Weitere Erzehlung der Historien vom Astioristes. Der Gallier Krieg wider die Allobroger. Niderlag deß Aneroestes. Gobrias vberkompt einen jungen vnbekandten gefangenen Knaben.
Das XII. Capitel.
NAchdem das Nachtmahl/ so gut es das Meer vnd der Krieg zulies- sen/ vollbracht worden: Es ist Zeit/ sagt Arsidas/ vberhalb deß Rhodans alles zu durchsuchen/ vnd ewern Fürsten wider zufinden. Gobrias fieng an: Wir thaten alles was vns möglich war; aber da- mahls nur vergeblich. Wir beklagten seinen Verlust vier gantzer Jahr. Auff das Fünffte mußten wir notwendig wider die Allobroger Krieg führen der Gräntzen hal-[715]ben/ vnd daß sie dem guten Lande jhrer Nachbaren zunahe graseten. Es ist nicht der Notwen- digkeit daß jhr den Verlauff deß Krieges wisset/ sonderlich was sich ohngefehr vnd bey geringen Scharmützeln zugetragen. Doch war sonderlich eine rechtschaffene Schlacht/ darinnen die Allobroger vberwunden/ vnd auß dem Läger geschlagen worden. Vnser Volck kriegte sehr reiche Beute; daß man auch mit den Gefangenen/ vnd dem Raub nicht wohin wußte; so viel worden fürnämlich Ketten vnd Armbänder gefunden/ wie die Gallier zutragen pflegen. Es haben drey Allobrogische Könige in selbigem treffen eingebüsset/ von denen der fürnembste Aneroest hieß. Als die Sieger sein Zelt plünderten/ sahe einer von den Soldaten im Eingang deß Zeltes einen sehr schönen Jüngling stehen/ ließ also die andere Beuthe hindan seyn/ vnd begehrte nur diesen zu haben. Er stellete sich hertzhafftiger als ein solches Alter pfleget/ nam den Spieß zur Handt/ vnd wolte sich lebendig nicht fangen lassen. Der Soldat mochte jhn auch nicht beschädigen/ sondern ruffte einem seiner Rottgesellen/ vnd vmbringte den Knaben/ der zu fechten gesonnen war/ von hinden zu. Also ergriffen sie jhm die Arme/ vnd kundten jhm das Gewehr kaum auß den Händen bringen. Sie schämten sich jhne zu binden/ vnd wolten sich auch von einer so guten Natur keines Be- trugs besorgen. Derhalben verhiessen sie/ wann er zusagte nicht außzureissen/ daß sie jhn nicht binden/ sondern nicht so sehr wie einen [716] gefangenen als wie jhren Gefehrten mit sich führen wolten. Er/ ohn Anzeigung einiger Trawrigkeit bey solchem Vn- glück/ gab zur Antwort/ er wolte dem Willen der Götter die jhn zu einem Gefangenen machten/ nicht wieder streben/ vnd an jetzo
Es ist nicht ohn sonderliche zulassung der Götter geschehen/ daß der Knabe den Soldaten so sehr gefallen hat. Sie führten jhn also mit seinem Willen fort/ vnd auß Furchte/ daß sie von andern dar- umb möchten geneydet werden/ liessen sie jhn nicht viel sehen. Sie waren nit weit von der Statt wo der König war/ als sie mich an- traffen. Glaubet mir/ ich wardt bestürtzt so bald ich jhn sahe/ vnd fragte sie mit grosser Begier/ dann ich kandte sie/ wannher sie mit solcher Beute kämen/ vnd ob dieselbe zu kauffe stünde. Sie gaben zur Antwort/ daß sie diesen stattlichen Gefangenen dem Commin- dorix verehren wolten. Ich meine/ sie besorgten sich/ ich möchte jhn begehren/ vnd haben also den Commindorix fürgewendet. Ihr wisset daß der Gallier Kriegsröcke den gantzen Leib nicht bedecken. Als ich derowegen jhn inständig ansahe/ vnd mir die Götter ich weiß nicht was für ein vnverhofftes Wesen mehr vnd mehr ein- gaben/ beugte er ohngefehr den Rücken/ vnd machte daß ich den Augenblick für Frewden fast gestorben were. Dann wie sol ich diese Glückseligkeit genugsamb außsprechen? Er verriethe die Kennzeichen deß Kö-[717]niglichen Geblüts; ich meine die Rothe ähre/ welche die Götter der Königin Sohne/ wie vorhin gesagt/ auffgedruckt hatten. Ich kundte für vnmässiger Fröligkeit kaum reden/ fieng mit zitterenden Gliedern an zu schwitzen/ vnd zweifelte noch selber an dem was ich wünschte. Hernach hub ich das Hertz zu den Schutzgöttern vnserer Nation auff/ vnd bate sie/ mir in sol- cher meiner Hoffnung beyzustehen. Ihr habt/ sagte ich/ ein statt- lich Geschencke für den Commindorix gefunden. Aber dencket nach/ meine Freunde/ ob es nicht besser sey/ daß jhr es der Köni- gin vbergebet. Er ist noch jung genug in das Frawenzimmer/ vnd köndte euch dermal eins/ in Erinnerung wer jhn einer solchen Frawen vbergeben/ vielleicht sehr beförderlich seyn. Dann ob jhr jhn schon dem Commindorix verehret/ so wirdt jhn doch die Köni- gin bekommen. Wann euch nun zu rahten ist/ so könnet jhr eben die Gnade bey der Königin erlangen/ mit welcher euch dieser ge- stalt Commindorix zuvor wirdt kommen. Die Soldaten bedanckten sich nach kürtzlicher Vnterredung deß gegebenen Rahtschlages halben/ mit Begehr/ daß ich jhnen für die Königin verhelffen wolte. Ich nahm aber nicht allein dieses auff mich/ sondern lud sie auch +
Als wir nach Hause kamen/ redte ich den Jüng-[718]ling freundt- lich an/ vnd fragte nach seinem Namen. Er gab mir zur Antwort/ das erstemal als er gefangen worden/ hette er Scordanes geheissen; dieses jtzige mal wisse er nicht/ wie jhn seine Herren nennen möch- ten. So seydt jhr/ sagte ich/ vor diesem auch gefangen gewesen? Freylich/ hub er an. Wannher seyd jhr mein Sohn? vnd wie war ewerer erster Namen? Ich weiß mich ein wenig zuerinnern/ sprach er/ daß ich durch gerüstete Leute als ich noch kleine war/ auß mei- nes Vattern Hause entführet wardt. Dessen bin ich noch ingedenck/ daß wir auff dem Lande gewohnet/ vnd die Mutter mich Astioristes genennet habe. Nachmals hat mich der König Aneroest/ auß Ver- ehrung derer die mich geraubet bekommen/ nebenst dessen Kindern ich mit gleichmässiger Zier vnd grosser Gnaden etliche Jahre statt- lich erzogen worden. Er hat auch gewolt/ daß ich zu Versuchung im Kriegeswesen bey jetziger Gelegenheit seyn solte; darinnen ich/ ach/ nicht weiß wohin er kommen sey/ vnd selber in einen andern/ zweiffels ohn ärgerern/ Zustandt gerahten bin. Vnter diesen Worten geriehte er in grosse Wehmuth. Ich aber/ der nunmehr aller Sa- chen gewiß war/ danckte den Göttern; denen ich vielmehr als dem Glück den Verlauff deß gantzen Wesens zuschrieb. Die Götter/ mein Sohn/ sagte ich/ haben euch nicht vbel gemeinet: Ihr sollet auch dem Glück danckbar seyn/ daß euch durch so viel Zufälle in der Königin Hauß hat bringen wöllen. [719] Ihr werdet zu einer grossen Glückseligkeit fürbehalten/ mein Knabe.