Das VIII. Capitel.

Eine junge Außländerin/ deß Namens Theocrine/ kompt für Selenis- sen/ erzehlet derselben jhr Vnglück/ vnd bittet solches heimlich zu halten/ damit sie dem Icciobates/ der jhr nachstellete/ entrinnen möchte.

Das VIII. Capitel.

ALso sehet jhr/ Herr/ sagte Selenisse weiter/ zu was ewere Argenis geneiget sey. Mit solchen Sachen verbracht sie jhre erste Jugendt/ ehe die Ruhe jhres Gemüts von einigen Sorgen berüret ward. Ferrner als ich eines Tags auß dem Castell verreiset/ vnd zu Syracuse in der Juno Tempel war/ (ich erinnere mich noch der Zeit/ vnd es kompt mir für/ als ob ich noch jetzt bey dem Altar stünde/ vnd noch jetzt das Rauchwerck opffere/ also vernewert mir dieser Zufall das Ge- dächtnüß:) Ich war/ sage ich/ in meiner Andacht/ vnd bath die Götter auß Mitleiden für die Argenis/ als ein sehr schöne Jungfraw in den Tempel tratt/ hoch von Person [470] vnd adelich im Gange; allein daß jhr niedergeschlagenes Antlitz auff etwas trawriges zeigete. Ich wunderte mich fürnemlich darüber/ daß nicht mehr als ein einiger Mann sie begleitete/ welcher mit verhülletem Haupte nachfolgete/ daß man jhn kaum erkennen kundte. Es erhub sich baldt ein Gemürmel wer sie seyn müßte/ oder von wannen sie käm; dann das Gesichte war vnbekandt/ vnd die Kleidung in Sicilien nicht gebräuchlich. Sie gieng etwas geschwinde/ aber/ Herr/ mit solcher Majestet vnd Anmütigkeit/ nebenst solcher Anzeigung eines Kum- mers/ daß ich vber jhrer Beschawung alle meine Andacht fahren ließ. Sie hielte sich für der Göttin niche lange auff/ mochte auch den heiligen Spiegel jhr nit fürhalten/ vnd den Altar mit einer Verehrung zieren; sondern tratt nur an die Seiten/ vnd fiel wieder meinen Wil- len für mir nieder. Fraw/ sagte sie/ diesen Tag habet jhr Gelegen- heit ewere Gütigkeit mehr zu erweisen als jhr vermeinet. Wann euch geliebet ein Mitleiden zuhaben/ vnd den Göttern welche jhr so +

[Druckausgabe S. 286]
embsig bittet mit Exempel fürgehen wöllet/ so zeiget mir Gelegenheit an euch/ das jenige was ich im Hertzen habe/ vertrewlich zuoffen- baren. Ich hub sie vber jhrem Seufftzen auff/ vnd/ weil ich sahe/ daß jhr die vmbstehenden zu wieder waren/ gieng ich desto eher auß dem Tempel/ vnd führte sie auff meinem Wagen zu meiner Schwe- ster/ da ich eingekehret war/ nach Hause. Als wir allein waren/ fragte ich erstlich/ von wannen sie in Sicilien käme; dann [471] sie redete Griechisch/ doch also/ daß man verstehen kundte/ daß sie muste eine Außländerin seyn. Ich hette sie für eine Campanierin angesehen/ welche wegen der Nachbarschafft vnsere Sprache er- lernet hette; aber sie war für diese Nation zu schöne. Sie aber/ da- mit jhr erfahret/ sagte sie/ daß ich von meinem Geschlechte nicht liege/ vnd daß die Hülffe/ welche ich begehre/ dem welcher sie mir erzeiget/ nicht verdrüßlich sey/ so sehet/ geehrte Fraw/ sehet hie was mir von dem Reichthumb meines Vatterlandes noch vbrig ist/ damit ich mich allenthalben vergnügen kan/ wann ja das Verheng- niß/ vnser Land zu verfolgen nit nachlassen wil. Nach solchen Wor- ten zohe sie eine grosse Menge köstlicher Steine auß einer Schach- tel/ hub zugleich jhren Rock auff/ vnd zeigete daß derselbe jnwen- dig mit eben solchem Reichthumb erfüllet were. Solche Schätze kundten einer Privatperson nicht beygemessen werden. Derhalben als ich jhre Stirne/ Augen vnd andere Zeichen einer hohen An- kunfft noch einmal mit geschwindem anblicke vbersahe/ entsatzte ich mich noch mehr/ vnd bate zusagen/ wer sie were. Ich bin/ sagte sie/ ein verlassenes Mensch/ welcher nit besser zuhelffen ist/ als daß ich von vielen Personen vnerkant bleibe/ damit jr mich auch für keine Vmbläufferin haltet/ oder vermeinet daß ich ohngefehr hieher kommen sey/ so empfanget hier das Schreiben einer euch zwar vnbekanten/ aber sehr fürnemen Frawen/ vnd welche wegen der Zuvertrawung die sie zu ewerer Tugendt träget/ ewerer Hülffe gar wohl werth ist. [472] Diese ist meine Mutter. Also gab sie mir den Brieff/ welchen jhr hier sehet/ Herr/ vnd ich gestern auß einer ver- borgenen Truhen herfür gesuchet habe/ damit ich jhn euch köndte fürzeigen. Höret nun was der Inhalt sey. Alcea wündtschet Selenis- sen alles gutes. Wann jhr fraget wie ich euch kenne/ welche jhr nicht kennet/ so wisset daß dieses der Tugendt grösseste Beloh- + +
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nung sey/ daß sie die jhrigen nicht lesset verborgen bleiben. Der Kö- nig in Sicilien würde euch zu Aufferziehung seiner Tochter nicht erlesen haben/ wann er eine von fürtrefflichern Gaben hette finden können. Ewer löbliches Gerüchte ist mitten durch die vnbekandten Völcker (dann jhr nennet vns auch Barbarische) biß zu mir ge- drungen; mein vnd meines Vatterlandes Schuldt aber ist es/ daß ich von euch erkandt zuwerden nicht verdienet habe. Jedoch vnter- lasset gleichwol nicht ein Mitleiden mit mir zutragen. Ob ich schon eine Außländerin bin/ jedoch bin ich vnglückselig/ bin ein Weib/ vnd/ wann dieses gleichsfals ersprößlich seyn mag/ von Vrsprunge eine Griechin. Nehmet mein liebstes Pfand/ meine einige Tochter auff/ die gewiß/ wann jhr mir gleubet/ auß hohem Geblüte geboh- ren ist. Sie wird euch besser berichten/ als was für Vnglück vns be- trifft/ vnd was mich zu solchem Anschlag gezwungen hat. Doch wil ich diß Elend für ein Glück halten/ wann jhr vns nicht allein die Ehr erzeigen werdet sie bey euch zu haben/ sondern auch vielmehr/ wann jhr sie in ewern Sitten werdet vnterrichten. Seydt den Göttern befohlen.

[473] Nach Vberlesung deß Schreibens/ fragte ich/ was sie mir von wegen jhrer Mutter anzumelden hette. Ich bin/ sagte sie/ der Geburt nach auß Gallia/ wo der Fluß Rhodan auß einem grossen See herfür kömpt. Mein Nahmen ist Theocrine. Mein Vatter ist nicht allein der Fürnemeste vnter den Seinigen gewesen/ sondern auch/ wie es kleine Königreiche hat/ ein Fürst seines Landes. Er hiesse Treuta- commilcondorus. Als er starb verließ er mich/ zwar schon erwach- sen/ neben einem Bruder so kaum auß der Wiegen kommen. Wie er sahe sein Ende herbey kommen/ bate er seinen Bruder/ Icciobates geheissen/ bey den Göttern der Welt die er verliesse/ vnd bey denen vnter der Welt zu denen er gienge/ bey der Pflicht der Natur/ vnd bey dem Gedechtnüs jhres einigen Vatters/ daß er vnserer pflegen/ vnd weder meines Brudern Kindtheit/ noch meine Schwachheit/ noch sonderlich den Witwenstandt meiner Mutter verlassen wolte. In dem der andere mit erdichteten Threnen den Schwur bestetigte/ gab mein Vatter seinen Geist auff. Es hatte das Ansehen/ als ob wir vnter der Pflegung deß Vettern glückselig weren/ so angelegen ließ er jhm vnser Gut sein/ so sehr wuste er vns vnd vnsere Mutter zutrösten. Aber die Vrsache seines verfluchten Fleisses war/ daß jhm nichts + +

[Druckausgabe S. 288]
von der Erbschafft entgienge/ welche jhm nach meines Brudern vnd meinem Tode ohn allen Zweiffel heimgefallen were. Er versuchte vns derentwegen mit [474] Giffte hinzurichten (von welcher Vbel- that man in Gallia sonst nicht weiß) aber der Außgang war weder billich noch gleiche. Ich hette vielmehr sterben/ vielmehr durch das Gifft vmbkommen sollen/ als jhr/ mein allerliebster Bruder. Ach? daß euch die Götter nicht erhalten haben/ damit jhr solchen Mein- eidt rechen/ vnd den Namen vnseres Vatters durch glückliche Nach- kommenen hettet wiederumb lebendig machen mögen. Der An- schlag solcher That ist zu endung eines Bancketes volführet wor- den; man hat die Sachen auff den Schalen vergifftet/ von denen mein Bruder auff Vermahnung vnd Zwang deß Vettern zuviel gessen hat. Ich für meine Person bin plötzlich erschrocken; es mag nun seyn daß mir es mein Geist hat eingegeben/ oder daß es mir verdächtig für ist kommen/ daß der Vetter meinen Bruder zu solchen Speisen so sehr reitzete/ da man doch Kinder/ so ohne diß hierzu begierig sindt/ darvon pfleget abzuhalten. Ich gieng hernach zu der Mutter/ vnd als der Bruder auff die Nacht kranck wardt/ erzehlete ich ihr furchtsam wessen ich mich besorgete. Sie/ welche ohne diß Argwon hatte/ den jhr die böse That an die Handt gab/ vergoß heisse Thre- nen auff jhren Sohn/ der fast schon todt war wegen plötzlicher Gewaldt der Kranckheit/ die ein Theil deß Leibes nach dem andern einnam; biß der Vnglückselige Knabe den Aertzten vnter den Hän- den verschied. Ist es nicht jämmerlich zuhören? der Vergiffter hatte noch das Hertze bey deß sterbenden Ende zu seyn/ [475] vnd jhn mit ertichteter Beklagung zu betrawren. Damit auch das Gifft an dem Cörper nicht außschlagen möchte/ gab er für/ man hette mit dem Leichbegängnisse zueilen/ auß Vrsachen/ damit die Mutter nicht vber beschawung deß verstorbenen Knabens sich auch zu tode kränckete. Sie war auch selber nicht darwieder/ nicht zwar daß sie von der Vbelthat nicht gewust hette/ sondern daß sie solche Wissen- schafft mit Fleisse bergen wolte/ damit nicht der Vetter nach Ent- deckung solchen Kindermordes/ noch vnvorschämeter würde/ vnd im vbrigen auch an mir seinen Willen verbrächte. Der einge- salbete Cörper war schon gegen der Thür zu gewendet/ vnd die Weiber erwarteten das Zeichen jhr klagen anzufangen/ als mich die Mutter absonderlich in ein Zimmer führete/ vnd mit außrauffung deß Haares sagte: O jhr Armselige jhr/ meine Tochter/ seid Vrsache/ +
[Druckausgabe S. 289]
daß ich doch nicht weiß was ich machen soll? Ob ich mehr meinen Sohn zu beweinen habe/ der jetzundt zu Asche werden wird/ vnd in seiner Kindheit hingerissen ist/ welche von dem einheimischen Mörder nicht gewust hatt; oder vielmehr euch/ die er mit gleicher/ oder vielleicht ärgerer grausamkeit auß meinen Armen reissen wird. Ewer Bruder lebet nicht mehr/ es ist nun weiters nichts vbrig als daß jr auch sterbet. Ihn vermag ich durch keine Kunst widerumb lebendig zumachen: jhr aber/ wann ich Fleiß ankehre/ könnet dem vntergang noch entrinnen. Helffet einrahten/ meine Tochter/ ehe vns die Grimmigkeit der Feinde vberfalle.

[476] In dem wir solche Klage führeten/ kam Praxetas vnserer trewester Freundt darzu/ welcher nicht zwar von dem Icciobates/ sondern von sonst einem vnserer Vettern/ der schon zuvor gestor- ben war/ vnd eine andere Mutter gehabt hatte/ erzeuget worden. Er rhiete in verwirreter Furchte/ man solte die Threnen zu anderer Zeit sparen/ vnd/ weil noch Gelegenheit were/ auff Mittel sich in Sicherheit zusetzen/ bedachte seyn. Helffet doch jhr allerliebster Freundt Rhat ertheilen/ weil wir für grossem Leide allen Verstandt verlohren haben. Wann ich euch meinen Anschlag eröffnen darff/ fieng er an/ so könnet jhr/ Theocrine/ eweres Lebens nicht vorge- wissert seyn/ es sey dann daß jhr fliehet: ewer Todt ist für Augen/ vnd jhr möchtet wol nicht zwene Tage vberleben. So dürffet jhr auch vnter den benachbarten Nationen nicht trawen. Der arge Mann wirdt mit Gelde/ Giffte vnd Betruge verrichten/ was er ange- fangen hat. Derwegen indem der Holtzhauffen eweres Brudern brennen wirdt/ welches wie jhr wisset auff jtzige Nacht geschehen soll/ so stellet euch rasende/ lauffet den nechsten Weg den jhr in der Finsterniß erlangen könnet/ vnd wann jhr auß der Menge deß Vol- ckes kommen seydt/ so machet euch zu der Hinterthür meines Hau- ses. Daselbst wil ich ewerer ohne Liecht erwarten/ vnnd euch so- lange verborgen halten/ biß wir vns eines besseren entschliessen können. Ihr aber/ Alcea/ stellet euch mit fleisse/ als ob jhr ewere Tochter verlohren [477] hettet. Der Verlust ewres Sohnes/ vnd die Gefahr der Tochter werden machen/ daß es euch an Threnen wol nicht mangeln wirdt. Die Mutter befahl mir zugehorchen/ vnd ließ jhr diese List gefallen. Ich/ als ich mich einmal oder zwey bey deß Brudern Holtzstosse hatte sehen lassen/ entgieng vnter dem weh- klagenden Volcke/ vnd machte mich bey so tunckeler Nacht auff +

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deß Praxetas Hauß zu. Dieser verbarg mich in das geheimeste Theil seiner Wohnung/ vnd meine Mutter hat/ wie ich höre/ die Comedie artlich spielen können/ in dem sie mich allenthalben gesucht hat/ als da wo jhr wissend gewesen daß ich were. Sie hielte auch beym Icciobates an/ daß er mich durch Kundtschaffer in der Nähe her- umb suchen/ vnd jhr wiedergeben liesse; sonderlich darumb/ weil sie in Sorgen stünde/ daß ich mir nicht wegen plötzlichen Vnter- ganges meines Brudern möchte ein Leidt thun. Er selber ließ Nach- frage halten. Dann es war jhm zuwissen vonnöhten/ ob er meines Todes wegen genugsam versichert were.

Als ich aber etzliche Tage vber vergeblich gesucht wardt/ vnd meine Mutter einen Holtzhauffen zu meinem Leichbegengnisse hatte zurichten lassen/ als ob ich gestorben were/ geriehte sie mit dem Praxetas in die Meinung/ daß sie mich von der Gewalt deß Tyrannens hinweg thun wolte/ biß man einen auß der jungen Herr- schafft benachbarter Nationen erwehlete/ der mich heyrahten vnd sich meines Ebrtheiles köndte annehmen. Man wiste mich auch in [478] keinen sicherern Ort zuschicken als dahin/ wo niemandt von den vnserigen bekandt were. Dann also vermöchte ich allem nach- forschen deß Vetters zuentrinnen. Sonderlich habet jhr/ großgün- stige Fraw/ meiner Mutter für allen andern gefallen. Auff diese Weise hat sie Anlaß genommen bey euch Freundtschafft zusuchen/ daß jhr jhre einige Tochter/ wo nicht anders/ doch zur Dienstbar- keit möchtet auffnemmen. Auff solche Endschliessung/ damit der Betrug destobesser verborgen bliebe/ gieng die Mutter zu dem Iccio- bates vnd hielte an/ daß er bey den Göttern von meinem Fall wolte lassen Nachfrage halten; wie dann keiner gewisseren Bericht thun würde als das Orackel deß Delphischen Gottes; den sie mit alter Andacht zu ehren pflegte. (Dann wir kommen von den Phocen- sern her/ vnnd sindt von Massilien mitten in Gallien geführet wor- den.) Wann es dem Icciobates gefiele/ so wolte sie den Praxetas dahin senden. Icciobates billichte das Fürnemen weitleufftig. Dann weil er selber in Vngewißheit stundt/ als begehrte er durch Hülffe der Götter zuerfahren/ wo ich mich auffhielte/ oder wie ich vmb- kommen were. So war auch Praxitas in keinem Vordachte bey jhm. Er gab jhm noch Geschencke/ welche er dem Gott bringen solte/ vnd verehrete dem Praxetas viel/ damit er keinem eher als jhm ver- meldete/ was das Orackel zur Antwort gegeben hette. Er verwandte aber seine versprochene Trew im wenigsten nicht; sondern [479]

[Druckausgabe S. 291]
nam sich an als ob er nach Delphos reisete/ vnd ludt mich vnter seinen Sachen in ein kleines Schiff/ welches dem Strome nach auff die See zugieng. Hernach als er ein Schiff auß Epidamnus/ welches von dem Außgang deß Rhodans nach Hause segelte/ vberkommen hatte/ vnd sahe daß die Schiffleute alle Frembde waren/ machte er seine Sachen in dem Wirtshause auff/ gab für ich were seine Schwester/ vnd setzte mich zu Schiff.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),