahler das Werk etwas ausführlicher. Klaus Garber (Der locus amoenus, 1974) und Anke-Marie Lohmeier (Beatus ille, 1981) beziehen Vielguet zwar in ihre Betrachtungen mit ein, doch setzen sie sich nicht im einzelnen damit auseinander.

    [A2a]
    Dem Durchlauchten/ Hochgebornen Fürsten vnnd Herrn/ Herrn Heinrich Wentzeln/ Hertzogen zue Münsterberg/ in Schlesien Zur Olß vnd Bernstadt/ Grafen zue Glatz/ Herren auff Sternberg/ Jaischwitz vnd Metzibor/ Röm. Kays. May. Kriegesrhate/ Cämmerern/ vnd Verwaltern der Ober- Hauptmanschafft in Ober vnd Nie- der Schlesien; Meinem Gnädigen Fürsten vnd Herren.

    Durchlauchter/ Hochgeborner/ Gnädiger Fürst vnd Herr; E. Fürst. Gn. die mir schaffen köndte/ hatt dennoch gnädig begehren wollen/ von der lust jhres Cammerguetes vnd Fürstlichen Maier- hofes Vielguet/ welches den namen nicht vergeblich hatt/ etwas + + + + + +

    [Druckausgabe S. 397]
    auffzuesetzen. Habe ich also auß schuldiger pflicht dieses so E. Fürstl. Gn. allhier gnädig lesen wirdt/ schreiben/ vnd beynebenst in gegenhaltung dessen/ was guet heisset vnd offt böses verursacht er-[A2b] weisen sollen/ daß noch ein beßeres guet in diesem leben möge/ vnd in jenem müsse gesucht werden. E. Fürstl. Gn. laße jhr belieben mit so Leutseligen augen/ wie sie mich pflegen/ auch diß mein schlechtes getichte an zue sehen/ vnd ferner mich/ der ich Dieselbte sampt Ihrem gantzen Fürstlichen Hause dem Höchsten guete befehle/ in beharrlicher gnade zue behalten. Auff der Kay- serlichen Burg zue Breßlaw/ im Julio des 1629. Jhares.

    E. Fürstl. Gn.

    gehorsamber Diener Martin Opitz.

    [A3a]

    MARTIN OPITZEN
    VIELGVET.

    INdessen daß mein sinn der welt gemeines Ziehl
    Vernichten/ vndt sein Lob auff etwas stellen wil
    Daß guet ist vnd die zeit des lebens guet kan machen/
    So komm/ O höchstes Guet/ du Vrsprung gueter sachen/
    5 Des bösen ärgster feindt/ erwecke mir verstandt/
    Verleihe kecken muth/ vndt schärffe meine handt
    Zue dringen durch den neidt des Volckes von der Erden/
    Das sonst mit seiner schar mein meister möchte werden/
    Vnd warheit kaum vertregt. Du aber/ werther Heldt/
    10 O mehr als gueter Fürst/ dem diese lust gefellt/
    Der du das guete liebst von dem ich hier wil singen/
    Beschawe neben mir wie nichts an vielen dingen/
    Am gueten guetes sey das guet heißt vnd nicht ist/
    Vnd wenig diesem gleicht was du dir hast erkiest.

    15 Der Vater der vernunfft vnd künst’ vnd vieler wercke
    Prometheus hatte zwar auß seiner weißheit stärcke
    Dem Menschen/ welchen er vor ohne geist gemacht/
    Des fewers edlen schein vom Himmel eingebracht/

    + +
    [Druckausgabe S. 398]

    Durch nütze Dieberey in seines leibes höle/
    20 Die erstlich tunckel war/ daß also witz vndt seele
    Des Cörpers wirthe sindt; wann Epimetheus nicht
    Ein faß hett’ auffgethan/ vndt an das Sonnenliecht
    Viel vbel das vns krenckt mit hauffen außgelassen.
    Der arme wolte sich zwar mit dem deckel faßen/
    25 Zue stopffen diß geschirr: Doch leider gar zue spat.
    Was ein mal lufft bekömpt das giebt auff keinen rhat/

    [A3b]
    Vnd kehrt nicht wieder vmb. Seit angeregter zeiten
    Sindt armut/ vppigkeit/ betrug/ gewalt vndt streiten/
    Vndt kranckheit/ vnd der todt geflogen vmb vnd an
    30 Durch alles was der tag bey vns bescheinen kan.
    Prometheus hatt vns wol ein klares licht gegeben/
    Ein fewer auffgesteckt/ dem rechten nach zu streben/
    Zue kennen was vns dient; sein bruder aber macht
    Daß schwartzer nebel sich mit einer dicken nacht
    35 Vmb vnser hertze legt/ vndt leßt vns nicht entscheiden
    Wohin zue gehen sey: was billich das vermeiden/
    Was falsch ist suchen wir; worauff des Menschen muth
    Am meisten sieht vnd denckt das heißt sein bestes guet.


    Ein theil das pfleget sich zum ertze zue verdammen/
    40 Vndt hölen ab zue gehn; da lesen sie zuesammen/
    Das goldt den reinen koth/ der bleichen sorgen Kindt/
    Des Glückes außgespey/ den rauch/ den thewren windt
    Der in die tugendt stürmt. Sie scharren auß der Erden
    Wordurch sie mehr vndt mehr dem Himmel frembde werden
    45 Darein kein goldt nicht kömpt. Sie holen über meer
    Auß einer andern welt der laster werckzeug her/

    + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 399]

    Versetzen jhren halß den wellen selbst zum pfande/
    Sindt blutarm auff der see vmb reich zue sein zue lande
    Das weit von dannen liegt. Wo ist dein sinn vndt rhat?
    50 Was bawst du auff ein Hauß das keinen boden hatt/
    O Mensch/ du glückesball? was häwst du auß den gründen/
    Vndt suchest in der bach/ im sande deine sünden?
    Was lauffst vndt rennest du vndt schwitzest tag vndt nacht?
    Was tregst du diese last/ die sorgen volle pracht
    55 Durch recht vndt vnrecht ein? daß Jason doch ist kommen
    An Colchos wilden strandt/ vndt hatt das fell genommen!

    [A4a]
    Nun weiß man vmb das goldt vndt auch vmb haß vndt streit:
    Da noch kein goldt nicht war da war die güldne zeit.


    Die Götter haben selbst das was wir goldt jetzt nennen/
    60 Vndt erstlich Erde war/ gar langsam lernen kennen:
    Man sagt das Jupiter zue zeigen seine macht
    Auff einen feyertag den plitz herfür gebracht/
    Neptun den Dreyzanckstab; Minerva trug die Eule/
    Die Harffe Cynthius/ Alcides seine keule/
    65 Die braune Ceres Korn/ Pan pfeiffen/ Flora graß/
    Vndt Amor sein geschoß; ein jeder wuste was
    Mit dem er Meister wardt: doch hatte schon für allen
    Der grosse Fürst Neptun dem Mittel wolgefallen/
    Wo nicht die Erde noch auff jhre schoß gezeigt.
    70 Wie wann des tages ziehr die Sonne seewerts steigt/
    Vndt jhre stralen leßt mit einem schönen blincken/
    Daß Landt vndt see sich frewt/ den süssen schlafftrunck trincken/
    So ließ sie gleichfalls auß des goldes falsche pracht/
    Dadurch der Himmel auch jhr dienstbar wardt gemacht.


    75 Alßbaldt nimpt Jupiter jhm goldt zue seinem throne/
    Zum Zepter den er tregt/ die Juno jhr zur Krone/

    + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 400]

    Mercur vmb seinen stab der vor nur höltzern war/
    Vndt Pallas vmb den schildt: Der Gott der Kriegesschar
    Mars leßt jhm helm vndt schwerdt/ der Titan seinen Wagen/
    80 Saturn das sichelhefft mit golde gantz beschlagen:
    Ja der Gerechtigkeit/ die nie geliebt den schein/
    Muß jhre Wageschal jetzt selbst vergüldet sein.
    So ist das arge goldt ein Gott der Götter worden:
    Der Himmel geitzet auch/ vndt reitzt mit seinem orden
    85 Den der bey gütern darbt/ der seinen feindt bewacht/
    Sich haßet vndt liebt geldt das blindt ist vndt blindt macht/

    [A4b]
    Lahm kömpt/ geflügelt weicht; der sein gemüte hencket
    An einen güldnen strick/ vndt nie vernünfftig dencket
    Daß dieses was man Kriegt vndt auch besitzt mit pein/
    90 Vndt übel leben lehrt/ kein rechtes guet kan sein.


    Was soll ich aber dann von ehr vndt würden sagen/
    Darauff ein stoltzer geist sein gantzes wolbehagen
    Vndt alle sinnen setzt? ist diß das beste guet/
    Wann einer dem sein leib/ sein eigen fleisch vndt blut
    95 Zum Herren worden ist/ des andern leib vndt leben
    In seinen händen hatt/ beherrschet nur was neben/
    Vndt nicht was in jhm ist? diß fell/ diß überkleidt
    Kan vnterthänig sein: der sinn bricht durch die zeit
    Vndt aller Fürsten sinn/ er leßt sich nicht regieren
    100 Von einer frembden handt/ nicht bey der nasen führen
    Als wie ein armes Vieh/ vndt was du für gewalt
    Hast über seine haut/ das hatt auch der gestalt
    Ein andrer über dich. Diß wirdt kein guet nicht heissen
    Worauff ein böser Mensch sich pfleget zue befleissen/
    105 Der alles übel thut zue treffen auff sein Ziel/
    Vndt wann es troffen ist schafft was er kan vndt wil.


    Es ist ein grösser lob daß guete Leute fragen
    Warumb nicht/ als warumb dir was wirdt auffgetragen.
    Was kümmert Cato sich das etwa ein Vatin/

    + + + +
    [Druckausgabe S. 401]

    110 Ein Narr hoch oben sitzt? ich bleibe wer ich bin/
    Wann ich zue fuße geh’/ vndt Struma prächtig fehret
    Der zwar so viel nicht kan/ doch aber mehr verzehret
    Dann einer der nichts weiß als nur verstendig sein.
    Du stock/ die gantze stadt die kennet deinen schein;
    115 Kreuch in ein Löwenfell so reden doch die ohren:
    Durch hoheit wirdt der standt des hertzens nicht verlohren;

    [B1a]
    Die ähre beuget sich worinnen Körner sindt/
    Die auffrecht steht ist sprew/ vndt fleuget in den windt.


    Zwar köstlich ist es wol ein theil der welt regieren/
    120 Herr vieler Herren sein/ das schwerdt vndt Zepter führen/
    Besitzen guet vndt blut/ doch ist hier minder rhue
    Als auff der wilden see die grimmig ab vndt zue
    Mit jhren wellen jagt/ vndt nie vermag zue stehen.
    In einen grossen hoff wo tausendt Leute gehen
    125 Zue suchen gnad’ vndt recht/ da schleichen auch hinein
    Gefahr/ betrug vndt list: es führt der grosse schein
    Viel schatten hinter sich. Die auff dem throne sitzen
    In voller herrligkeit/ vndt also häuffig schwitzen/
    Was meinst du das es sey? Der Sommer thut es nicht/
    130 Die Sonne kan nicht hin: was auß der stirnen bricht
    Ist arbeit vndt beschwer. So viel hier Leute dienen
    Sindt jhnen mehrentheils zue dienste selbst erschienen;
    Sie ehren nur die macht des Fürsten vndt nicht jhn/
    Vndt wann sein glücke fellt so gehn sie auch dahin.


    135 Ist ferner diß so guet ein starckes lob erlangen/
    Bekandt sein weit vndt breit/ mit grossem titul prangen
    Der kaum kan auff den brieff/ der Edlen ahnen Zahl
    Zerstümmelt vndt behackt vmb einen gantzen sahl
    Mit Wappen vndt panir in jhrer ordnung weisen?
    140 Ich ehre deinen standt: Doch soll ich dich auch preisen/

    + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 402]

    So lebe ritterlich/ vndt laß mich vnverlacht/
    Ob du gleich Edel bist gebohren/ ich gemacht.
    Wann schon ein guetes Pferdt auß Barbarey nicht kommen/
    Wann seine schlacht schon nicht von Naples ist genommen/
    145 Das sonst nur Edel ist/ vndt erstlich trifft das ziehl/
    Es habe gleich sein graß gefressen wo es wil/

    [B1b]
    So kriegt es doch den preiß. Die bilder die hier stehen/
    Von welcher wegen du pflegst oben an zue gehen/
    Die ruffen auff dich her/ vndt schawen was du thust:
    150 Folg’ jhrer tugendt nach hast du zum lobe lust.


    Die schönheit wirdt es sein die guet genennt kan werden/
    Dann alles schön’ ist guet: das schöne was der Erden
    Allhier nichts schuldig ist/ was alles schöne macht/
    Was Titans hauß besternt/ was güldner blumen pracht
    155 Auff feldt vndt wiesen setzt/ vndt waldt auff grüne hügel/
    Was brunnen quelle giebt/ vndt vögeln jhre flügel/
    Vndt alles vns verleiht was schönes an vns ist/
    Daßelb’ ist schön’ vndt guet. Wer diese nicht erkiest/
    Nicht guet von jhm lernt sein/ der wil mit etwas prangen
    160 Das keiner hoffart werth. Die rosenroten wangen/
    Der Lilienweise halß/ die augen/ dieser mundt
    Sindt eine schöne wandt/ ein hauß das seinen grundt
    Von innen haben muß. An Cedern/ an Cypreßen/
    Am Lorbeerbaume zwar ist keine ziehr vergeßen/
    165 Die früchte desto mehr: ein wolgemahltes weib/
    Das nichts zue zeigen weiß als seinen zarten leib/
    Ist ein gemeiner raub/ dem mann’ ein thewres prangen/
    Den eitern eine schmach/ den frembden ein vorlangen/
    Der andern frawen neidt/ ein schöner koth vnd wust/
    170 Ein opffer vnd altar der öffentlichen lust/

    + + + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 403]

    Vndt was du haben wilt: gestalt pflegt auß zue treten/
    Vndt ist jhr Kuppler selbst: die keiner hatt gebeten
    Die bleibt am meisten keusch. Es weiß die gantze welt
    Daß reiner wille sich mit schönheit kaum gesellt/
    175 Mit schönheit welcher stahl vndt grimmes fewer weichet/
    Doch die nicht minder baldt zerrinnet vndt verbleichet/

    [B2a]
    Wie eine blume thut die mit dem tage steht/
    Vndt wann der abendt kömpt mit jhm auch vntergeht.


    Viel suchen grossen rhum/ vndt meinen zue bekleiben
    180 Durch lob das nimmer stirbt mit lesen vndt mit schreiben/
    Vndt sehen diß doch nicht in jhren büchern an/
    Daß einer welcher lob vndt rhum verachten kan
    Sey über alles lob. Was wilt du dich bemühen/
    O Mensch/ der sterbligkeit des Menschen zue entfliehen
    185 Wann du die Menschen fleuchst/ machst noch im leben dir
    Auß deinem hauß’ ein grab/ vndt tichtest für vndt für
    Auff bücher an den Main zur messe fort zue senden/
    Da kluge thorheit wirdt von so viel tausendt händen
    Durch landt vndt see geschleppt? bedencke daß die welt
    190 Noch einen weitren raum als Deutschlandt in sich helt/
    Vndt Hollandt auch darzue. Vermeinst du daß dein wesen
    Madril/ Paris vndt Rom pflegt sonderlich zue lesen/
    Da mehr gehiren wächst? Drückt an Quinsai bach
    Des landes China volck dir deine träwme nach?
    195 Kennt Nilus deine handt? sey sicher/ dieses schlachten/
    Das keiner völcker schont/ wirdt deiner kunst nicht achten;
    Die weißheit nem’ ich auß die noth vndt todt zerbricht:
    Wer diese kunst nicht kan der kan gar keine nicht.


    Noch hab’ ich nie gesagt von Epicurus söhnen/
    200 Der rawen art/ die Gott vndt Menschen pflegt zue höhnen/

    + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 404]

    Vndt schätzet jhren bauch für Gott vndt für jhr guet;
    Demselben opffert sie den wein der Erden blut/
    Vndt lebet so dahin als dürffte sie nicht sterben/
    Vndt stirbt als sey hernach kein leben mehr zue erben:
    205 Sie denckt nicht eines an daß jhre schwelgerey
    Der bloßen dürfftigkeit vndt kranckheit muter sey.


    [B2b]

    Was klaget doch so sehr des volckes lentz die jugendt/
    Der tag verlauffe sich/ vndt sey zue kurtz zur tugendt?
    Sie selbst fleucht für der zeit/ vndt nicht die zeit für jhr.
    210 Was scheubest du viel auff? dein heute das ist hier/
    Nicht lebe morgen erst. Du mußt das wilde fressen/
    Den wein der Venus milch/ die Venus auch vergessen/
    Zue leben nach gebühr. Was deine gurgel heißt/
    Worauff ein Bawersmann vndt Schiffer sich befleißt/
    215 Was see vndt acker tregt/ das wirdt erzeugt zum leben/
    Vndt bringt das leben vmb: wilt du dem leibe geben/
    So frage die natur. Man soll/ das vns der wein
    Nicht schaden bringen mag/ jhm selber schädlich sein/
    Vndt bach darunter thun. Die vollheit lehret haßen/
    220 Entdeckt was tunckel ist/ pflegt argwohn auß zue laßen/
    Vndt alles was nicht taug: sie schärfft die schnöde brunst/
    Die liebe welche nichts von einer Himmelsgunst/
    Vom besten gueten weiß. Dann wohnet solchen dingen
    Auch etwas guetes bey die bösen außschlag bringen?
    225 Die liebe sucht in müh vndt arbeit jhre rhue/
    Im schmertzen jhre lust/ schleußt dessen hertze zue
    Der jhr die augen gönnt/ heißt knechte nach den frawen/
    Den edlen nach der magdt/ den greiß nach jungen schawen/
    Beschönt was grewlich ist; sie wirdt in angst begehrt/
    230 In hoffnung fortgepfantzt/ in furchtsamkeit gewehrt/
    Vndt eckel folgt jhr nach: Die röthe/ dieses blicken/
    Der schweiß/ das hertzenweh/ diß auff- vndt nieder schicken

    + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 405]

    Der sufftzer zeiget ja daß jhre beste frucht
    Ein wares stücke sey der rechten schweren sucht.


    235 O guet/ o böses guet was kanst du denen geben
    Die deine folger sindt/ vndt dir zue dienste leben!

    [B3a]
    Du wollust/ wann du mir zue schawen hast gebracht
    Die furche die ein schiff auff wilder see gemacht/
    Vndt eines adlers flug/ so wil ich dir auch finden
    240 Den weg auff welchem du gewohnt bist zue verschwinden/
    Vndt nimpst mit dir dahin die blüte von der zeit/
    Vor welche du nichts giebst als armut/ schmach vndt leidt.


    Komm mit mir wann du kanst; ich wil dir etwas weisen
    Darnach du nicht erst darffst biß in Peru hin reisen/
    245 Wo solcher werckzeug wächst darauff dein volck sich fleißt.
    Komm mit mir an den ort der Vielguet ist vndt heißt/
    In vnserm Schlesien dem jetzt nicht reichen Lande/
    Das dennoch Vielguet hatt; schaw’ an dem kleinen strande
    Der Weide deßen rhue der seinen sinn gesetzt
    250 Auff etwas das den leib vndt sinn zuegleich ergetzt.


    Vergönne mir/ o trost des landes/ dein verweilen
    Vndt angeneme lust auch andern mit zue theilen:
    Ein Fürst/ ein hohes haupt ist ein gemeines guet/
    Kan nicht verborgen sein/ vndt was er sagt vndt thut/
    255 Ja fast auch bey sich denckt/ zerbricht vndt wieder bawet/
    Das wirdt von jung vndt alt begierig angeschawet/
    Vndt hin vndt her geweltzt. O wol dem der wie du
    Kein anders nicht beginnt als wo das volck darzue
    Mit hauffen rennen mag/ vndt auff die wage setzen/
    260 Das leben so er führt! ein stein pflegt stahl zue wetzen/
    Die obrigkeit jhr volck: ein Mensch wie ich der fellt
    Vndt steht auch heimlich auff/ ein Herr für aller welt.


    Wohin nun soll ich wol die augen erstlich senden?
    Dein Vielguet/ edler Fürst/ das ist an allen enden

    + + + +
    [Druckausgabe S. 406]

    265 Ein Vielguet wie es heißt/ ein wohnplatz aller rhue/
    Ein außzug der Natur/ vndt trifft dem namen zue/

    [B3b]
    Als wie der name dir. Hier hast du auffgesetzet
    Ohn hoffart/ nicht ohn lust/ ein hauß das dich ergetzet/
    Vndt deine sorge kühlt so durch dein hohes ampt/
    270 Durch vnser Vaterlandt/ vndt durch vns allesampt
    Dir stets wirdt auffgelegt. Was wollt jhr Menschen bawen
    Biß nach den wolcken zue? was laßt jhr marmor hawen
    Mit solcher thewren kost? worzue taug diese pracht?
    Was mawret jhr euch ein? die vnschuldt wirdt bewacht
    275 Von jhrer frömigkeit. Was wolt jhr euch beschliessen/
    Verrigeln vmb vndt vmb/ vndt fürchtet das gewissen
    Das mitten in euch wohnt? was hilfft es daß die wandt
    Von aussen schöne sey/ vndt drinnen fehlt verstandt
    Des Hauses bester schmuck? es ließ jhm Nero machen
    280 Gar einen güldnen hoff/ darein von allen sachen
    Nichts schlimmers kam als er/ der wust/ der schnöde grauß/
    Der gantzen Erden spot. Hier ziehrt der Herr das hauß/
    Das hauß so ferren liegt von falscheit/ von dem Neide
    Der in pallästen wächst. Der stille strom/ die Weide/
    285 Laufft ringes hier vmbher/ vndt wirdt doch kaum gehört;
    Vndt dieses hat jhn auch sein Hertzog selbst gelehrt
    Das bildt der gütigkeit. Hier wohnen die Najaden/
    Der keuschen Nymphen Chor so mit den schwanen baden
    Die vnser Phebus liebt/ weil keiner/ wie man sagt/
    290 Wann zeit zue sterben ist sich über diß beklagt
    Was todt genennet wirdt: sie fangen an zue singen
    Ein süßes grabeliedt/ vndt gehn von diesen dingen
    Mit solcher fröligkeit/ als jhnen auch bewußt
    Wie vns vndt kündig sey daß dieser Erden lust
    295 Zergeht vndt eitel ist. Hier sieht man frölich irren
    Vmb jhre körbe her mit einem süßen kirren

    + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 407]

    [B4a]
    Der frommen tauben schar; hier vieh vndt herde gehn
    Auff jhre weide zue; hier schöne roße stehn
    Durch jhren gantzen stall geliebt dir zu spatzieren?
    300 Hier kanst du dich zur lust der gärte laßen führen
    An welchen die Natur nicht wenig hatt gebawt
    Vndt reichlich sich erzeigt? hast du auch sie beschawt
    So nimm der wiesen war; hier lebet auff den teichen
    Der enten zahmes wildt; hier sindt die hohen eichen/
    305 Der pusch so allerseits den gantzen ort vmbringt/
    Wo Pan der Waldtgott selbst mitt seinen Faunen singt/
    Vndt vmb die stauden tantzt/ wo manche Drias gehet/
    Vndt durch jhr kühnes lob den starcken sinn erhöhet
    Der alle liebes brunst getrost verlachen kan:
    310 Wo manches schnelles wildt auff seiner freyen bahn/
    Die jhm sein Herr gezeugt/ der einig macht zue schonen
    Vndt macht zue nemen hatt/ mag vngehindert wohnen/
    Mag lauffen hin vndt her. du immer grüner waldt/
    Ihr bäwme Jupiters/ der hirschen auffenthalt/
    315 Der leichten hindinn rhue/ jhr häuser der geflügel/
    Ihr frischer hitzeschirm/ jhr thäler vndt jhr hügel/
    Ihr wiesen/ pusch vndt feldt/ jhr ort der einsamkeit/
    Wer euch besuchen kan/ wer seine stille zeit
    Mit ewrer lust vermengt/ vndt leßt sich diß ergetzen
    320 Was jhm sein Schöpffer giebt/ den muß man selig schätzen/
    Muß preisen seine lust/ es mag des glückes schein
    Vndt dieser zeiten lauff gleich noch so böse sein.


    Ihm wohnt viel guetes bey vndt seinem gantzen leben:
    Wann sich die Sonne wil auß jhrer rhue erheben/
    325 Vndt schickt die Morgenrhöt’ im kühlen vor jhr her/
    So steht er auff mit jhr/ sein haupt ist jhm nicht schwer

    + + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 408]

    [B4b]
    Von einer frembden last: er pflegt sich an zue legen/
    Zwar sauber doch nicht stoltz/ mit seinem morgensegen/
    Vndt ruffet deßen schirm zum allerersten an/
    330 Ohn welchen weder Mensch noch thier sich regen kan/
    Der alles schafft vndt ist: jhn lobt er mit dem munde/
    Vndt mit dem hertzen auch/ vndt bringt die erste stunde
    Mit seinem helffer zue. Auff dieses wo sein sinn/
    Vndt nicht ein andrer wil/ da geht er selber hin/
    335 Verwündtschet daß jhn Gott auch ferner also treibe/
    Zue leben wie er heischt/ vndt bey gesundem leibe
    Gesundes hertze sey/ nimpt also frölich für
    Was seines amptes ist/ verfähret nach gebühr
    In allem was er schafft/ vndt leßt jhm sein gewissen
    340 Mit sachen die jhm nicht gebühren vnzerriessen/
    Vndt treibt sie also fort daß auch der helle tag
    Diß was er redt vndt thut vndt denckt bescheinen mag.


    Kömpt dann das mittagsmal so pfleget er zue leben
    Von diesem sonderlich was jhm sein guet gegeben/
    345 Was etwan auff der jagt sein windtspiel hatt gehetzt/
    Darmit er vor dem muth jetzt auch den leib ergetzt/
    Was jhm sein teich gebracht/ ißt seinen reinen bißen/
    Nimpt seinen reinen trunck mit redlichem gewissen/
    Ist sicher das kein gifft auff deßen tafel kan
    350 Der seine gantze zeit dergleichen nichts gethan
    Das gifftes würdig ist: jhm wirdt ein glaß gereichet/
    Nicht zwar darvor ein Mensch verschwartzet vndt erbleichet/
    Ein helles cristallin/ darauß jhm wann er trinckt
    Des Bacchus klarer glantz biß in die augen blinckt.


    355 Er siehet frölich zue wirdt eines außgestochen
    Das muth zue reden macht; als wie vor wenig wochen

    [C1a]
    Die güldne stutte war die/ also ritterlich
    Ich meinen mann gewehrt/ mich dennoch neben sich

    + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 409]

    Fast hette hingelegt. Der wein erfrischt die alten/
    360 Vndt weckt die jugendt auff: ich kan darvon nichts halten/
    Daß einer gar kein glaß in seine fäuste nimpt/
    Vndt zue der Sicherheit des lebens nüchtern kömpt.
    Es heißt vns die natur mit maße mäßig leben/
    Die jhrer güter schar nicht hat vmbsonst gegeben:
    365 Wer seine zeit vollführt wie jetzund wirdt gesagt/
    Der weiß was sich geziehmt/ sitzt wie es jhm behagt/
    Heißt wegthun wann er wil/ ertregt nicht zanck vndt streiten
    Das voller sinn gebiehrt/ leßt doch den fröligkeiten
    Beym essen jhren platz/ thut alles nach der lust/
    370 Die dieses reichthumb hat/ jhm selbst sein wol bewust.


    Im fall er also dann mit rhue ist auffgestanden/
    So nimpt er nachmals auch kein anders vnterhanden
    Als einig was jhn Gott vndt sein gemüte heißt:
    In dem der Hundesstern anjetzt so hefftig gleißt/
    375 Vndt feldt vndt wiesen kocht mit seinen schweren hitzen/
    Erkiest er jhm ein ort an dem er frey kan sitzen/
    Liegt etwan bey ein quell/ sucht schatten an der bach/
    Spatziert vmb jhren strandt den kühlen bäwmen nach/
    Vndt bringt die stunden hin mitt ehrbaren gedancken/
    380 Die immer eines sindt/ nicht augenblicklich wancken/
    Als wie ein schwaches schiff das wo der windt hin steht
    Den blinden wellen nach mitt vollem segel geht.


    In deßen wil nun fast das große liecht der erden/
    Das auge dieser welt/ wie wir auch schläffrig werden/
    385 Da nimpt er wiederrumb das nachtmal also ein/
    Daß wol zue sehen ist/ den tag ein mal satt sein

    [C1b]
    Sey der natur genung; legt dann darauff sich nieder/
    Vndt allen kummer auch/ danckt seinem Schöpffer wieder/
    Befiehlt jhm leib vndt geist/ der jhn die gantze nacht
    390 In dem er ruhig schläfft gar väterlich bewacht.

    + + + + +
    [Druckausgabe S. 410]

    O drey vndt viermal ist ja selig der zue nennen/
    Der also leben kan/ vndt keinen beßer kennen
    Nicht lernet als sich selbst: der/ was sein standt vndt zeit
    Nur immer leiden wil/ mitt stiller einsamkeit
    395 In dem was sein ist lebt/ vndt bey sich kan vernichten
    Wo rhue vndt einfalt wohnt worauff die leute tichten/
    Das nichts als eitel ist/ was nutzt jhm der demant/
    Das viel zue thewre glaß/ an seiner werthen handt?
    Kan etwas das nicht lebt des Menschen glieder ziehren
    400 Der seel’ vndt sinnen hatt? der raub von wilden thieren/
    Der würmer webegarn soll dieses hoffart sein?
    Habt jhr nichts eignes nicht? muß ewrer gantzer schein
    In dem was flüchtig ist vndt außer euch bestehen,
    Dem Höchsten hatt beliebt euch gleichfalls zue erhöhen:
    405 Ihr aber schätzet euch noch minder als ein thier/
    Dieweil jhr ja von jhm entlehnet ewre ziehr/
    Vndt seine schuldner seidt? wer an dem orte wohnet
    Wo demut wirthinn ist/ der bleibet gantz verschonet
    Von solcher falschen pracht vndt gauckeley der welt/
    410 Die nur gemeiniglich von nichts am meisten helt.


    Er fraget von jhm selbst sein hertze das nicht leuget/
    Nicht schmeichelworte giebt/ vndt wann er je betreuget
    Mit einer gueten list/ so stellt er auff ein wildt/
    Auff keinen Menschen nicht. Er zeucht kein falsches bildt
    415 Für sein gesichte her/ er redet was er denket/
    Vndt dencket was er redt/ hatt nichts bey sich versencket

    [C2a]
    Das andern schaden bringt; er führt sein hertze bloß/
    Sein hertze welches jhm ein schutz/ ein starckes schloß
    Vndt freyer hafen ist. Er zähmet seine sinnen/
    420 Die nur sehr jrdinn sindt/ vndt führet sein beginnen
    Auß jhren augen weg/ sein geist sieht über sich/
    Vndt weiß das diese last der zeit so jhn vndt dich

    + + + + + + + +
    [Druckausgabe S. 411]

    Von allen seiten drückt durch leidt nicht ist zue wenden;
    Drumb nimpt er was Gott schickt mit außgestreckten händen/
    425 Mit eisernem gemüt’ vndt allen frewden an/
    Erkennt das beydes er kein übel leiden kan/
    Vndt auch kein übel thun/ verhenget böse sachen/
    Braucht ruten vndt auch schwerdt die bösen guet zue machen/
    Die gueten beßer noch/ zue prüfen wer jhn liebt/
    430 Vndt wer jhm hertz vndt sinn in beydem glücke giebt.


    Ein armes junges Kindt nimpt offtermals ein meßer
    Vndt spielet vmb sich her/ ein Vater weiß es beßer/
    Beraubt es von gefahr: so thut der Vater auch
    Der alles hatt erzeugt/ vndt reißt vns den gebrauch
    435 Der scharffen güter auß darein ein Mensch sich stechen/
    Ja seel’ vndt halß zuegleich darüber kündte brechen.
    Wie bitter er auch ist so nim den tranck nur ein/
    Den er dein artzt dir reicht/ wo du gesundt wilt sein.


    Ein leben das von noth/ von creutze nicht kan sagen/
    440 Dem alles auff der welt ergehet nach behagen/
    Ist wie ein todtes meer das gantz steht vnbewegt/
    Vndt niemals an das landt mit seinen wellen schlegt.
    Ein fechter fordert auß/ ein Landtßknecht liebt das kriegen/
    Ein weiser mannesmuth wil über vnglück siegen/
    445 Begehrt den feindt zue sehn; er steht wann alles fellt/
    Vndt schlügen schon vieleicht auch stücke von der welt

    [C2b]
    Auff seinen halß herab; er kan mit grossem hertzen
    Vernichten furcht vndt trost/ zertreten noth vndt schmertzen/
    Stirbt ab der sterbligkeit/ ist seines lebens voll/
    450 Vndt hoffet auff den tag an dem er wandern soll.


    Vndt solches kömpt daher daß diese trübe höle/
    Diß sündennest der leib an seiner reinen seele
    Die minsten kräfften hatt/ der seele welcher glut
    Nach jhrem Himmel steigt/ wie sonst ein fewer thut

    + + + + + +
    [Druckausgabe S. 412]

    455 Das freye lufft bekömpt; die nicht jhr guet auß sachen
    Erzwingt so sterblich sindt vndt gleichfalls sterblich machen/
    Die alles guet vndt lust nur in sich selber sucht/
    Da frewden ohne leidt/ vndt reichthumb ohne flucht
    Bestendig wohnen kan; die jhren Heilandt kennet/
    460 Die hertzlich tag vndt nacht für seiner liebe brennet/
    Mit jhm sich gantz vergnügt/ vndt jetzt schon zue voran
    Worauß sie kommen ist im Himmel wohnen kan.


    Diß guet ists/ was jhm hier ein frommer sinn begehret/
    Vndt was das Höchste guet nach wündtschen jhm gewehret/
    465 Der selbte dem er guet vndt leben in die lufft
    Mit allem willen strewt/ vndt kömpt so baldt er rufft.

    +



    Zitierempfehlung:

    Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

    Zitierempfehlung der Druckausgabe:

    Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),