Die Zeit so wir verschliessen

[Druckausgabe S. 92]

90
  • Sz 82
  • Dü 92
  • 1628

    Die Zeit so wir verschliessen

    An Herren | David Müllern/ | Vber seiner geliebten | Haußvrawen | Marien/ geborner | Rhenischin/ | Seligen Abschiedt. | Martin Opit- zen | Trostgesang.

    4°: A Exemplar: Breslau 4 E 515/31

    Unten auf dem Titelblatt erscheint ein Ornament; A1b und A4b sind unbedruckt; großes Dreiecksornament am Ende des Gedichts.

    Dies Werk entstand und erschien wohl unmittelbar nach dem Tode von Maria Rhenisch, wurde aber in der Sammelschrift Spiegel aller Christlichen Matronen wiederholt (siehe Nr. 91.2), wo auch die beiden lateinischen Übersetzungen dieses Gedichts von Baltha- sar Venator und B. W. Nüßler erschienen. Der Abdruck dort, Bl. D4a–E1a, steht unter der Überschrift »Eben sein/ Martin Opit- zen/ | Trostgesang.« und wird von zwei nach 1. und r. weisenden Eicheln abgeschlossen.

    C II bringt das Gedicht als Nr. VII der Oden oder Gesänge auf S. 409. Unter der in der Mitte über der Kolumne stehenden Sei- tenzahl (welche als 49 verdruckt ist) und einer Kopfleiste, 0,6 × 7,9 cm sowie einer Linie derselben Länge, folgt der Titel »An H. Davidt Müllern/ vber | seiner Haußfrawen Marien Re- | nischinn absterben.« Initial-D, vier Zeilen im Geviert. Der Text endet im obe- ren Drittel von S.412; darunter ein Dreiecksornament von 4,4 × 5,8 cm. C benutzt 90.2 als Druckvorlage.

    Abdruck in F II im Dritten Buch der Poetischen Wälder. Vber Leichbegängnisse. S. 157–59. Unter dem Kolumnentitel und der Seitenzahl rechts oben folgt eine aus 28 Sternchen zusammenge- setzte Kopfleiste, 0,4 × 7,7 cm. Der Titel gleicht dem in C (außer der Schreibung David und Renischin und verändertem Zei- lenfall: ... seiner | ... Renischin | ... Die dann folgende römische Sieben ist, da das Gedicht keineswegs das 7. ist, gedankenlos aus C übernommen worden. Das Anfangs-D ist aus der Textfraktur ge- setzt, also nicht besonders auffallend. Am Ende folgt ein kleines Or- nament aus drei Blättern um (o) gruppiert.

    Gellinek bespricht das Gedicht 256 f., ohne es jedoch mit der Trostschrift 91.1 in Beziehung zu setzen.

    [Druckausgabe S. 93]

    David Müller (Mollerus), seit 1624 Opitz’ Verleger und Freund, wurde am 25. März 1591 als Sohn des Ambrosius M., »rector ludi«, zu Braunau geboren. Seine Lehre begann er bei dem Breslauer Buchhändler und Verleger David Albrecht, er schloß sie, nachdem Albrechts Geschäft verkauft worden war, bei Johannes Eyring ab.

    Müller war dreimal verheiratet. Aus der am 25. Nov. 1614 ge- schlossenen Ehe mit Maria Brusky (Bruske) ging eine nach der Mut- ter benannte, 1632 noch lebende Tochter hervor. Die Mutter starb am 1. März 1616 im Alter von 20 Jahren im Kindbett.

    Nach dem Trauerjahr heiratete Müller am 12. Juni 1618 Maria Rhenisch, die einzige Tochter des Ekklesiasten und Professors am Elisabethanum. Die Braut, am 5. Juli 1601 geboren, war die Schwe- ster des in Straßburg früh verstorbenen David R. jr.; siehe die Werke Nr. 61 und 62. Maria schenkte sechs Kindern das Leben, vier Töchtern und zwei Söhnen. Die Töchter waren: Maria Magdalena (30. Mai 1619); Anna Magdalena (Dez. 1620 – 21. Mai 1622); Anna Maria (15. Aug. 1622) und Martha (27. Aug. 1624). Drei der Töch- ter waren 1632 noch am Leben. Der erste Sohn, David jr., wurde am 23. Jan. 1626 geboren; er starb, fast sechsjährig, am 7. Aug. 1631. Die Geburt des zweiten Sohnes, Carol Sigismund, im Febr. 1628 führte zum Tode der Mutter, die am 1. März 1628 verschied. Das Kind folgte ihr am 8. Oktober in den Tod, während der Vater in Leipzig auf der Buchmesse war. Die Bestattung fand am 20. Oktober statt.

    Nun heiratete Müller am 24. April 1629 Martha, die verwitwete Tochter des Breslauer Handelsmannes Magnus Heine(n). Vermut- lich entstammt dieser Ehe eine Tochter, auf deren Geburt sich das Gedicht »Herr Müller gieng im Schertze«, F II 54, bezieht. Der Schwiegervater muß wohlhabend gewesen sein, denn eine Randnote im Einzeldruck des Epicediums auf Müllers Tod bezeichnet ihn als den Besitzer von Niederhannsdorf (im Kreis Glatz); er sei am 22. Hornung (Feb.) »dieses Jahres«, also 1636 verstorben. Das Todes- datum von Martha M. war nicht festzustellen.

    Müller war Breslaus angesehenster Verleger und Buchhändler. Von 1616 bis 1635 verlegte er nach Schwetschkes Zählung aus dem Codesx nundinarius 89 Werke. Opitz, der zeitweilig bei ihm wohnte, ehe er auf die kaiserliche Burg zog, war sein berühmtester Autor. Im Feb. 1627 wurde Müller durch Vermittlung des Breslauer Syndicus Rosa von Rosenig ein kaiserliches Wappen »mit einer Krone und

    [Druckausgabe S. 94]
    zugethanem Helm« verliehen (Z. Allert, Tagebuch 37; Beschrei- bung, Siebmacher Bf 1,64). Müller starb am 14. März 1636 zu Bres- lau. Opitz schrieb ihm sogleich ein Epicedium, das er bei Schnell- boltz in Thorn drucken ließ: »Vnd du bist auch verblieben«; siehe unter den Werken des Jahres 1636. In Leipzig erschien bei Henning Köhler eine umfangreiche Sammlung von Trauergedichten sowie die Leichenpredigt von Johann Heermann (SSLS 1860 u. 16771). Die Erben (Witwe[?] und Töchter) führten den Verlag weiter, bis sie ihn 1638 an den langjährigen Angestellten Christoph Jacob verkauften. Die angegebenen Daten stammen hauptsächlich aus der Sammel- schrift FVNEBRIA (Sz 143; siehe unter 1632); einige Angaben bei Mende sind fehlerhaft. Joseph Benzing, »Die dt. Verleger des 16. u. 17. Jh.s«, Archiv f. Gesch. d. Buchwesens 18 (1977), Sp. 1221/22, kann Müllers Tätigkeit nur skizzieren.

    [A2a]

    DIe Zeit so wir verschliessen
    Pflegt als ein Strom zu fliessen
    Der keinen halt nicht weiß:
    Wann vnser maß ist kommen
    5 Das GOtt vns hat genommen/
    Erliegt der Kräuter fleiß.

    Kein winden vnd kein drehen/
    Kein Zehren/ angst vnd flehen
    Befreyet mich vndt dich:
    10 Ist schon der Geist verflogen/
    Vnd auß der Haut gezogen/
    Er kömpt nicht hinter sich.

    Diß hier das mein’ vnd deine/
    Was Adern hat vnd Beine/
    15 Das muß verweset sein:
    Der Todt streckt seine hände
    An jedes ort vndt ende/
    Vndt greifft vns allen ein.

    [A2b]

    Der ersten Erden scharen/
    20 So GOtt am nechsten waren/

    Sachanmerkung + +
    [Druckausgabe S. 95]

    Die rasten längest schon/
    Ihr samen/ seine Kinder/
    Vnd Kindeskindt nicht minder/
    Sindt tausendt mal darvon.

    25 Dein Todt ist schon erkohren
    Eh als du bist gebohren;
    Diß ist des Lebens pflicht.
    Wir können sonst in sachen
    Vns keine raitung machen;
    30 Das sterben fehlet nicht.

    Kein Mensch kan jhm verheißen
    Er wolle sich entreißen
    Auch nur auff einen Tag.
    Wann wir am besten blühen/
    35 Heißt der vns weiter Ziehen
    Dem nichts entkommen mag.

    [A3a]

    HErr Müller/ wer wil sagen
    Ihr sollt nicht Kummer tragen/
    Der muß kein Mensch nicht sein:
    40 Wer bey zertheiltem Hertzen
    Bleibt vnberhürt von schmertzen
    Ist stahl vnd marmorstein.

    Die ewer Liecht zue morgen/
    Zue abend ewrer sorgen
    45 Gewündtschte rhuestat war/
    Die lust/ der trost/ das leben/
    Die euch kundt’ alles geben/
    Ist hin zur meisten schar.

    Ihr lob/ Zucht/ thun vnd handel/
    50 Ihr vnbefleckter wandel
    Bleibt nur vnabgemeyt:
    Diß ists was sie von hinnen
    Mit sich hat nemen können/
    Die Ziehr der ehrbarkeit.

    + + + +
    [Druckausgabe S. 96]
    [A3b]

    Euch hat sie hinterlassen
    56 Ein leidt/ ein frewdehassen/
    Vnd ewrer heyrath frucht/
    Das bildtniß jhrer Tugendt/
    Der Kinder zarte jugendt
    So jetzt die Muter sucht.

    60 Was wollt jhr euch beklagen/
    Vndt von dem Tode sagen?
    Sie lebt in jhnen noch.
    Die Eh’ ist zwar zertrieben/
    Jedennoch ist euch blieben
    65 Der Ehe süßes joch.

    In diesem bilde schawet
    Was GOtt euch vor vertrawet/
    Vndt jetzt genommen hat:
    Im vbrigen bedencket
    70 Daß Er der euch jetzt krencket
    Noch wisse trost vndt rhat.

    [A4a]

    Er hat ja Vatersinnen
    Die nichts als lieben können/
    Auch wann er Zornig ist.
    75 Die Hoffnung denckt vnd schawet
    Auff den der auff sie bawet/
    Vnd jhren trost erkiest.

    Nach rawer lufft vnd regen/
    Nach plitz vndt donnerschlägen/
    80 Kömpt heller Sonnenschein.
    Der Winter ist verjaget/
    Des Mertzens wärme saget/
    Jetzt werde Früling sein.

    + +



    Zitierempfehlung:

    Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

    Zitierempfehlung der Druckausgabe:

    Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),