Das XIV. Capitel.
NAchdem sie in den Palast angelangt waren/
kamen etliche auß Befehl deß Poliarchus/ die dem Aneroest die armselige Tracht ab- nehmen/ vnd an
deren statt königliche Kleyder anlegen solten. Er aber hielt seinen
Habit wunder/ vnd stieß den Purpur mit der Handt von sich. Wie sich
nun Poliarchus darüber wunderte/ vnd jhn sehr ermahnete/ er wolte die Zeichen seiner Trawrigkeit ablegen; gab
er
+
[Druckausgabe S. 577]
zur Antwort: die Götter hetten es vmb jhn nicht
verschuldet/ daß er sich auß jhrer Gemeinschafft begeben solte. Er
liesse jhm genügen/ daß der jenige sein Königreich beherrschete/
welchen er von Grundt seines Hertzens zum Erben zu haben
gewündschet hette. Im vbri- gen were er sich in die
Vngewißheit der Geschäffte widerumb zu verwickeln nicht gesonnen.
Man solte jhm sein edeles Armuth nicht nehmen/ oder darfür halten/
er köndte den seinigen nichts nutzen/ da er doch durch sein
heimliches Vernehmen mit den Göttern sie jhnen zu Freunden machte.
Diese beharrliche vnd ernste halsstarrigkeit deß Alten in
behauptung deß niedrigen Lebens gab alsbaldt Anlaß zu mancherley
reden; in dem etliche [974]
seine Be-
ständigkeit lobten; andere sich verwunderten/ was doch solche
Härtigkeit der Sitten zu dem Dienst der Götter helffen köndte.
Dann es auch Poliarchus an Beweisungen nicht mangeln ließ/ da- durch er deß Aneroests rawe Anschläge widerlegen/ vnd jhn von
seiner Meinung zu gewöhnlichen Königlichen Sorgen zubringen
gedachte. Aneroest hörete allen (dann es riehten jhm vnterschied-
liche einerley) mit gantz gedultigem Stillschweigen zu; so daß viel
in denen Gedancken stunden/ sein Gemüt würde hierdurch gerüh- ret/ vnd begehrte also vberredet zu werden. Wie er nun lang
also beharrete/ entweder damit er alles was ihm eingehalten würde
auff ein mal zu nichte machte/ oder auff daß er durch solche
Verweilung sich zu Beschützung destobesser bereitete/ vnd
verdienete von allen gehört zuwerden/ hub er endlich das Haupt
sittsam empor/ vnd fieng in solcher Meinung an
zureden.
Die Ordnung welche die Sonne in jhrem vnwandelbaren Wege
fort für fort zuhalten pflegt/ der Lauff deß Mondes vnd der andern
Sternen/ wie auch die Eigenschafft der gantzen Natur/ lehret die
Menschen genugsamb/ so nur entweder durch hoffärtige Einbil- dung der Weißheit/ oder eine ärgere als bestialische
Nachlässigkeit nicht verblendet sind/ daß ein höchstes Gemüthe sey/
welches alle Ding erschaffen habe. Vermeinet jhr aber nun/ daß
diese heilige Göttliche Krafft/ von welcher so viel herrliche Dinge
herrühren/ daß Gott/ sage ich/ der als ein [975] Vrsprung aller Tugenden den Menschen Recht
vnd Billigkeit durch die Vernunfft so in jhren Ge- mütern ist/
fürgeschrieben hat/ sich an denen Lastern erlustige/ mit welchen
wir vnsere Natur offtmals verderben? Es kan niemandt anders als ein
höchstgerechter Erfinder seyn/ der dieses Gesetze das wir sehen der
Natur gegeben hat. Nun kan er gerecht nicht seyn/
[Druckausgabe S. 578]
wann er so viel Laster vngestrafft liesse hingehen.
Derhalben so baldt die Liebe deß guten/ vnd das Verlangen der
Götter geneigten Willen zu vberkommen/ nebenst der Forchte deß
Himmelischen Zorns vnser Gemüte gerühret hat; so baldt sollen wir
nichts mit grösserer Embsigkeit suchen als die Entweichung
von den gefähr- lichen Lastern/ welche so vielen Leuten den
Vntergang verursacht haben. Dieselbigen Gefährligkeiten sindt
theils in vns selbst/ theils kommen sie vns von andern her. Vnd zu
beyder heylsamer Ver- meidung/ haben wir diese Art der einsamen vnd
ernsthafften From- migkeit erfunden. Dann erstlich werden
die vnziemlichen Begier- den/ mit denen wir vns selbst Schaden
thun/ durch diese weise zu leben dermassen mit Gewalt entwaffnet;
als wie wann man wilden Thieren/ so gezähmet worden/ auch die
Klawen vnd Zähne weg- gebrochen hette: daß sie also hernach/ wann
sie schon jhre wilde Natur wider an sich nehmen/ dennoch
nichts haben mit dem sie schaden können. Dann die Begier zur
Wollust verleuret bey vns durch den hergegengesetzten Gebrauch deß
har-[976]
ten Lebens seine Halsstarrigkeit;
vnd ob gleich diese Flamme zuweilen als wie auß der Asche wider
auffschlagen möchte/ so wirdt sie doch in einem dürfftigen
vnd gleichsamb Bäwrischen Hause/ darinnen kein vbriger Vorrath zur
Vppigkeit gefunden wirdt/ nichts richten. Es pflegt auch dieses
einfältige Armut die Vnersättigkeit zu verachten. Ein
vnansehenliches Leben/ das sich selber gering schätzet/ wirdt Roth
vber den Reitzungen zur Hoffart. Also daß diese vnd andere Vbel/ als der Zorn/ der Neydt/ die Forchte/ die Verwegenheit in
dieser heiligen vnd scharffen Entweichung/ gleichsamb als ein
Fewer das nichts weiter zu verzehren hat/ verleschen müssen. Son-
derlich wann das Gemüte nach außschlagung deß Jochs der Laster
in sich selbst gewichen ist; vnd die forchtsamen Begierden/ so zum
gehorchen angewehnet sindt/ ehe sie etwas wöllen oder
nicht wöl- len/ sich bey der Vernunfft Rahts erholen. Also werden
wir/ die wir vnsere ärgste Feinde sindt/ durch abschneidung oder
besserung der Vngestümmigkeit vnserer vnbändigen Natur/ zu der
heilsamen vnd nutzbaren Tugendt letztlich angewehnet.
Die andern Vbel belangendt/ so vns von anderer
Leute Seuche herrühren/ dieselbigen sindt sehr grimmig vnd vbel zu
vermeiden. Dann ich halte darfür/ daß mehr wegen gegebenen
Exempels/ als we- gen eigener Reitzung sündigen. Dann wir begehren
Freunden mit gleichheit der Sitten zu gefallen; [977] vnd man kan mit bösen
Leu
[Druckausgabe S. 579]
tenvbel lange Zeit vmbgehen/ daß man die Laster nicht
erstlich soll für leydlich halten/ hernach auch darmit angesteckt
werden. Eines Menschen Ehrgeitz entzündet deß andern Hoffart; vnd
von fremb- der Begier lernen wir nach Reichthumb stehen. Hat man
euch ein- mal betrogen/ wiewol ich vielleicht niemanden zuvor
vnrecht gethan/ so werdet jhr ewer Gemüth doch auff Betrug legen/
damit jhr euch rechen könnet; vnd auß dem Hasse der Feinde euch wi-
derumb zum Hasse angewehnen. Vber dieses/ weil jhrer viel die
Künheit zu sündigen für eine Hurtigkeit halten; vnd die jenigen welche den Göttern folgen für forchtsame vnd solche Leute
die zu nichts köndten gebraucht werden/ schelten; so sind jhrer
viel die zu vermeidung solchen Namens sich auff das Böse legen;
mehr dar- umb/ damit sie denen gefallen mögen die nach Tugendt
nicht fra- gen/ als daß sie die Laster lieb haben. Alle diese
Gelegenheiten nimbt die Reinligkeit vnsers Ordens jhren
Leuten auß den Augen: darinnen wir/ mit einem Wort zusagen/ böser
Menschen Gesellschafft meiden/ vnd ohn einigen Argwohn der Furchte
die Götter förchten dörffen.
Damit ich aber auff das komme was mich betrifft/ wie offt
leitet die Boßheit vnd Zustandt der Geschäffte Könige vnd Fürsten
mit darstellung der Nutzbarkeit zu Sünden? sonderlich wann
das so billich ist scheinet wider ihr Ansehen/ oder die Sicherheit
deß Regi- ments zu seyn? Alsdann helt man es [978] für gut stattlich/ daß Könige etwas fürzugeben/ zu
betriegen/ vnd anders dencken als reden können; gleichsamb ob die
Götter wolten/ daß die Beherr- schung der Menschen/ welche
sie jhnen vbergeben haben/ ohne Vorschub vnd Beystandt der Laster
nicht solte fortgetrieben wer- den. Baldt gelüstet sie vnter jhren
benachbarten Völckern die es nicht verdienen/ Zwietracht
anzurichten; damit sie/ in dem andere bemühet vnd verwirret sindt/
destobesser Ruh mögen haben. Baldt versuchen sie bey anderer
Könige jhrer Freunde vornehmen ge- heymen Rähten jhre Geheimnisse
mit Geschencken herauß zu- locken. Straffen sie auch nicht zuweilen
die Vnschuldigen sich bes- ser zuversichern/ als ob sie schon
gesündiget hetten/ weil sie sündi- gen köndten? Pflegen sie die
vnterdrückungen deß Volcks hindan zulassen/ wann jhnen von
denen Leuten die sie gebrauchen können
+
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[Druckausgabe S. 580]
darzu gerahten wirdt? Wer alle diese Sachen am
besten angeben kan/ der wirdt dermassen hoch gehalten/ daß ich
weiß/ es verwun- dern sich jhrer viel von denen so hier anwesendt
sindt/ daß ich hier- auff als auff vnbilliche vnd den Göttern
verhaßte Sachen gescholten habe. Dessentwegen ist mir der
Könige Zustandt schwer fürkom- men/ nicht zwar die Zeit vber weil
ich regierete/ vnd eben hierin- nen vnd in dergleichen sündigte;
sondern nachdem ich die Wolcken deren Nutzbarkeit vnd Gewonheit von
mir weggethan habe/ vnd nunmehr gewahr worden bin/ mit was für
Tunckelheit ich vmb- ringt gewesen sey. Verzeihet [979]
mir/ Königin/ vnd jhr mein Sohn: Ich verwerffe
ewern Zustandt gantz vnd gar nicht. Es gebüh- ret großmütigen vnd
ewers gleichen Leuten/ die außreissende Be- gierd deß gar zu
grossen Glückes mit dem Zügel der Tugendt anzu- halten. Mich aber
belangendt/ ich erkenne meine Schwachheit/ vnd besorge/ ich
möchte vnter dieser Last erliegen. Der Purpur ist nicht allein zu
solcher Gefahr außgesetzet. Die Laster machen sich an alle Stände
vnd Alter; wider welche wir in vnserm Orden ein kräfftiges Mittel
haben/ daß wir alle die Dinge verachten/ welcher wegen an- dere
sündigen.
Poliarchus/ der solche vngewönliche vnd scharffe
Weißheit noch nicht billichte/ fiel jhm in die Rede/ vnd: Mein
Vatter/ sagte er/ wann wir sämptlich ewern Worten folgen/ so würde
kein Bürger in den Stätten seyn/ kein Bawer auff den Eckern/ kein
Schiffer auff der See/ kein Kauffmann der die Bequemigkeiten
frembder Lande mit Verwechselung der Wahren hin vnd wider
bringe. Man wirdt alle die Künste liegen lassen/ welche ewer
ernstes Vrtheil den Men- schen nit vonnöthen zuseyn schätzen wirdt.
Es wirdt kein Ort mehr bewohnet seyn als ewere Wüsten: vnd/ weil
ihr den Ehestandt ver- werffet/ so wirdt das Menschliche Geschlecht
vber Hundert Jar nicht mehr bestehen. Hyanisbe stundt dem
Poliarchus bey/ vnd viel gaben eben diese jhre
Meinung mit den Augen vnd Geberden zu ver- stehen/ gleichsam ob er
an statt aller redete. Aneroest aber/ [980] der
erstlich in sich selber gieng/ machte baldt darauff ein frölicher
Gesichte; daß man wol spüren kundte/ daß deß Poliarchus Ein- wendungen jhn wenig bewegt
hetten. Wann einer/ sagte er/ von denen die vns zu hören eine Lust
ankompt die Süssigkeit vnsers ernsthafften Lebens zuversuchen/ der
lasse sich/ mein Sohn/ ewere Vrsachen nicht abschrecken/ vnd glaube
nicht/ wann er
vnverhey-
+
[Druckausgabe S. 581]
rahtetbliebe/ daß die Welt darumb würde ledig stehen. Er
komme zu vns; es wirdt dem Erdboden an Leuten nicht mangeln die
sich vermehren werden. Man wirdt die Künste dennoch treiben; man
wirdt nicht allein Volck genug haben die Stätte vnd Felder zu be-
stellen; sondern auch noch genugsamb vbrig bleiben/ daß
nach mancherley Art deß Weltlichen Elends durch die Pest/ oder Erd-
beben/ oder den Krieg verderben könne. Seydt/ sage ich/ vnbesorgt/
es werde dem gantzen Menschlichen Geschlechte in den Sinn kom-
men sich in vnserer Philosophie Gemeinschafft zubegeben. Dann die Götter halten diese Gnad viel höher/ als daß sie
dieselbe so vielen Leuten mittheilen solten. Es kan aber ohn jhren
Antrieb niemandt auff solche Gedancken gerahten/ auch niemand ohn
jhren Bey- standt darinnen verbleiben. Dann die Gemüther/ wann sie
〈sich〉 der Menschlichen Süssigkeit würden beraubet
sehen (welche wir gantz vnd gar verwerffen/) so würden sie
sich von vns als einer verdrüß- lichen Marter trennen/ wann es ohne
die heimliche sättigung der Göttlichen Wollust were. Wie aber
ein [981]
Obrister keinen besol- det/ der
nicht ordentlicher weise zum Krieg geworben ist: also pflegen die
Götter nur den jenigen welche sie zu diesem Stande be- ruffen haben/ den Geschmack dieser beharrlichen Lieblichkeit so
einen Menschen beständig macht zu reichen. Wann nun einer nicht
so sehr seiner Besserung halben/ als dem Glück zu Hohn (weil ent-
weder seiner Hoffnung oder Ehrgeitze kein Genügen geschehen)
mit vnruhigen Gedancken an vnserm Hafen abstossen wil/ damit er darinnen seine Verbitterung wider das Verhängniß
freymütig außschütten könne; wann er diese Verwirrungen deß Gemütes
mit gewisser Hülffe der Götter nicht hinweg leget/ so vermeine ich
nicht daß er bey diesem beständig seyn/ sondern vnsern Sitten mehr
scha- den/ als den seinigen nutzen werde. Ferrner/ die jenigen so
auß einem geringen Antrieb (wie gemeiniglich bey jungen
Leuten ist) auß einer vnbedachten vnd zärtlichen Meinung/ die sie
jnen von der Belohnung der Tugendt eingebildet haben/ sich vnserer
Arbeit an- hängig machen/ bringen zum ersten zwar/ wie ein Stein
der auß der Schleuder fährt/ eine hitzige Begierde: wann aber
das
Werck-
+
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[Druckausgabe S. 582]
zeugwelches sie fort treibet/ auffhört/ so verwundern
sie sich vber jhrer Nachlässigkeit. Ohne die Regung der Frömmigkeit
vnd Furch- te der Götter wirdt auch die Vernunfft/ die
Hertzhafftigkeit vnd Ge- dult erfordert: darmit dann wenig Leute
begabet sindt. Vnser Orden bestehet nicht in dem Kleyde das
wir tragen/ nicht in dem Na-[982]
men oder
in der Wohnung; auch nicht in der Arbeit deß Leibs. Der Geitz vnd
Ehrgeitz/ vnd die so zu den Ertzgruben vnd Galleren ver- urtheilet
sindt/ müssen viel schwerere Sachen ertragen. Es ist nur die einige
Zuneigung deß einfältigen vnd frölichen Gemüths gegen die
Götter/ welche alle Ding/ die sonsten vergeblich vnd jrrdisch we-
ren/ heilig macht. Dann Reichthumb verwerffen/ von hohen Ehren
weichen/ die Sinne von den vnruhigen Gedancken Menschlicher
Sorgen wenden/ ist alsdann eine grosse Tugendt/ wann es geschie-
het jhme die Götter zu versöhnen. Wann aber 〈einer〉
seinen Würden vnd Gütern darumb absaget/ damit er
dessentwegen gerühmbt were/ oder etwas höhers erlange; wann einer
die Geschäffte stehen lässet/ damit er dem Müssiggang könne
nachhängen; oder sich deß Armuts rühmet/ in welche〈s〉
er sich mit Fleisse zuvorhin ergeben hat/ weil er ohne diß darein
gerahten were; derselbe vermeine ich/ gedencke Götter vnd
Menschen mit seinem vnnützen Betrug her- umbzuführen.
Derhalben/ mein Sohn/ locke ich nicht alle zu dieser
Philosophie. Dann ich weiß daß von solcher grossen Menge der
Menschen jhrer gar wenig die verborgene Glückseligkeit vnsers
Lebens annemmen wöllen; vnd sage darzu/ daß auch vnter denen
noch viel/ die es mehr auß eigenem als auß der Götter Rahte thun/
diesen Standt entweder vergeblich/ oder mit Schaden anfangen
werden. Doch möchtet jhr sagen/ wündschete ich zum wenigsten/ daß
alle gute Leu-[983]te sich in vnsere
Gemeinschafft zu geben/ vnd dem Tumult der zeit- lichen
Geschäfften zu entreissen Sinnes würden. Ich begehr auch dieses
nicht. Dann wer wirdt böse Leute mit rechtmässigen Kriegen
bestreiten? Wer wirdt dem gemeinen Nutzen fürstehen? oder wie
wirdt man die vnbändigen Laster zähmen können/ wann alle tu-
gendhafftige Leute sich also in die Einsamkeit vnd Armut verber-
gen wolten/ daß sie ohnmächtig vnd abwesendt weder mit
Kräfften noch einjagung der Schande den Verbrechen ehrloser Leute
stew- ren köndten? Es ist ein schweres Ampt/ welches die Götter den
je- nigen aufflegen/ die sich durch ihre hohe Ankunfft oder
heimliche Reitzung nicht mit der Flucht/ sondern mit Waffen wider
die Laster
[Druckausgabe S. 583]
streitten/ vnd die Begierden nicht vertilgen/
sondern regieren heis- sen. Daß solche Leute sind/ vnd zu Ehrn
gelangen ist einem jeg- lichen daran gelegen; daß sie gute
Haußvätter geben/ daß sie vn- ter die Bösen in der Welt gemenget
seyn/ damit sie jhre Verwe- genheit wider die Götter/ vnd
grimmige Anschläge wider die Menschen verhindern können. Von andern
wil ich nicht sagen; was ist köstlichers als ein weiser vnd
hertzhafftiger König? Wann er mit seinem Exempel vnd mit Gesetzen
die Zeit zu der er lebet/ bessert/ wann er durch sein Beyspiel die
Vnderthanen zu Forchte der Götter zwinget wie viel
ersprießlicher ist solche Tu- gendt/ als wann er in der Einsamkeit
veraltete? Warumb [984]
dann/ werdet jhr
sprechen/ begehre ich nicht von den Göttern dieses höhere Lob zu
erhalten? Dann sie haben mir durch eine heimliche Empfindung jhren
Raht geoffenbahret/ daß ich mein Alter mit jhrer
Friedfärtigkeit erlustigen/ vnd an das Königreich/ welches ohn jhr
gutheissen nicht verloren worden/ mich weiter vnbekümmert lassen
solte. Heute aber bedüncket mich/ daß sie befehlen mir diese meine
Einsamkeit sonderlich an/ nachdem ich verstehe/ mein Sohn/ daß mein
Reich vnd königliches Hauß auff euch gefallen sey. Die Betrachtung eines solchen Erbens/ den mir die Götter haben zuge-
schicket/ macht/ daß ich mein Königreich von jhm wider zu nehmen
nicht begehre/ weil ich es/ wann ichs schon noch hette/ jhm von
Hertzen gern vbergeben wolte.
Ich weiß/ liebster Sohn/ was jhr ferrner sagen werdet:
Wann mir die Geschäffte zuwider weren/ wann ich an den
Tempeln/ dem Opffer vnd anderem Dienste der Götter je so grosses
gefallen trüge/ so hettet jhr doch in diesem ewern glücklichen
Zustand noch Die- ner/ die mir auffwarten/ meine Bettstatt machen/
die Tafel decken/ vnd mich zu den Tempeln begleiten köndten.
Solches Reichthumb würde ja ohn alle Gefahr vnd
Vngelegenheit seyn; dann/ in dem ich frey von allen Gedancken dem
Dienste der Götter nachhängen würde/ so würdet jhr ewers theils/
sampt den jenigen denen jhr die Regierung meines Hauses anbefohlen
hettet/ alle Sorge auff euch nehmen. Aber jhr werdet mich auch
al-[985]so nicht vberreden die Freyheit deß Armuts hinweg zu legen. Dann im Fall ich schon den
Kummer Reichthumb zu erlangen oder zuerhalten nicht hette; so
kan man doch bey Gütern anderer Vbel schwerlich geübrigt seyn.
Ich sage von der Gewonheit an Zärtligkeit/ wartung deß Leibes/ Ver-
gessung gleichsam vberflüssiger Frommigkeit: Item von andern
Be
[Druckausgabe S. 584]
wegungendeß Gemüts die dem Reichthumb anhangen; als sich
selber hoch halten/ andere verachten/ keinen Schein deß Vnrechts
vertragen können/ vnd durch Beyfall derselbigen/ welche Beloh-
nung jhrer Schmeicheley suchen/ auff vnbilliche Sachen geleitet werden. Ferrner vermeine ich nicht/ daß es leichter sey/ im
Fall man schon das Reichthumb angenommen hat/ sich der andern Be-
gierden entäussern können/ als in vngestümmigkeit deß Meeres
einem 〈sehr schnellen Strom der〉 Wellen sich
vertrawen/ vnd in den andern nicht gerahten wöllen. Weil ich
derwegen den Rest meines Lebens zum Dienste der Götter
anzuwenden gemeinet bin/ so lasset mich für der Vberflüssigkeit/
die eine Feindin solcher Entschlies- sung ist fliehen; damit jhre
Empfindung vnd andere Bewegungen von denen sie begleitet wirdt/ in
mein gefangenes vnd schwaches Ge- müt 〈nicht〉 die
vorigen Laster pflantzen/ vnd meine schwere Gedan- cken/
welche sich vergeblich gegen den Himmel zusteigen bemühen/ widerumb
herunter auff die Erde stürtzen. Warumb verwundert jhr euch/ daß
ich nach Armut sehe/ nicht zwar daß ich darinnen Noth leyden/ aber
mit weni-[986]
gem zu frieden seyn könne? da-
mit ich für den Leib nicht sorgen/ sondern jhn verachten lerne? damit mein freyes Gemüt Fug bekomme sich an den Himmel zuge-
wehnen? Vnd/ auff daß jhr nicht vermeinet als ob
〈ich〉 nach ewerer Wolfahrt vnd Ehre wenig fragte/
damit ich euch/ mein Sohn/ vnd ewern Leuten die Götter zu Freunden
mache?
Solche ernste Rede hielt er mit einem so anmutigen vnd
glimpff- lichen Gesichte/ daß man wol merckete/ diese
Beständigkeit were nicht ertichtet/ daß er etwan durch Vberredung
der Freunde darvon wolte abtretten. Wie sie nun sämptlich diese
vngefärbte Tugendt/ wie zu geschehen pflegt/ mehr vnd mehr ehreten;
zum wenigsten/ mein Vatter/ sagte Poliarchus/ schlaget die Bitt mit vns in Sicilien
zureisen nicht ab. Die Götter werden euch ansehen; vnd das
Glück wird vns vber See vnd Land nachfolgen wann jhr bey vns seydt.
So baldt wir zurück in Gallien kommen werden/ seyd versichert/ daß ich
euch auff was für Art jhr wöllet wil leben lassen. Ihr seydt auch
dieses ewerm Lande zu leisten schuldig/ daß jhr es sonderlich
mit
+
+
+
[Druckausgabe S. 585]
ewerm Exempel besser macht. Aneroest/ wiewol er ein wenig stille hielt/ so
kundte er doch dieses jnnständige Anhalten nicht auß- schlagen.
Hernach giengen sie sämptlich zur Tafel. Dann Poliarchus
kundte den Archombrotus schon besser leyden/ vnd aß mit jhm bey der Hyanisbe. Weil er auch genugsamb wider zu Kräfften
kommen/ beschloß er mit Einstimmung [987]
der Königin vber den folgenden Tag die Reise fürzunehmen.