Das VI. Capitel.

Eine schöne Vnterredung deß Archombrotus vnd der Timocleen/ be- treffendt die so bey Hofe vnd Königen die grösseste Gunst vnd An- sehen hetten.

Das VI. Capitel.

IM Gehen berichtete Timoclee den Archombrotus auff seine Frage/ ob zwar Poliarchus ein frembder sey/ so were er dem Könige doch für allen in gantz Sicilien lieb gewesen; vnd hetten jhm gute Leute diß nicht mißgönnet. Aber ich weiß nicht/ sagte sie/ was für ein sonderliches Verhängnuß sich heutiges Tages denen die bey Köni- gen in Gnaden sind widersetzet. Es ist wahr/ antwortete Archombro- tus: hat dieses böse Gestirne nicht jnnerhalb kurtzer Zeit viel Höfe mit seiner schädlichen Wirckung angesteckt? Gleichwol/ sagte Ti- moclee/ die Vrsach daß andere gestürtzt sind worden/ ist entweder von jhnen kommen/ oder von jhren Herren. Aber was hat diesen/ der selber so tugendhafftig ist/ vnd bey einem so frommen vnd weisen Könige lebet/ für ein Fall gerühret? Wollet jhr zum Exem- pel anziehen die [40] zwey Eheleute auß Lydien/ welche nicht vn- längst in der frembde jhre gar zu vnmässige Glückseligkeit zur Straffe gebracht hat? in dem zwar er an der Schwelle deß königlichen Hauses in seinem Blute gelegen/ vnd sie auß dem Gefängnüssedar- +

[Druckausgabe S. 34]
umb geführet ward/ daß jhr von dem Hencker jhr Recht gethan würde? Dieses weiß ein jeder. Aber was kan man in selbiger Trage- dien mit dem Poliarchus vergleichen? Es mangelte jenen nichts zum Königreiche als der Nahme vnd die Krone; vnd war jhnen zu verschmählich/ daß sie den eyngebornen deß Landes solte gleiche gehen: Da doch nicht eine einige Tugend in jhnen gewesen/ warumb sie so hohe Eynbildung schöpffen mögen. Die blinden zwey Leute dorfften sich auch vnterstehen desselben blüende Jugend vnter die Füsse zu tretten/ der jhnen bey jhren Gütern hette Schutz halten können/ vnd sie hernachmals als er nur anfieng sich seiner Macht zu gebrauchen endlich außgerottet hat. Poliarchus aber hat den kö- niglichen Schatz nicht berühret; hat seine Kräfften weder mit Be- satzung noch Festungen gestärcket. Ja es schiene/ als solche seine Tugendt Sicilien nicht anders erleuchtete/ als die Sonne den Erd- boden. Diese meineydige Lydier hielten sich viel anders: wie auch sonst ein par Eheleute auß Phrygien/ mit denen das Glück eben ein solch Spiel anfieng. Das werden diese seyn/ hub Archombrotus darauff an/ die [41] newlich auß dem Königlichen Hofe/ an wel- chem sie alles zuthun vermochten/ in den Galgen kommen weren Zauberey wegen; wann nicht der König an seine alte Liebe gedacht/ vnd jhnen auß Gnaden das Gefängniß verehret hette. Es ist nicht anderst/ sagte Timoclee/ jhr wisset wie jhr Verbrechen auß der wei- se gewesen. Er zwar hat jhm seinen vorigen Zustandt auß der Acht gelassen/ vnd es jhm für spöttlich gehalten/ daß er von vielen ge- liebt würde; sie aber hat sich an die Verbitterung der Leute/ vmb daß sie der ersten Heyrath sich entbrochen hette/ nicht gekehret: also daß von beyden die grosse Juno ist erzörnet worden/ vnd sie nicht so nachdencklich gewesen sind/ daß die Göttinnen auch jhren Donner haben.

Fraw/ sagte Archombrotus/ man würde noch mehr bestürtzt wer- den/ wann nicht die Gewonheit dergleichen Spiel zusehen die Ver- wunderung gemindert hette. Schawet deß Aquilius/ schawet deß Hippophilus Hoff an. Was hat es die grössesten Haupter nach dem Lauffe jhrer vbermäßigen Gewalt geholffen/ daß sie auff die höch- sten Würden deß Geistlichen Standes als auff eine freye stätte sind zugeeylet? So viel/ daß jhre sterbende Hoheit desto scheinbarer be- graben würde. Aber das hiesse gleichwol die Fürsten aller Gewalt berauben/ wann sie nit Macht hetten jhre Freundschafft zuver- wechseln wie sie wolten. Meine Fraw/ verstatten wir doch dieses

[Druckausgabe S. 35]
Recht gemeinen Leuten. Ist es so beschaffen/ sagte Timoclee her- wider/ so werdet jhr in solcher Flucht [42] deß Glückes entweder die Fürsten/ oder jhre Freunde so in Vngnade kommen/ schwerlich entschuldigen. Dann solche Könige/ mag ich anders die Warheit reden/ bey welchen allzeit etliche gar zuviel vermögen/ fallen durch eine veränderliche Wollust zu lieben jetzt auff dieses/ jetzt auff jenes. Sie fangen jhre Gunst mit einem Zufall an/ vnd enden sie mit einem Eckel: sie erfrischen jhr Gemüthe durch newe Freund- schafft/ wann sie der alten Gewonheit satt haben. Es gehet mit etz- lichen auß jhnen zu wie mit gewissen Krancken/ daß sie von einer grossen Hitze in härtere Kälte fallen/ vnd jhre Liebe mit Feindschafft beschliessen. Sie sind jhrer Begierden Gefangene/ in dem sie zu vn- mässig begnadigen/ vnd zu grausam hassen. Etwas glimpfflicher sind diese/ welche an dem begnüget sind/ daß sie/ in dem sie newe Freunde annemmen/ die Alten zwar nicht achten/ aber doch auch nicht beleydigen: vnd dannoch erfüllen sie jhre Höffe mit Widerwil- len/ Ehrgeitze vnd Gezäncke. Endlich lieben zwar länger/ aber nicht sicherer vnd trewer die jenigen/ die an jhnen wol befinden/ daß sie wenig Erfahrung vnd Nachdenckens haben jhre Sachen fortzustel- len/ vnd demselbigen alles anvertrawen/ welchen sie für den ge- schicktesten halten/ auch jhm nicht weniger sich selbst als jhre ge- schäffte vntergeben: welches offtmals einen trawrigen Außschlag gewinnet. Dann Herren die sich selber nicht zuregieren wissen/ kön- nen schwerlich einen außlesen der sie regieren solle. Im vbrigen/ so lie-[43]ben sie diesen hernach nicht allein/ sondern schmiegen vnd biegen sich für jhm/ vnd erschrecken wann er jhnen einredet; so lange biß er auß Vergeßligkeit daß er nur ein geliehenes Regiment habe/ sich zu tyrannisiren vnterfänget; oder biß der/ von dem solch Ansehen herrühret/ auß schwachheit deß Verstandes der seine Freyheit nicht gebrauchen kan/ sich anfängt vber einem andern zuverwundern. Ich zweifele nicht/ Mein Herr/ jhr werdet meiner lachen/ daß ich als ein Weib solche Wort gegen euch außstosse: aber glaubt es/ daß hiesiger Lande stethes Vnglücke diesen Inhalt zureden/ so gemeine gemacht hat/ daß ein Frawenzimmer jetzundt gar weißlich darvon vrtheilen kan. Darauff sagte Archombrotus/ als der auff der Fürsten seiten war/ also: Ich gestehe es/ Könige fehlen offt im vnterdrucken der Freunde: aber wie vielmal geben die so in Gnaden sind dem Glück selber Vrsach von jhnen zufliehen; wel- ches sie nicht so bald verlassen würde/ wann sie bescheidener damit
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vmbgiengen? Etzliche auß jhnen/ die auff jhres Herren Natur nicht Achtung geben/ vnterlassen das jenige zuüben/ welches sie in Gnaden gebracht hat: oder vberfallen vnd dämpffen mit einer Vngestümmigkeit jhre newe Gunst/ die noch bey den Herren nicht eingewurtzelt ist; wie die menge der Speisen den Magen erstöcket/ der noch nicht zu kräfften ist kommen. Andere haben sich ge- stürtzt/ daß sie zu vnersättig gewesen sind/ ob sie gleich die Gunst deß Glückes gleichsamb vberschwemmet hat. Dann [44] wann sie jnnen werden/ daß jhr Herr zu Anreitzung einer newen Freund- schafft sich neiget/ ziehen sie jhn mit beyden Händen zurück/ vnd halten jhm ein die verheissung der beharrlichen Liebe gegen jhnen. Daß also die jenige/ welche sich solcher Gnaden entbrechen können/ vnd mit grossem Ansehen zu Ruhe begeben/ lieber wöllen fortge- stossen seyn/ als selber Vrlaub nemmen. Was sol ich von der Thor- heit sagen/ wann solche Glückseligkeit leichten Gemütern auff- stehet? Ihr wisset wie Phaeton sich deß Wagens/ vnd Icarus der Flügel gebrauchet haben: vnd dannoch schelten wir nicht auff Ju- pitern/ noch auff die Sonne/ von welchen sie seynd gestrafft wor- den. Aber/ wandte Timoclee ein/ es gerathe wie es wölle/ daß diese Personen entweder sich erhalten oder stürtzen/ vnd wider in den Zu- standt gerahten/ in dem sie vorhin gewesen sind; so sehet nur was den Königen/ derer Verderb oder Wolfahrt gemeiniglich einen jedern angeht/ auß solcher vbermasse der blinden Liebe entsprin- get. Von mir zusagen/ ich bin bey Hofe erzogen worden/ vnd hab von erfahrnen Leuten nichts öffterer gehöret/ als daß ein Fürst/ vnd der sein Land zu regieren nicht verdrossen ist/ keinem so weit ein- räumen sol/ daß er sich einem Theil anhängig mache/ vnd wider das andere einlasse. Dann wann die jenigen/ welche durch König- liche Gnade zum höchsten gestiegen sind/ wegen vbriger Macht ge- neydet/ vnd doch von jhrem Herrn also geschützet werden/ daß man jhnen ohne seine Beleydigung nicht scha-[45]den kan/ so er- heben sich allerley Spaltungen mit grösserer Freyheit; man tastet den König selber mit Worten an/ vnd er muß vnter dem Namen eines andern destoärger herhalten/ je mehr die/ welche sich diß zu- thun vnterstehen/ der Meinung seynd/ daß er wegen Schwachheit vbermässiger Liebe das vnrecht so jhme geschicht/ wenig fühle. Aber in betrachtung der Vnwissenheit der Menschen ist nichts mehr +
[Druckausgabe S. 37]
zubeklagen/ als daß Könige vermeinen/ sie werden jhrer grossen Be- schenckung halben trewlicher geliebet; da vielmehr/ wo zuvor in denen welche sie also erheben/ eine auffrichtige Freundschafft ge- wesen ist/ dieselbe durch vnbedachtsame Freygebigkeit wider wirdt außgeleschet. Dann solange solche der Könige Freunde ein behäg- liches aber doch mässiges Glück empfinden/ vnd gleichsam wie das schwache Epphew eines Bawmes bedörffen an dem sie auffsteigen; so lange sindt sie sorgfeltig jhren herren zuerhalten: entweder dar- umb weil sie von jhm hangen: oder zum wenigsten/ weil sie von seinem Vntergange keinen Nutzen zugewarten haben. Wann jhr Stamm aber schon so starck gewachsen ist/ daß sie durch eigene Grösse standhafftig können bleiben/ so entziehen sie jhre Aeste ge- mach vnd gemach von dem Baume an den sie sich gelehnet haben; damit wann er fiele/ es jhnen ohne schaden were. Sie trennen jhr Thun von deß Fürsten Wolfarth so baldt sie mögen: vnd die Freundt- schafft welche sie jhm schüldig sindt erweisen sie jhnen selber. Dann sie wissen gar [46] wol/ daß der Fürst/ wann er dermal eins von solchem vnbesonnenen begnadigen erlediget würde/ ein Ab- schew für dergleichen seinen Fehlern bekommen/ vnd der Gewalt welche er gemacht hette selber nicht trawen möchte. Sie bedencken auch/ es müsse gleichsam so seyn/ daß/ wann der König einen er- hebet/ der ander falle. Derentwegen fangen sie stracks an sich für jhm zuhüten/ vnd kommen der künfftigen Veränderung mit ge- genwärtiger List zuvor; wenden also die Sachen so sie in den Hän- den haben/ nicht dahin/ wo deß Königes Ansehen vnnd der gemeine Nutz gestärcket würde/ sondern auff die seitte wo sie jhr Glück ver- sichern/ vnd den König verrahten können. Poliarchus bezeuget gleichwol/ daß man zu weilen Tugendt antreffen möge/ welche durch solche Wolfahrt nicht verterbet wirdt: dann er hat seine Trew niemals vorendert/ vnd bey solchem Glück sich erhoben; so daß ich seiner jetzigen Gefahr keine andere Vrsache zumessen kan/ als daß jhm auß sonderlichem Verhängnüß dergleichen begegnet.

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[Druckausgabe S. 38]



Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),