Das XI. Capitel.

[709] Astioristes wirdt durch Räuber entführet. Man suchet jhn vergebens. Deß Arsidas Vnwilligkeit. Verheissung deß Gobrias seine Historien zu vollführen. Anwesenheit eines Druiden.

Das XI. Capitel.

ABer es hat ein grosses Vnglück solchen vnsern Anschlag gantz zu nichte gemacht. Dann es waren kaum drey Tage nach der Zeit wie die Königin jhren Sohn gesehen hatte/ als Cerovist der Sicambre Mann in mein Hauß kam/ mit zerrissenen Kleydern/ vnd Anzei- gung einer schmertzlichen Widerwärtigkeit. Als er mich sahe/ schlug er sich ohn Anhaltung seines Kümmernisses mit beyden Händen auff die Brust: Die Götter/ sagte er/ haben vns gestürtzet/ Gobrias; Astioristes ist diese Nacht von den Räubern entführet worden. Man weiß nit wo er ist/ oder ob er lebet. Ein gerüsteter

[Druckausgabe S. 428]
Hauffe hat jhn vergangene Nacht weggenommen/ die auch nach der Plünderung mein Hauß in Brandt gestecket haben; vnd zwar nicht meines allein. Alle Dörffer vmbher sindt außgeplündert wor- den; vnd ich/ der ich jhnen entronnen bin/ habe den ehrlosen Leu- ten nicht folgen können/ weil sie eylends mit etlichen Schiffen vber den Rhodan satzten. Was rahtet jhr mir aber/ daß ich nun thun/ oder wo ich hin sol? Wie [710] Gobrias dieses erzehlete/ fieng Arsi- das gäntzlich an zu verbleichen/ als ob der Schaden jhn auch an- gienge/ vnd schrie/ daß dieses eine schändtliche That were/ mit Be- fragung/ ob dann der Knabe also verlohren sey worden. Dann er hoffte was grössers/ das den Geschäfften darinnen er reisete sehr nahe kam/ von jhm zu hören. Ich/ sagte Gobrias/ verstarrete viel ärger vber dieser Zeitung als jhr jetzundt. Dennoch ließ mich die notwendige eylung solchem Vbel abzuhelffen nicht träge seyn. Ich befahl dem Manne/ daß er sein vergebliches Klagen ein wenig blei- ben liesse/ vnd mir den gantzen Verlauff vmständiglicher erzehlete. Als ich jhn abgehört/ geriehte ich in vielerley Gedancken; wannher diese Räuber seyn müsten? ob sie mit Fleiß den Knaben zu entfüh- ren kommen weren? wie geschwinde/ vnnd wie starck man jhnen nacheilen solte? endtlich ob man der Königin dieses Vnglück auch melden dörffte? Aber ich wil euch das vbrige hernach fleissiger er- zehlen. Dann ich sehe daß es Zeit zu essen sey/ vnd die Diener ha- ben vns allbereit gesaget/ die Speisen würden vmbkommen. Ich kan nicht lustig bey Tische seyn/ fieng Arsidas an/ wann jhr mich von dem Kummer nicht erlöset/ wie sich ewere Trawrigkeit geendet/ vnnd die Königin das Vrtheil vber die Raüber gesprochen habe. Gobrias erfüllete sein Begehren/ vnnd erzehlte jhm Summarischer weise/ wie er vnd die Königin es am Klagen vnd Fleisse nicht man- geln lassen: wie wol sie jhre Trawrigkeit heimlich gehalten/ vnnd wegen der [711] Mörder vnter anderer Beschönung hetten nach- fragen lassen. Es were aber nach raubung deß Knabens alle für- sorge vmbsonst gewesen. Dann man hette weder die jenigen ge- funden/ so jhn weggeführet/ noch einen Fußstapffen spüren kön- nen da man jhn weiter suchen solte. Welches dann die Königin be- weget/ daß sie auch diese That dem Commindorix zugeschrieben; wie dann dieselben/ so man für ehrlose helt/ nicht allein jhrer/ son- dern auch zuweilen anderer Leute verbrechen halben geschmähet werden. Man hat aber nachmals für gewiß erfahren/ daß die Räu- ber in den Allobrogischen Gebirgen/ damit sie nicht so sehr verfol
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getwürden/ wann sie in der Frembde als in jhrem eigenen Lande die Leute angrieffen/ mit hellem Hauffen vber den Rhodan gesetzt; nachmals/ als sie an jhr Vfer kommen die Beute vntereinander ge- theilet/ vnd sich zertrennet hetten/ daß jhre Menge sie nicht ver- rhiete. Also ist der statliche Knabe/ vnd fast mit jhm auch die Mut- ter auß grossen Betrübnisse verlohren worden.

Arsidas wardt noch mehr verwirret; Es bedüncket mich/ sagte er/ als ob ich im Trawme eine zubereitung eines grossen Hauses gese- hen hette/ welches mir hernach/ wann es durch handtanlegung der Bawleute gewachsen/ vnd mit schönen Marmorn vnnd Bildern ge- ziehret worden/ vom Getümel der Leute so mich auffgeweckt/ ver- schwunden were. Also/ nach dem jhr den Knaben erhalten/ nach dem jhr jhn zu den Jahren gebracht habet/ da er sehen ließ/ daß man [712] jhn nicht vergeblich erzogen hette/ so nehmet jhr mir jhn plötzlich auß den Augen. Vnter diesen Worten war er bey sich sel- ber sehr vnwillig/ vnd verhönete auch stillschweigend deß Gobrias Vnverstand/ der mit so vielen Worten einen solchen Schawplatz ge- bawet hette/ vnd hernach nichts darauff sehen liesse. Gobrias merckte wol/ daß er vbel zufrieden war. Derwegen/ damit er jhn wiederumb lustig machte; wann jhr/ sagte er/ euch bey dem Essen wol seyn lasset/ so wil ich den Knaben nachmals wiederbringen/ vnd jhn vnverletzt seiner Mutter zustellen. Solche Worte befriedig- ten den Arsidas/ der diesem Wesen einen glücklichen Außgang mit grösserer Hoffnung/ als Gobrias gläubete/ gewündschet hatte. Als man zu Tische solte/ entschüldigte sich Gobrias gegen dem Gaste/ daß er den fürnemsten ort einen von den Druiden liesse; in fürwendung/ der Gallier Religion befiele diesen Leuten bey Schaw- spielen vnd Gastgeboten die Stelle zugeben. Arsidas saß neben jhm/ vnd Gobrias vnten an. Vber dem Essen ward viel von den Druiden geredet; daß auch Gobrias zweifelte ob Arsidas grössere Lust zuler- nen/ oder der Druide zu vnterrichten hette. Dieser erzehlte vnter andern daß jhr Orden nit allein vber die Heiligen/ sondern auch vber die Justitzsachen gesetzet were/ die Jugend vnterrichtete/ vnd sonderlich auff die Poeterey/ als eine göttliche Wissenschafft/ viel hielte. Vnd solches sagte er mit langsamen vnd prächtigen Worten/ war auch darvon sehr weitschweiffig/ damit man jhn ersuchte/ et- [713] was von seinen Versen herfür zubringen. Als es Arsidas merckte/ nötigte er jhn mit bitten/ wiewol es keiner nöhtigung be- durffte; darauff er folgendes Gedichte erzehlte/ so er nicht vnlängst/

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wie er sagte/ gemacht hatte/ vnd darinnen die Billigkeit der Götter/ die nach langer Gedult jhrer Beleydigung endlich mit gerechtem Eyfer brennen/ lobte.

Ihr Hertzen voll von Schuldt/ jhr schnöden Vbelthäter/

Schertzt ja den Himmel nicht/ vnd die Gedult der Götter/

Verhöhnt die Lindigkeit vnd späte Straffe nicht.
Ob gleich der Jupiter was langsamb Vrtheil spricht/
Vnd nicht stracks auff der Fahrt nach einer jeden Sünden
Mit Donnerkeilen wil wie heisse Lufft entzünden/

So denckt er doch sehr weit: Die Themis schreibt es an/

Vnd sagt der Nemesis was ich vnd du gethan;
Ihr schwartzes Buch ist voll von vnserm schnöden Wesen/
In dem sich mancher kan auff allen Blättern lesen.
Dann kompt vns Menschen her ein tausendfacher Todt/

Vnd/ was noch ärger ist/ ein Hertze voller Noth.

Drumb sehen wir die Fluth der Wasser sich ergiessen/
Vnd Tritons wilden Schaum biß in die Stätte schiessen:
Drumb geht die grüne Frucht der Felder offtmals ein
Baldt durch deß Hagels Krafft/ baldt durch ein wildes Schwein.

Wie wann der Feber Schar/ wann scharffe Pestilentzen/

Verfäulen Landt vndt Lufft/ vnd schliessen alle Grentzen?
Wann Mars der starcke Gott den wilden Degen wetzt/
Vnd Länder an die Herrn/ Herrn an die Länder hetzt?
Wann der Bellonen Blitz entzündt ein Theil der Erden/

Der anders als durch Blut nicht außgelescht kan werden?

Klagt ja die Götter nicht deß Zornes wegen an;
Sprecht lieber frey herauß: das haben wir gethan;
[714] Die längst verwirckte Schuldt bezahlen wir erst heute.
Wir aber wissen nicht (wir armen blinden Leute)

Woher das Vbel sey/ wann Vngewitter kümpt/

Vnd Titans güldnen Schein vns auß den Augen nimbt
Mit schwartz gewölckter Nacht; warumb so wenig alten/
Vnd in der Jugendt noch die Glieder vns erkalten.
Wir schmähen die Natur/ vnd heissen diese Zeit/

So vns zu bitter wirdt/ deß Glückes Grausamkeit.

Das Wechsel der Natur kan dessen nicht entgelten/
Man hat auch auff das Recht der Götter nicht zu schelten.
Wir haben sie gereitzt/ wir haben die Gedult
Deß Himmels auffgeweckt/ mit vnsrer eignen Schuldt.
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[Druckausgabe S. 431]



Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),