Das XI. Capitel.
EBen dieselbigen Tage trug sich ein Vnglück zu/ daß eine
von deß Poliarchus grössesten vnd gefährlichsten Wunden/ auff
die man nicht Achtung gehabt/ sich dermassen entzündete/ daß jhn
der ohne das noch schwach war widerumb ein Fieber ankam.
Diese verhin- derung der Reise war dem Archombrotus nicht weniger beschwer- lich als jhm
selber. Dann es war in den Söhnungs Artickeln also ver- sehen/ daß
keiner ohne den andern in Sicilien abreisen solte. Der- halben/
weil sie beyde vngedultig/ vnd zum wenigsten begierig zu schreiben waren/ damit die Brieffe durch List nicht hinderhalten
[Druckausgabe S. 559]
würden/ nahmen sie jhnen für/ etliche von jhren
getrewesten Leuten abzufertigen. Vnd zwar Archombrotus schrieb Meleandern vnd der Argenis/ ohn einige böse
Erwehnung deß Poliarchus: sondern ent- schuldigte sich nur wegen
seiner langsamen Zurück-[941]
kunfft; beydes auß Befehl der Mutter/ vnd damit es nicht das Ansehen hette/
als ob er dessen Königs seines Widersachers Vnpaßligkeit zu seinem
Vortheil gebrauchen wolte. Einer/ deß Namens Bochus/ der dem Archombrotus seiner Trew wegen bekandt war/ wardt zu
absen- dung der Schreiben erlesen. Poliarchus stundt lang in Gedancken/ ob er
Meleandern auch solte schreiben. Er gehorchte aber deß
Arsi- das rahtschlage/ vnd schriebe fürnämlich darumb/ daß er nicht
dar- für angesehen wurde/ er verachtete der Argenis Vatter. Mehr
stundt man in Sorgen/ ob Arsidas mit solchen Schreiben sich wider in Sici-
lien machen solte. Er besorgte sich für deß Königs Argwohn/ vnd für blinder vnversehener Gefahr/ wegen der grossen Gunst in
wel- cher Archombrotus stunde. Im Fall er nun zurück käme/ so
köndte er die Besprechung mit dem Poliarchus der Vngestümmigkeit deß Meeres
zuschreiben: solte er aber sich länger bey jhm auffhalten/ so
möchte man hinder die heimliche Abfertigung kommen. Derhalben wardt man Sinnes/ daß er fort solte. Vnd jhm vertrawete auch
Timonides/ der in einem Verständnisse mit jhm vnd sein
bester Freundt war/ die Schreiben an den König vnd Cleobulus; vnd war deß gemeinen Wesens also
jngedenck/ daß er ingleichem seine An- gelegenheiten weißlich in
Acht nam.
Vnterdessen kam Zeitung auß Sardinien/ daß alles für einheimi- schem Krieg
brennete/ vnd Harsicoras vnd Cornio deß Radirobanes
Vettern das [942] Königreich welches ein
jeglicher haben wolte mit dem Schwert verderbeten. Archombrotus fassete jhm alsbaldt Hoff- nung/ wann
diese Nation/ so nun vnter einander zertrennet were/ vnd
sich noch für den Waffen Africa förchtete/ einen geschwinden Feindt hette/
so köndte sie leichtlich gezwungen werden. Damit also die Kräfften
welche er in Sicilien zusammen gelesen nicht zer- giengen/ vnd er
nicht weniger als Poliarchus sich bey seinen Vnder- thanen den Mohren
mit einem Triumph sehen liesse/ (weil er son- derlich Zeit
hette/ vnd wegen deß Poliarchus Kranckheit in Sicilien nicht reisen
dörffte) so führte er das Volck das er in Africa gebracht
+
[Druckausgabe S. 560]
hatte/ sampt einer Hülffe von Mohren/ in selbiges
Landt an. Sagte aber der Mutter wie auch dem Poliarchus zu/ er möchte siegen oder Vnglück haben/
so wolte er vber ein Monat von Africa nicht aussen seyn. Als er mit solcher
Bedingung fortgelassen ward/ erzeigten sich die Götter jhme
fast günstiger als er wündschen können. Dann er behielte so
leichtlich Oberhandt/ daß er/ ohne den Angrieff vnd ein einige
Schlacht/ seine Kräfften kaum versuchen dörffen. Nach dem er die
Hafen erstlich ledig gefunden/ hat er Besatzung darinnen ge-
lassen/ vnd das ander Volck außgeführt; baldt darauff einen Berg
eingenommen von dem er das vngesunde/ aber doch schönes
Ge- treydelandt Sardinien vbersehen können. Er spürete/ daß die alten
Vrsach gehabt es Sandaliotis oder Ichnusa zunennen/ weil es einer
Sohlen [943]
vnd Fußstapffen ähnlich ist.
Die Sardinier hatten ein- ander deß Königreichs halben allbereit
zwey Schlachten gelieffert; vnd waren in dem blutigen
Streitte die fürnembsten Obristen vnd Soldaten geblieben. Haben
also die elenden Leute jhr Vatterlandt er- schöpffet/ vnd dem
Archombrotus zum besten gekrieget; dessen Volck als
sie auff dem Berge sahen/ schickten sie etliche auß/ Kund- schafft
einzuziehen was für ein Feindt vnd wie starck er were. Dann das Läger der zweyen Vettern war nicht weit davon in ebenem Felde.
Als sie höreten daß es Mohren vnd Sicilier weren/ auch das Vfer mit einer stattlichen
Flotte besetzt hielten/ liessen sie den Einheimi- schen Zwiespalt
fahren/ welches dann das einige Mittel zu ihrer Erhaltung war/
damit sie zusammen stiessen/ vnd den Außländi- schen Feindt/
der noch deß Landes keine Kundschafft hette/ mit ver- einigten
Kräfften zurück schlügen. Der eine Harsicora/ der die letz- te Schlacht verlohren vnd
keine Hoffnung zu siegen hatte/ damit er nur seinen Widersacher deß
Königreichs beraubte/ ergab sich vnd die Seinigen dem Archombrotus. Also vergessen die Bürger- lichen Kriege jhres Vatterlands; das offtmals Leute es lieber in die
Asche legen lassen/ vnd sich vnter ein frembdes Joch begeben wöl-
len/ als einem Einheimischen etwas nachgeben. Gleichsamb ob es
eine grössere Schande were einem Bekandten zu gehorchen/ vnd
die Schmach vnter einem frembden Herren solte geringer seyn.
[944]
Cornio war von mehrer Tugent/ suchte
alle Kräfften
zusam-
+
+
[Druckausgabe S. 561]
men/
vnd machte sich an seinen Feind der zum Archombrotus ge- fallen war; brachte jhn auch zwar
vmb: lebte aber gleichfals selber nicht lange/ weil jhn die Mohren
vberfielen/ vnd beyder Vettern Blut mit trawrigem Außgange deß
Ehrgeitzes vermischten. Sonderlich wurden durch deß Archombrotus ritterliche Thaten in dieser Schlacht
die Sardinier erschrecket; welche als sie endlich erleget/ oder in
die Flucht geschlagen waren/ nam er das Glück in Acht/ vnd legte
sein Volck für die fürnemsten Festungen. Die vberwun- denen setzten
sich kaum mit etlichen Scharmützeln entgegen. Die grösseste
Mühe war für Calaris/ weil das Volck hauffenweise zum Kampffe
zulieff. Sie wurden aber in die Statt getrieben; vnd schick- ten
auff folgenden Tag in veränderter Meinung der Ergebung Ge- sandten
herauß. Virtiganes war glückselig gestorben/ damit er so
viel Vbel nicht schawen dörffte. Etliche/ so frembde Herren nicht
vertragen kundten/ haben sich seitenwerts in die kleinen
Inseln begeben in der engen See/ welche Sardinien vnd Corsica von einan- der trennet.
Hernach setzten sie in Corsica vber; vnd als jhnen auch daselbst
angesieget wardt/ machten sie sich auff das Gebirg gegen
Ligurien.
Im vbrigen gieng eine Red vnter den
Sardiniern/ diese Stürtzung der Fürsten vnd deß gantzen Lands
rührete vom Zorn der Götter her/ weil Ra-[945]dirobanes jhren heiligsten Tempel anderthalb Meile
von Calaris/ so dem Jupiter/ der Celestis/ oder der Himmlische heisset
zugeeignet war/ vervnehrt hatte. Es waren bey dem Altar viel
Geschencke von Gold vnd Silber gewesen; vnd vnter anderm auch ein
kleines Bildnüß deß Gottes selbst von gutem Golde/ welches die
alten Könige machen lassen. Dieses alles hatte Radirobanes/ als er sich in Africa begeben/ vnter dem Schein eines ableyhens zu
den Kriegs Vnkosten herauß genommen/ vnd die Priester selbst sehr
vbel gehalten: welches dann viel damals schon für ein
böses Zeichen außgelegt haben/ das kurtz hernach an allen
Sardiniern mit gros- sem Elendt ist erfüllet worden: Dann sie
hielten nichts Göttlicher zuseyn als denselbigen Tempel/ vnd die
weitberühmbten Priester waren fast als Götter bey dem Volck. Dieses
Geschrey von deß Radi- robanes Kirchenraube/ vnd Heiligkeit
deß Tempels/ wie es von vie- len herumbgetragen ward/ also kam es
auch für den Archombrotus; der entweder auß Andacht/ oder damit
er der Sardinier Gemüther/
+
[Druckausgabe S. 562]
welche jhre Götter hoch ehreten/ an sich ziehen
möchte/ den Tem- pel besuchte. Die Gelegenheit deß Orts vnd das
heilige Ansehen machten jhm eine angenehme Forchte. Vnten an dem
Hügel war ein rauher Fels/ durch den ein enger Steg hinauff gieng.
Hernach waren kurtze dicke Stauden/ einsam vnd bäwrischer
Einfalt. Ferr- ner [946]
kam man zu einem
grossen Spatzier Hoffe/ in welchen das Liecht oben so hinein fiel/
daß es doch noch etwas tunckel verbliebe. Als Archombrotus in denselbigen gieng/ traff er auff diese
Verse/ welche die Priester auff einer höltzernen Tafel denen so
hinein gien- gen also in die Augen gestellt hatten/ daß man
sie sehen mußte:
Hier ist kein güldnes Hauß/ hier sind nit solche
Speisen
Nach denen man erst muß in frembde Länder reisen/
Man treibt hie mit der Ruh deß Schlaffes keine
Pracht/
Hier ist kein Betthe nicht auß Helffenbein
gemacht/
Kein Fürhang von Scarlack: man sieht hier gar
nicht blincken
Der Diamanten Glantz/ noch auß Cristalle
trincken:
Man höret keine Laut’: hier ist kein Buhler
nicht/
So anzutragen weiß der falschen Liebe Pflicht;
Ja nichts was pflegt die Welt zu trösten vnd zu
schrecken.
Ein Waldt/ ein blosser Fels vmbringt mit
grünen Hecken/
Ein öder Pusch ist hier; hier ist geringe Kost/
Vnd wann die Stunde kömpt deß Schlaffes kurtze
Lust;
Die Tracht sehr schlecht vnd arm; die Arbeit wirdt
geliebet/
Durch einen langen Todt das Leben außgeübet
Doch siehet man auch nicht den Haß vnd Grimmen
Neydt;
Das Hertze wirdt hier nit gejagt durch Zorn vnd
Streitt.
Hier wohnt die stille Ruh/ die Einigkeit der
Sinnen/
So allzeit offen stehn/ vnd nicht betriegen
können.
Der Geist gedenckt an sich/ hat Gott jhm
außerkiest/
Vnd steigt den Himmel auff auß dem er kommen
ist.
Nachdem Archombrotus dieses gelesen/ gieng er in den Spatzier-
hoff/ an dessen Seiten zwey schlech-[947]te
Altar mit höltzernen Bildern stunden; eines der Prudentz oder
Fürsichtigkeit/ welche Schlangen hielte/ so den Schwantz im Maul
hatten/ damit sie nicht köndten verzaubert werden; das
andere der Stärcke/ die eine grosse Säule in den Armen trug. Es
waren zwen von den Heiligen Leuten/ als man jhnen deß Archombrotus Ankunfft gemeldet/ jhme entge- gen
kommen/ von welchen jhm/ nach befragung wegen dieser Al- tare/
gesagt wardt/ daß der Stärcke vnd Fürsichtigkeit Bildnisse dar- umb weren dahin gesetzt worden/ damit die jenigen so in
jhre
Gesell
[Druckausgabe S. 563]
schafftbegehrten/ verstehen solten/ daß vnbesonnene
Verfahrun- gen den Göttern nicht gefielen; sondern Gemüter die also
verständig weren/ daß sie nicht leichtlich sich etwas vnterfiengen/
noch das- selbige hernach vnhinauß geführet liessen. Die Bilder
aber weren auß Holtz/ auff daß die Nidrigkeit dieser Götter/
so von thewrem Wesen nicht weren/ die Armuth in welche sie
freywillig sich zu be- geben pflegten/ bezeugete. Archombrotus schawete sie an/ weil jhre schlechte
Tracht dieser grossen Philosophie nicht vbel zusagte/ vnd sahe daß
sie von Gesichte sehr häger waren; auch/ als ob sie nur zu
den Gedancken der Himmlischen Bewegungen gewehnet weren/ den Schein
der königlichen Pracht vbel vertragen kundten. Darumb ehrte er sie
mit grösserer Andacht; vnd als sie durch den Spatzier- gang kommen
waren/ fragte er/ welcher Gott oder Mensch jhnen dieses [948]
Leben fürgeschrieben hette? Darauff der eine lachende
zur Antwort gab: Die Begier der Glückseligkeit; die zwar
auch jhr andern Menschen/ aber durch einen gantz vngleichen Weg
suchet. Ihr prüfet mit zusammenbringung/ vnd wir mit fliehung der
Güter; welches das sicherste Reichthumb sey. Wir machen auch unsere
Leiber durch vielfältige Arbeit müde; Zwar jhr/ auff daß jhr zu den
höchsten Ehren gelangen möget: vnd wir/ damit wir nichts
der- gleichen begehren lernen. Also haben vns die Götter Demut/ vnd
euch Sorgen/ beyden Theilen aber Mühe vnd Arbeit gegeben.
Diese Freyheit deß guten Priesters gefiele dem Archombrotus der- massen/ daß er die Ordnung
selbigen Hauses eigentlicher zu be- sichtigen begehrete.
Indessen waren auch die andern Priester darzu kommen/ die jhn in
den Tempel führeten/ vnd zu vollbringung sei- ner Andacht nicht
weit von deß Himmlischen Jupiters Altar stelle- ten/ welches diese heilige
Leute allein mit Goldt vnd Seyden auß- zieren dörfften. Aber
Radirobanes hatte auch diesen Schmuck hin- weg genommen. Welches als Archombrotus von den Beystehenden verstanden: Ich
wil zuschawen/ sagte er/ daß der grosse Jupiter
vnd jhr eine Erstattung dessen Kirchenraubes empfangen möget. Ich
wil ein güldenes Bildnüß machen lassen/ welches das vorige vber-
wegen soll. [949] Das andere was dem Gott
zu Ehren gebühret/ wil ich mit ebenmässiger Freyheit
verordnen. Sie gaben zur Ant- wort/ die Götter selbst würden
hierumb danckbar seyn. Sie zwar frag- ten nach keinem Goldt noch
Reichthumb/ ohne daß der gemeine Pöfel durch das ansehen deß Altars
auffgehalten würde/ vnd jhm von den Göttern grosse Sachen
einbildete. Sonsten bestünde jhr
[Druckausgabe S. 564]
gantzes Begehren in Sicherheit einer leydlichen
Armuth. Es were jhnen bewußt/ daß die Reichthümber so auß Kirchen
köndten ge- raubt werden/ bösen Leuten offt zu Sünden Anlaß geben.
Wie dann Radirobanes dieses Laster nicht würde begangen haben/
wann nicht der Vorfahren vnfürsichtige Freygebigkeit gegen
den Göttern seinen Geitz gereitzet hette. Es were besser die Tempel
mit solchen Sa- chen außzuzieren/ die man entweder vbel wegtragen/
oder nach der Beraubung nicht gebrauchen köndte; als mit einer
solchen Last deß Metalls/ welches durch seinen Werth jhrer viel zum
Gewinn seiner kühnen Vbelthat anlocket. Hernach wardt er
gleichfals durch sie erstlich in den Gärten/ wie auch in den
Kellern vnd der schlech- ten Tafelstuben herumb geführet. Es war
ein geringer Vorraht/ vnd geringes Lager; doch alles so sauber/ daß
man hette erkennen kön- nen/ grosse Gemüther achteten zwar der
Vppigkeit wenig/ doch pflegten sie [950]
auch nicht mit fauler Nachlässigkeit ihre Sachen
liegen zulassen.
Zitierempfehlung:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL:
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Zitierempfehlung der Druckausgabe:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),