Das X. Capitel.

Deß Lycogenes bestallte Mörder ersteigen das Castell: erbrechen der Argenis Zimmer: der Kampff vnd die Stärcke der Theocrine.

Das X. Capitel.

DAs Glück schiene dem abgeredeten Anschlage der ehrlosen Leute günstig zu seyn. Dann Meleander kam in das Schloß/ es fiel diesel- bige Nacht ein starcker Regen/ vnd war zu Außgange deß Mondens sehr finster/ so daß man wenig sahe/ noch hörete. Der König hatte im Gebrauch/ wann er zu seiner Tochter gelangete/ daß er seine für- nehme Herren beym Thor von sich schickte/ vnd sie entweder in das nechstgelegene Quartier der Soldaten/ oder in die besten benach- barten Städte [489] einkehren ließ; wir aber warteten jhm vnter- dessen auff. Alsdann hatte der gute Alte seine beste Zeit. Er ließ jhm bey vns rechtschaffen wol seyn/ gleichsam als er alle Sorgen/ + +

[Druckausgabe S. 297]
vnd die Majestät selber/ vor dem Thore abgeleget hette. Den Abendt/ welcher zu der Verrhäterey bestimmet war/ wuste er nicht allein von der instehenden Gefahr nicht/ sondern war auch dermassen frö- lich/ daß er nach gehaltener Tafel anfieng zufragen/ mit was für Spielen die Jungfrawen den vnflätigen nassen Tag volbracht hetten; Mit Fabeln/ sagte ich/ Herr; zu welchem sie sonderlich geneiget sindt. Selenisse/ gab er zur Antwort/ jhr sollet jhnen hierinnen nichts zuvor geben/ weil jhr nun fortmehr Alt vnd selber eine Fabel werdet. Aber ich begehre von einer jeglichen zu hören/ was sie in diesem Rhate fürgebracht habe. Als wir alle lachten/ vnd er es außdrück- lich wissen wolte/ fiengen die so jhm am nechsten stunden an jhre Thorheit zu erzehlen. Vnter solchem Gespreche kam dem Könige der Schlaff mehr vnd mehr in die Augen/ legte sich auff eben das Bette wo er gessen hatte nieder/ vnnd hub an zu schnarchen. Weil er aber nicht leichtlich wieder entschlaffen kundte wann man ihn einmal erweckte/ legten wir seinen Rock zur Rechte/ deckten jhn zu/ vnd als wir nicht weit von jhm ein Liecht gesetzt hatten/ giengen wir leise von jhm.

Als das Frawenzimmer in jhre Kammer kommen/ entschlieffen sie alsbald; doch redte ich noch mit der Argenis vnd Theocrine; dann Theocrine vnd [490] ich hatten vnsere Bette in der Argenis Schlaffgemache. Bald höreten wir vber Gewohnheit ein starckes Gemürmel/ vnd das zimlich laut vnd starck geredet vnd gegangen wardt. Ich gedachte in der ersten/ daß die Jungfrawen nur ein solch Getümmel hetten/ vnd miteinander spieleten. Als aber das Vbel näher kam/ hörete ich/ daß es vnbekante Mannesstimmen waren. In dem ich im Zweiffel stund/ vnd für Furchten kein Wort sagte/ ward die Kammerthür mit Gewalt auffgeschlagen. Verwun- dert euch nicht/ daß ich wegen deß Gedächtnisses derselbigen Nacht gantz verworren werde. Es fehlte nicht viel/ daß ich für grossem Erschrecknis nicht den Geist auffgab. Ach der bösen That! Ich sahe gerüstete Leute mit blancken Degen in das Gemach einbrechen. Mehr wust ich nicht zuthun/ als daß ich sampt der Argenis laut anfieng zuschreyen. Aber Theocrine (höret etwas das werth ist den Nach- kommenen nicht verschwiegen/ noch von vns verdrucket zublei- ben) Vnsere Theocrine/ sage ich/ sprang von dem Bette auff/ vnd lieff die Räuber mit solchem Grimm an/ als ob sie von einem gött- + +

[Druckausgabe S. 298]
lichen Geiste rasende gemacht würde. Wie sie sich vber der Jung- frawen vnverhofften Künheit entsatzten/ vnd nicht wusten was sie thun wolte oder könte/ ergrieff Theocrine den der zum ersten hien- ein kommen war/ vnd hielt jhn nicht allein wieder/ daß er zum Streiche nicht gelangen kundte; sondern fieng auch sein Schwert [491] auff/ vnd drehete jhm es auß. Eben so geschwinde/ Herr (dann sie hatte deß Mörders Waffen ehe in den Händen/ als ich davon gesagt habe) rieß sie jhm den Schild vom Halse/ vnd hieng jhn an jhren lincken Arm. Ich sahe vmb mich/ vnd erschracke nicht so sehr vber der Gefahr/ als der vngläublichen Hülffe/ als sie einem den Kopff mit solcher Stärcke herunter hieb/ daß das Blut auß dem Cör- per auff mich vnd die Argenis sprang. Hernach stieß sie einen mit dem Schilde/ den andern mit der Spitze/ den dritten mit dem Heffte am Degen. Damals fiengen die Mörder/ welche wegen deß vnge- wöhnlichen Kämpffens erstlich erschrocken zu rück gewiechen wa- ren/ an sie als in einem rechtmessigen Streite zufechten/ so daß sie sich nicht schämeten es mit einer einigen Jungfrawen anzuneh- men. Die Waffen erklungen wegen der Enge deß Ortes/ vnd das klägliche Geschrey deß Frawenzimmers (dann die andern waren auch zu vns gelauffen) schiene einer Stadt ersteigung gleiche zu- seyn/ mit hefftigerm Tumulte als der Platz oder vnsere Anzahl groß war.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),