Das XVI. Capitel.

Gespräche von vnterschiedenen Trachten der Völcker: Newe Zei- tung bey Hofe daß Poliarchus gefangen sey: wessen sich Argenis entschlossen: Heraleons Bestrickung.

Das XVI. Capitel.

ALs sie nachmals vnter dem Gespräche von dem Aufflauffe der Bawren zu reden kamen/ muthmassete der König selber/ daß ohne das Gesicht vnd Alter deß Archombrotus/ seine frembde Tracht auch zu diesem Irrthumb nicht wenig geholffen; vnd daß die vnver- ständigen Leut vermeinet/ weil Poliarchus ein Außländer/ so müßte er auch [119] außländische Kleyder tragen. Darauff sagte Archom- brotus: Ich wil es nicht mehr darzu kommen lassen/ daß die Tracht meines Landes mich in Gefahr bringen möge: sondern wil einen Mantel auff Griechische Art vmbnemmen/ vnd mich in allen denen Sitten gleichmässig halten/ von denen ich lehren deß Gemüts all- hier zu schöpffen gesonnen bin. Nein/ sagte der König/ haltet so lang darmit jnne/ biß euch vnser Thun besser gefallen/ vnd die ge- wonheit euch vnser vbermässige Kleydung gemeiner gemacht ha- ben wirdt. Wir kommen euch an jetzo gantz frembd für/ vnd jhr haltet ewer gewonheit/ welche ich die älteste zuseyn vermeine/ für die beste: weil ich die Fürbildung ewers Volcks noch nicht gäntz- lich auß dem Hertzen gelassen. Wann jhr aber euch vnsern Ge- brauch vollkömmlich werdet eingebildet haben/ so werdet jhr euch vber ewerm Vnterscheide verwundern/ vnd jhn nicht länger erley- den können. Ich weiß mich zuerinnern/ daß ich/ als ich in meiner Jugendt in Africa kam/ die jenigen außzulachen pflag/ welche sich anders als wir trugen. Hernach wie mir diese durch Gewonheit angenehm worden/ vnd wider in Sicilien kam/ so vernichtete ich + +

[Druckausgabe S. 81]
mit nicht geringerem Eckel die Tracht meines Landes: biß ich sie durch Gedult sie zu sehen auffs new lieb gewonnen. Dann es ist kein vnbillicher Ding/ als das jenige stracks verdammen was wir selber nicht thun/ oder nicht gesehen [120] haben/ wann es fürnämblich bey gantzen Völckern gebräuchlich ist. Dann weil wir durch ver- mittelung der Zeit daran gewohnen/ so erscheinet/ daß es vns zuvor- hin nit so sehr seiner Schuld/ als vnserer Vnwissenheit halben Miß- fallen gebracht habe. Vber diß muß man gedencken/ daß ein jeg- lich Volck sich solcher Tracht vnd Sitten gebrauche/ welche dem Ort worinnen es wohnet/ am besten fügen; wie es euch dann auch die Natur dieses Lands lehren wird/ wo jhr eine zeitlang darinnen könnet Gedult haben. Derentwegen wöllet jhr euch an ewerm/ oder einem Außländischen Volck nichts als Tugend oder Laster sonder- lich bewegen lassen. Jedoch wündsche ich/ daß euch alles nach ewern Sitten vnd Gebrauche allhie bey vns ergehen möge.

In dem Meleander dieses redt/ vnd nach alter Leute Gebrauch seine Weltweißheit sehen läßt/ hatt Arsidas Gelegenheit zu der Ar- genis wider vmbzukehren/ da er den Archombrotus lobte/ daß er bey seiner ersten Ankunfft zu dem Könige deß Poliarchus in allen Ehren erwehnet. Aber in dem die Princessin vnd jhre Wärterin von dieser deß newen Gastes Beständigkeit mit grosser Begier höreten/ kompt gehlinge ein Geschrey in dem Zimmer auß/ Poliarchus sey in Verhafftung/ vnd würde zum König geführt. Argenis erschrack hierüber nichts/ in Meinung/ weil man nicht wüßte wie es zugienge/ so redte man vom Archombrotus. Sie hub lächlende das Haupt em- por/ vnd deutete an sie solten vnbesorget [121] seyn; es were sonst einer als Poliarchus. Eine von den Jungfrawen sagte hergegen/ daß diß was man jetzt erst ankündigte weit ein anders were/ als sie zwar glaubete. Sie hetten alle miteinander gute Wissenschaft/ daß der junge Außländer den die Bawren gebracht Poliarchus nit were. Aber man erführe jetzundt durch gewissere Zeitung/ Poliarchus sey auß einer höle/ darinnen er mit veränderter Kleydung gelegen von anderen Bawren herfür gezogen worden/ die jhn dann jetzt zum Könige führeten. Argenis erschrocken von diesem Donner- schlage/ stund doch nicht mehr in zittern vnd forchte als Arsidas oder Selenisse. Vnd zwar diese sagte kein Wort darzu. Arsidas aber neigete sich zu der Argenis Ohre; vnd/ die boßheit deß Glücks/ sagte er/ hat all vnsere Künste vbertroffen. Es ist vmb jhn geschehen/ gnädigste Princessin/ wo jhr euch seiner nicht offentlich annemmet.

[Druckausgabe S. 82]
Nachdem ich von der Höle/ vnd der verwechselten Tracht gehört habe/ so zweiffele ich nicht/ daß dieser Vnfall nicht solle war seyn. Aber Argenis/ gleich ob sie in dem eussersten Vbel welches sie reit- zete behertzter würde/ fieng an: Wie man mir sagte daß Poliarchus todt were/ kam es mir für/ daß ich so wenig Trost als Hoffnung finden köndte. Ich kundte nichts anders als klagen wegen eines so kläglichen Zustandes. Jetzundt aber nun er noch leben kan/ vnd man sich zuförchten hat daß er nicht sterbe/ so wil ich nicht glau- ben daß ich [122] genugsam für jhn außgestanden habe/ es sey dann daß er durch meinen vleiß sein Leben behalte/ oder daß ich so wol sterbe als er. Ich wil hin zu meinem Vatter. Es were eine Vbelthat solte ich stille schweigen. Er müsse erfahren/ wie hoch er dem Poliarchus verbunden sey. Wollen vnß ja die Götter vertilgen/ so werde ich zum minsten diß Begnügen empfinden/ daß ich alles das was bey mir von Tugendt ist herfür gesucht habe solchem Vnter- gang zu entrinnen. Selenisse erschrack vber diesem verwegenen Rathschlage/ vnd besorgete sich für dem Zorn deß Königs/ wann jhm Argenis das jenige was sie so lang in geheim gehalten/ ent- decken solte. Es war aber kein Mittel solchs jhr zu widerrahten: man müßte es nur auff die Wage setzen. Dann Argenis war schon vnter wegs zum Meleander/ welcher erstlich so vnversehens wenig auß jhrem Frawen-Zimmer/ bald aber sie auch selber nachfolgete.

Der König gieng ohngefehr damals im Garten spatzieren/ sel- best bekümmert wegen deß Poliarchus/ von welchem die gemeine Rede war/ daß er in Verhafftung kommen. Dem armen bekümmer- ten Alten ließ das Glück wenig ruhe. Was solte er sagen/ oder thun? Es war jhme alles zuwider; alle Sachen liessen sich zu newem Hert- zenleyde an. Es waren fast zwey Tage/ daß er jhn als einen Todten dermassen bey sich beweinet hatte/ daß er vermeinete/ er hette dar- mit ein genügen [123] gethan/ vnd den Fehler seinentwegen außge- leschet. Jetzt warff das Verhängnuß diesen Zweiffel auff das newe auff/ ob es besser were sich an dem Jünglinge vergreiffen/ oder durch eine vnsichere Billichkeit den getroffenen Frieden in Sicilien zerreisen. Die ärgsten Feinde deß Poliarchus waren schon in grosser Menge beysammen/ vnd sagten zu jhm/ daß bey Lebe Zeiten dessen Jünglings nichts beständiges in Sicilien zu hoffen were. Archom- + + +

[Druckausgabe S. 83]
brotus war zur Stelle/ welcher nicht weniger ob dem Könige als dem Poliarchus ein Mitleyden trug/ vnd begierig war auß den vnter- schiedenen Meynungen auffzumercken/ welche Poliarchus zu Freunden hette oder nicht. Iburranes war kurtz zuvor ankommen/ vnd suchte nebenst dem Dunalbius/ der in ebenmässiger geistlicher Würden als er/ vnd damals bey Hoffe war/ wie er Mittel finden möchte den Poliarchus zu schützen: als vnversehens/ wie jeder- man abwieche/ Argenis zu dem Könige kam/ die jhren Schmertzen mit solcher Verständigkeit zu rücke hielte/ daß sie nichts anzubrin- gen bedacht war/ biß es Zeit vnd Noht erfoderte. Welches sie viel sicherer machte war dieses/ daß sie jhr fürgenommen zu sterben/ wann jhr Vorsatz zu rück gienge. Sie warff jhre Augen rings vmb- her auff die Feinde deß Poliarchus/ vnd ward durch solchen Eyfer noch hefftiger entzündet. [124] Es war auch kein Mensch verhan- den/ der mittelmässiger Weise dem Poliarchus wol oder vbel wolte.

In dem sie aber sämptlich/ wegen der Vngewißheit dessen das sich begeben solte/ im Zweiffel so stille stunden/ als ob es jhnen be- fohlen worden/ kam Eurimedes/ vnd führte den Heraleon bey der Handt. Dieser Mensch war wegen Blödigkeit der Sinnen bey Hoffe sehr bekandt. Hier sagte er/ ist der Poliarchus/ den die Bawren auß der Flucht zu rück gebracht haben. Da fiele Heraleon auff die Knie/ vnd bate mit auffgehabenen Händen vmb Gnade. Der König ward etwas lustiger/ vnd fragte was er verbrochen. Nichts/ sagte er/ als daß ich Poliarchus bin. Sie huben alle an zu lachen. Der König aber fragte vom Eurimedes/ ob solches auß Schertze oder Ernste sich zutrüge. Herr/ sagte Eurimedes/ als ich am Thore deß Schlos- ses stund/ wie jhr mir anbefohlen/ den Poliarchus/ wann er ge- bracht würde/ anzunehmen/ sahe ich eine grosse Menge von Bawers- leuten kommen die den Heraleon vmbringeten. Der vnter jhnen der Obriste zu seyn schiene/ fieng an/ wie er an seinem Fleisse vnd Trew nichts erwinden lassen/ biß Poliarchus bekommen/ vnd in gute Verwahrung gebracht worden sey. Heraleon aber war Poli- archus. Ich verbisse das Lachen/ vnd fragte/ was für ein Glück jhn in jhre Hände gebracht? Die fürnembsten vnter vns/ sagte er/ welche es geoffenbaret/ sind deß Mor-[125]gens auff die Arbeit ge- gangen; vnd haben sich verwundert/ als sie gesehen/ daß einer sein Pferdt vber quer Feldt getrieben/ vnd auff einen verwachsenen +

[Druckausgabe S. 84]
Berg reyten wollen. Erstlich haben sie jhm den Weg gezeiget/ nachmals auß Verdacht nachgesetzet. Dann er/ gleichsam als ob er für allen fliehe/ so bald einer auff jhn kommen/ das Roß gewendet hat/ vnd als es wegen deß stetten herumb rennens weiter Athem zu holen nicht vermocht/ ist er abgestiegen/ vnd hat sich in eine Höle/ die er in der Nähe gefunden/ verborgen. Es waren vnserer viel bey- sammen zu zu schawen/ vnd stiegen mit hellem hauffen hinunter. Als wir jhn mit seinem grossen Schrecken vnd Geschrey herauff ge- zogen/ vnd jhn fragten/ wer er were/ vnd warumb er sich verberge/ bekandte er freywillig; er sey Poliarchus. Er war zimlich vbel be- kleydet zu einem so fürnehmen Herren; aber wir haben leichtlich geglaubet/ daß er desto besser zu fliehen sich also außgemacht hette. Darauff haben wir jhn/ wie sehr er sich geweygert/ gebunden/ vnd zu dem Könige/ wie jhr sehet/ zu ruck geführet. Als der Bawer seine Worte vollendet/ habe ich jhre Trew gelobet/ vnd sie widerumb an jhre Arbeit gelassen. Vbergebe ich derwegen/ Gnädigster König/ euch diesen Menschen/ mit welchem jhr nach Gefallen thun kön- net. Als Eurimedes dieses sagete/ vermochte sich auch der traw- rigste deß Lachens nicht zu enthalten: Dann sie wusten/ daß Heraleon in seiner Blödsinnigkeit so weit gerathen/ daß er jhm eynbildete er wäre Poliarchus.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),