Das XIII. Capitel.
ES trug sich ohngefehr zu/ daß vnter denen Soldaten/
welche die Ankunfft deß Archombrotus zu schawen nebenst dem andern Volck am
Vfer stunden/ einer mit fleissiger Betrachtung die seltzamen
Kleyder anschawete/ mit welchen die Priester/ so von dem Sardini-
schen Tempel in Africa gebracht worden/ angethan waren. Derhal-
ben gieng er näher hinzu/ vnd spottete nebenst seinen Purßgesellen
in der Gallier Sprache dieser Frembden Kleydung. Die Priester/
welche Gallier waren/ wurffen zu solchen Worten das Gesichte
auff/ vnd wunderten sich/ daß in so weit abgelegenem Theil der
Erden Leute der Gallier Sprache kündig weren. Sonderlich einer von
jhnen/ ein Alter Mann/ als er das Gesicht auß dem Kleyde/ welches
jhm den gantzen Kopff bedeckte/ herauß gethan/ vnd den Soldaten der
seiner lachte/ etlich mal als ob er es verstünde/ angesehen hatte/
kundten die beystehenden Gallier leichtlich abnehmen/ daß er ent- weder ein Gallier/ oder nicht weit davon her seyn müßte: wie dann
seine [958] Farbe/ vnd die anmutige
Lebhafftigkeit der Augen gleichfals vberein stimmete. So hatte auch
die Einfalt der heiligen Tracht die Zierligkeit der Nation vnd jhre
höffliche Geberden nicht gantz hinweg genommen. Darauff dann dieser
Soldate/ der zum ersten Schertzweise ohngefehr dahin
getretten/ sonderlich Ach- tung gab; dann es kam jhm die Gestalt
dessen Mannes baldt also in das Gesichte/ als ob er jhn vormals
auch gesehen hette. Derhalben/ damit er seiner Muhtmassung
versichert würde/ folgte er jhm nach biß in die Stadt/ vnd
begrüssete jhn/ als er in sein Losament gieng/
[Druckausgabe S. 568]
in der Gallier sprache; darauff der andere jhm freundtlich
eben- mässig antwortete/ vnd jhm danckte.
Also giengen sie zwar dieses mal von sammen. Der Soldate
kundte aber die gantze Nacht nicht ruhen/ vnd war zuweilen selber
auff sich zornig/ wunderte sich auch/ was dann jhm so viel
daran gele- gen were daß er diesen Priester kennete. Als kaum der
Tag angebro- chen/ gieng er widerumb in der heilige Leute Losier/
vnd begehrte mit jhnen zureden. Sie hatten aber allbereit vnter dem
Schein der Andacht erlanget auß der Statt sich zu dem benachbarten
Tempel/ der in einem heimlichen Walde ausser der Strasse
lag/ zu begeben; in Warheit damit sie von den Galliern/ welche jhnen in Africa vn- versehens auffgestossen/ weiter nicht
gesehen würden. Eben dieses Abwesen machte den Soldaten noch
[959] begieriger/ vnd eilete so sehr/ daß er sie
noch antraff ehe sie den Tempel erreichten. Nach- dem er sie
gegrüsset hatte; gleich ob er diesen Weg anderer Ge- schäffte wegen
gienge; Ich habe/ fieng er an/ dem Glück viel zu dancken/ jhr
Priester deß Jupiters/ daß ich euch auff der Reise durch diesen
Pusch angetroffen: ich werde jhm auch mehr verbunden seyn/ wann
jhr/ wie ich muthmasse vnd hoffe/ meine Landsleute seydt. Es
gerewete den Alten/ daß er 〈sich〉 vorigen Tag durch
plötzliche vnd vnversehene Irrung mit der Gallier Sprache verrathen hatte. Damit er aber
durch laugnen nicht grösseren Argwohn verur- sachte/ vnd den
fürwitzigen Soldaten/ der vielleicht mit einem kurtzen Gespräche
zufrieden seyn würde/ reitzete/ gab er zur Ant- wort/ er
were zwar ein Gallier/ hette aber von Kindheit an in der Frembde
gelebt.
Wie sie also die Rede angefangen/ vnd allerley Fragen
zwischen jhnen fürgelauffen/ sahe jhm der Soldat mehr vnd mehr
vnter Augen/ vnd erschrack vber dem Gesicht das jhm vorlängst
bekandt gewesen/ vnd er offtmals mit tieffer Demut geehrt
hatte. Ohn die mutmassung wegen deß Antlitzes/ bezwang jhn auch die
Stimme sich dessen zuversichern/ was er ohne das zu glauben willig
war. Als er aber letztlich die Narbe einer Wunden in der lincken
Handt sahe (dann damit er sie schawen möchte/ ergrieff er jhn wider
seinen Willen darbey/ als ob er sie jhm küssen wolte) kundte
er sich länger nicht zwingen/ vnd [960] fieng mit einem tieffen Seufftzer an zu schreyen: O jhr frommer
König/ wo habt jhr so lange verborgen gelegen? Wir ewere
Vnderthanen haben nicht alle gesündiget/ daß
+
+
[Druckausgabe S. 569]
jhr vns Arme Leute darumb verlassen habt. Was ist
aber dieses für eine Kleydung? was für eine Einsamkeit? wie ist
doch alles zu gar geringe für ewere Majestät? Vn dzugleich fiel er
jhm ohne seinen Danck an die Knie/ vnd fieng hertzlich an zu
weinen. Dieser schrie/ der Soldat rasete/ vnd wandte sich
halb lachendt vnd halb zornig mit verachtung deß Menschens zu
seinen Mitbrüdern. Sie wurden aber gleichsfals vber deß Soldatens
Rede bestürtzt/ weil er auff seiner Meinung beständig war; Dieser
were sein König/ vnd hiesse Ane- roest: er wolte jhm auch von der
Seitten nicht gehen/ vnd sich der Götter Wolthat gebrauchen/
die jhm seinen von vielen Jahren her gewündschten Herrn endlich
also widergegeben hetten. Darauff tratt der Alte vnter dem zancken
vnd angemaßter Verwunderung dem Soldaten zu den Ohren/ vnd: O mein
Soldat/ fieng er an/ wann euch ewer Gedächtniß oder ewere Augen
etwan wegen länge der Zeit betriegen/ oder daß euch die
Gleichheit deß Gesichtes jrrig macht/ so könnet jhr hierinnen
besser Bescheidenheit gebrauchen. Bin ich aber ewer König/ so
begehre ich von euch als meinem Vn- derthanen erstlich/ daß jhr
schweiget/ vnd/ da es euch gefällt/ so lange mit mir gehet/ biß wir
sich miteinander allein bereden kön- nen. Diese Warnung war
vergebens. Dann ob zwar [961]
der Soldat
gehorchte/ so waren doch in dem Hauffen etliche Gallier vnd Afri- caner/ die durch diese Newigkeit
bewegt worden/ vnd auß Begier eine solche Sache vnter das Volck zu
bringen alsbaldt in die Statt lieffen. Es waren zwey Companien in
deß Poliarchus Läger auß dem Volck derselbigen
Alpen darüber der König Aneroest geherschet hatte. Diese namen das Geschrey
eylends an/ vnd erfülleten mit solcher Zeitung auß Bestürtzung vnd
Verwegenheit vber dem newen Wesen das gantze Läger vnd die Statt
selber.
Poliarchus war bey Hyanisben vnd gedachte nach erholung der Kräfften auff einen Tag zu seinem Abreisen in Sicilien. Wie er in
solcher Berahtschlagung war/ redte jhn Gelanor mit einem Gesichte das in Zweifel stundt ob
es glauben oder nicht glauben solte an: Ich weiß nicht/ sagte er/
was ich von dem König Aneroest höre. Man hatte jhn mit der andern Beuth
auß Sardinien hergebracht/ vnd/ wiewol er nicht
königlich hergegangen/ so sey er doch von einem Soldaten auß seinem
Land erkandt worden. Poliarchus wardt vber diesen Reden durch eine
plötzliche Regung deß Gemütes/ das für grosser Hoffnung nichts
sahe/ gantz verwirret/ vnd gab zur Ant- wort: wann sich die Sach
also verhielte/ so wolte er dieselbigen für
[Druckausgabe S. 570]
seine Eltern halten/ die jhm den Aneroest wider gegeben hetten. Solches Geschencke
were jhm lieber als das Leben/ vnd er würde den jenigen die
Sardinien vberwunden hetten nicht allein [962]
als Freunden/ sondern auch fast als Göttern
verbunden seyn. Diese Wort nam die Königin mit grosser Begier
an/ vnd hielte es für eine Gaab der Götter/ wann Archombrotus/ welcher so vieler Vrsachen halben dem
Poliarchus verpflichtet were/ durch Handreichung deß
Glücks etwas verrichtet hette/ daß dem Poliarchus möchte lieb vnd angenehm seyn. Derhalben
fragte sie mit frölichem Gesichte/ vnd als ob sie jhn der
sich ohne das frewete/ mehr darzu anreitzen wolte/ was sich
zugetragen hette/ oder wer der Mann were/ den man wür- dig
schätzte/ daß er mit solcher Begier hette gesucht vnd gefunden
sollen werden. Poliarchus erzehlte jhr Summarischer weise; wie er
in seiner ersten Jugendt von den Räubern gefangen/ vnd zum König
Aneroest/ der weit vnd breit auff den Alpen herrschte/
gebracht sey worden. Daselbst hette man jhn mit solcher Fürsorge
deß Kö- nigs erzogen/ daß er in selbigem Zustand vnd Alter nicht
erfahren dürffen/ was sich königlichen Würden nicht geziemete.
Hernach/ als er seinen Eltern noch vnbekandt gewesen/ sey er durch
Zufall im Krieg vnd ein glückhafftes Gefängniß wider in jhre
Hände kommen. Ehe er aber in die Hoheit seines Stands gesetzt/ vnd
vom Vatter erkandt worden/ sey Aneroest durch einheimische Auffruhr mit zweyen
Söhnen in der Schlacht/ wie man sagte/ geblieben. Der Söhne Cörper
zwar habe man vnter dem Hauffen der Entleibten ge- funden;
Aneroest aber were nirgends anzutreffen gewesen.
Wann
[963]
nun das gütige Glück jhn auß der Schlacht
errettet/ vnd biß auff selbigen Tag erhalten hette/ so erkennete er
daß jhme die Götter gnädig weren/ vnd er sich vollkömmlich für
glückselig schätzen köndte. Aber mit dieser vbermässigen Frewde
eylete man auff solche geringe Anzeigung gar zusehr. Der
Soldat köndte sich selber betriegen; oder hette wol dieser
Einsiedel wegen Gleichheit deß Gesichts/ im Fall er dem Aneroest ähnlich were/ diese Ehr- geitzige Fabel mit Fleiß angestellet. Man mußte alles fleissig auß-
forschen. Er hette viel desselbigen Königes Hoffleute bey sich;
son- derlich vnter andern der Crestor/ einer von deß Aneroests besten Freunden. Er selber/ weil es mit
seiner Gesundheit nunmehr also stünde/ wolte gleichsamb auß Andacht
sich in den Tempel darinnen sich der Alte auffhielt
begeben.
Hyanisben behagte diese Hoffnung/ welche sie wündschte
gewiß
[Druckausgabe S. 571]
zuseyn/ vnd vermahnete den Poliarchus von der Götter vnd deß Glücks Gunst sich
alles guten zuversehen; sie wolte jhm selber das Geleite zum Tempel
geben. Alsbaldt war Crestor erfordert/ mit Be- fehl/ er solte voran/
vnd alles gemach außforschen/ biß Poliarchus
vnd die Königin sich auff den Weg bereitet hetten. Die
Hoffnung war grösser als daß sie Crestor fassen kundte. Derhalben verachtete er nur
fast dieses/ vnd geriethe in das trawrige Gedächtnüß seines
liebsten Königs; meinete auch er würde nur vergeblich außge-
schickt/ vnd [964]
begab sich mit wenigen
Gefährten in den Wald; da er dann nicht weit vom Eingang deß
Tempels die Priester noch mit dem Gallier Soldaten/ der zum ersten hinter die Sache
kommen/ reden fandt. Hierauff/ gleich ob er den Soldaten ansprechen
wolte/ besahe er den Aneroest auff vnd nieder. Sein gantzes Hertz (wie in
grossen vnd plötzlichen Sachen zu geschehen pflegt) wardt mit frewdigem Geblüte vberlauffen. Baldt aber als er auß den
Geber- den/ der Stimme vnd den Narben ohnfehlbar den König
erkandte/ vermochte er für Fröligkeit nicht zu stehen/ vnd lehnete
sich an einem Baum der nahe darbey stundt; kundte weder Zung/ noch
Handt/ noch Fuß rühren. Nicht weniger erzitterte auch Aneroest
vber seiner Zukunfft. Das anschawen seines alten Freundes
rührete jhn vnversehens mit dem angenehmesten Schmertzen. Zugleich
kam jhn auch eine Forcht an/ er möchte von den seinigen erkandt/
vnd von seiner lustigen Einsamkeit hinweg genommen werden.
Indessen befandt sich auch Poliarchus daselbst/ weil er dem Cre- stor
mit grossem Verlangen nachgefolget war; vnd gieng sampt der Königin
in den Tempel; als Crestor/ der nicht mehr an sich ge- dachte/ die
Priester stracks stehen ließ/ vnd auff jhn zu lieff. Er zeigete mit
seiner verwirreten vnd gehlingen Frewde genugsam an was er brächte/
vnd: Wir haben/ sagte er/ den Aneroest/ wir ha- ben meinen Alten König der
euch erzogen hat. Er ists/ er ists war- lich: [965] jhr dörfft nicht zweiffeln. Wöllet jhr zu jhm gehen/
Aller- gnädigster König; oder soll ich jhn euch hieher bringen?
Poliar- chus ließ sich nichts jrren/ sondern gieng stracks wo
Crestor hin zeigte. Aneroest aber vermeinte sich indessen auff einen engen
Weg/ wo der Pusch am dickesten war/ zu machen; damit er
hernach/ wann er nur denselbigen Tag verborgen bliebe/ durch wüste
vnd
+
+
[Druckausgabe S. 572]
vnbekandte Völcker sich zu andern Tempeln vnd
Göttern begeben köndte. Er bath den Soldaten gleichfals/ wann er
jhm als seinem König gehorchte/ als solte er jhn entweder in der
Flucht begleiten/ oder ja seinen Abschiedt gantz vnd gar
verschweigen. Der Soldat war zwar darwider/ vnd sie stritten
gleich noch miteinander/ als Poliarchus darzu kam/ nicht zweiffelndt/ daß dieses
Aneroest vn- fehlbar were. Gleichwohl wie er jhn
erreichte/ weil eine grosse Menge Volcks vmbher stundt/ vnd der
bestürtzte Alte solchen Tu- mult nicht ertragen kundte/ wandte er
ein andere Vrsach seiner Gegenwart ein. Ich frewe mich/
sagte er/ daß der Gallier Frommig- keit auch bey Außländischen
Völckern in Ansehen ist. Lieber Prie- ster/ mich belangendt/ so
bitte ich von euch/ die Götter für mich zu bitten/ daß sie meinem
Fürsatze guten Anschlag geben wöllen. Kompt doch zu diesem Tempel/
da jhr mir dann mit besserer Ge- legenheit zeigen könnet/
was für Opffer vnd heilige Gebräuche zu meinem Wesen am nützesten
sindt. Aneroest folgte gantz erbleicht jhm der jhn zohe/
nach. Dann Poliarchus hielt jhn bey der lin-[966]
cken Handt. Es war ein enger Tempel/ vnd die Leibguardie
stundt für der Thür damit das begierige Volck nicht hinein dringen
dörff- te. Hyanisbe sampt ihren fürnemsten Leuten war schon
darinnen. Als nun Poliarchus vnd Aneroest/ vnd nach jhnen ohngefehr viert- zig
Personen auch hinein kamen/ wardt auff deß Poliarchus Befehl das Thor alsbaldt gesperret.
Dieses machte dem Volck vnd Soldaten destogrössers Verlangen. Der
Pöfel war auß der Statt gelauffen; vnd die Wacht kundte mit
Mühe im Läger behalten werden. Also wardt der Tempel von allen
seiten her vmbringt. Doch war es ent- weder wegen der Könige so
darinnen waren Ansehen/ oder deß seltzamen Wesens grösse halben
dermassen stille/ daß die Fürsten genugsamb Ruhe vnd Friede hatten
jhre Sache für die Handt zu- nehmen.
Vnd Poliarchus zwar wolte schon dem Wesen mit
weitschweiffiger Rede den Anfang machen/ als Micipsa von dem Archombrotus zur Hyanisben kam. Dann er/ der durch den Tumult der Leute
beweget/ vnd nunmehr nicht weit vom Waldt war/ begehrte bey dieser
Nach- fragung zuseyn/ wann es Poliarchus nicht vbel vermerckte. Poliar- chus war
wol zufrieden/ angesehen daß diese seine gantze Frewde auß deß
andern Sieg herrührete. Derhalben hielten sie jnne/ vnd er-
warteten deß Archombrotus Ankunfft; welcher als er hinein
kom-
+
+
[Druckausgabe S. 573]
menwar/ sagte Poliarchus also zum Aneroest: Mein [967]
Mann/
was haben euch ewere Eltern für einen Namen gegeben? oder
wessentwegen seyd jhr auß Gallien in Sardinien gereiset? Wie er sich also eines
weitläufftigen Anfangs gebrauchte/ brachte jhn Aneroest gutwillig auff die Frage so er an jhn thun
wolte. Dann er hatte seine Beständigkeit/ welche er in dem ersten
Anlauffe ver- lohren/ wider bekommen; vnd sahe wol/ wann er gleich
zu schwei- gen oder laugnen gedächte/ daß nicht allein Crestor vnd der Soldat/ sondern auch viel andere
sein Gesicht wol kenneten. Wer jhr seydt/ sagte er/ weiß ich
noch nicht/ ohne daß ich auß dem Purpur sehe daß jhr ein König
seydt; vnd eben so redet als ob jhr in Gallien ge- boren weret. Ich kan vber diß wol
glauben daß jhr möget mein Freundt seyn; weil jhr meine alte
Freunde vmb euch habt. Dann ich kenne meine sehr liebe Leute den
Crestor vnd Simplidas; dar- umb lasset euch als einen
Freundt vmb der Götter willen vberbitten/ daß ich möge hin gehen wo
ich hin begehre. Im Fall jhr mich aber hasset; was wöllet jhr mehr
für Straffe? Ich habe ein Königreich verlohren/ vnd begehre es
nicht wider: Ich bin freywillig ein Ver- triebener/ damit ich auch
den Feinden nicht schade. Es gefällt mir arm zuseyn; vnd ob
ich gern wolte vnerkandt bleiben/ wissen die jenigen/ welche mich
heute gefunden haben. Ich habe meines vori- gen Zustandes
vergessen. Leget mir noch was schwerers auff; Ich förchte nichts
als den Zorn der Götter. Im [968]
vbrigen/ wann
jhr es vermeinet ewer bestes zuseyn/ daß ich Aneroest nicht bin; so bleibet vnbesorgt.
Lasset mich nur in meine Einsamkeit ziehen. Ich wil Aneroest nicht mehr seyn/ wann mich nur niemandt zur
Warheit zwingen wirdt.
Wie er also mit glimpfflichem Ernst redte/ hörete jhm
niemandt ohne Bewegung zu/ sonderlich als Crestor seine Handt auffhub/ vnd die Narbe
zeigte/ welche die Leut auß selbigem Lande an dem König Aneroest gesehen hatten. Poliarchus selber stellete jhm das Gesichte für
Augen/ welches er in seiner Kindheit so offt gesehen hatte. Die
Ohren/ wiewol sie entwehnet worden/ erinnerten sich der bekandten
Stimme; vnd das Hertz entfiel jhm/ in dem es durch die trewe
Liebe gerühret wardt. Dennoch mochte er sich noch nicht entdecken/
vnd fragte nur vom Aneroest/ warumb er ausser seinem Landt lebte/
warumb er verborgen liegen/ vnd in solcher Mühselig- keit bleiben
wolte. Die Meinigen/ fieng er drauff an/ von denen ich etliche hier
zur Stelle sehe/ wissen gar zu wol/ mit was für einem
[Druckausgabe S. 574]
harten Sturm mich das Glück gestürtzet habe. Ich bin
durch Auff- standt meiner vntrewen Vnderthanen zu den Waffen
gezwungen worden. Sie haben mir eine Schlacht lieffern dörffen.
Meine Söhne (dann ich hatte jhrer zwey/ so erst in der Blüte jhrer
Jugendt wa- ren) in dem sie vnbedachtsam hinan setzten/ sindt
beyde für dem Vatter vnd in deß Vattern Augen vmbkommen. Ich hette
auch sel- ber damals bleiben können/ [969]
wann es meines Verhängnisses Wille gewesen were. Aber ich glaube/
die Götter haben mich wöllen fliehen lassen. Ich bin in dem
nechsten Waldt verborgen gelegen. Hernach hab ich frembde
Hülffe gesucht/ vnd bin längst vber das Gebirge zu den Liguriern
gerahten. Dann die stärcksten Völcker da- selbst stunden mit mir im
Bündnüsse/ durch welcher Vermittelung ich mein Königreich widerumb
zu erlangen gesonnen war. Als ich an das nechste Meer kommen/ in
die schöne Statt so Janus gebawet soll haben zu verreisen/
bin ich vnbekandter weise in das erste Schiff getretten. Die Winde
aber haben vns in Sardinien verworffen/ vnd in dem die Schiffleute
zu Ancker lagen/ hat mich der berühmb- te Namen deß Tempels/ von da
ich newlich hergeführet bin worden/ zu anbettung deß Jupiters gereitzet. Daselbst verwunderte ich mich vber der Gestalt deß Orts/ vnd der Priester Leben; nam mir
also für mich aller Sorgen zuentäussern/ vnd/ nachdem ich so viel
Menschliches Vnglück außgestanden/ endlich die Gunst der Götter
zu versuchen. Dann/ sagte ich wider mich selbst/ warumb soll ich
mein Vatterland lieben/ das mit dem Blut der Meinigen begossen ist;
vnd welches ich nicht weniger mit meiner Bundsgenossen
als der Feinde Blut widerumb einnehmen muß? Wem solte ich nachmals
die Kron hinderlassen? oder was hette ich für Lust in meinem
Hause das nun ohne Kinder were? Die Natur hatte mir zwey
Söhne; vnd das Glück für weilen den dritten [970]
gegeben/ welchen ich nicht weniger als meine
eigene Kinder liebte/ vnd jhn nach meines Großvattern Namen
Scordanes nennete. Ach mein Kind/ wann nur du noch leben soltest/
ich wolte dich an Sohnes statt zum Erben meiner Kron einsetzen. Du
würdest in dem Vnglück deß Kriegs/ in solchen Fällen vnd
Mühseligkeit mein Trost seyn. Aber er ist längst vor der
Besorgung vnd Anfang solches Vbels/ wie wir mit den Galliern so an dem Rhodanus wohnen/ Krieg anfiengen/
+
[Druckausgabe S. 575]
von den Feinden auffgefangen worden; so daß deß
verlornen Jüng- lings Gedächtnüß mich keinen einigen Tag hat lassen
ohne Kum- mer seyn.
Wie er seine Fälle so erbärmlich erzehlte/ kundte jhn
Poliar- chus nicht länger vngetröstet lassen; sondern fiel
jhm mit weinen- den Augen/ wiewol er sich lange davon zurück
gehalten/ vmb den Hals/ vnd als er ein wenig verzogen/ damit jhn
die Seufftzer nicht an der Rede hinderten: O mein Vatter/ sagte er/
oder lieber mein Herr/ wann euch ja so viel an den Scordanes
gelegen ist/ so schawet ich gebe jhn euch hier wider.
Geniesset seiner vnd fanget an auff das newe zu leben. Ich bin
Scordanes. Vber diesem Wort sahen sie einander starck an/ vnd
wußten für anmuhtiger Irrung nicht was sie gedencken solten. In
dergleichen Verwunderung waren auch die andern/ vnd stunden gleich
als verstummet. Aller Gemüter hielten jnne/ vnd waren
bereitet/ jhre Zuneigungen dahin zuwenden/ wo- hin sie deß
Poliarchus [971] vnd Aneroests Gespräche leiten würde. Endlich sprach
Aneroest: Vnd soltet jhr Scordanes seyn/ Herr? Mein
Scordanes/ sage ich? soltet jhr noch leben/ ein König seyn/ vnd den
Aneroest haben? O jhr Götter? Kan ich jemals die Gnade
verschul- den welche jhr mir thut? Ihr sehet vber dieses/
gab Poliarchus zur Antwort/ den jenigen der euch vnd
die Götter/ welche durch ewere Verstossung von den Vntrewen
Vnderthanen sindt beleydiget wor- den/ gerochen hat. Die Ehrlosen
Leute sindt theils in der Schlacht/ theils durch die Hände der
Hencker vmbkommen. Ich habe jhnen den Raub hinweg gerissen/
vnd das Königreich erobert/ welches ich euch nun wider gebe/ mein
Vatter/ nachdem jhr frisch vnd ge- sundt seydt. Fraget jhr/ durch
was für Kräfften ich dieser Feinde mächtig worden bin? Ich als deß
Britomandes Sohn hab den Krieg geführt. Anjetzo
vbergebe ich euch auch meines Vattern Königreich; dann die
Götter haben mir jhn vnlängst zu sich genommen. Ich/ Vatter/ wil
nur der nechste nach euch seyn. Es wirdt mir ein grös- serer Ruhm
seyn euch zu gehorchen/ als den andern zu gebieten.
Er wardt mit newer Frewde ergetzt/ seuffzete vnd sahe offt
zu den Göttern/ vnd vmbfieng den Poliarchus. Hyanisbe war gleich- fals hinzu
getretten/ vnd Archombrotus frewete sich/ weil die
Göt-
+
+
[Druckausgabe S. 576]
terjhm so günstig gewesen weren/ daß sie jhm den Sieg
hetten ge- ben/ vnd den Aneroest wöllen finden lassen. Poliarchus seines theils stund auch nicht in
Abrede/ [972]
Archombrotus hette jhm diß- fals so viel gutes
erwiesen/ als er jhm durch die Vberwindung deß Radirobanes erwiesen hette. Crestor/ Simplidas vnd die andern trat- ten/ so viel sie
durfften/ zum Aneroest/ vnd kundten sich mit seiner Vmbfangung
vnd Gespräche nicht genugsamb sättigen. Sonderlich lobte seinen
eigenen Fleiß der jenige Soldat/ vnd war Frewden vnd Hoffnung der
Vergeltung auffgeblasen/ der den König zum ersten erkandt
hatte. Wie sich dermassen so viel vmb den Aneroest rissen/ kam er endlich kaum mit Mühe wider
zum Poliarchus. Sie namen Hyanisben beyde in die Mitten. Archombrotus gieng zu nechst für der Mutter her.
Wie sie also zugleich auß dem Tempel kamen/ kundten sie für Menge
der Soldaten vnd deß Volckes kaum durch- gehen. Ein jeder
wolte seine Frewde zeigen/ ein jeder wolte sehen vnd gesehen
werden; vnd alle Gassen waren den Leuten so auß der Statt vnd dem
Läger lieffen/ zu enge. Dann auch die jenigen/ welche weder
Aneroest noch die Gallier etwas angiengen/ liessen nicht nach jhre
vnmässige Frewde außzuschütten/ entweder damit sie jhren
frölichen Fürsten gefallen; oder jhrer eigenen Bewegung zu der Lust
genüge thun möchten.