Das XIV. Capitel.

[101] Ein hauffen Bawervolck fällt bey Timocleen mit Gewalt eyn/ vnd begehret den Poliarchus: Wannher solcher Tumult kommen: Sie ergreiffen den Archombrotus an statt deß Poliarchus.

Das XIV. Capitel.

OBgleich Archombrotus an dieser deß Arsidas Rede ein Gefallen trug/ doch thete es jhm wehe/ daß solches Gespräche so lange weh- rete; weil er lieber von jhm erfahren wollen/ was die Sicilier für Sit- ten hetten/ vnd was für Vbungen an jhrem Hofe am meisten im schwange giengen. Dann er erinnerte sich/ daß er vom Poliarchus die jenigen daran nennen gehöret/ welche jhrer Tugend vnd Laster halben in Beruff weren; von derer einem vnd dem andern wolte er Bericht eynziehen. Derowegen so bald Arsidas den Ibburanes ge- nant/ nam er die Gelegenheit in acht/ vnd/ wer ist aber/ sagte er/ dieser Mann? was hat er für Tugend an sich/ welche jhn bey euch so angenem macht? Er ist/ antwortete Arsidas/ ein Lydier von Nation/ vnd vns anders nicht beygethan als mit Freundschafft/ welche die Leutseligkeit Meleanders mit grosser Fürsorge erhalten hatt: im vbrigen verdienet er/ daß jhn alle Völcker zu jhrem Eynwohner zu haben wünschen solten. Seines Standes nach ist er auß [102] einem vhralten edelen Lydischen Geschlechte: sonst lebendigen Geistes vnd reiffen Verstandes/ bey wichtigen Geschäfften erzogen/ voll Wissenschafft vnd Fleisses: als auch grosses Reichthumb darzu kommen/ welchs alle Würden zieren können/ hat er bald in der Ju- gend angefangen heyligen Geschäfften ob zuligen. Doch ist er et- was längsamer in den geistlichen hohen Orden getretten als seine Freunde zwar gehoffet hetten; weil jhrer viel gemeynet/ daß er den- selben noch in der ersten Blüte deß Alters annehmen würde. Es ist jm aber rühmlich gewesen/ solche Hoheit zuvor verdienen als er- langen. Nachmals hatt er sich im Recht sitzen/ Absendungen/ Ver- waltung der Prouintzen/ vnd anderen Geschäfften also verhalten/ daß man darvon nicht erst fragen darff. Er hat nit weniger Ehr eyngeleget wegen seiner Barmhertzigkeit vnd Sanfftmuth/ als we- gen der Gerechtigkeit. Vnd wiewol er sich dermassen stattlich ge- halten/ auch gegen dürfftigen Leuten sehr freygebig gewesen/ daß +

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er in grosse Schmälerung deß seinigen gerahten/ so ist er doch von solcher Redligkeit/ daß er dem gemeinen Wesen nichts entzogen/ noch sjch in Gerichts Sachen bestechen lassen (welche Laster jetz- undt so gemein sind/ daß man sich vber dem verwundern muß der von jhnen frey ist.) So hat er auch nie wollen eynwilligen/ daß jhn die Könige (welches andere suchen) jhnen durch Geschencke ver- bündlich machten. Sein Gemüte ist zu gleich anmuhtig vnd herbe/ nach dem er Tugend o-[103]der Laster antrifft. Die Musen aber/ weil sie jhn geliebet haben/ verachtet er bey seinem hohen Glück so gar nicht/ daß er auch offtermals vertrewliches Vernehmen mit jhnen hatt/ vnd mit einer sonderlichen Geschickligkeit hernach er- zehlet/ was sie jhn vnterrichtet haben. Derentwegen kommen die jenigen/ welche der ansehliche vnd vnbefleckte Lorberkrantz vber die gemeinen Geschäffte der Menschen erhaben hat zu jhm als zu jhrem Apollo. Damit jhm aber die Götter nichts versageten/ als ha- ben sie seine nechste Blutsverwandten durch eben solche Gaben vnd Sitten in die Anmutigkeit der Liebe mit jhm verbunden/ so das diß das gantze Geschlechte einem Tempel ähnlich siehet/ vnd die Vorfah- ren nicht ohne sonderliches Eyngeben die Bienen in jhr Waffen ge- setzet zu haben scheinen; denen es nach Verschuldung oder der Zeit Gelegenheit weder am Stachel noch an Süssigkeit gebreche. Er ist im vbrigen diese drey gantzer Tage beym Lycogenes gewesen/ mit jhm wegen Bedingung deß Friedens zuhandeln; vnd wird heute nach verrichteter Angelegenheit vom Könige erwartet.

Sie hatten jhre Reden der Liebligkeit deß Gespräches halben biß in die Nacht vollzogen/ vnd worden nun zum Abendessen/ welches die Fraw sehr köstlich angerichtet/ gefodert/ da sie dann vnter der Malzeit jhre Sorgen mit Fröligkeit (in dem sie verhoffeten/ daß Poli- archus ohn allen Schaden könne fortgefüret werden) [104] dermas- sen linderten/ als ob jhnen von keinem Vnglück etwas bewust were. Man war aber kaum im besten Essen/ da ein grosser hauffen Baw- ren mit hefftigem Vngestüm sich für dem Thore hören ließ. Der Wächter bate die wütenden Leute/ welche mit Gewalt wolten eyn- gelassen werden/ daß er solches zuvor der Frawen möchte anzey- gen. Sie aber huben trutziglich an/ daß sie mit Macht zu verfahren Fug vnd Recht hetten. Mit diesen Worten lieffen sie die Thür zu stücken/ vnd drungen vnbedachtsam hineyn: huben auch jhr Ge- +

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wehr/ welches ein jedweder so gut er es hatte oder jhm in Eyl für- kommen/ ergrieffen/ hoffertiger Weise empor. Keiner war aber ge- waffnet wie er solte. Als sie in die Tafelstube gerissen/ erbleichete Timoclee für Schrecken. Archombrotus vnd Arsidas stehen eylends auff/ nemen die Degen von jhren Dienern/ ziehen auß/ vnd waren bereytet/ da jhnen ja von den wahnwitzigen Leuten Gewalt ange- than würde/ vngerochen nicht zu sterben. Der Vrsprung solches allgemeinen Auffstandes war dieser. Als ein Weib auß benachbar- tem Stättlein/ so denselbigen Tag in Timocleen Hause gewesen/ den Gelanor/ der in jhren Augen frembde war/ gesehen/ vnd nach jhm gefraget/ hat sie gehöret daß es Poliarchus sein Diener were. Es traff gleich das Fest der Göttin Ceres/ vnd waren viel Bawersleute von nechst gelegenen Dörffern in selbiges [105] Stätlein so Phtinthia hiesse zusammen gelauffen. Dahin als voriges Weib widerkommen/ vnd in der müssigen Leute Versamblung gerahten/ erzehlte sie nur ohngefehr/ sie hette deß Poliarchus Diener gesehen. Stracks fieng einer drauff an/ wie wann Poliarchus selber allda verhalten würde? Hierzu kam ein anderer/ so in verwegenen Rahtschlägen hitzig war/ sagte mit stoltzen Worten/ man solte nicht vnterlassen von einer so wichtigen Sach weiter Nachfrage zuhalten. Dann es würde der gant- zen Statt nachtheilig seyn/ wann Poliarchus in derselbigen Gräntz were verborgen gelegen. Vnd dieser Meinung waren schon jhrer viel/ als sie/ durch ferrnere außbreitung deß Gerüchtes/ das ein ding jmmer grösser macht dann es an sich selber ist/ angereitzt worden das Wesen/ von welchem sie nun nicht mehr zweiffelten/ besser zu- treiben vnd für gewiß außgaben/ Timoclee hette den Poliarchus auff- vnd angenommen: derentwegen solte man jhn von da herfür ziehen/ vnd zu Gerichte bringen. Was von seinem Tode außgege- ben worden/ verhalt sich weit anders. Sie achteten vnd wußten auch nicht/ auß was für Anzeigungen vnd von wem sie solches er- fahren. Vnd/ wann die Götter es nicht verhindert hetten/ so were deß wütenden Hauffens Muthmassung nit vergeblich gewesen. So pflegt offtermals die Verwegenheit vnd das blinde Glück besser ein- zurahten als der fleiß/ welcher bey der Vngewißheit deß Verstands gemeiniglich jrret/ vnd vergeblich arbeitet.

[106] Die Menge hatte einander hitzig gemacht/ vnd den Marckt mit einer gehlingen Vereinigung erfüllet/ dem jenigen der am küh- + +

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nesten were bereitet zu folgen. Vnd als einer schrey/ man müßte sich nicht säumen/ so reissen sie alle fort/ bringen was ein jeglicher für Waffen erwischen kundte/ lauffen der Timocleen Thor auff/ vnd meinen sie hetten den Poliarchus schon in den Händen. Dann er war keinem von jhnen bekandt; sie höreten nur daß er jung were/ rechter länge/ anmutig von Gesichte; welches alles dann auch dem Archombrotus zusagte/ vnd jhn verriethe nebenst der Frembden Tracht/ die noch verdächtiger war. Dann jhre Meinung gieng dahin/ weil Poliarchus ein Außländer/ so were sie jhm auch gemesse. Aus solcher Anzeigung schrien sie jhn an/ vnd were er villeichte wegen eines andern Beschuldigung hingerichtet worden/ wann sie jhn nicht lieber hetten lebendig fangen wollen. Als er sich auch mit zor- nigem Gesichte zur Wehr zustellen gedachte/ trate der Anführer dieser Bawren näher zu dem Tische der zwischen jhm vnd den Gä- sten stundt/ vnd sagte: Poliarchus/ jetzt begehet jhr zum andern mal eine Vbelthatt/ der jhr fürs erste deß Königes Vngnade verdie- net habet/ an jetzundt aber auch wider vns/ die wir allgemeinem Auffgebotte nach leben/ den Degen zucket. Legt die Waffen besei- te/ vnd gebet euch gefangen. Timoclee sol eben wie jhr gestraffet werden/ welche euch solange hat fristen dürffen. Wie dieser auß- geredet/ fiengen sie alle an zu [107] schweren/ vnd rufften einhel- lig/ man solte fortmachen. Archombrotus/ wiewol er Griechisch kundte/ vernam doch auß der Bawren Sprache nichts/ als daß man jhn gefänglich zunemmen begehrte. Er hatte in bevorstehender Ge- fahr nicht Zeit sich zuverwundern/ oder zu fragen was er verschul- det hette. Allein er war auß Hitze der Jugendt gesonnen sich zu wehren/ vnd zu sterben. Aber Arsidas/ der in Sicilien geboren/ vnd der Dorffsprache kündig war/ lieff jhm ein/ vnd sagte: Haltet jnne/ Archombrotus; ich bitt/ haltet jnne. Was versuchet jhr ewere Stärcke in einem so vngleichen vnd vnnötigen Streitte? Sollen die euch vberwinden/ die nicht werth sind von euch vberwunden zu werden? wöllet jhr entweder ewern Todt oder Sieg mit einem so verächtlichen Fechten beflecken? Es gehen ja diese Betrohungen nicht auff euch: dann sie suchen den Poliarchus. Darauff kehrte er sich zu demselben den das Volck zu seinem Haupte auffgeworffen/ vnd sagte jhm auß trewer Warnung/ daß sich die Sache mit sol- chem Sturm nicht thun liesse. Warumb wolte doch dieser Hauffen so grimmig verfahren/ ehe jhm wissendt were/ ob er vnnd der König verachtet worden? Gabe auch darneben gute Wort; nämb
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lich er zweifelte nicht/ daß alles bey jhme/ mit dem er Spraach hielte/ stünde. Wann jhme beliebete sie nur ein wenig ruhig zu seyn zu ver-[108]mahnen/ so wolten sie alle willig vnd gerne gehorchen. Der Bawr ließ sich durch solche Ehr/ welcher er nicht gewohnet war/ besänfftigen/ vnd ruffte mehr einem Büttel als einem Ober- sten ähnlich/ sie sollen stille seyn.

Die wütende Leute hörten mit murren auff/ als Arsidas anfieng zufragen/ auß was für Vrsachen ein solch menge Volcks zur Wehr gegriffen? darauff jhr Führer antwortete/ sie weren kommen den Poliarchus anzufassen. Darauff bethewerte Arsidas hoch/ Poliar- chus sey nicht zugegen/ were auch nicht mehr zufinden/ so viel jhm bewußt. Sie solten jhre Gemühter befriedigen; welche zwar gehor- samlich/ aber doch auch gar zu blindt vnd vngestümm deß Königs Gebott nachsetzten. Fragte ingleichem/ ob dann keiner von jhnen den Poliarchus kennete? es weren ja Stirne/ Mund vnd Augen dieses Gastes dem den sie suchten gantz nicht ähnlich. Die sittsammesten von den groben Leuten verhöhnten solche Rede; die andern er- grimmeten sich auffs newe/ vnd schryen/ man müßte diesen Feindt deß Königs auff Stücken reissen. Letztlich wurden sie kaum wider gestillet/ nachdem Arsidas lang gewincket/ daß sie jhn hören möch- ten: Darauff er eben diesen jhren Führer ansahe/ vnd sagte: Schawet zu/ daß jhr nicht zu der Vbelthat der erste seydt. Es laufft wider Recht vnd Ehrligkeit/ im fall man sich an diesem Außländer ver- greiffet. Wann jhr aber ja so sehr befliessen seydt/ durch Vnrecht an einem Vnschuldigen ewer Trew [109] zuerweisen/ so nemmet jhn derentwegen in ewere Verwahrung/ mit dem Bedinge/ daß jhr jhn mit Händen vnd Füssen vnangefässelt lasset. Sobaldt der Tag ange- brochen könnet jhr jhn zum Könige führen: die der Sachen kün- dig sindt/ werden hierüber Vrtheil sprechen/ vnd zweiffelt nicht/ er wird vngestrafft nicht bleiben/ hat ers anders verdienet. Die Fraw belangendt/ kan dieselbe mit Nottwendiger Wache/ damit sie nicht entfliehe/ so lange allhier verwahret bleiben/ biß jhre Vnschuldt an den Tag wirdt kommen. Ihr/ die jhr so viel Macht habet/ haltet die Leute darzu/ daß sie an diesem Hause keine Gewaldt verüben; wann jhr anders dem Könige trew/ vnd verstendig seidt. In dem sie Rath- schlag hielten/ liesse sich Archombrotus den Arsidas nicht mehr bendigen/ vnd wolte nicht einwilligen sich zu ergeben. Dann was hette es für ein Ansehen/ daß er den Vnsinnigen Bawren gehorchen solte? was für Versicherung köndte er haben bey der wütenden

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Menge/ welche/ wann sie zu toben anfehet/ ohne Widerrede alles thut was jhr gefällig ist? Aber Timoclee fiele für jhm auff die Knie/ vnd erweichte mit vielen Seufftzen sein hohes Gemüte. Arsidas auff dem andern Theil zeigte jhm durch Augenscheinliche Vrsachen/ das einige Mittel sich zuerhalten were/ daß er sich zum Könige führen liesse. Dann warumb wolte er lieber sterben? was für Begnügung hette er an seinem Todte/ da er in einem so vnbesonnenen Tumult (welches die Götter nicht wolten zu-[110]lassen) vnbillicher weise auffgerieben wurde.

Nach dem diese Sache eine zeitlang vnter jhnen gehandelt wor- den/ fienge die Auffruhr an stille zu werden/ wie ein Vngewitter das sich legete. Dann beydes folgete Archombrotus deß Arsidas seiner Warnung/ vnd der Pöfel wardt ingleichem besänftiget/ nicht allein/ daß man jhn nicht verachtet hette/ sondern auch daß er meinete er hette vberwunden. Hierauff vnterhielte Timoclee diese Eintracht mit einer wircklichen Freygebigkeit/ ließ deß besten alten Weins bringen/ vnnd trug den Bawern die fülle für. Sie theileten sich vn- tereinander auß/ vnd hielten vmbzechig Schildtwache. In deß Archombrotus Schlaffgemache lagen Achte vmb sein Bette auff dem Stro: so viel auch an der Timocleen Kammerthür/ darinnen sie ruhete. Die andern gaben entweder in der Taffelstube/ oder an dem Hofethore gute Auffacht/ es were dann daß sie auß Trunckenheit entschlieffen: welches so offte widerfuhre/ daß jhre Gefangene sie leichtlich zu betriegen fug gehabt/ da sie jhnen mit Betrug oder Schaden begegnen wollen. Aber wann Archombrotus die Flucht gegeben hette/ so were es vber Timocleen hinauß gegangen: weil alle darfür hetten gehalten/ daß Poliarchus jhnen entriessen were.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),