Das XV. Capitel.

[520] Ersuchung deß Poliarchus vnd der Argenis. Ihre Beklagung gegen einander. Die Vngewißheit jhres Anschlages/ vnd letztlich jhre Entschliessung; nebenst deß Poliarchus Abschiede.

Das XV. Capitel.

SIe war kaum zur Schwelle hinauß/ als Argenis zum Arsidas schick- te/ vnd jhm entbieten ließ/ daß er vnverzüglich mit seinem Gaste kommen solte. Er war nicht saümig/ vnnd nam den Poliarchus/ der das frembde Haar fürgebunden hatte/ nebenst etlichen kleinen Ge- mählden/ in Gestalt eines Kauffmannes mit sich. Poliarchus zitterte/ vnd dieser ritterliche Heldenmuth/ welchen keine Gefahr noch Fein- de bewegen kundten/ fieng an 〈zu〉 sincken als er gedachte daß er zur Argenis gienge. Ingleichen hatte die Princessin vnter dem warten alles Blut vnd Röthe verlohren/ vnd war gewar worden wann sie re- dete/ daß jhr viel Worte behalten blieben. Es war eine heimliche Gallerie/ auff welche sie zu gehen pflag/ wenn sie alleine seyn/ vnd jhren Gedancken vnd Sorgen vnverhindert nachhengen wolte. Als Poliarchus mit dem Arsidas daselbst hienein kommen/ vnd die auß- gestreckte Handt auff den Mundt geleget hatte/ als ob er für etwas Göttliches seine Ehrerbietung thete/ fiengen [521] sie für seufftzen alle beyde an vnter dem Gesichte bluthroth zuwerden. Baldt darauff nam er die frembden Haare hinweg/ vnd ließ sich in seiner eigent- lichen Gestalt sehen/ grüsset also die Argenis neben dem Arsidas mit gewöhnlichen freundlichen Worten. Arsidas aber/ gleichsam als er auff was anders gedächte/ entwieche algemach gegen der Mawer/ daß sie destofreyer miteinander reden kundten. Alsdann worden jhre Reden durch die verwirreten Bewegungen wieder zurück ge- halten/ biß Argenis nach einhaltung der Threnen anfieng: Ist es war/ + +

[Druckausgabe S. 316]
mein Hertze/ daß ich euch sehe; oder bringet mir ein Traum ewer Gesichte für/ vnd betreuget ewere Argenis durch eine Vorbildung der Frewden? Ihr sehet/ Princessin/ sagte er/ wie ich alles vergan- gene Vnglück auff ein newes fühle/ vnd durch ewere Anschawung erinnert werde/ wie mit grossem Schmertzen ich so lange von euch gewesen bin. Wann es euch nicht beschwerlich ist daran zuge- dencken/ saget mir/ wie ist euch zu Muth gewesen/ was für Kräff- ten habt jhr gefühlet? wie offt habt jhr euch beklaget vber mein Abwesen? Ihr könnet/ gab sie zur Antwort/ auß ewren eigenen Schmertzen abnemmen/ wie schwer mich die Zeit bey ewrem Aussenbleiben müsse ankommen seyn: vnd ich bin auch darumb destoverlassener/ daß mir euch nachzufolgen nicht erlaubet ist; daß ich weiß in wie viel Gefahr jhr gerahtet; vnd daß andere jhnen Hoffnung dürffen machen als ob ich anderes Sinnes würde werden. Sagt mir doch [522] noch einmahl/ seyd jhr Poliarchus? seyd jhr wiederumb in Sicilien kommen? seydt jhr wol auff? seydt ihr der den ich sehe? Ach/ Poliarchus/ bin ich nicht Vrsache daß jhr so mager vom Gesichte seyt? müssen wir aber noch weiter klagen/ müsset jhr noch weiter herumb jrren/ soll vnsere Liebe dann allzeit in Furchten stehen? Poliarchus erzehlte kürtzlich was jhm auff- gestossen were: wie er Schiffbruch erlitten/ wie er die Seerauber vberwunden/ vnd sich am Numidischen königlichen Hofe kranck eingeleget hette. Argenis aber (welches das fürnemste war) ent- deckte jhm auch mit wenigen Worten deß Radirobanes Ansuchen/ vnd sie besorge sich sehr/ daß Meleander nicht jhn/ als der sich wol vmb jhn verdienet hette/ zu seinem Eidam möchte annehmen wöl- len. Aber/ sagte sie/ wo jhr diesem Vbel nicht abhelfft/ so wil ich jhm mit meinem Tode zuvor kommen. Was meinet jhr wol/ daß es für ein Betrübnüß sey/ daß ich alle Tage mich deß Tods versehen muß/ der nicht weiter von mir ist als dasselbbige Verbündniß/ auff wel- ches die Sardinier mit Gewalt gehen? Hierzu kömpt meine Einsam- keit: in dem mich kein Mensch tröstet/ dem ich mein Anliegen ver- trawen kan. Ich fürchte den Radirobanes in Waffen; ich schewe mich für meinem Vatter: Selenisse selbe (o der grossen Trewlosig- keit) ist zu den Feinden gefallen. Ich habe längst gesehen/ fieng Poliarchus an/ wo sie doch were. Dann heute rede ich das erstemal mit euch in [523] jhrem Abwesen. Sol ich leben/ sagte Argenis/ ich +
[Druckausgabe S. 317]
wil schon mit jhr zuverfahren wissen. Sie ist gantz auff deß Sardi- nischen Königes Seiten/ vnnd ich weiß nicht warumb/ oder wie sie sich geändert habe. Aber an jhrer Vntrew dörfft jhr nicht zweifeln/ sie hat den Radirobanes gelobet/ als wir allein gewesen. Es war auch an diesem nicht genug; sie vermahnete mich auch/ daß ich mich zum wenigsten stellen wolte/ als ob ich jhm günstig were; damit ich also durch wanckende Bewegung allgemach von euch lassen solte. Ich ha- be jhr auch gleich diese Stunde erlaubet zu jhm zu spatzieren/ daß sie nur von ewerer Anwesenheit nichts erführe. Sie handeln jetz alle beyde im Garten von meinem Leben. Aber sie soll mir solches nicht vmbsonst thun; werde ich jemals Glückselig/ so wil ich sie stürtzen. Poliarchus ward vber dem vnrechte der verrhäterey sehr vnwillig/ vnd erschrack auch wegen der Gefahr/ daß Radi- robanes bey der Argenis Leuten so mächtig were; sagte auch/ würde es schon Argenis nicht thun/ so wolte doch er es vngerochen nicht lassen.

Hernach als sie embsiglich nachgedachten/ was sie doch für einen Anschlag ergreiffen solten/ befunden sie wegen der Vngewißheit jhres Gemütes/ nichts für gut/ was jhnen auch einkam. Solte Poli- archus für den Meleandern gehen? solt er sagen daß er König we- re? solte er seine erwiesene Gutthaten [524] anziehen? vnd die Ar- genis begehren? Argenis auch selber bekennen (welchem dann nicht anders war) daß sie sich mit dem Poliarchus versprochen hette? Es were wol ein billiches vnd gutes Mittel solchem Vbel zu begegnen/ wann es seinen Fortgang erreichete. Aber Argenis be- sorgete sich/ Meleander were gegen dem Poliarchus zusehr verbit- tert; weil sie aber diß nicht bekennen wolte/ so hielte sie jhm nur ein/ daß Radirobanes im Harnisch were. Poliarchus sache/ wann er sich so plötzlich einen König nennete/ würde nur deß andern seiner nicht gleiche seyn/ dessen königliche Güter schon bekand waren/ vnd der auch damals Sicilien mit Heereskrafft erfüllete. Sie förchtete sich für allerley List vnd Verrätherey/ welche die Liebe/ vnd Begier zu regieren mit Grausamkeit zu erfinden wissen. Poliar- chus erkandte alles war zu seyn; vnd satzte auch dieses hinzu/ man hette sich auch für deß Archombrotus Gnade beym Könige zube- förchten; von welchem ich/ sagte er/ Gedancken habe/ daß er jhm ewerer Heyrath halben gleichsfals Hoffnung mache. Argenis er- +

[Druckausgabe S. 318]
schrack vber diesem Wort/ vnd ließ sich in diesen Argwohn leicht- lich bereden/ in dem sie allem deß Archombrotus Fürhaben vnd Reden nachgedachte. Derhalben liessen sie den Rhat/ die Sache dem Könige offentlich fürzutragen/ als der zu geschwinde vnd ge- fährlich were/ zu diesem mal fahren.

Vber dem andern sunnen sie sehr lange; Daß sie/ weil das Glück jhnen Sicilien versagte/ sich in deß [525] Poliarchus Land machen wolten. Meleander würde alsdann von sich selber widerumb Freundschafft suchen: vnd wann Radirobanes nach solcher Be- rückung etwas anfangen wolte/ so köndte man jhm mit Waffen begegnen. Selenisse vnd Archombrotus würden jhnen nichts scha- den. Was hette es Wunder/ wann eine Jungfraw mit jhrem Bräuti- gam anheimb reisete? das Segel deß Schiffes würde jhr an statt deß Brautschleyers seyn/ welches sie bey jhrem Abreisen bedeckte. Die Sternen aber würden jhnen/ wann sie bey Nacht vom Vfer ab- stiessen heller leuchten als fünff Hochzeit Fackeln. Ob nun wol Ar- genis in die Flucht willigte/ kundte sie doch jhr Gemüte/ welches bey jhr widerstritte/ vnd solche Gewalt verdammete/ nicht wol zähmen/ vnd wardt jhr Fürsatz zwischen dem wegreisen vnd blei- ben bald auff diese bald auff jene seitte gezogen. Eins theils sahe sie die Sache an/ welche zwar an jhr selber rechtmässig vnd gut war; anders Theils aber den guten Namen/ welchen man nicht allein mit vnverletzter/ sondern auch mit fürsichtiger Scham vnd Ehre erhal- ten muß. In solchem Auffruhr deß Hertzens folgete sie dennoch dem Poliarchus; nicht so sehr weil sie solches für das beste hielte/ sondern nur daß nichts were welches sie jhm zu versagen schiene. Er war aber auch selber vber solcher Entweichung nicht frölich; dann er wußte daß dieses ein gemeines Mittel/ vnd fast keine Fabel von Liebhabenden zu finden were/ darinnen sich die Geliebte mit jrem Liebsten nicht [526] darvon machte. Als er spürete/ wie Arge- nis in Gutheissung der Flucht sich zwingen muste: Wir sindt was bessers werth/ Princessin/ sagte er/ als daß wir im finstern vnd stillschweigendt fort sollen/ wie Rauber zuthun pflegen. Wie wann wir ergriffen würden/ vnd vns gegen dem Zorne ewres Vatters deß Königes nicht schützen köndten? Wir verlassen vns vergeblich auff die Billigkeit/ wann wir der Billigkeit selber nicht zuvor einen Schutz verschaffen. Wann es euch geliebet/ vnnd gedencket ewer Vbel/ dessen jhr nunmehr gewohnet seydt/ noch drey Monat zuer- tragen/ so wil ich von Hause mit einem Heer allhier ankommen/

[Druckausgabe S. 319]
daß ich euch/ als eine Hoffnung vnd Stamm künfftiger Könige vnd Fürsten/ mit gebürlicher Hoheit/ vnd die meinem Stand gemäse ist/ annemmen. Werden dann auch damals vnsere Feinde darwider seyn/ so wil ich mit genugsamen Kräfften meine vnnd ewre Glück- seligkeit von Sicilien erzwingen. Saget nur zu/ daß jhr noch so lange das Leben fristen wöllet. Ich will vnverzüglich hier seyn/ wann ich vnterdessen nicht sterbe; im Fall mich aber der Todt so plötzlich vberfallen möchte/ so wirdt doch dieses genug seyn/ daß jhr mein Leichbegengniß nicht werdet sehen dürffen. Als er diese Worte mit einem Seufftzer endete/ fieng Argenis bitterlich an zu weinen/ vnd weil sie bedachte/ wie weit vnnd geschwinde er von jhr wieche/ hatte sie nicht weniger Anfechtung von der Liebe/ als zuvor von der Schamhafftigkeit. Sie war aber [527] des Elendes so sehr ge- wohnet/ daß sie leichtlich drey Monden zu jhrem Kümmerniß noch bestimmen ließ; nur daß sich Poliarchus innerhalb dieser Zeit ein- stellete/ solte er gleich ohne Waffen kommen; als dann wolte sie jhm ohn alle fernere Hoffnung folgen.

Nachdem sie dessen sich entschlossen hatten/ fiengen sie beyde an/ einander viel zuerzehlen/ vnd zuwarnen/ Poliarchus fragte auch/ was sie in dessen beym Radirobanes vnd jhrem Vatter für- bringen wolte. Sie aber/ damit er gesetzte Zeit nicht fahren liesse/ versicherte jhn jhrenthalben mit Threnen vnnd Worten/ vnnd was mehr ist/ mit dem Fürhaben sich zu tödten/ im Fall er aussenbliebe. Poliarchus/ sagte sie/ ich habe viel Sachen an euch geliebet/ aber vber alles ewere Trew/ vnnd solche Sittsamkeit die bey den wenig- sten Männern zufinden ist. Ihr wisset/ daß es nun lange Zeit sey/ seit ich hindangesetzt (aber nicht verachtet) den Willen meines Vatters/ euch mich gantz versprochen habe. Ich vbergebe euch nachmals/ so viel bey mir stehet/ meine Güter/ mein Glück vnd Freundschafft; vnd bezeuge bey vnserer beyden vnvmbgenglichen Verhängnisse/ daß mich keine Gewaldt diesen meinen Eydtschwur zu brechen/ vberwältigen soll. Nimmer mehr/ sage ich/ soll Argenis eines andern seyn als deß Poliarchus. Werden die Götter verleihen/ daß wir durch Glückliches Beylager zusammen [528] kommen/ so wöllen wir der vnvermeydenlichen Versehung alle Wolthat zu- schreiben: wirdt aber ein böses Glück vnsern Fürsatz vmbstossen/ so wil ich doch vnverändert in das Grab kommen/ vnd es wird zum +

[Druckausgabe S. 320]
wenigsten die Vermählung vnserer Gemüter bleiben. Auff diese Wort tratt jhr die Röthe vnter die Augen; Poliarchus aber bedanck- te sich/ vnd bekräftigte hoch/ daß Argenis nicht geringere Gewalt vber jhn hette.

Sie stunden beyde in Sorgen/ Selenisse möchte vom Radirobanes zurück kommen: als sie nun beyde auff sie geflucht hatten/ riethe doch Poliarchus/ weil sie vmb so viel Geheimnüsse wüßte/ als solte sie dieselbe leichtlich nicht verstossen. Wann aber die Alte zu jhrer Trennung zugrosse Vrsache geben möchte/ so solte jhr die Princessin ja die Timocleen lassen anbefohlen seyn/ die ein verstän- dige Fraw/ vnd dessen Orts würdig were/ von dem jene fallen würde. Timoclee/ welche den Poliarchus erhalten hatte/ war bey der Arge- nis ohne das in grossen Gnaden/ noch förchtete sich die Princessin/ sie würden gefehlet haben/ daß sie sich nicht bißher/ außgenommen etliche schlechte Verehrungen/ freygebiger gegen jhr erzeiget hette. Dann Selenisse war im Weg gestanden/ daß sie nicht war in das Frawenzimmer genommen worden/ vnd hatte jhr durch stethes abmahnen nicht allein von der Gnade/ sondern auch von den be- stimmeten Geschencken viel entzogen. Wie hernach Poliarchus er- zehlete/ wie jhm nicht allein Du-[529]nalbius/ sondern auch Ante- nor vnd Hieroleander liebeten/ frewete sie sich hierüber/ vnd/ ange- sehen daß sie vorneme Leute waren/ stundt sie in Hoffnung/ daß sie derselben Hülffe in heimlichen Geschäfften sich gebrauchen könd- ten. Derhalben worden sie Rhates/ jhnen alle Wolthat zuerzeigen. Ob auch zwar Dunalbius im Priesterstande so weit kommen war/ daß man jhn kaum höher erheben kundte; jedoch sagten sie/ Kö- nige hetten allzeit Mittel sich danckbar zu erweisen. Hieroleander aber (sagt Argenis) wirdt hierdurch einen Zugang zu grossen Eh- ren bekommen/ wann ich jhn zu meines Vattern Secretari mache. Aber wie belohnen wir den Antenor? Ich wil dem Apollo vnd sei- nem Priester zum offtern Geschencke senden. Was bedünckt euch aber/ Poliarchus? Wann vnsere Sachen einen guten Außschlag ge- winnen/ so wöllen wir jhm vnsere Freundin Timocleen mit einer stattlichen Morgengabe zur Gemahlin geben.

Die Zeit zwang sie/ vnd hette ein jegliches gern Abschiedt genommen; aber es wolte keines eine so bittere Rede anfangen. Darumb schwiegen sie mit trawrigem anschawen; biß Poliarchus anhub jhr alles guts zu wündschen/ vnd zu scheiden; aber das erste Wort verstarrete jhm im Mundt. Damit er aber mit notwen

[Druckausgabe S. 321]
diger Hertzhafftigkeit die Schmertzen/ welche bey solcher Verlas- sung wuchsen/ vollenden möchte/ neigte er das Haupt gegen der Argenis/ vnd gieng stillschweigend hinweg. Die Princessin aber/ [530] nachdem sie die Zehern offtmals zurück getrieben/ ward doch endlich vberwunden/ vnd gieng im Grimm auch fort. Sie schlug sich als vnsinnig auff das Hertz/ vnd fühlete/ oder vermeine- te deß Poliarchus Schmertzen mehr zu fühlen/ als jhre eigene. In solcher Verwirrung machte sie sich in jhr Zimmer. Poliarchus aber gieng strauchelnd/ vnd war als verblendet/ daß er auch kaum den Außgang zur Gallerie treffen kundte. Arsidas/ der solche Be- stürtzung sahe/ wardt gantz kalt/ durffte auch wider jhn/ der gleich- sam Stumm war/ vnd von sich selber nicht wußte/ kein Wort sagen; kam also mit jhm zum Nicopompus/ vnd begleitete jhn bey Abendt seinem Begehren nach wider zur See.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),