Das XVII. Capitel.
ALs Archombrotus/ der nichts von dieser Comedie verstandt/ die so
jhm am nechsten waren fragte/ was diß zu bedeuten hette/ ruffte jhn
Meleander zu sich/ vnd erzehlete jhm vom Heraleon folgender massen: Was in diesem Menschen am meisten zu
verwundern ist/ Archombrotus/ ist diß/ daß jhm in anderen Sachen an Vernunfft nichts mangelt. Er stehet seinem Haußwesen wol für/ weiß das seine
zu verrichten/ ist weder in Worten noch Geschäfften närrisch/ außgenommen
wann man vom Poliarchus anfängt zu reden: Da jhn dann seine Thorheit
dermassen vberläufft/ gleichsam als er rasete: spricht/ er heisse Poliarchus/ jhm gehöre die Ehre welche dessen Nahmen
gegeben wird/ vnd würde vnbillicher Weise einem andern angethan. Es sind vber
sechs Monat/ daß sein Gemühte von solcher
[Druckausgabe S. 85]
Einbildung verirret ist. Vielleicht hat er geglaubet/ die
Fewer/ so deß Poliarchus wegen auffgesteckt worden/ giengen auff jhn/ vnd ist
erschrocken außgerissen; Dessentwegen die Bawren/ die von seiner Gestalt vnd
Wahnsinnigkeit nicht gewust/ jhn an dessen statt/ welchen er sich zu
seyn gesaget/ vnver-[127]
schuldet vbel gehalten
haben. Aber ich bitte/ höret jhn doch/ kompt her/ Poliar- chus/ saget mir/
warumb seyd jhr geflohen? Gnädigster König/ gab er zur Antwort/ warumb habt
jhr mich zu fliehen gezwungen? Es ist niemand von denen die ich kenne vnd
nicht kenne/ der mir nicht gerathen hat mich zu bergen. Ich habe
gegläubet/ daß ich vnter diesem alten Kleyde welches ich angeleget am besten
könne ver- deckt bleiben. Wolten die Götter/ ich were die Zeit meines Lebens
Poliarchus nie gewesen.
Meleander wandte sich auff die andere Seite zu lachen/ ward aber bald durch ein gehlinges Erbarmen vber die Natur der Menschen
beweget/ vnd bedachte/ wie dieselben/ vngerechnet das mancherley Vnrecht
deß Glückes vnd den Leib der zu so vieler Schwachheit zu schwach ist/ an
jhrem fürnemesten Theile dem Gemühte von man- nigfaltigen Vbeln angegriffen
würden. Deß Königes Artzt/ mit Nah- men Philippus/ war anwesende. Dieser als er ein wenig gefraget
ward/ hub er an die Vnordnung deß Gehirnes mit prächtigen Worten zu
beschreiben/ welche zwar allezeit das Gemüte am höchsten nicht berührete/
sondern nur ein Theil desselben mit der Thorheit er- füllete/ wie dann an dem
Heraleon zu spüren were. Es sind/ sagte er/ in solchen
Leuten weitläufftige Fächer deß Gehirnes/ die wegen jhrer Zartheit gar
bequeme sind die Eynbildung der Sachen/ welche wir [128] eine Fantasey nennen/ anzunehmen: dieselbe Fantasey/ wann sie
in dem subtilen Wesen/ das ein Ding zu welchem es ge- wendet wird seiner
Leichte wegen ohne Mühe annimbt/ ein mal eyn- gedrucket wird/ so kan
man sie hernach darumb desto schwerlicher außrotten/ weil sie dem der hiermit
behafftet ist/ durch eine sonder- bare Anmuhtigkeit gefallen/ vnd vber diß
das Gemüte gleichsam an- streichen/ welches andere Farben nicht annehmen kan/
als durch gewaltige Gestalten vngleicher Sachen. Derentwegen trifft es sich
selten/ daß solche Gemühter in Ruhe sind/ weil sie allezeit wegen
der Vielfaltigkeit der Gedancken von denen sie angefallen werden
entweder vnmässig trawrig oder frölich sindt. Wann nun solche Leute auff
eine Begierde oder Zuschlagung deß Gemütes jhr Hertze fürnemlich zu neygen/
an dieselbe dencken sie allezeit/ vnd
behal
[Druckausgabe S. 86]
ten
sie mit einem angenemen Fleisse für den Augen jhrer Sinnen;
es sey entweder Hoffart/ oder Begier reich zu werden/ oder vnge- dultige
Lust sich zu rechen/ vnd was die vnruhigen Begierden vns sonsten eynzubilden
pflegen. Wann nun Menschen von sich selbst zu solchen Sachen geneygt
sind/ so werden sie/ im Fall eine starcke Gewalt sie anfället/ gar leichtlich
verwirret/ daß sie zu letzte sich das zu seyn schätzen was sie gerne seyn
wollen/ vnd jhnen diese Eynbildung in jhrem nunmehr gezahmeten vnd
angewehneten Ge- müte nicht mehr fürstellen als ein Ding das zu wünschen ist/
son- dern als et-[129]
was das sie albereit
haben vnd besitzen. Diese grosse Gewaldt aber kompt entweder daher/ daß die
Gewonheit sol- ches zu glauben mehr wächset/ vnd täglich grösseren Nachdruck
vberkompt/ oder entspringet auß einem vnvorsehn Anfall/ der hefftig vnd
gehling vnter Augen kömpt/ vnd die schon angereitzeten Gemüter
gleichsam als mit einem Schwindel erfüllet. Aber/ möchtet jhr zu mir sagen/
warumb werden diese krancke Gemüter von einem solchen Vngewitter nicht
gäntzlich verkehret? Das geschiehet jnen mehrmals; bißweilen aber ist es nur
an dem/ daß die blosse Be- schawung desselben Dinges/ welches solchen Leuten
zu hefftig im Sinne gelegen/ jrret. Dann wie die Glieder so von sich
selber schwach sind/ zum offtern die schärffe der herabfliessenden
Feuchtigkeitten also an sich ziehen/ daß in den vbrigen gesunden Theilen
nichts böses mehr vbrig bleibet; So auch dieser Heraleon/ vnd andere die seiner lustigen Blödigkeit gesellen
geben/ nach dem das Laster jhrer Sinnen auff einer Lust alleine
beruhet/ dardurch sie etwas vbriges begehren musten/ so sehen sie andere
Sachen mit grösserer Beständigkeit vnd fast ohn alle Bewegung an/ erkennen
sie/ vnd le- ben Menschlicher weise gemäß: daß sich viel verwundern/ daß ein
solche Vernunfft die Thorheit nicht verzehrt/ oder daß diese jene nicht verdunckelt. Ihr köndtet auch diß sagen/ hub Meleander
darzu an/ daß kein Mensch von dieser Art der Narrheit befreyt
verblieben. Dann wer ist es/ der jhm in seinem Kopff [130]
nicht etwas gefährlichers oder thörichters einbildet/ als daß
er Poliarchus
sey? Einer sagt es sey kein Gott nicht/ der ander macht Götter auß allem: jener meinet es sey nichts köstlichers als Wollust; vnd wi- derumb
einer helt darfür/ die Verbrechen bleiben von den Göttern vngestraffet;
kürtzlich/ jhrer seynd wenig die den Heraleon nicht vbertreffen/ außgenommen daß jhre Thorheit
heimlicher/ oder der Meynung deß Pöfels bequemer ist: seynd aber darumb
destomehr
[Druckausgabe S. 87]
zubeweinen/ daß sie jhrer Narrheit nicht loß werden wöllen/
dieser aber nicht kan.
In dessen kniete Heraleon allezeit/ in Meinung der König were vber jhn
ergrimmet/ vnd berahtschlagte sich seines Vrtheils halben. Etliche
zeigten auch dem Könige/ wie ohne Vrsache der arme Mensch zitterte vnd
bebete/ vnd damit jhr Spiel destolänger wehren möchte/ stellten sie sich
eines Theils gleich als ob sie eine Fürbitt thäten/ damit jhm die Straffe
möchte erlassen werden; andere aber schrien/ man müßte dem Rechte seinen
Lauff lassen. Meleander
aber erschrack vber dem Gedächtnüß deß Poliarchus/ vnd machte jhm Gewissen/ wann er durch diese
vnbilliche Comedie desselben Namen Schimpff anthun solte/ an dessen Todt er
sich schuldig zu- seyn vermeinete. Derentwegen befahl er/ man solte den
Heraleon
frey vnd sicher gehen lassen/ mit Fürgeben/ es were durch diese Er- getzung vnd Affenwerck Zeit genug verlohren worden. Vber diß sagte
man [131] auch daß Lycogenes käme; darumb stundt er eine weil in Gedancken/ mit
was für Gesichte vnd Reden er jhn anneh- men solte; biß er letztlich in sein
Zimmer gieng/ vnd/ als er sich mit der einen Hand auff den nechsten Stul
gelehnet/ gegen der Argenis mit fleisse sich in ein Gespräch einließ.
Lycogenes war mit weni- gen Leuten/ vnd/ zu bezeugung seiner
Zuversicht/ vngerüstet in Magella ankommen: nicht zwar daß er jhm so wol bewußt war/
sondern daß er wegen deß Königs Glimpffs/ vnd wegen derer die vmb den
König waren grosser Freundschafft willen genugsamb trawete. Er hatt
auch nur auff der Post dahin gelangen wöllen/ zu vermeidung der
vnbequemigkeit so eines grossen Geleits/ oder dem damals vngelegenen Neyd zu
entgehen. Etliche von deß Kö- nigs fürnemmen Leuten/ vnd unter andern
Timonides/ waren von dem Meleander abgefertiget/ jhme gleichsamb auß eigener Beweg- nüß entgegen zu gehen/ welche den trutzigen Menschen von dem Thor
deß Schlosses biß zu dem Königlichen Zimmer begleiteten.
Er tratt hinein mit einem hurtigen ansehen/ welches durch sein
sicheres Vertrawen gemehret ward. So bald er den Meleander sampt der Argenis ersahe/ ließ er sich zur Erden
nieder wie bräuchlich ist: Hernachmals tratt er ein wenig näher/ vnd
grüssete sie mit widerholeter tieffer Ehrerbietung. Meleander gab jhm auch damahls
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[Druckausgabe S. 88]
noch kein Zeichen als ob er jhn empfienge/ vnd sahe nach der
seiten auff [132]
die Argenis gleichsamb als er mit
jhr zureden hette. Als aber Lycogenes sich noch etliche Schritt genähert/ sahe ihn der
König geschwind mit weiten Augen an/ vnd reichte jhm/ als er jhm nach den Knien greiffen wolte/ die rechte Hand/ vnd sagt/ er were jhm ein
willkommener Gast/ nebenst andern Worten die man zu bezeugung der
Freundschafft nicht pflegt aussen zulassen. Lycoge- nes gab zwischen
demütiger pflichtschuldiger Rede sehr künst- lich achtung/ daß er mit
behaltung seines hohen Geistes bey dem Könige sich nicht geringer
macht/ vnd den partheyischen Gemü- tern/ die in grosser Anzahl vorhanden
waren/ hiermit anzeigte/ daß er auch nachmals Krieg erwecken kundte/ da es
jhm gefiele. Er entschuldigte sich mit wenig Worten; mit Einwendung/ daß er
auß Noth die Waffen zuergreiffen gezwungen/ vnd von seinen Fein- den/ zu erhaltung deß Lebens/ were gereitzet worden. Ihn sonsten belangend/
so hette er weder deß Verbündnusses/ noch deß freyen Geleits erst erwarten
wöllen/ wann er sich nicht eben derselbigen seiner Feinde halben bey dem
König versichern müssen. Meleander
antwortete/ man wolte nicht allein hinfort allen Haß/ sondern auch das Gedächtnüß desselbigen beyseite legen; vnd auff künfftigen Tag solten
die Götter in der Pallas Tempel solcher jhrer Versöhnung Zeugen seyn. Hiernach
fiengen sie von vnterschiedenen Sachen an zu reden/ vnd befliessen sich beyde
mit gewöhnlicher Hoffelist eine sonderliche Frewd vnd Liebe
fürzugeben.
[133] Eurimedes hatte auff Meleanders Befehl den Lycogenes
vnd seine fürnembste Leute zum Mittagmahl gebetten/ nebenst et- lichen
andern seinen auffrichtigen Freunden/ vnter denen auch Dunalbius war/ welcher/ wiewol er ein Außländer/ doch keinem in
Sicilien an Lieb vnd Trew gegen dem König bevor gab. Er war der obriste im Dienste der Götter/ auß denen Priestern die in Schar- lach
gehen/ vnd dieses Ansehen hatte er mit grossem Reichthumb seines Gemüts
gezieret. Ein fürsichtiger Herr/ vnd der aller hohen Geschäffte fähig war;
wußte wol Freundschafft zumachen/ vnd die- selbe ehrlich zuhalten/ gieng auch
mit auffrichtigen Leuten offen- barlich vnd ohne Betrug vmb. Vnter
solcher glückseligkeit der Na- tur leuchtete seine Geschickligkeit im
studieren/ vnd die gemein- schafft aller Musen für/ von welchen die Tugenden
so zu Verrich- tungen vnd Geschäfften jhm eingepflantzet waren/ keine
außschlos- sen. Welches jhm aber thewer ankommen/ in dem das Gluck
seiner
[Druckausgabe S. 89]
Gewonheit nach in dem stattlichen Manne die Liebe der Tugent
vnnd Fleiß im studieren zum offtern gerochen. Dann er hatt für diesem
einen Vettern gehabt den König der opfferung; welcher/ als man verhoffet daß
er die seinigen nach Verdienst erheben solte/ so geschwinde durch ein
Feber hingerissen ist worden/ das die Fewer der Frewden bey seiner Erwehlung
die Fackeln seines Begrebnüsses noch schawen können. Alß dieser nun solcher
Hoffnung beraubet/ vnd mit newer Gefahr Gesandtens weise [134]
in die Frembde ver- schicket worden/ hat es wenig gemangelt/
daß jhn das Vnglück der Zeit nicht hingeraffet/ weil selbige Nation
mit so vnvorsehenem Auffstande entbrandt ist/ daß es in einem dergleichen
wütendem Vn- gewitter schwer gewesen entweder den Getrannten gefallen/ oder
bey Gewaffneten vnd die mit jhren Sachen zu thun hatten sich Ra- thes zu
erholen/ welchen sie selbest ergrieffen hetten/ da sie klug gewesen.
Er ist aber behertzt dem Porte zugeschiffet. Damals aber war er gleich zu
gutem Gluck in Sicilien wie dieses gehandelt wardt/ vnd kam dem Könige seines
trewen Rathes vnd Freundschafft hal- ben/ wol zu nutze. Einer seiner besten
Freunde war Nicopompus/ welchen Eurimedes ingleichen zu diesem Gastegebote
erbetten.
Zitierempfehlung:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL:
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Zitierempfehlung der Druckausgabe:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),