Poliarchus kriegt Schreiben von der Argenis. Er gehet auß der Höle/
vnd kompt in vnbekandter Gestalt die Argenis zu schawen.
Das XIX. Capitel.
LYcogenes war hefftig ergrimmet/ daß Dunalbius seine Hoffnung zunichte gemacht; damit aber die
andern Gäste dessen nicht jnnen
[155] würden/ so verkehrte er den Ernst dieser
wichtigen Sache in Schertzreden/ mit denen er trefflich wol vmbzugehen wußte;
darzu jhm dann Eurimedes halff/ welchem nit gefiel daß man in seiner
Behausung eine dermassen gefährliche Weltweißheit herfür brachte. Ihre
Rede war sonderlich vom Peranhyleus vnd Dereficus/ welcher verwegenheit gegen
dem Aquilius der Dunalbius kurtz zuvor ge- tadelt hatte. Vnd zwar solchen
Auffruhr entlegener Völcker hatten etliche Lust zuerzehlen/ oder zuhören.
Arsidas aber war in dessen/ als sich das Gastgebott zimlich
lang verzogen/ vnvermerckt zu der Argenis entwichen/ vnd hatt jhr kürtzlich
erzehlt/ wie sehr sich Ly- cogenes wider die Könige aufflehnete. Sie
aber beklagte mit wenig Worten die Vnglückseligkeit jhrer Zeit/ vnd
vberlieferte jhm ein Schreiben an den Poliarchus/ darinnen sie jhm anzeigte/ wessen er
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sich zu verhalten: vnd nachdem sie jm das Schiff/ den Weg/
das Ge- heimnüß/ vnd was zur sicherheit deß fliehenden von nöthen were/
fleissig anbefolen/ Mein Arsidas / sagt sie/ die Götter werden es euch belohnen/ der
jhr einen solchen Menschen von seinen Feinden er- rettet; hernach auch
ewer Gewissen selber/ das sich solcher Tu- gendt getrösten kan; Vnd Poliarchus/ dessen Glück dermal eins wider wirdt kommen. Ja
wann dieses alles nicht were/ so seyd ver- sichert/ daß jhr die Frucht ewerer
guten Zuneigung von mir haben sollet. Arsidas gieng vber den Worten der Argenis frölich von jhr/ redete mit dem [156]
Archombrotus was er vermeinete/ vnd kam ge- gen Abend auff der
Timocleen Gut/ bey welcher die Bawren/ nach- dem sie jhren Irrthumb erkandt/
sich wegen deß Aufflauffs den sie vorigen Tag erreget/ entschuldigten. Sie/
mehr erwegende bey sich selbst/ daß sie den Gesetzen zuwider gethan/ als daß
diesen Leuten das Glück jhn zu finden gemangelt/ erwiese jhnen alles
guts/ vnd brachte jhre Gemüter an sich/ im Fall sie jhrer ins künfftig be-
dürffen möchte. Arsidas redte sie auch sehr freundlich an/ vnd stiege zu
anfangs der Nacht/ nachdem sie hinweg kommen/ zu dem Poliarchus hinunter/ welcher vom Verzug vnd Kümmernuß vn- willig/ als er jhn kommen sahe anfieng: Was habt jhr für Lust mich lebendig
zu begraben? Erlöset mich auß diesem Finsternüß/ Arsi- das: solte ich gleich
meinen Feinden in die Hände fallen/ so kan ich mich gewiß allhie nicht länger
halten. Er aber/ als welcher wußte was für ein fröliches Schreiben er jhm
brächte/ antwortete jhm nichts auff sein klagen/ sondern zeigte jhm
nur der Argenis Brieff/ vnd hieß jhn das Siegel vnd die Hand ansehen. Stracks
war Poliar- chus voller Frewden; wie gehet es jhr/ sagt er/ Arsidas? wie ge- denckt sie meiner? den Namen satzte er aber
nicht darzu/ dann auch Timoclee bey jhrem Gespräch war; sondern rieß den
Faden weg/ vnd wandte sich etwas hinumb/ damit man seine bewegung
vnd veränderung deß Gesichts vber dem lesen nicht erkennen möch-
te.[157]
Nachdem er das Schreiben durchsehen/ zohe er
den Arsidas
auff die seiten/ vnd fragte jhn vmb rath/ ob er auch dem vnbekand- ten
Kleyd vnd Haaren gnugsam trawen/ vnd sich also für die Arge- nis
machen möchte? oder ob es besser sey den sichersten Weg ge- hen/ vnd zu dem
Schiff nach Messana zuverreisen. Arsidas hielte dafür/ er solte sich bald auff die See begeben;
aber Poliarchus wolte schwerlich einwilligen/ wegen grosser Begier
die Argenis zu sehen/ vnd redte mit Scham für seine Liebe. Welches als es
Arsidas
ge[Druckausgabe S. 103]
mercket/ verkehrt er
seine Meinung/ der Schamhafftigkeit deß Ver- liebten abzuhelffen/ vnd riethe
jhm gäntzlich/ er solte es wagen die Argenis zu sehen. Dann es sey nichts
leichter/ als folgenden Tag in den Tempel gehen/ der einem jeglichen offen
stünde. Argenis würde wie gebräuchlich für dem Altar stehen/ dahin auch
die Arm- seligsten knieten jhr Gebett zuverrichten. Als Poliarchus auff die- ser Meinung beruhete/ rufften sie
Timocleen/ vnd sagten jhr/ daß Poliarchus auff folgenden Morgen mit dem Tag zu Schiff nach
Italien zu gehen müßte: (dann sie meldeten nichts/ daß er nach Hoff wolte.) Poliarchus setzte vber diß hinzu: Er wolte solche grosse
erwiesene Trew nimmermehr in Vergessen stellen/ vnd je- derzeit erkennen/ daß
er jhr sein Leben/ vnd was wir Menschen dar- durch erlangen/ zu dancken habe.
Die Fraw weinete inmitten deß Gebets/ vnd Wundsches den sie für jhn thete/
vnd suchte [158]
herfür alle Wolmeinung vnd
Fürsorge die in jhren Kräfften war/ nicht mehr als gegen einem Gaste/ sondern
als gegen jhrem leib- lichen Sohne. Was jhre Liebe grösser machte war der
grosse Dienst welchen sie jhm erwiesen hatte: vnd sie gerieth in Sorgen/ daß
nicht etwan ein hefftiger Vnglück jhrem Poliarchus auffstiesse: gieng also wie er ruhen wolte/
mit weinen von jhm.
Als die Nacht zwischen Gebete vnd Furchte mit Kümmerniß hin-
weg gewichen war/ kam sie mit dem Arsidas wider in die Höle/ brachte ein Stücke Brodt in Wein
getaucht/ vnd zwang sie auff Griechische Art zu Früstücken/ wiewol sie so
zeitlich noch keine Lust darzu hatten. Nachmals ließ sie ein wenig für
der Morgenröte den Poliarchus mit dem Gelanor hinauß. Vnd Gelanor zwar ist mit deß Arsidas Schreiben an seine Fraw nach Messana gereiset. Dann Arsidas wohnete zu Messana/ weil Meleander jhm selbige Stadt zu verwalten gegeben. Der jnnhalt
dessen Schreibens war/ daß sein Weib ein zubereitetes Schiff im Hafen
halten solte/ darauff er ehi- sten Tages in Italien absegeln möchte. Er muste nottwendig nach Rhege;
diesem aber der den Brieff brächte wolte sie in dessen alles gutes thun. Er
vermeinete jnnerhalb vieren Tagen zu Messana zu- seyn. Als dieser hinweg kommen/ folgte der
Poliarchus alleine dem Arsidas nach/ welcher auff einem Pferdt langsam vorher ritte. Er
war zu [159] Fusse/ schlecht angethan/ vnd stewerte
sich an einen Stab/ dessen er doch nicht bedurffte. Auß Forchte auch/ daß jhn
die weissen Hände nicht verriethen/ hatte er sie mit Schwärtze gelbicht
gemacht.
[Druckausgabe S. 104]
Sie kamen in die Statt als der Pallas Tempel allbereit offen war; doch hatt die menge deß
Volcks die bequemesten Oerter zu sehen noch nicht eingenommen. Poliarchus satzte sich bey den Altar so nahe er
kundte.
[160: Kupfer Nr. 4]
Zitierempfehlung:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL:
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Zitierempfehlung der Druckausgabe:
Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),