Das XVI. Capitel.

Selenisse vnd Radirobanes befinden sich wider im Garten beysam- men: Daselbst erzehlet die Alte weiter von Theocrinen Kampff: Der Mörder Flucht: Deß Königs Erlösung.

Das XVI. Capitel.

Radirobanes hatte in dessen gar andere Anfechtungen/ als Selenis- se von der Theocrinen Gefahr redete. Dann als er die Alte nach jhrer Ankunfft in dem Garten vmbfangen hatte: Wol/ sagte er/ Mutter/ wie kämpffet Theocrine? wie sieget sie? ge-[531]wiß ich habe we- gen jhrer Einbildung eine vnruhige Nacht gehabt; weil wir sie ge- stern/ wo jhr euch erinnert/ in einer vngleichen Schlacht gelassen haben. Was mich aber am sorgfältigsten macht/ wie geht es der Ar- genis? vermeinet jhr/ daß sie werde mit jhr vmbgehen lassen? Sele- nisse sagte; die Götter haben euch erhöret/ Gnädigster König; ich kan euch 〈bei〉 meiner Beredtsamkeit vnd Kunst versichern/ daß Argenis anfängt zu erkennen/ sie gehe härter mit euch vmb als sie + + +

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wol solte. Dann was wöllet jhr weiter? Ich habe sie mit meinen Worten zur Berewung gebracht: sie hat verheissen/ mit ewerem besseren Vergnügen hieher zukommen. Aber indessen daß sie sich anleget/ so last mich hienauß führen was ich angefangen habe. Dann es ist euch daran gelegen/ daß jhr die Theocrine kennet. Sie stritte/ wie ich sagte/ vnd kriegte wegen deß Raubes der Feinde ein besser Hertze; gebrauchte sich also deß Schildes vnd Degens. Ihr hettet gesagt/ sie were im Kriege/ vnd die Mörder im Frawen Zim- mer erzogen worden. Zwene von jnen lagen schon darnider; vnd so viel waren jhrer auch noch vbrig. Sie hatten alle Wunden. Dann/ weil Theocrine nach dem einen schmeisset/ wardt sie von deß an- dern Degen ein wenig auff die Stirne berühret. Alsbald lieff das Blutt hernach/ vnd färbete jhr Schneeweisses Gesichte. Da ver- wandte sie die Augen/ vnd schrie sie mit erschütterung deß Haüptes vnd der Waffen dermassen an (ich fürchte mich noch/ Herr) daß es nicht schiene menschlich zuseyn. [532] Wir hatten kaum gesehen daß sie wundt were/ da lag die Hand welche sie verletzt hatte schon auff der Erden. Vnd alsbald/ wie die Mörder flohen/ weil sie wegen Beschädigung sich nicht wehren kundten/ vnd nur lauffen mußten/ sprang sie jhnen/ vngeachtet der Nacht vnd Verrätherey/ auff dem Fusse auß dem Zimmer hernach.

In dem sie aber wegen Finsterniß verborgen blieben/ vnd Theo- crine jhrer wegen grossen Zornes verfehlete/ kam jhr ein newes Ge- schrey zu Ohren. Dann das andere Theil der Räuber/ als sie Melean- ders Schlaffgemach eine lange Zeit gesucht hatten/ vnd endlich dem Liechte/ welches nicht weit von deß Königs Betthe zu seiner Bewachung stundt/ nachgefolget waren/ haben sie die Thür auffge- lauffen/ vnd den König/ den sie dem Lycogenes zu vberlieffern zu- gesagt/ mit Gewalt binden wöllen. Der König/ so von dem Getüm- mel erweckt worden/ als er die Männer (welche sich in selbigem Schlosse nicht durfften finden lassen) vnd zwar in Rüstung ersehen hat/ wiewol er vom Schlaffe vnd der vngewönlichen Geschichte verwirret gewesen ist/ jedoch hat er nach dem Schwert so beym Hauptküssen hieng/ gegriffen/ vnd sich zum Kampff fertig ge- macht. Ehe er aber vom Betthe auffkommen/ vnd gericht stehen + + +

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können/ auch für Zorn vnd Schrecken gezittert hat/ sind die Räu- ber vmb jhn her getretten. Ohnangesehen die geheiligten Glieder/ vnd die Würde welche den Göttern am nechsten kompt/ haben sie jhn ge-[533]fangen auffs Betthe gedruckt/ vnd der eine hat jhn/ als ob er es mit Willen nicht thete (ich glaube aber daß er ein Gefallen hierzu getragen/ vnd jhme durch diese ehrlose That einen Nahmen hierdurch habe machen wöllen) mit dem Knopffe deß auffgehabe- nen Degens in das Gesichte gestossen. Die Hände waren schon ge- bunden/ vnd führten jhn mit verdecktem Haupte als einen Vbel- thäter/ beklagten sich auch freventlich/ daß die jenigen/ welche die Argenis fangen solten/ mit jhrem Raub noch nicht vorhanden we- ren. Da kam Theocrine/ gantz frölich wegen deß Sieges/ vnd deß Kampffs vnd Wunden halben entzündet/ traff den König an/ vnd als sie sahe/ daß er gefangen war/ ruffte sie mit vnsinnigem Ge- schrey auff die Räuber: Ihr Verräther vnd Vattermörder/ sagte sie/ versucht diesen Degen auch/ der von ewrer Mitgehülffen Blut noch warm ist. Ihr seyd meiner Hand nicht werth; aber jhr sollet nicht alle so sterben: ich wil etliche zu einer schmählichern Straffe für- behalten. Die stärcke jhrer Streiche aber war nicht geringer als jhr dröwen. In demselben Tumult fiel das Kleydt herunter/ mit wel- chem die Räuber deß Meleanders Haupt verhüllet hatten. Also ward er seiner Hülff jnnen/ vnd sahe daß Theocrine so vielen Mördern gewachsen were/ weil sie allbereit durch deß einen Todt den andern gezeigt hatte/ daß jhre Vbelthat ohne Fortgang hinauß lieffe. Ihr hettet euch verwundert vber der Theocrine/ welche mitten vnter den Schwerdtern/ mitten vnter so [534] vielen tödlichen Stichen die sie mit dem Schilde aufffieng/ doch nicht sehen kundte/ daß der Kö- nig solte gefangen seyn. Geheiligter König/ sagte sie/ wie lang sol ich euch gebunden sehen? Mit diesen Worten lößte sie die Bänder auff/ welche nicht hart verknüpffet waren/ vnd schützete jhn/ weil er zur Wehr griffe/ mit fürwerffung jhres Leibs so lange/ biß er sei- nen Degen finden kundte.

Auff dieses vermochte Radirobanes sein Stillschweigen/ so jhn ohne diß schwer ankommen/ weiter nicht zuhalten: O/ fieng er an/ welch ein Wunderwerck/ allen Fabeln ähnlich! Haben die alten Zeiten dergleichen gesehen? Wannher hat eine Jungfraw solche Hertzhafftigkeit? Wie hat das Verhängniß den König so lieb/ wel- ches jhn in solche Gefahr gerahten lassen/ damit er destoheiliger/ + +

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vnd durch ein vnerhörtes Exempel der Glückseligkeit/ vnverletzt bliebe? O Selenisse! ists aber wahr was jhr saget? Ich bitte verzei- het mir/ weil ich vber solche Mirackel bestürtzt worden bin. Die Alte fuhr weiter fort: So wahr/ Herr/ sagt sie/ jhr mir/ vnd Arge- nis euch müsse günstig seyn/ so wahr ist diesem nicht anders/ als wahr ich weiß daß ich lebe/ daß ich mit euch rede/ vnd euch liebe. So erfüllet mich doch weiter/ sagt Radirobanes/ mit den Wunder- geschichten der denckwürdigen Nacht. Als Meleander loß kommen/ sagte sie/ that er das beste seiner Wolfahrt/ vnd der Theocrinen Gefahr halben. Kam es also mit jhrem streitbahren Kämpffen so weit/ daß einer [535] von den dreyen so noch vbrig waren/ fiel/ der ander flohe/ den letzten aber Theocrine vmbfassete/ jhme die Arme zusammen druckte/ vnd gebunden dem Meleander vberantwortete: Haltet diesen/ fieng sie an/ vnd wann euch ewere Wolfahrt lieb ist/ Herr/ so verbleibet allhie. Ich muß den der geflohen ist/ nicht ent- lauffen lassen: so wil ich auch sehen/ ob mehr Verrätherey dahin- den ist. Als sie mit diesen Worten herauß gegangen/ kam sie in der Argenis Schlaff Gemach/ in welchem wir Weibesvolck mit höch- sten Forchten beysammen waren.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),