Das XIII. Capitel.

Ein Gespräche geschickte Leute belangendt: wie selten sie zu finden: von jhrer Verachtung; vnd von Vnterscheide der guten Gemühter.

Das XIII. Capitel.

IN dessen spatzireten Archombrotus vnd Arsidas bey heimlicher Vesper in der Timocleen Garten auff vnd nider/ vnd gerhieten in mancherley Reden. Vnter andern liessen sie sich durch gegebenen Anlaß vom Poliarchus/ in ein Gespräche von denen eyn/ die mit +

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sonderlicher Natur vnd schönen Tugenden begabet sindt; wie diese Kleinoter so selten bey den Menschen zu finden/ vnd wie offte sie von denen/ so zur Dienstbarkeit geboren sind verachtet werden/ mehrentheils aber vber freye Gemühter herrschen. Vnter solchen Worten kam den Arsidas eine solche Liebe der Tugendt vnd Eckel deß gegenwärtigen Zustandes an/ daß er mit einer Bewegung er- wiese/ stattliche Leute könten ohne Sünden vnd Gefahr nicht ge- ringe gehalten werden: ja es were auch die schädlichste Art der Vn- freundlichkeit/ wann man jhnen nicht Ehr anthete/ [90] vnd sie für das gemeine Wesen zu arbeiten mit Belohnungen auffmuntere. Zu vnserer Zeit/ sagte er/ hat das Glück so eine verkehrte Gewohn- heit bey vielen Völckern auffgebracht/ daß es ein Zeichen eines fürtrefflichen Gemühtes ist/ wann einer an königlichen Höfen nicht lebet/ oder ja daran verachtet wird. So beliebet es den furchtsamen oder barbarischen Lastern glückhaffter Leute die Tugend gantz zu entblössen; gleichsam als dieselbe sie grösser werde machen/ wann sie die armseligen oder verachteten mit Füssen tretten. Archom- brotus/ entweder daß er deß Arsidas Weißheit besser herfür locken etwas mehres zu lernen/ oder daß er der Könige Sache vertretten wolte/ gab zur Antwort/ Seine Person betreffendt/ so trüge er/ wann er deß Poliarchus Falle nachdächte/ eine Abschew für der vn- mässigen Freyheit deß Glückes. Im vbrigen aber sey es kein Wun- der/ wann es sich zu weilen begebe/ daß Könige/ welche mit so vie- len Geschäfften vnd Vnkosten beladen weren/ Leuten die es doch verdieneten keine Gnade erzeygeten. Dann es würde auch nicht son- derlich ersprießlich seyn/ wann andere von fürnehmen Gemütern gedämpfft/ vnd die Gaben der Natur durch allgemeines Gelt nur müsten außgewogen vnd kundbar gemacht werden. Ja daß offter- mals solche schöne Sinnen/ vber denen wir vns dermassen verwun- dern/ Königen nicht sonderlich nutzeten/ vnd zu Geschäfften wenig zu gebrauchen weren; als wir auch an etlichen Früchten [91] zwar vnsere Lust sehen/ nachmals aber/ wann wir sie zu essen begeren/ vnseren Hunger mit einem vnangenehmen vnd schädlichen Saffte betriegen. Arsidas wolte nit bald darauff antworten/ vnd begnügte + + +
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sich mit Lächeln anzuzeygen/ daß er dieses für eine geringe Ent- schuldigung einer solchen vnglückseligen Versehung hielte: biß er auß deß Archombrotus Gesichte verstunde (dann er sahe jhn in- stendig an) daß er wolte widerleget seyn. Saget jhr mir/ sprach er/ von den Sorgen welche die Könige bey jhren Geschäfften haben? Gleichsam als die fürnembste vnter denselben nicht seyn solte/ wie sie Leute bey sich haben möchten/ welche in grosser Anzahl jetziger Zeit nicht zu finden sind; zu Widerlegung der Laterne dessen/ der vor Zeiten auff einem vollen Marckte nur einen sol gesucht haben. Aber/ spricht man/ die gemeine Kammer würde solche Vnkosten nicht ertragen. O der fürsichtigen Hertzen! Daß man also nicht solle mehr verschwenden mit Vogelbeitzen; mit einem Stall voll Pferden/ welche springen vnd tantzen wie im Heerzuge der Sybariter; vnd daß man ehe den Verlust der Zahl ersetzen solle/ wann ein wilder Eber einen Jagthund erhawen hat. Sie wollen man solle nichts er- sparen an denen Sachen die sie nicht so sehr dem Könige zum Nutzen oder Lust/ als zum Scheine der Hoheit zu dienen vermeynen. Sie halten es für rhatsam so viel Geldes durch zu jagen/ vnd so viel Müssiggänger mit allgemeinen [92] Außgaben zu erhalten. Es ist ferner auch schwer eine Wahl vnter grossen Gemütern anzustellen. Hier kömpt jhnen erst die Sparsamkeit eyn; hier mangelt es jhnen am Gelde; oder viel mehr an klugen Sinnen/ mein Archombrotus. Dann gesetzt/ daß dem Könige jhre Gemeinschafft nicht lieb ist: legen wir nichts in vnsern Schatz als was vns von angeborner Lust angenem ist/ vnd nicht auch die Sachen welche es von sich selber werth sind? So sindt die Könige mit jhrer Wohnung auch in keine solche Enge gespannet/ daß sie nicht dergleichen Leute/ wann sie von jhrem Gespräche einen Eckel oder Furchte empfinden/ also haben können gleichsam ob sie dieselben nicht hetten/ vnd als einen verborgenen Vorraht behalten. Ihr habt euch auch wegen der Menge nicht zu beklagen/ Archombrotus. Suchet nach wie fleissig jhr wol- let/ jhrer werden wenig zu finden seyn. Welche rechnet jhr dann wol vnter diese Zahl? gab er zur Antwort. Wann wir/ sagte Arsi- das/ die Sache etwas weitschweiffiger/ vnd ausser dem Fall deß Poliarchus betrachten/ so begere ich keine von den gemeinen Kün- sten vnd Geschickligkeiten. Wann einer ein guter Bereyter/ der an- + + +
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dere ein guter Fechter ist: Wann diese jnen durch jr Mahlen oder Singen einen Namen gemacht haben: jener wol weiß Haußbäwe an zugeben/ oder die Brunnen in künstliche Bilder zu leyten/ vnd was für andere Künste mehr jrem eygenen Werthe oder dem gemei- nen Wahn nach viel gelten: Diese mag man [93] meinenthalben kauffen/ vnd zwar wie thewer sie sich selber bieten/ wann man sie näher nicht bekommen kan. Eine so stattliche Belohnung wird bey- des dem Künstler/ vnd dem der jhn besoldet rühmlich seyn. Aber ich wil noch edelere Gemüter haben/ vnd derer man/ wie ich sagte/ wenig findet. Warumb fragen wir nicht wie thewer die Kunste deß Friedens vnd deß Krieges sind/ welche den andern an Hoheit für- gehen? Ich meine die Leute so jhrer Tapfferkeit mit der Faust oder Geschickligkeit halben/ welche man auß den Büchern schöpffet be- kandt sindt. Ich rede auch nicht von denen/ welche auß Verwegen- heit die Waffen ergreiffen/ oder nur vberhin gelehrt sind; weil sie solche Vergeltung nicht verdienen: sondern von solchen Hauptleu- ten/ derer kriegische Hitze mit Vernunfft oder glückhafftem Fort- gange begabet ist/ vnd die für anderen in gutem Beruffe sind/ wel- cher in Krieges Sachen durch einen Schein die Warheit vnfehlbar grösser machet. Von den gelehrten aber gehen die so es verdienen an Hoheit andern so weit für/ daß nur die jenigen welche gantz vn- erfahren sind nicht kennen diese seltzamen Liechter/ derer Anzahl in der gantzen Welt offtmals geringer ist/ als jhrer Musen. Etliche von jhnen sind gezieret mit bürgerlicher Weißheit; weil aber der gemeine Nutz sich dessen Geschenckes der Götter nicht zu gebrau- chen weiß/ veralten sie bey jhrer Hauß Angelegenheit/ vnd werden durch keine Nutzung noch Geschäffte außgepoliret. Die an-[94]de- ren belangend/ so bloß nur zu den Büchern geboren sind/ wann je- mand nicht wissen wil das Vermögen/ welches sie vber die so jetzt leben vnd noch leben sollen haben/ wann sie auß Zorn oder Gunst den Menschen das Gerüchte außtheilen/ vnd wann sie jhre Lieb- haber mit allerley Wahn vnd Secten eynnemen/ der ist werth daß er es mit seinem Schaden erfahre.

Wir sind solcher Natur Archombrotus/ daß ein jeglicher zu etwas geneygt ist. Wir verwundern vns aber vber dieselben welche in dem jenigen das wir hoch halten andere vbertreffen. Bildet euch nun eyn als die fürtrefflichsten in den Künsten/ in Wissenschafft vnd Waf- + +

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fen (dann dieses sind fast die Sachen welche der Menschen Gemü- ter lieben) in eines Fürsten Hoffe zusammen kommen weren/ gleich wie alle Sternen in einem Himmel. Was wird hernach durch die gantze Welt für eine Rede darvon seyn? Wer wird von jhm nicht wissen? oder wer ist der/ so jhn nicht mit einer Andacht als einen heyligen Ort ehren wird/ weil der Gott derselben Andacht welche jhm angenehm ist daran wohnet? den Fürsten selber belangendt/ wie reichlich wird jhm solche Gnade belohnet werden? wie wird er ausser dem gemeinen Zustande der Sterblichkeit schreyten? wie viel gewisser als durch liebliches Geräucher/ vnd dem Adler so auß dem Holtzstosse seines Leichbegängnüsses fliegen möchte/ wird er noch lebendig vnd gesund sich [95] vnter die Zahl der Götter rech- nen sehen? Er wird triumphiren mit frölichem Anschreyen aller Leute. Dieses werden die Siegeszeichen seyn vnd der reiche Raub der Völcker/ deren Blumen er sämptlich gleichsam als in einen Krantz zusammen wird gelesen haben.

Es were zu wünschen was jr saget/ gab Archombrotus zur Ant- wort/ wann die Menge der Geschäfften vnd vnterschiedene Ange- legenheiten derer die bey Königen in Freundschafft sind eine Hoffnung darzu machten. So stehen in gleichen diese fürnehme Leute/ von denen jhr saget/ nicht alle zu kauffe. Es sind auch allbe- reit jhrer viel bey Hoffe in Gnaden wie billich ist vnd jhr wünschet: so daß die andern/ welche sich solcher Wolfart nicht zu erfrewen haben/ mehr vber das Glück als vber die Könige schreyen mögen. Darauff fieng Arsidas an: Ich habe niemals geglaubet/ daß diese vnsere edele betrachtung könne mit vollkommener Glückseligkeit ins Werck gerichtet werden. Aber wie die Weißheit sonsten gleich- wol zu statten kömpt/ ob sie schon in Verrichtung der Sachen so genawe nit in acht genommen/ als im Gemüte außgesonnen wird: also wird es auch dißfals sehr ersprießlich seyn/ so viel die Gele- genheit vnd Geschäffte zulassen/ wann man diesen kürtzeren Weg der Nutzbarkeit gehen wird/ daß man durch Wolthaten wo nicht alle/ doch viel von diesen Leuten/ an den Hoff ziehe. Dann daß jhr eynwenden möchtet/ es man-[96]gele königlichen Höfen nicht an stattlichen Gemütern/ bin ich gäntzlich nicht darwider: aber ich bitte höret mich/ Archombrotus. Es ist ein mitteler Orden oder Art der Gemüter/ welche zwar verschlagen vnd zu weltlichen Geschäff- +

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ten tüchtig gnug sind/ die hohe Staffel aber von welcher wir reden nicht erreichen. Dieser Leute nun/ die Warheit zu sagen/ ist nicht so gar wenig: vnd ich wil nicht verneinen daß dieselben offtmals in Höfe kommen/ vnd wann sie befödert sind/ mit den angenom- menen Stralen jrer Würden dermassen gläntzen/ daß man sie die vollkommenesten Geschöpffe der Natur zu seyn vermeynet; wie ge- ringe Steine durch die Kunst vnd Versetzung in das Goldt einen solchen Glantz bekommen/ als ob sie von den besten weren. Fleissig seyn/ nicht vnbedachtsam reden/ der Arbeit gewohnen/ ein Bildnüß der Weißheit an sich nehmen/ willig seyn/ die Gebrechen vnd Män- gel seiner Natur verbergen/ diese Sachen erfordern keinen Menschen der in allem vollkommen ist/ vnd wegen derselben werden nichts desto weniger berhümte Hoffeleute offtmals einig vnd allein hoch gehalten. So daß es entweder für eine Tugendt gerechnet wird/ wann man der Laster frey ist/ oder daß nur eine kleine Bach der Tugendt sich in das Meer eines guten Lobes ergeusset: in dem die Vbung vnd Erfahrung/ welche diese Leute in weltlichen Geschäff- ten haben/ von vielen für eine so stattliche Natur vnd Eygenschafft deß Gemütes verkennet wird. Vnd [97] diese zwar wil ich jhres Ruh- mes nicht berauben. Es ist viel/ auch nur solcher Natur geboren seyn/ vnd dieselbe dermassen durch Vnterweisung haben stercken können. Aber sie sind die jenige noch nicht/ von denen wir reden.

Vber diese derwegen/ wie jhr sagetet/ weiß ich daß es Leute hat von der ersten vnd höchsten Güte deß Gemütes welche Fürstlichen Personen auffwarten/ vnd zu Geschäfften gebrauchet werden. Dann auch Poliarchus bey Hofe lebete; So zweifele ich in gleichen nicht/ euch/ einen so stattlichen jungen Menschen vnter diese Zierden der Natur zu zehlen. Bey Meleandern sind gleichsfalls Cleobulus vnd Eurimedes: denen an Fürtrefflichkeit nichts kan vorgezogen wer- den. Doch mag ich derentwegen königliche Höfe für gerecht vnd glückselig nicht rechnen/ wann sie von der geringen Anzahl auß- bündiger Leute so gar wenige zu sich erfordern. Man wird jhrer mehr finden die entweder verachtet/ oder was noch ärger ist/ be- leydiget werden: welches macht/ daß ich mich nicht vnbillich be- klage. Die Schuld aber ist zu weilen der Könige/ wann sie keine Wahrnung annehmen wollen/ vnd wann sie die Tugend fürchten: Zuweilen ist sie derer/ welche vmb die Könige leben; im Fall sie jhre Natur barbarisch/ oder die Glückseligkeit vnachtsam/ oder auch jhr Wolstandt hoffertig gemacht hatt: nebenst dem/ daß viel

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so sonsten hoch am Brete sind vermeynen/ es möchte jhnen etwas entgehen/ wann jemand aus-[98]ser jhnen vnd den jhrigen mit milter Begnadigung von Hofe käme. Also lassen sie die tugend- hafftigen hindan stehen/ vnd richten das Gemüte deß Fürsten der offtmals nicht weiß was er thut/ nach jhrem guttachten. Sie wür- den aber viel ein anders thun/ wann sie jhren Herren auffrichtig lie- beten/ oder vielmehr/ wann sie jhnen selber vernünfftig nicht vbel wolten. Dann was ist rühmlicher/ als jhm solche Leute so zur Zier der Zeit geboren sind mit allgemeinen Außgaben verpflichtet ma- chen: weil sie in Zweyfel stehen werden/ ob sie mehr dem Könige/ oder denen durch welcher Beföderung sie zu solcher Wolthat ge- langet sind/ zu dancken haben? Gewiß ich kan die Blindheit der jenigen vnaußgelachet nicht lassen/ die sich nicht befleissen durch Vermittelung der Wissenschafft dasselbige Lob zu erlangen/ welches länger wehret dann jhre Wollust vnd Reichthumb/ vnd nicht sol gege- ben werden als denen die es begierig suchen. Dann wie mir diese ge- lehrten nicht gefallen/ welche mit Gelde erkauffet werden/ die jenigen zu erheben so es nicht verdienen; Also halte ich diese für weise vnd billich/ die sich enteussern mit öffentlichem Ruhme zu ehren eine auffgeblasene hoffertige Tugendt/ vnd die nicht erkennen wil/ was jhr durch die Gunst der Wissenschafft für Gutthat erwiesen werde.

Wann aber solcher Bienen Honig jemanden ja nicht angenehm ist/ so sol man zum wenigsten jhre Stachel durch Vnrecht oder Ver- achtung nicht [99] reitzen. Dann wie offte hatt ein einiger in Waf- fen oder Wissenschafft erfahrener Mensch die jhm zu Hause ange- thane Gewalt offentlich gerochen? wie offte hat ein einiger gesie- get/ ein einiger zu Abfallung dieser vnd jener Part Vrsache gege- ben? Viel Völcker sindt solchen Hauptern gleichsam als Opffer ge- schlachtet worden. Wollen die Götter/ daß auch Sicilien nicht erfah- ren müsse wie Poliarchus zürne. Er wartete dem Könige gutwillig auff: so daß er darumb desto mehr beleydiget ist worden/ daß wir seine Tugendt nicht allein nicht suchen/ sondern auch nicht ertra- gen können. Ich weiß warlich nicht/ wie Meleander sich wird ent- schüldigen mögen gegen etlichen seiner fürnehmen verständigen Leuten/ sonderlich dem Ibburanes/ der wie die Rede gehet/ heute an- gelangen wird: Dann weil er ein frembder vnd in grossem Ansehen/ auch sonderlicher Verträwligkeit ist/ so wird er diesen Fall bey dem Könige desto freyer vnd vngeschewet tadeln vnd anklagen können. [100: Kupfer Nr. 3]

[Druckausgabe S. 70]



Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),