Der Argenis Klage jhrer Vnglückseligkeit wegen: Sie
schreibet dem Poliarchus; vnterredet sich mit dem Arsidas/ welcher sich anträget den Poliarchus zu suchen/ vnnd jhme der Princessin Schreiben
zuvberantworten.
Das VI. Capitel.
DIe Princessin aber/ welcher so mancherley Vbel zuhanden
stieß/ schätzte sich niemals für vnglückseliger als in
allgemeiner [665] Glückseligkeit.
Dann nach Stürtzung deß Lycogenes
Radirobanes
jhre Heyraht/ das ist jhren Tod gewündscht hette. Dieser Feind
were kaum hinweg kommen/ vnd Sicilien fieng erst an sich zu er-
holen/ so hette sie sich mehr wegen deß Archombrotus zu fürchten/ welcher so einen guten
Fortgang erlanget jhr zu schaden/ daß sie
[Druckausgabe S. 402]
auch selber widerumb nach dem Radirobanes wündschete. Soll ich derwegen allzeit/
sagte sie/ mein eigenes oder meines Landes Vnheil betrawren?
Erlediget dann das Verhängniß Sicilien mit keiner linderen
Bedingung von seinem Elende/ als daß ich zu Abwendung gemeines Vnterganges mit meinem Leben bezahlen sol? Muß dann
diese Pracht/ diese Zier vnd Schönheit eben dasjenige seyn/ wel-
ches mich den Furien meines Landes anffopffere? Soll ich deß Her-
cules Macarie/ oder deß Agamemnons Iphigenie seyn? Soll die allgemeine Ruhe mit
vnschuldigem Blut erkauffet werden? Aber ich wil das Glück
nicht lange mit mir spielen lassen. Diese grosse Wellen werden
entweder dem Vngewitter ein Ende machen/ oder das vberwältigte
Schiff fortreissen. Die Götter können zeugen/ wie begierig ich an
jetzt deß Todes bin/ wann ich nicht für euch Sorge trüge/ mein
Poliarchus/ vnd Selenisse mich mit jhrer Entleibung gelehret hette/ daß dieses auch ein Mittel für die Laster
sey. Her- nach bedachte sie embsig/ ob sie deß Poliarchus Ankunfft erwarten/ oder dieselbige durch
Schreiben födern solt. Es war vber [666]
einen
Monat von seinem Abreisen an/ da er versprochen/ daß er auff den
Dritten wiederumb wolte zurück seyn; vnd sie hielte dafür/ lieb-
habende (wie sie den Poliarchus zuseyn wuste) pflegten vielmehr für dem
gesetzten Tage zukommen/ als jhn gantz zu erwarten. Gleichwol nam
sie jhr für zuschreiben/ vnd satzte auß erstge- fastem Antriebe die
Worte/ so jhr von sich selber einflossen/ in sol- cher Meinung. Ob
ich wol abwesend/ Poliarchus/ so weiß ich doch vielleicht
besser/ als jhr selber/ in welchem Zustande jhr seydt. Dann ob jhr
wol dort gesundt seydt/ so wird es doch durch mein Vnglück allhier
bald vmb euch geschehen seyn. Wie kurtze Zeit ich noch zu leben
habe/ werdet jhr auß diesem Schreiben vernehmen. Radirobanes hat jhm wieder königliche Hoheit vnd Gebühr
der Freundtschafft/ weil ich jhm nicht hold seyn können/
mich mit boßhafftiger That zuentführen fürgesetzet/ vnd den Vatter
sampt mir/ vnter der Beschönung/ als ob er etliche Auffzüge an dem
Vfer halten wolte/ dahin gesprenget. Wir solten fast hingeführet
werden/
+
+
+
+
[Druckausgabe S. 403]
als der Betrug an den Tag kam/ vnd wir in die Stadt
zurück flohen/ er aber zu Schiffe gieng. Hernach hatte er
vnsinniger weise meinen guten Nahmen schrifftlich beym Vatter
beleidigen dürffen/ als ob ich euch mehr geliebet hette/ als mir
gebühren wolte. Dann Sele- nisse hatte vnser Vernehmen
offenbahret; vnd dannenher hatt der ehrlose junge Mensch Anlaß
genommen mich zuverleumbden. Mein Vatter aber ist auff meiner
vnd [667]
der Warheit seiten gewe- sen.
Selenisse zwar hat jhre Vntrew selber mit dem Schwerdte an jhr
gerochen; er aber ist in Sardinien gereiset/ daß er daselbst gleich- fals ein böses End nehme; wo anders die Götter gerecht sind. Dises
Abreisen machte mich glückselig/ als mein Vatter (ich schewe mich
es zusagen/ auß Furchte jhr möchtet anfangen jhn zu hassen: es
ist das Verhengniß welches vns treibet: zürnet lieber mit demsel-
ben/ Poliarchus.) als mein Vatter/ sage ich/ mir befohlen hat
den Archombrotus zu lieben. Er spricht/ daß er von
königlichem Ge- blüte sey/ daß jhm seine Sitten/ Natur vnd Gestalt
gefalle; endlich daß er jhn zum Eydam haben wölle. Wie ich gesehen daß er so gantz
verstocket vber seiner Meinung were/ habe ich jhn mit meiner
Halsstarrigkeit nicht entzünden dürffen. Ich habe mich vergnüget/
daß ich vnter einer anderen Beschönung so viel Zeit
erhielte/ damit jhr entweder kommen/ oder da jhr aussen bleibet/
ich nach mei- nem Willen sterben köndte. Zwey Monat sind mir
gegeben worden mich auff diese Hochzeit zubereiten. Wann jhr nun
jnner diesen ge- waffnet anlanget/ so wil ich mich auff ewere
seiten begeben; kom- met jhr ohne Waffen/ so wöllen wir
Mittel vnd Wege suchen vns hinweg zustelen. Verlasset jhr mich
aber/ so wil ich bey An- richtung deß Beylagers mir allen
hochzeitlichen Zieraht anlegen lassen/ vnd dem Vatter/ wann er die
Hand von mir begehret/ sie dem Archombrotus zugeben/ sagen/ daß sie den
Begräbnißgöttern geheiligt [668]
sey/ vnd zugleich mit einem kurtzen Dolchen/ den ich vnter dem
Rock verborgen tragen wil/ meine vnglückselige Brust durchstossen.
Wirdt sich dieses also begeben/ so vernehmet anjetzundt/ Poliarchus/ mein letztes wündschen. Gedencket daß
Argenis in jhrem eigenen Blut geweltzet euch diese Worte saget: Verzeihet meinem Vatter: es wirdt jhm Straffe genug seyn/
daß ich durch den vnbillichen Todt sein Gesicht mit Trawrigkeit be-
decken werde. Machet mit dem Archombrotus was euch geliebet. Wann jhr aber den
Radirobanes vngerochen leben lasset/ so wil ich auß
der andern Welt zurück kommen/ vnd euch ewers Ampts
[Druckausgabe S. 404]
erinnern. Nehmet die Rache wegen der schändlichen
Vbelthat von diesem meineydigen Menschen. Straffet den Räuber/ der
mir/ so viel jhm möglich gewesen meinen ehrlichen Namen
abgeschnitten hat/ nach Verdienst/ vnd gebet jhm durch ewern Zorn
die Grob- heit seines Verbrechens zu erkennen. Diese Rache/
diese Müh be- fehl ich euch ernstlich; zu diesem mach ich euch als
durch mein Testament verbunden. Nach vollbrachter Rache lasset
meinen Namen auff die Grufft ewers Geschlechts hawen/ vnd vnser
beyder Fall in Marmor graben/ damit die Nachkommenen vnsere Trewe
rühmen/ vnnd vnser Vnglück beklagen können. Fliehet
Poliarchus/ das Vfer dieser Insel; es sey dann daß
jhr auß Liebe gegen meiner Aschen den Krug darinnen sie stehen
wirdt an ewere Brust drücken/ vnnd jhn (welches die Götter möchten
ver-[669]
gönnen) nebenst ewerer Vorfahren
Vberbleibungen setzen wöllet. Wann es möglich ist/ so kommet
diesem Vbel mit ewerer Ankunfft zuvor/ dann die Gefahr wil keinen
Verzug nicht leiden. Könnet jhr aber nicht/ so bemühet euch den
Willen der jenigen so baldt stirbet zu erfüllen/ vnd lebet damit
jhr mich lieb haben möget.
Nach beschliessung deß Schreibens war sie lange Zeit in
Gedan- cken/ welchem sie solche Verrichtung anvertrawen
solte. Es war niemandt bey dem sie sich Rhates erholen kundte. Dann
so eine grosse heimligkeit der Timocleen/ die für zweyen Tagen an
Sele- nissen stelle kommen war/ zuvertrawen/ bedachte sie zu
geschwinde zuseyn. So befandt sie es auch nicht für gut/ den
Arsidas zu solchen verborgenen
Angelegenheitten so offt zugebrauchen/ damit er so vieler Gefahr
nicht vbertrüssig würde/ vnd Meleandern zu fürch- ten anfienge. Es kundte vber
diß sein Abreisen auß der Insel nicht verborgen seyn. Nichts
destoweniger wuste sie keinen bequemerern; weil er fürnemlich vmb
alle Bündnisse/ die sie mit dem Poliarchus
gepflogen/ gute wissenschafft trug. Derowegen beruffte sie
jhn/ vnd redete jhn also an: Wann ich beysorge trüge/ daß auch jhr
mich ver- lassen würdet/ Arsidas/ so wolte ich ewerem Gemüte das Ge-
dächtniß an Selenissen fürstellen/ welche die Stachel jhres ver-
rhäterischen Gewissens ärger gefühlet als den Todt selber/ weil sie
diesen zu abwendung jener ergrieffen hat. Dann jhr
sollet wissen (welches [670] mein Vatter
vnd ich noch verborgen halten) daß die Alte dem Radirobanes alles das was zwischen dem Poliarchus
+
+
[Druckausgabe S. 405]
vnnd mir heimlich fürgelauffen/ entdecket/ vnd baldt
darauff/ auß Pein deß nagenden Gewissens/ durch jhr Vrtheil vnd
Handt/ wie jhr gesehen/ sich hingerichtet hat. Aber wir wöllen euch
wegen ewerer Trew mehr gutes thun/ als sie wegen jhrer Vntrew ist
ge- straffet worden. Das Geschäffte gehet zu Ende. Versehet
euch was höhers zu vns/ als ewere Sittsamkeit jhr einbilden kan. Im
vbrigen habe ich Schreiben/ welche ich dem Poliarchus gern zu sicheren vnd gewissen handen
vberliefern wolte. Suchet vns einen ge- trewen Menschen/ dem wir
sie vberlassen dürffen. Aber/ wann es in möglichkeit
bestehet/ so bringet einen solchen/ dessen Redligkeit euch in
wichtigen Sachen bekandt ist. Arsidas gab stracks zur Ant- wortt: Gnädigste
Princessin/ ich weiß keinen der getrewer ist als ich selber. Warumb
gebet jhr mir so baldt Vrlaub auß eweren Dien- sten/ vnd zwar mit
grösserer Schande/ als ich hoffe verdient zu haben? Ich wil
verrichten/ was euch mir an zubefehlen gelieben wirdt. Poliarchus sey in welchem Theile der Welt er wölle/ so
wirdt er sich doch meinem Fleisse nicht verbergen können.
Argenis war sehr lüstig vber dieser Zusage/ vnd fragte
jhn/ was er für eine Vrsache ertichten wolte/ warumb er auß der
Insel ab- schiffte. Es ist ein Theil Italiens/ gab Arsidas zur Antwort/ welches
[671] man nennet das Landt Latin/ vnnd an demselben
Strande eine Stadt deß Nahmens Antium/ wegen deß Tempels der Fortunen/ die sehr hoch gefeyret wird/ weit
beruffen. Ich wil fürgeben/ daß ich ein Gelübdt gethan dahin zu
reisen; vnd solche meine Heiligkeit wird ohn allen Verdacht
seyn. Wann ich aber auß Sicilien kommen werde/ wie viel kan man
einwendungen finden weiter zu ziehen? allerley Geschäffte/ Begiehr
viel zusehen/ vnnd andere Sachen mehr. Befehlet jhr mir nur/ vnnd/
da es möglich ist/ saget wo ich mich hinwenden sol. Wann jhr
gesonnen seydt/ sagte Argenis/ mich so hoch euch zu
verpflichten/ so bitte ich euch/ mein Arsidas/ jhr wöllet eylen so viel als jhr vermöget.
Ihr werdet den Poliarchus
entweder in seinem Lande/ oder auff der Reise hieherwerts antref-
fen. Heute sollet jhr mehr von mir vernehmen/ als Selenisse in so
vielen Jahren. In Franckreich ist ein Fluß den sie Araris nennen;
dieser wirdt mit einen anderen vermischet der Rhodanus heisset. Die gantze Landtschafft
innerhalb diesen Wässern von jhrem Quell an biß zu der See ist deß
Poliarchus vätterliches Erbkönigreich; dises
besitzen an jetzo seine Eltern/ vnnd er hat es nachmals als der
einige Sohn zugewarten. Schawet was jhr euch für einen
Men
[Druckausgabe S. 406]
schenverbindet. Wann er derhalben/ wie ich muthmasse/ in
sei- nem Lande ist/ so dürffet jhr euch keiner langen herumbjrrung
be- sorgen. Die Mawren selber/ ob sie schon Stumm sindt/
werden
[672]
euch den Fürstlichen Hoff zeigen. Vermahnet
jhr nur jhn/ wie ich in diesem Schreiben thu/ daß er zum
ehisten seine Zusag er- füllen/ vnd nicht nur allein mit der
Stärcke seiner Person/ sondern auch mit versicherung seines Landes
Kräfften zurück kommen wölle. Die Fortune zu Antium (dann euch der Weg daselbst zu trägt)
begrüsset von meinetwegen/ vnd rufft die Göttin vmb Raht an/
was jhr mit ewerer Reise zuthun/ vnd ich zugewarten habe. Im
vbrigen nemmet diesen Ring/ vnd/ so offt jhr jhn an ewerm Finger
sehen werdet/ so offt erinnert euch/ daß meine vnd deß Frantzösi-
schen Fürstens Wolfahrt an ewerem Fleiß gelegen sey. Mit diesen
Worten steckte sie jhm einen Ring hohen Werths an/ vnd vbergab jhm die Schreiben an den Poliarchus. Er/ der vber deß Poliarchus
Hohheit frölicher wardt/ fieng sich dennoch an zu verwundern/ daß
die Heyraht/ als wann auff jener seiten eine Vngleichheit were/ mit
solchen heimlichen Vmbschweiffen erprackticiret würde; biß jhm
Argenis zu Gemüt führete/ wie Sicilien eine Satzung hette/ durch
welche den Königen sich mit Vermählung an ein mächtiger
Scepter zuverbinden nicht freystünde. Man wüste aber wol/ daß
Meleander
nicht allein vber den Würden der Landesgebräuche scharff hielte/
sondern auch dieses Gesetz für andern sonderlich hoch zu erheben
pflegte. Alsdann billichte Arsidas der Princessin Fürsichtigkeit/ in dem sie bißher weder dem Vatter/ noch den Siciliern jhren ver- bottenen Anschlag entdecket
hette/ [673]
vnd erkandte/ daß eine
Kriegesmacht auß Franckreich würde vonnöhten seyn/ die gleich-
sam zu Abstossung deß Archombrotus solche Satzung abstellete. Derhalben
ward er beydes durch seine Tugend vnd der Selenissen
Abfall zur Trew abgemahnet/ vnd machte sich künfftigen Tag
mit Hülffe der Götter auff die Reise; kam auch mit gutem Winde in
Italien. Daselbst veränderte er das Schiff/ damit er in
dieser heim- lichen Sache sich Sicilischer vnd bekandter
Schiffleute nicht gebrau- chen dörffte; vmbsegelte also geschwinde
das Vfer deß grösseren Griechenlandes/ vnd lendete nach
Vorbeyfahrung an Campanien zu Antium an.
[674: Kupfer Nr. 14]
[Druckausgabe S. 407]
Zitierempfehlung:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL:
(abgerufen am: )
Zitierempfehlung der Druckausgabe:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),