[542] Theocrine findet sich nicht wieder. Der König bildet jhm ein/
die Göttin Pallas sey jhme zu Hülffe kommen. Solche Meinung wirdt
durch den Beyfall seiner Leute bestätiget. Lycogenes wird Vrsach dieser Verrätherey befunden.
Deß Königs vbermässige Gütigkeit.
Das XVIII. Capitel.
DEr König schwieg ein wenig stille/ als ob er in tieffe
Gedancken gefallen were; wie wir auß seinem Gesichte kundten abnemmen. Endlich kehret er sich gegen deß Jupiters Bildniß/ welches nicht weit von da auff einem Hauß
Altare stundt: Höchster Jupiter/ sprach er/ wann jhm also ist wie ich vermeine/ so
bestättige meinen Glau- ben mit deiner Gottheit. Es ist auß Himmels Gunst
geschehen/ daß ich den Waffen der losen Leute entrunnen bin. O Theocrine/ wann ich euch noch jetzt mit disem Namen
nennen darff/ welchen jhr bey vns habt angenommen; jhr seydt keine
sterbliche Jungfraw/ vnd kein gemeine Göttin. Ihr seyd die heiligste
Pallas/ die Fürstehe- rin der Waffen/ die jenige welche jhr
Geburt allein dem Jupiter zu dancken hat. Ich bete euch an/ O jhr mächtigste
vnter den Göttinen;
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[Druckausgabe S. 329]
lasset ja nicht zu/ daß die Sicilier nicht [543]
wissen sollen wie
hoch sie euch verbunden sindt. Dann jhr habt mich/ der ich euch mit
tieffester Andacht ehre/ meinen Feinden entriessen; entweder we- gen
Geheisses ewres Vattern/ oder wegen ewrer eigenen Gütigkeit. O
Glückselig weret jhr/ meine Argenis/ wann jhr ewer Glück hettet erkennen/
vnd wissen können/ daß Pallas mit euch redete/ bey euch were/ vnd damit sie jhre
Gottheit besser verbergen möchte/ sich vnter ewrem Frawenzimmer befinden
liesse. Wollet jhr wissen warumb ich diß gläube? Ich erinnere mich
erstlich jhres Gesichtes/ vnd erkenne jtzund/ wiewol zu langsamb/
jhr vnsterbliches Ant- litz auß eben dieser Göttligkeit/ deren wegen ich
die Göttin zuvor nicht erkennen kundte. Welch ein Glantz? welche Stralen
der Augen? Stellet euch nur jhr gantzes Außsehen für: jhr werdet befin-
den/ daß ob sie wol sterblich zuseyn fürgab/ sie dennoch jhre Gott- heit nicht gäntzlich verborgen hielt. Wer wolte aber an empfange-
ner Wolthat zweiffeln/ nach dem Kampffe welchen niemand als Pallas hatt verrichten können? Möchten wir so blind seyn in Er-
kennung göttlicher Wercke/ daß wir vermeineten/ es weren so viel
Menschen von einer schlechten Jungfrawen erleget worden: vnd nicht lieber den Himmlischen Armen dancken/ welche diese Schlacht
verrichtet haben. Jetzund entdeckt sie sich abwesende/ die sich
gegenwärtig verborgen hat. Sie ist in den Himmel/ oder vielmehr auß vnsern
Augen [544]
entwiechen; vnd wohnet gleich- wohl
noch vnter vns/ zusehen ob wir gegen sie werden vndanck- bar
seyn.
Wie Meleander also redete/ erhub sich vnter den Vmbstehenden
ein grosses Gemürmel. Ihr wisset daß die Gemüter der Menschen/
bevorauß die Menge/ grosse vnd vngewöhnliche Sachen leichtlich den
Göttern zuschreibet/ vnd daß sie der Aberwitz in einer gehlingen Hitze einnimbt. Vber diß war es Sicilien auch rühmlich/ daß die Götter
selber für Beschützung der Könige gestritten hetten. Der- halben fiengen
die Soldaten auff deß Königs Wort anzuschreyen/ rufften die Tritonische
Minerve an mit alle denen Nahmen/ welche man jhr nach den Künsten die sie
erfunden/ oder nach den Ortern in denen man sie geehret hat/
zugeben pfleget. Etliche auß Aber- glauben/ etliche dem Könige zu
Gefallen/ vnd die andern für Frew- den/ welche sie mochten außschütten.
Wie vermeinet jhr wol/ daß Argenis vnd ich vnter der Bewegung der
betrogenen Leute heimlich
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[Druckausgabe S. 330]
gelacht haben? Ich hatte selber Lust an der Fabel/ mit Verwun- derung/ wie der König so leichtlich eine
Göttin gemacht hette. Aber es war auch an dieser Thorheit noch nicht
genug. Einer von den Soldaten hub entweder auß Schmeichlerey oder
Vnsinnigkeit an: Was muß doch das gewesen seyn/ was ich auff der
Höhe deß Ca- stells gesehen habe/ als man vns auß dem Läger erstlich hat
auffge- rufft? Es gläntzte in der Nacht ein sehr klares Fewer/ so daß ich
vermei-[545]
nete das Dach stünde im Brande/ vnd
wir würden zum leschen gefordert. Bald zertheilete sich die Flamme in
Stralen/ vnd breitete sich ordentlich auß biß an den Himmel. Daß
ich aber da- mals mich nicht mehr darüber verwunderte machte die Gefahr/
in welcher man sagte daß ewere Majestät were: nunmehr kömpt es mir
mit einer empfindung der Ehrerbietung wieder in das Gemüte. Wie wann
Pallas also gegläntzet hette/ als sie sich nach ewerer Erlösung
in den Himmel begeben hatt? Der Soldat hatte kaum außgeredet/
als jhrer viel mit eben solcher Thorheit/ wie dieser gedichtet vnnd
jhm traumen hatte lassen/ thewer bezeugeten/ sie hetten es in
gleichem gesehen. Derhalben wardt die Fabel von vielen gegläubet/ vnd hulffen Hauffen weise mit
Muthmaßen/ Ehrerbietung vnd Stimmung willigen/ man solte Theocrinen vnter die Götter zehlen. Als sie aber die
Argenis für Glückhafft preiseten/ weil die Göttin so lange bey jhr
gewohnet hette/ warff sie jhre Augen gleichsam auß Schamhafftigkeit zur
Erden/ vnd hielt das Lachen zurücke; biß der König/ nach genugsamer
Anbettung der Minerven/ wegen der grossen Vbelthat mit seinen
geheimen Räthen sich zubereden gieng; ich aber vnd Argenis absonderlich
entwiechen vom Poliarchus zu reden. Argenis sagte/ daß die Bescheidenheit/
welcher er sich so lange bey jhr gebraucht hette/ nicht auß zurückhaltung
auff eine Zeit seiner Natur/ sondern auß einer rechtschaffenen Tugendt
her- kommen were. Köndte [546]
auch was
auffrichtigers seyn/ als sein Gemüte? in dem er fast mehr Gelindigkeit
vnter dem Frawenzim- mer/ als Stärcke vnter den Männern erwiesen hette.
Baldt erzehlete sie die grosse Wolthat/ welche nach Meleanders eigenem Zeugnisse werth were/ daß man sie für
die Handt der Götter vnd der Pallas
hielte. Sie zeigete auch an (aber mit Scham) wie hoch er liebete/
weil er mit so gefärlicher List sein Geschlechte verborgen/ vnd sich zur
Lebens Straffe (welcher er bey Ergreiffung nicht würde entgangen
seyn) außgesetzet hette. Ich bekenne es/ Gnädigster König/ ich
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[Druckausgabe S. 331]
habe jhrer Schamhafftigkeit abhelffen wöllen/ vnd das
gelobet/ welches ich sahe jhr angenehm zuseyn: dann weil ich euch auch
noch nicht kandte/ so gläubete ich nicht/ daß etwas vollkommeners
seyn köndte als Poliarchus.
Indessen hatte Cleobulus den Stiffter vnd die verfahrung der Vbelthat auß
dem Gefangenen bringen wöllen. Als er nun die Mar- ter nicht vberstehen
können/ hat er vom Lycogenes alles bekandt/ vnd gesagt/ wie er auff der Seiten
deß Meeres einen Weg zum Schlosse gefunden/ vnd ich weiß nicht was für
einen Hacken an die Mawer geworffen hette/ welcher bald hangen
blieben; daran ein Strick gebunden gewesen/ daß er vnwanckende hienauff
steigen können. Allhier vermeinen alle verständige Leute/ daß der König
sehr geirret habe. Dann an statt daß er den Lycogenes plötzlich
[547] sollen vberfallen/ hat er lieber auff sein Gut
senden/ vnnd jhn zu sich erfordern wöllen. Er war in den Gedancken
gewesen/ er möchte zum Kriege schon gefast seyn/ daß man jhn also nicht
leichtlich fangen köndte; oder hatte ja gemeinet/ er würde seiner
grossen Vermessenheit nach/ vngeachtet der Gefahr/ sich einstellen.
Aber er ist vnter dem Schein einer Jagt in Begleitung seiner mäch- tigsten Freunde/ die er den Tag zuvor den Außgang zuerwarten/
wieder etlicher Wissen von diesen Sachen/ zusammen gebracht hatte/
auff seinem schönen Schlosse/ welches im Leontinischen Ge- biete lag/
angelanget. Von da auß machte er dem Könige durch Schreiben zuwissen/ wie
er vnter so viel seiner Feinde zur Rechtfer- tigung der Sache nicht
kommen köndte/ also were es billich/ daß man jhn vor verhör nicht
verurtheilete. Man solte den Mördern nicht glauben geben/ welche auff
seinen Anschlag jhm zum Verderben weren angestifftet worden. Indessen
hatte er sich mit Anhange vnd Kräfften gestärcket/ so daß der König den
Rhat/ welchen er wegen zu vieler Gütigkeit vorhin gehabt hatte/
jetzundt auß Noth ergreif- fen mußte: nämlich von dem Laster zu schweigen/
vnnd jhm als einem vnschuldigen Antwort zu schreiben; wie jhn dann Cleobu-
lus sonderlich warnete/ wann er nicht mit Gewaldt das Vnrecht
straffen wolte/ so solte er sich zum [548] wenigsten stellen/ nicht
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[Druckausgabe S. 332]
als er jhm verziehe/ sondern als er der Anklagung keinen
Glauben gebe. Vber diß wurden sie auch rahts/ daß der Gefangene im Ge-
fängnüß getödtet wurde/ gleichsamb als ob er durch einen Fall ge-
storben were. Doch wußte Lycogenes wol was er verdienet/ vnd Meleander was er verbrochen hette. Darumb hüteten sie sich bey-
derseits in deß andern Gewalt zukommen; vnd hegten solchen Haß mit
jhrem Argwohn/ der fast ärger war als der Krieg so darauff er-
folgte.
Zitierempfehlung:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL:
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Zitierempfehlung der Druckausgabe:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),