Das VII. Capitel.

[461] Selenisse entdeckt dem Radirobanes die Heimlichkeit jhrer Princessin jhre Liebe betreffendt: Vnd erzehlet jhme erstlich deß Lycogenes Anschlag als er die Argenis entführen wöllen: Ordnung dessen Verlauffs.

Das VII. Capitel.

IN dem Meleander diesen Rahtschlägen in geheim oblag/ gedachte Radirobanes auff allerley Fünde wegen der Argenis. Als er aber nach verehrung deß Geschencks mit Selenissen bekandter worden/ begehrte er embsig sich mit jhr zu vnterreden; wie er dann densel- bigen Tag durch gutes Glück Fug vnd Gelegenheit darzu erlangte. Er hatte zur Argenis geschickt/ vnd sich befragen lassen ob es jhr gefiele/ so wolte er sie ersuchen. Die Argenis gieng im Garten spat- zieren sampt etlichen wenigen jhrer Jungfrawen. Selenisse aber war/ ich weiß nicht welcher Schreiben halben/ in jhrem Zimmer blieben. Weil sie nun Gelegenheit ersahe mit dem so freygebigen Radirobanes zu reden/ (dann sie wündschete jhr sich danckbar zu- erzeigen) ließ sie dem Radirobanes anmelden/ Argenis würde sei- ner gar wol abwarten/ vnd/ wann er sich nur einstellete/ alsbaldt auß dem Garten zurück kommen. Bald drauff dup-[462]pelte sie jhren Betrug/ vnd sendete eine von jhren getrewen Dienerinnen zu der Argenis/ mit ankündigung/ daß Radirobanes sie besuchen wür- de. Wann jhr nun mit jhm Sprache zuhalten nicht gefiele/ so solte sie eilendts auß dem Garten auff das nechste Gepüsche zugehen/ vnd also seine Vngestümigkeit mit jhrem abwesen vermeiden. Gleich damals empfieng sie auch den Radirobanes/ der zur Thür hienein kam/ mit Entschüldigung daß die Princessin nicht zugegen were/ vnd gab für/ sie würde baldt zurück kommen. Als sie nun mit jhm im geheim reden kundte/ weil seine Leute etwas beyseit ge- tretten waren: Ich bin sehr fro/ sagte sie/ daß ich Fug vnd Stelle habe mich vber ewerer Majestet Freygebigkeit zu beklagen. Ihr habt mich dem Gesichte ewerer hochgeehrten Mutter viel reicher + + + +

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nahe kommen lassen/ als die Natur selber. Der König fieng an; Glau- bet daß dieses ein schlechtes sey/ vnd nur ein Pfandt/ eines grösse- ren Glückes. Damit ich euch aber das was euch vnd was mich ange- het/ nicht berge/ so wisset daß ich was mehres von euch bekommen/ als euch geben kan. Ihr seid mein Liecht/ vnd ich halte euch für meine Mutter; jhr könnet mir etwas zuwege bringen welches ich höher halte als mein Leben. Ich begehre auch ewerer Hülffe nicht als nur in dem/ was jhr euch/ vnd der/ die jhr erzogen habet/ ver- meinet ersprößlich zuseyn. Dann warumb liebet sie doch den Ar- chombrotus? Welch ein Spott ist es doch Sicilien/ daß ein vnbekan- ter vnd Priuatperson jhm solche hohe Rech-[463]nung darff ma- chen? Ich glaube gewiß/ es sey eine Zauberey darhinter; vnd ich schwere euch/ wann ich der Princessin Bruder oder Vatter were/ so wolte ich die Warheit mit Marter auß jhr erzwingen/ vnd durch seine Hinrichtung oder Verjagung/ die Argenis jhrer Vergebenen Sorgen entledigen. Last euch von mir Mutter nennen. Weil jhr nun auch der Argenis Mutter seydt/ so rhatet dem Vbel ewerer Tochter/ daß sie auff bessere Gedancken komme/ vnd seidt Vrsach meines Glückes/ das ist/ verschaffet daß sie mir vergönne sie zulieben. Was hat jhr an meinem Geschlechte/ oder an dem was ich besitze nicht gefallen? Ich habe ja gemacht/ daß jhr nicht kan vnwissendt seyn/ wie hoch sich die Kräfften Sardiniens vnd Corsicas erstrecken. So bin ich ja auch so vngehewer nicht/ daß ich der Kron/ welche ich trage/ nicht würdig sey. Verhoffet sie einen von den Göttern zube- kommen/ oder vermeinet sie etwas Göttliches im Archombrotus zu- seyn/ weil sie Könige dermassen verachtet? Im vbrigen so begehre ich nicht daß jhr ohn Vergeltung mir vnd jhr sollet gutes erweisen. Werde ich in die Freundtschafft gerhaten die ich begehre/ so sage ich euch für eweren Sohn die Verwaltung deß Sardinischen vnd Si- cilischen Meeres zu/ welches die nechste Ehre nach dem Könige ist. Begehret jhr auch noch mehr/ so wil ich erweisen/ daß ich euch an statt meiner leiblichen Mutter liebe.

Die Alte/ so wegen deß empfangenen Geschenckes [464] ohne das wanckte/ wardt durch antragung einer so grossen Hoffnung vol- lends eingenommen/ daß sie gleich als verblendet/ weiter nichts als den Radirobanes sahe/ vnd gleichwol anfieng: Ich wolte daß ich nie- mals etwas von euch gehört hette. Ins künfftig werde ich zu ewern Diensten nicht mehr so willig seyn. Dann ich beförchte mich/ daß es nicht ein Ansehen gewinnen möge/ als ob ich das jenige/ welches

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ich der Argenis vnd ewernthalben zu thun gefliessen war/ in Anse- hung der Geschencke/ vnd mit verächtlicher Bemühung fortzustel- len gemeint were. Aber der Argenis Wunde ist tieffer als jhr ver- meinet. Was wöllet jhr mir vom Archombrotus sagen/ Herr. Ihr jrret/ Warlich jhr jrret. Mit diesen Worten vnd vntersich geschlage- nem Gesichte warff sie die Augen auff/ vnd fieng etwas an zulachen. Radirobanes war begierig nachzuforschen/ vnd drang sie fast als es 〈so〉 seyn müßte. Aber Selenisse sagte jhm in so kurtzer Zeit alle Beschaffenheit zu erzehlen köndte nicht seyn. Es ist auch nicht möglich/ sagte sie/ nur den Anfang zu offenbahren/ daß nicht jhr vnd ich zum offtern das Angesicht darüber verwandeln solten; Vnd allhie haben ewre Herren jhre Augen stets in den vnserigen. Es ist besser daß wir in den Garten gehen/ als ob wir der Argenis ent- gegen spatzierten. Ich wil euch durch Vmbgänge an örter führen/ wo ich vermeine daß sie nicht anzutreffen sey. Radirobanes ward bestürtzt vber erwartung so einer wichtigen Sache/ welche jhm diese Fraw erzehlen wolte/ [465] nam sie bey der Handt vnd bate/ wie sie dann gerne thete/ jhn in den Garten zubegleiten/ mit Für- wendung bey seinen Leuten/ als ob er zur Argenis gienge. Nach- dem sie aber in einen entlegenen Orth deß Gartens/ welcher der Argenis kaum bekandt war/ kamen: Es bedunckt mich so/ fieng Selenisse an/ oder wir werden die Princessin baldt hie haben: dann sie pflegt im zurück spatzieren diesen Weg gemeiniglich zu suchen. Derhalben hieß Radirobanes seine Leute dahin tretten/ er aber gieng mit der Alten auff eine Strasse die gantz mit Bäumen bedecket war.

Da fieng Selenisse etwas schwerlicher an zu reden/ gleich ob sie in jhrem Gemüthe wider sich selber stritte/ vnd alle Wort erst su- chen müßte: es mag entweder seyn/ daß sie betrachtete/ wie es nun- mehr an dem were/ daß sie jhre Trew vnd Glauben brechen solte/ + + +

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oder daß sie solche Furchte darumb tichtete/ damit jhr Radirobanes wegen solcher grossen Verrätherey destomehr Vrsach zu dancken hette. Vnd als er sich verwunderte/ Wie sol ich nit bleich werden/ sagte sie/ angesehen daß ich heute zum ersten lerne reden was Ar- genis nicht will? Aber es ist von nöthen/ daß ich jhr auch wider jh- ren Willen helffe: Zu welchem Vbel dann jhr der einige Esculapius seyd. Schawet aber zu/ daß es nicht zu meinem Vntergang gereiche/ daß ich mit dieser geheimen Offenbahrung euch vnd jhr zu dienen gemeinet bin. Als sie ein wenig stille geschwiegen/ fieng sie also an: Die [466] Götter wöllen euch männliche Erben verleihen/ damit Sardinien dem Vbel nicht möge vnterworffen seyn/ welches Sici- lien betroffen hat. Dann Lycogenes hette das Vngewitter/ welches durch euch erst ist gestillet worden/ nicht erreget/ wann nicht Mele- ander nur eine Tochter gehabt hette. Lasset es euch nicht frembde fürkommen/ daß ich die Sache so hoch anfange. Ich muß von diesem anfangen den Verlauff zu erzehlen/ welchen jhr hören wöllet. Lyco- genes ließ sich das Ansehen seines Adels vnd deß Königes Gelindig- keit so sehr einnemen/ daß er jhm fürsatzte die Argenis zu heyrah- ten. Als Meleander mit einem seiner Vnterthanen/ vnd der jhm nicht gemesse were/ solche Freundtschafft zu treffen nicht eingehen wolte/ verließ er sich auff seinen Anhang vnd fürnemes Herkom- men/ vnd gedachte sie heimlich mit Gewalt weg zunemen. Dieses kam dem Könige zu Ohren. Aber Sicilien war in solchem Zustande/ oder/ daß ich recht sage/ es war in dem Könige/ bey seinem furcht- samen Alter eine dergleichen Säumung/ daß er lieber seine Tochter für der Entführung/ versichern/ als den Räuber mit Gewalt vnter- drücken wolte. Es lieget ein Schloß auff einem kleinen Hügel vier Meilen von Syracuse/ sehr feste/ vnd ein Sitz der alten Könige. Der Felß ist gantz abschiessig gegen der See zu/ wie dann die Wellen allzeit an die lincke Seiten schlagen. Die rechte Hand wird mit dem schnellen Strome deß Flusses Alabus vmbringet. Wegen der Maw- [467]ren vnd Thürne war es sehr wol verwaret. Daselbst beschloß der König seine Argenis sampt noch zwantzigen jres Frawenzim- mers/ vnd wolte seinen Anschlag mit dem Scheine einer Religion bedecken. Er sagte/ wie jhm allzeit im Traum fürkäme/ als ob ein grosses Vbel bevor stünde/ wann Argenis nicht auß den Augen der Menschen entwiche. Eben auff dieses zeigeten auch die Gestirne vnd Orackel. Wer wolt aber zur selbigen Zeit so Alber seyn/ der nicht gewust hette/ wannher solcher grosse Aberglauben entspringe?
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Zwar mir/ als durch welche die Argenis von Kindheit an erzogen/ befahl der König auch damals Auffacht zuhaben. Es ward offent- lich angeschlagen/ welche Mannsperson ausserhalb den König eines Fuß breit in das Schloß schreitten würde/ solte in die Acht er- klärt seyn. Wann aber eine von vnserm Frawenzimmer sich ohn meinen Befehl auß dem Schlosse hinweg machte/ die solte auff ein Schiff gesetzet/ vnd ohn alle Speise vnd Stewerruder auß dem Hafen fortgetrieben werden. Mir allein/ welcher man trawete/ ward er- laubt/ daß ich die Idustage eines jeglichen Monats möchte außge- hen/ dann ich muste wegen heiliger sachen meinen Leuten Anord- nung thun. Vmb das Schloß wurden Soldaten eingelegt/ drey tau- send an der Zahl/ welche nach der Ordnung Wache hielten.

Gleubet mir/ Herr/ diese Einsamkeit war nicht so gar vnange- nehm/ sonderlich zu erst/ als vnsere Gemüter von dem Tumulte der Städte sicherlich außruheten. Argenis vertrieb die Zeit jhrem einfältigen [468] Alter nach mit Kurtzweil/ mit welchen sie die jenigen Jungfrawen vnterhielten/ welche neben jhr erzogen wor- den; so daß ich mich offtmals verwunderte/ wie ein freyes Gemüte so glückselig were/ vnd mich vber die Boßheit der Zeit beklagte/ daß die Erbin Siciliens in so einem engen Platz kaum sicher wohnete. Aber ich wil es kurtz machen. Nein/ meine Mutter/ sagte Radiro- banes/ dann ob ich wol noch nit verstehe/ wie dieses sich zu meinem Fürhaben schicke/ jedoch hab ich Lust deß Meleanders Anschlag/ wie auch der Argenis Sitten vnd Glück zuvernehmen. Da redte Sele- nisse weiter: Wir hatten die Stunden also abgetheilet/ daß nicht Ar- genis durch einen Vberdruß jhrer Gefängnüß jnnen würde. Sie gieng nicht vbrig geschmückt herein/ sondern liebte den Ort der auff dem Schloß sehr lustig war. Daselbst vbete sie sich mit einem leichten Bogen/ vnd forderte jhre Jungfrawen auß/ welcher Pfeile am weitesten kommen/ vnd am geradesten an den Zweck treffen würden. Auff den Sieg erfolgte ein Lachen vnd Frolocken. Es wa- ren auch Belohnungen für die/ so am besten lauffen kundten. Biß- weilen mengten sie sich alle durcheinander/ vnd beflissen sich/ welche am zierlichsten reden würde. Ich war wol zufrieden/ daß meine Tochter zu dergleichen Zeitvertreibungen Lust hatte/ weil sie dadurch stärckere Kräfften bekam/ vnd die gegenwärtigen Dinge ohn allen Schmertzen deß Gemütes ließ fürüber gehen. Auff dieses geriethe sie vber die alten Thaten jhrer Vorfahren/ vnd ich hab sie nie-[469]mals begieriger gesehen/ als wann man jhr Historische

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Bücher zu lesen gab. Den vbrigen Theil deß Tags brachte sie mit künstlicher Arbeit zu/ wiewol sie auch damals allerley Fabeln zu erzehlen oder anzuhören begierig war.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),