Das V. Capitel.

Meleander empfängt den Radirobanes/ welcher die Argenis zu Hey- rathen begehrt. Deß Königs in Sicilien Antwort. Listiger Anschlag deß Königs von Sardinen die Selenisse an sich zubringen. Dieser alten Frawen Vntrew.

Das V. Capitel.

Meleander sahe zurück/ vnd Radirobanes war schon in den Saal kommen. Wiewol es jhn nun verdroß/ daß er in seiner geheimen Vnterredung verhindert worden/ jedoch gieng er dem Gaste ent

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gegen/ sprach jhm freundlich zu/ vnd führete jhn in die Tafelstube/ welche der geraumeste Ort im königlichen Hofe war/ vnd damals an allen Thüren offen stundt/ damit das [436] Volck zum zuschawen kommen köndte. Es war damals in Sicilien gebraüchlich/ daß sie bey Tische lagen/ vnd auff Betten Malzeit hielten. Weil aber die al- ten Sitten durch eine geheime Ehre/ den Königen vnd Geistlichen/ in offentlichen Geschäfften ein grösseres Ansehen machen/ als ge- fiele es dem Meleander denselbigen Tag der Vorfahren Art nach sampt den Gästen bey der Tafel zu sitzen. Er hatte die fürnembsten Leute eingeladen. Argenis war mit jhrem statlichsten Frawen- zimmer selbst zu entgegen; eine grosse Bewegung zum Hasse vnnd Wüten derer Herren welche sie zugleich liebeten. Archombrotus er- grimmete sich vber den Radirobanes dermassen/ daß er sich zuhal- ten kaum vermochte. Radirobanes/ der nicht weniger entzündet war/ gab heimliche Auffacht/ ob er etwan die Argenis anblickete/ oder ob sie ein Zeichen von jhr gebe daß sie jhm wol wolte. Es hatte einer gegen dem andern eine rasende Furchte/ bildeten jhnen allerhandt Sachen ein/ vnd meineten eine jegliche vnversehene An- blickung/ oder Bewegung/ geschehe jhnen zum Hohn vnd Trutze.

Nach volbrachtem Banckete zeigete Radirobanes/ welcher die Liebe vnd Haß nicht lenger vertragen kundte/ dem Meleander an/ wann es seine Gelegenheit gebe/ so wolte er sich mit jhm in geheim besprechen. Alßbaldt führte jhn der König auff einen Spatziergang/ da dann Radirobanes sagte: Wann ich bey einem andern zu thun hette/ so wolte ich [437] mich bemühen jhn also zu vberreden/ daß ich jhm einhielte/ wie ich König in Sardinien vnd Corsica/ wie die Balearischen Inseln mir zustendig weren; wie meine Leute viel See- hafen auff einer seiten in Africa/ auff der andern in Ligurien jnnen hielten; wie es selbigen Ländern an Volcke vnd Reichthumb nicht mangelte; wie ich beherschete eine mächtige Schiefrüstung/ vor welcher sich das gantze Meer vom Oceanus biß zu vns hin fürchten muste. Ich wolte hinzu setzen die lange anzahl der Könige/ deren die ältisten/ wie man sagt/ von den Göttern jhren Vrsprung haben. Bey euch aber muß ich anders reden. Ich ewerer Bundts genosse/ begehre mit euch noch ein kräfftigers vernehmen zutreffen/ vnd mein Glück mit dem ewrigen zuverbinden/ so daß jhr an Nahmen vnd Gewaldt mein Vatter seyn/ vnd ich ewerer Sohn genennet wer- den möge. Ich bitte mir ewere Tochter zur Ehe zugeben/ vnd weiß nicht/ ob ich solcher Heyrhat mehr begierig bin/ darmit ich euch

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zum Schweher/ oder ewere Tochter zur Gemahlin bekomme. Auff solche Rede wolte er der geleisteten Hülffe gar nicht erwehnen/ weil er verhoffte/ daß dieses ohn diß beym Könige viel thun würde.

Meleander gab erstlich zur Antwort/ er were dem Radirobanes zum höchsten verpflichtet. Allerliebster Bruder/ sagte er/ jhr thut mir einen solchen Vorschlag/ welcher nicht allein anzunehmen/ sondern auch zu suchen in alle Wege [438] würdig ist. Dann wer wolte jhm nicht wündschen in deß Radirobanes Verwandtschafft zu kommen? wer möchte sich nicht gern mit Sardinien verbunden wis- sen? Vnd jhr/ so ein löblicher Fürst/ köndtet nichts geringeres be- gehren/ als was jhr von mir haben wöllet/ wann jhr schon mit sol- chem Reichthumb nicht begabet weret. Ihr wisset aber/ daß Heyra- then mehr anmühtig sindt durch Verbindung der Gemüter als der Leiber. Die Hertzen der Menschen sind frey/ vnd können durch kein Gesetze gedrungen werden etwas zu wöllen was sie nicht wöllen: sonderlich aber kan der königliche Standt/ zu welchem meine Toch- ter gebohren ist/ solchen Zwang nicht leiden. Ich habe die Kron von meinen Vorfahren bekommen/ welche sie von mir erwartet. Derhalben soll es jhr hernach freystehen/ auff welchen sie das Glück Siciliens verwenden wil. Dieses wöllet jhr nicht so annehmen/ Allerwehrtester Freundt/ als ob ich nicht begehre alles was jhr su- chet/ fürnemlich aber dieses/ zuerfüllen. Aber es wird euch auch nicht frembde fürkommen/ daß ich meiner Tochter jhren gebühr- lichen Willen lasse. Ich erbiete mich zuthun alles was mir möglich ist: ewres Theiles schawet jhr zu/ daß sie von euch geliebt zu wer- den würdig sey. Dann es dienete euch auch eine gezwungene Hey- raht nicht zum besten. Gesetzt auch daß jhr mein Sohn weret/ jhr möchtet sie lieben wie sehr jhr wöllet/ vnd jhr alle Vollkommenheit zumessen/ so begehrte ich [439] sie doch zu meiner Schnur nicht/ wann sie euch nicht zum Manne begehrte. Meleander suchte mit solchen zweiffelhafftigen Reden dem Radirobanes zugleich ein Genügen zuthun/ vnd dennoch die Sache in Weitläufftigkeit zu- spielen/ weil er wüste/ daß seine Tochter zu solcher Vermählung keinen Sinn trüge. Dann er hatte zuvor schon jhre Meinung auß- geforschet/ weil er nicht zweiffelte/ daß Radirobanes in solcher Hoffnung kommen were. Er aber satzte nach/ gab jhm gute Worte/ vnd sagte/ es bestünde sein Leben hierauff/ daß er sich seinen Eidam + +

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nennen möchte. In solcher grossen Brunst verstundt er weder Rede noch Meinung deß Meleanders/ welcher jhm eine solche Hoffnung machte/ daß einer der mehr verständig vnd weniger verliebet gewe- sen were/ es genugsam für eine Abschlagung hette erkennen kön- nen. Eurimedes hatte jhnen allbereit angezeiget/ daß es Zeit were die Spiele anzufangen/ welche man/ sonderlich dem Volcke bey deß Königes Siege eine Frewde zumachen/ in dem königlichen Vorhofe auff eine Eil zubereitet hatte. Giengen sie derwegen zum Schawplat- ze/ in welchem die Pfleger der Spiele auß den königlichen Zimmern viel Sachen auffgesatzt hatten/ sonderlich die alten Bildtnisse der Götter vnd Helden/ die nicht allein durch die Bildthawer von Fuß auff in Lebens grösse gemacht stunden/ sondern auch noch vorm Dedalus gemacht worden/ vnd auff den [440] vnaußgearbeiteten Steinen nur mit dem Kopff herauß sahen. Als sich die Könige ge- setzt hatten/ kam alsbald Argenis mit Selenissen vnd dem andern Frawenzimmer; welches nicht ein kleine Marter war dem Archom- brotus vnd Radirobanes. Dann sie betrachteten die Personen/ wie auch den alten Schatz der Sicilischen Könige gar wenig. So sahen sie ingleichem die Princessin nicht viel an/ weil sie bloß mit diesem zu- thun hatten/ daß sie auff einander Achtung gaben. Vnter anderm ließ sich Radirobanes bedüncken/ als ob Argenis die Augen sehr offt vnd freundlich auff den Archombrotus wendete. Welches als er es in solchem Elende glaubte/ fieng er wider sich selber an: Daß ich wegen Liebe rasendt bin/ wirdt mich nicht helffen; Ich muß Fleiß ankehren. Dann wann ich den Archombrotus auffräume/ so wirdt mich sein Gedächtniß/ weil ich jhn vmbgebracht hette/ bey der Ar- genis stürtzen. Ist aber auch nicht die Liebe ein Krieg? Im Krieg aber werden ja offtmals Stätte mit Verrätherey eingenommen/ die man wegen der Befestigung mit Gewalt nicht erobern kan. Ich muß die jenigen/ welche bey der Argenis viel gelten/ mit Geschen- cken versuchen. Das Lob welches sie mir allezeit geben werden/ wirdt mich angenehmer bey jhr machen. Man lässet sich die Ding/ welche vns von vertrawten Leuten viel/ vnd gleichsamb nur ohn- gefehr fürgeblawen werden/ leichtlich einnemmen. Durch solche Mittel kan ich alle Heimlichkeiten/ so zwischen [441] diesen beyden fürgehen/ erforschen. Als er nachmals betrachtete/ welche er auß der Argenis Leuten mit Geschencken einnehmen solte/ befand er + + +
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nichts schwerer/ aber auch nichts nützlicher zu seyn/ als daß ers an der Selenisse versuchte. Dann es erzeigete diese Matron von Ge- sichte eine solche Bestendigkeit/ daß es vergebens zuseyn schiene/ wann man sie zu einer Vntrew bewegen wolte: im Fall sie gewon- nen würde/ so were Argenis leichtlich zu vberwinden. Er war listig vnd verschlagen; bevorauß jetzundt/ da seine Natur von dem An- triebe geschärffet worden. Es muß gewaget seyn/ sagte er: Ich kan wol mit der Alten auff solche Art reden/ daß sie/ wofern sie auff- richtig ist/ den Betrug meiner Beschenckung nicht mercke; wo sie aber jhre Trew feil halten kan/ gewiß einen Keuffer an mir finde. In solchen tieffen Gedancken achtete er weder deß Kämpffens noch der Comedien/ dann beydes auffgeführet wardt; wiewol auff der einen seiten Leute waren die auff Art des Eryx einander mit Bleiernen Händtschuhen schlugen; auff der andern die Catanenser jhres Androns Vnterrichtung gemesse nach einer Flöte tantzeten. Er nam es aber für ein gutes Zeichen an/ daß er vber den Gedancken von seinen vermeldeten Geschencken/ dergleichen Sieg auch auff dem Schawplatze sahe/ da Argias vnd Eryphile vom Poeten einge- führet worden; vnter denen die hiesige mit einem geheiligten Hals- bande eine blutige Verwilligung er-[442]kauffet/ die andere durch die Verehrung vberwunden/ vnd eine Verrätherin an jhrem Manne wirdt. Radirobanes frewete sich vber solchem glücklichen Exem- pel/ vnd als man nach geendeten Spielen widerumb auff den Pallast kommen/ erwehnete er in jhres Vattern Zimmer eben dessen gegen jhr/ wessen er zuvor gegen dem König gedacht hatte; bate/ sie wolte jhr die Güter Sardiniens zu einem Geschencke annehmlich seyn lassen; nebenst andern Reden/ die er als ein höfflicher Lieb- haber vorzubringen wußte/ vnd sich zu beyder Hoheit schickten. + + + + + + + +
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Argenis war nicht allein Scham/ sondern auch heimlichen Zorns halben roth: dannoch gab sie nichts anders zur Antwort/ als was Radirobanes auff die erste Anrede von jhr gewartete: daß nämblich eine Jungfraw nicht solche Sorge/ noch die welche zu gehorsamen hette/ solche Macht haben solte. Sie bedanckte sich aber/ daß er jhres Vattern Freundschafft so hoch würdigte. Nachdem Radiroba- nes etwas weiter mit jhr geredt hatte/ fieng er an seinen listigen Vorsatz fortzustellen. Er spatzierte in dem Saal durch die Herrn vnd das Frawenzimmer auff vnd nieder/ mit königlichem Ansehen/ vnd angenemer Freundligkeit der Jugendt. Letzlich stieß jhm Selenisse auff/ wie er begehrte; vnd als er etwas gemeines fürgebracht hatte/ fieng er an jhren Sohn zu loben/ welcher sich bey Hoff auffhielt: nachmals fragte er/ ob sie mehr Kinder hette/ wer von jhrem [443] Geschlecht lebte/ vnd was den Weibern sonsten zugefallen pfleget. Nachmals kam er auff sich selber: Ich spüre an euch/ sagt er/ viel Zeichen die meiner lieben Mutter ähnlich sindt; vnd als ich euch gesehen habe/ hat mich das süsse Gedächtnüß der Verstorbe- nen zum offtern bewegt. Ich wil es auch noch heute zuwegen brin- gen/ daß jhr erfahren sollet/ wie das Verhängnüß ewer Gesichte dem jhrigen so sehr gleichförmig gemacht hat. Meleander kam darzu als sie so Sprache hielten/ von welchem Radirobanes vmb Abendszeit Abschiedt nam/ vnd der Selenissen Sohn zu sich forderte/ mit Na- men Demades. Diesem/ als er viel Zeichen der Gnade erwiesen: Ge- het/ sagte er/ vnd bringet diß meiner Mutter Bildnüß der Selenissen/ welches jhr/ wann Kron vnd Scepter nicht weren/ sonst von Ge- sichte sehr nahe kompt. Das Contrafeyt war kleine/ vnd gleichte sich der Selenissen am Alter nicht vbel. Dann es zeigte eine Alte vnd geruntzelte Königin; aber es war von schöner Kunst/ vnd lag in einer Schachtel mit Edelgesteinen versetzet/ welche Radiroba- nes vor diesem vmb zwantzig Talent gekaufft hatte/ daran ein sehr grosse Perle hieng.

So bald Selenisse den Demades mit solchem Geschencke ersahe/ wardt sie durch den Glantz eines so thewren Stückes beweget/ vnd zweiffelte ob sie der Argenis von solchem Glück sagen solte. Sie [444] besorgte sich/ daß sie in Verdacht einer Vntrew gerahten möchte; oder ja die Verehrung/ welche mehr als eine schlechte Frey- gebigkeit were/ zurück senden mußte/ wann sie der Princessin Ge- +

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müte so plötzlich bestürtzt machte/ ehe dann sie jhr von allem Be- richt gethan hette. In solcher Erwegung/ vnd im Zweiffel was hier- innen zuthun were/ fragte sie jhren Sohn/ ob noch andere zur Stelle gewesen/ als jhm Radirobanes dieses vbergeben hette. Nein/ sagte er; er führte mich absonderlich/ damit es keiner jnnen würde. Der- halben/ mein Sohn/ sagte Selenisse/ haltet solches in geheim. Es ist etwas im Werck/ von dem jhr nicht wisset. Dieses wirdt nicht mir vbersendet/ wie jhr vermeinet/ vnd Radirobanes bey euch fürgege- ben hat. Mehr sollet jhr erfahren bey besserer Gelegenheit/ vnd wann es die Zeit wirdt zulassen: an jetzo nemmet nur dieses in acht daß jhr schweiget. Nach diesen Worten gieng sie wider zur Argenis; welcher sie zwar noch getrew/ aber dem Radirobanes gleichwol nicht mehr gehässig war. Nachmals fieng sie an zu be- dencken/ was für grosse Gefahr jhr vnd der Argenis auff deß Poliarchus Liebe stünde. Dann wie offt hette sie der Argenis den Todt abwehren müssen? oder wer köndte jhr gut dafür seyn/ daß sie nicht eins mals den Rahtschlägen/ jhr Leben zuerhalten/ möchte zuvor kommen? Letztlich so gebürte einem jeglichen sich selber in acht zu nemmen. Dann/ sagte sie/ was hat sich Poliarchus vmb mich verdienet? Radirobanes hat mir die kurtze [445] Zeit vber/ nachdem er in Sicilien kommen ist/ mehr guts gethan/ als der an- der ein gantzes Jahr vber/ seyt er mit der Argenis sein Vernemen gehabt hat. Wer weiß auch/ ob der vnbekandte vnd frembde Mensch nicht nur von sich gelogen hat? Hergegen hat Sicilien ehe erfahren/ daß dieser dem König beygesprungen ist/ als daß er sein hohes vnd königliches Begehren der Heyrath halben angebracht hat. Wann ich mache daß jhm Argenis günstig werde/ was hab ich zu hoffen/ da ich schon jetzundt dergleichen Geschencke empfange/ welche fast genug weren/ wann ich jhme schon alles zuwegen ge- bracht hette? Kürtzlich/ Poliarchus ist abwesendt; Man weiß nicht ob er noch lebet/ noch ob Argenis nach seiner Zurückkunfft jhn von jhrem Vatter zu einem Gemahl erlangen werde/ oder auch ob sie nicht heimlich entrinnen/ vnd mich in Vnglück setzen mögen. Den Radirobanes aber können wir ohne Zorn nicht von vns lassen; vnd/ kompt dieser wegk/ so wirdt das Glück/ welches wir mutwillig ver- schlagen/ weder mir noch der Argenis eine dergleichen gute Gele- genheit lassen zuhanden stossen.

[Druckausgabe S. 272]



Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),