Das IX. Capitel.

[241] Timonides Reise: Poliarchus Schiffbruch: deß Arsidas vnd Timonides Klage: jhre Widerkunfft in Sicilien: vnd wie jhnen Ge- lanor auffgestossen.

Das IX. Capitel.

DEr Hoff war in solcher Erregung/ als Timonides vnterweges an- dere Anstösse hatte. Mit der gantzen Reise aber vnd seinem Verrich- ten hat es sich also verlauffen. Nach der Abfertigung beym Könige hat er auff seinem Gute drey Tage vber wider seinen Willen zubrin- gen müssen/ wegen der Anzeygung künfftiger Dinge/ welche der Zeichendeuter nicht eher hatt zu Wege bringen können. Von dan- nen kam er nach Messina zu deß Arsidas Gemählin. Die See war damals voll Vngewitters/ weil zu Anfange deß Lentzens sich Wasser vnd Windt zugleich erhuben. In vieren Tagen durffte sich niemandt auß dem Hafen wagen. In dessen worden die Schiffe/ weil die Wel- len eines an das andere schlugen/ entweder zerschmettert/ oder + + +

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herauß in den Sandt eyngeworffen. Timonides hieß das so am mei- sten gantz verblieben schleunig anrichten/ vnd von dem Vfer ab- stossen/ wiewol es noch nicht gantz stille war. Er ließ ausser seinen Leuten den Schiffer niemanden eynnehmen. Wie er mitten auff die See kommen/ kam jhnen ein [242] schreckliches vnd abschew- liches Spectakel eines erst geschehenen Schiffbruches für Augen. Es war ein Schiff gantz mit Wasser vberschwemmet/ auß welchem nur der blosse Mast herfür ragete/ weil es nicht vmbgerissen/ son- dern nur eyngesencket worden. Vnd was das aller scheutzlichste war/ es stund ein Ruderknecht/ so sich erhalten/ vnd hatte das Zitterholtz am Mastbaume vmbfangen/ halb todt vnd erbleichet/ außgenommen daß jhn die Lufft etwas ferbete. Der ärmeste bate mit Häupte vnd Händen (dann für dem Brausen der Wellen ver- mochte man kein Wort zu vernemen) man wolte jhn vom Tode er- retten: wie dann ein jeder hiedurch zu Erbarmung beweget ward. Derhalben stiegen etliche Schiffknechte in den Nachen; vnd als er sich vom Maste herunter gelassen/ namen sie jn fast gantz verstar- ret vnd luden jhn zum Timonides eyn. Als er wider zum Athem kommen/ welchen er zuvor durch die Furchte verlohren hatte/ streckte er sich halb todt nach aller Länge auff die Schiffbühne/ biß sie jhn mit Geruche deß Weins erquicketen/ vnd Timonides frage- te/ wer er were/ vnd wo er hin gewolt als jhn diese Fortun be- troffen hette. Ich bin/ sagte er/ von Rhege/ vnd nehre mich vom Schiffwesen. An jetzo gedachte ich in Franckreich/ dahin ich einen vornemen Edelman zu führen auffgenommen hatte. Ich sahe wol/ daß es auff dem Meer nit wol zusagen würde. Der Windt war nicht groß; aber doch vngewiß/ die Lufft stundt trübe vnd gewölcket: darumb wolte ich auch von dem [243] Porte nit außsegeln. Als ich aber nach vielem Befehl auff die volle See kommen/ stiessen die Winde gegen einander/ vnd verworffen vns bald da baldt dorthin; vnd stracks darauff legten sie sich wider/ so daß auch vnser Schiff nur nit wanckete. Als ich diese Stille sahe/ stundt ich in grösseren Furchten als zuvor/ vnd vermahnete die andern fleissig zu rudern/ damit wir der bestehenden See entrinnen möchten. Dann es pflegete auff solche Windstille gemeiniglich ein Vngewitter zu folgen. Derentwegen solten sie nur auff Sicilien/ an welches wir ver- + + + +
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schlagen worden/ zuländen. Aber der junge Herr/ welcher vns ge- mietet hatte/ sagte er wolte durchauß nicht in Sicilien; Zuckte auch letzlich den Degen/ vnd schwur/ welcher das Ruder zum ersten da- bin wenden würde/ dem wolte er die Fäuste wegk hawen. Vber sol- chem Säumnüß gieng der Tag fürüber/ vnd baldt darauff erwackte der Monde mit seinen fewrigen Hörnern die Winde wider. Da erhub sich das Vngewitter nicht nur einmal vmb das ander/ wie es sonsten pfleget; sondern die Lufft verwirrete das Meer dermassen/ daß baldt zu Anfange alle mein Stewren vergebens war. Wir wusten nicht was der Windt mit vns machen wolte/ der das Schiff mit seinem Sturm in der Mitten gefasset hatte. Als wir die gantze Nacht in solchem Elendt verblieben/ machte vns der Tag noch vnglückseli- ger. Wir hatten vnsere Zuflucht zu der Andacht/ vnd schnitten vn- ser haar ab. Aber es halff alles nichts: dann ehe wir [244] vns ver- sahen/ blieben wir in einer Banck besitzen. Der Sturmwind hatte sehr viel Sand zusammen gejaget/ darinnen das Vordertheil deß Schiffes behalten bliebe. Die Getäfel gaben sich schon von einander/ vnd wir bemüheten vns mit rudern vnd schaltern das Hindertheil zu erhalten. Derselbe aber von dem wir angedinget worden/ stieg mit seinem Diener vnd zweyen Schiffern/ welche jhm am nechsten waren in den Weidling/ hieb das Seil ab/ vnd ergab sich in den Schiffbruch/ welchem er schwerlich wird entgangen seyn. Die Windtsbraut von welcher sie fortgerissen worden/ nam sie mir bald auß dem Gesichte. Die Wellen waren zu stürmig/ denen das Schiff- lein in die Länge nit hat können Widerstand thun: Vnd wir vbrigen hatten auß Furchte deß Todes nach der andern Vnfall nicht Zeit vns vmb zu schawen. Dann die Fugen deß Schiffes giengen sämpt- lich von einander/ daß das Wasser allenthalben hineyn drang. O jr Götter! welch ein Geschrey erhub sich! welch ein jämmerliches Klagen trieben die so bey Vntersinckung deß Schiffes ersauffen musten! Ich stieg auff den Mast/ aber/ o mich elenden! ich hette mich doch nicht länger fristen können/ biß das Schiff mit sampt dem Baume auff die Seite gefallen were. Aber die Götter haben mir vber mein Verhoffen geholffen. Der Sandt hatte sich gantz vmb das Schiff geleget/ vnd es so standthafft gemacht/ daß ich mich auff dem Mast + + +
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erhalten können/ welcher noch jetzundt nicht vergebens [245] vber das Wasser herauß gehet/ damit die fürbeysegelnden mögen ge- warnet werden/ daß sie sich für solchem flachen Anlauffe hüten. Es sind nun zween Tage/ seyt ich fast halb todt auß Verzweiffelung vnd erfroren das Zitterholtz mit beyden Armen trawrig vmbfangen gehalten. An Essen vnd Schlaffen aber habe ich niemals gedacht. Als mir aber die Barmhertzigkeit der Götter die Hoffnung der Er- rettung von euch gewiesen/ sindt mir nur kaum die Armen nicht ent- glitten/ daß ich in das Meer geschossen bin.

Solcher Erzehlung höreten sie alle mit Threnen zu. Aber Timoni- des war in höheren Sorgen/ auß Furchte/ dieses Vnglück möchte wol den Poliarchus betroffen haben. Dann wer solte doch der Edel- man seyn/ welchen dieser Schiffer so gelobet? War er auß Italien kommen/ vnd für Sicilien geflohen? Diß stimte beydes mit dem Poliarchus vberein. Als derwegen dieser Schiffman seiner Mitgesel- len todt beklagete/ vnd weitläufftig erzehlete/ wie sie geschwom- men hetten/ vnd von den Wellen/ wann sie etwan an eine Klippe ge- rhaten/ widerumb weren hinweg gerissen worden/ fiel er jhm gantz verwirret in die Reden/ Wie hieß derselbe/ sagte er/ den jhr ge- führet habt? war er von Rhege/ oder ein Frembder? Er sagte/ jhm were mehr nicht bewust/ als daß Arsidas der Sicilier/ welcher zu Rhege stattlich begüttert were/ das Schiff gedinget/ vnd jhm bey seinem Abreysen das Geleite biß zum Strande gege-[246]ben hette. Timonides ward gantz kalt/ verdeckte sein Gesichte/ damit er desto freyer seufftzen möchte/ vnd gieng hinab in einen abgesonderten Ort im Schiffe/ mit Befehl/ die Boßknechte solten mit aller Macht rudern/ ob schon der Windt ohn diß gut were. Kurtz hernach län- dete er zu Rhege an/ da er dem Schiffer welchen er gerettet hatte Befehl gab jhm nach zu folgen/ gieng also zum Arsidas/ welcher sich vmb den Mittag auff ein kleines Bette gestreckt hatte/ vnd sich mit allerley Gedancken schlug; vnwissendt deß Vbels/ welches sich erst newlich begeben. Als er von Ankunfft seines Freundes ver- ständiget worden/ sprang er auß dem Bette/ vnd empfieng jhn mit anmuhtigen vnd höfflichen Worten. Timonides antwortete hierauff nur mit einem Seufftzer/ vnd fieng darauff an/ Mein Arsidas/ was habt jhr newes von dem Poliarchus? O wir armen Leute! weiß auch ich mehr von jhm zu sagen als jhr? Mit diesen Worten zeigte +

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er auff den Schiffer. Als jhn Arsidas ersahe/ erschrack er plötzlich/ vnd bildete jhm nichts gutes eyn: ward auch bleicher als Timonides selber/ vnd; O mein Schiffman/ fieng er an/ hast du das was ich dir vberantwortet habe/ wol zu Lande außgesetzet? Dieser aber ant- wortete: Ihr sehet mich allein/ der ich von dem Schiffbruch ent- runnen bin. Schiff/ Gesellen/ Mitleute vnd alles ist im Vngewitter auffgegangen. Vber dieser Zeitung ließ Arsidas viel Seufftzer vnd Threnen schiessen/ nam [247] sie mit sich hinein/ vnd war dermas- sen betrübet/ daß er von dem Verlauff deß Vbels nicht fragen kundte: sondern entwieche mit dem Timonides in sein Zimmer/ vnd fieng daselbst an den schmertzlichen Todt zubeweinen/ die vn- endliche Schickung/ vnd die Erde so deß Poliarchus nicht werth gewesen anzuklagen/ vnd alles andere herfür zusuchen/ was man in so wütendem Schmertzen gemeiniglich herauß stösset. Als nach Vergiessung vieler Threnen Timonides fragte/ warumb Poliarchus die Reise angefangen/ vnd wer jhm den vnglückseligen Raht ge- geben hette sich der See zu vertrawen? gab Arsidas zur Antwort/ Daß er zu Rhege/ weil es mit Sicilien benachbart were/ nicht hette trawen wöllen. Dann/ sagte er/ es kondte dem Lycogenes nicht ver- borgen seyn/ daß er sich hieher begeben/ vnd wie bald köndte er von der andern seiten deß Meeres etliche Mörder herüber senden? Derentwegen befandt er für rahtsam sich in Franckreich zuma- chen/ welches/ wie ich glaube/ sein Vatterlandt ist; von dannen wolte er auff das eheste widerumb hieher gelangen. Aber die Gött- liche Bestimmung hat es den Menschen nicht gegönnet/ daß sie sich eines solchen Mannes/ der jhrer vnsterblichkeit so nahe käme/ län- ger solten rühmen können.

Vnter dem seufftzen erwehnete Timonides/ wie sehr geneigt Me- leander gegen dem Poliarchus were/ gab dem Arsidas die Schreiben/ vnd nam [248] das Armband/ das nunmehr vergebene Geschenck der Argenis/ auß der Schachtel/ vnd zeigete es jhm. Aber sein Schmertz ließ jhm nit zu/ daß er die künstliche Arbeit vnd thewren Steine hette betrachten mögen. Als sie denselbigen Abend mit Weheklagen hingebracht hatten/ entschlossen sie sich beyde zu dem Meleander wider vmbzukehren/ damit er jhm auff den Poliar- chus keine Rechnung machte/ vnd sie jhn zur Zeit der Noth nicht verliessen: weil sie sonderlich vermeineten/ Sicilien würde allbereit +

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im Harnisch seyn. Derhalben machten sie mit jhrer Reise auch sol- che Vmbschweiffe/ damit sie im Hafen zu Epeircte einlauffen möch- ten. Es giengen/ wie im Frühlinge zu geschehen pfleget/ vnter- schiedene vnd vnruhige Winde/ so daß sie erst auff den siebenden Tag Epeircten in das Gesichte bekamen. Je näher sie aber dem Vfer segelten/ je grösseres Leyd sie empfunden. Sie hetten gewündschet daß die Erde vor jhnen wiche/ welche sie kurtz zuvor mit Rudern vnd Segeln suchten. Dann mit was für Worten solten sie die böse Zeitung erzehlen? oder wer würde sie hernach nicht scheel anse- hen/ daß sie so trawrige Bottschafft gebracht? Arsidas hatte auch noch einen hefftigern Kummer/ von welchem Timonides nicht wußte. Er kränckte sich nicht so sehr wegen Meleanders/ als wegen der Argenis. Würde er jhren Todt wol sehen/ vnd was mehr ist/ sie mit seiner trawrigen Erzehlung vmbbringen können? Mit was für ergrimmung würde sie jhm verweisen/ da er vorhin mitten [249] vn- ter den Feinden von der Timocleen glücklich were erhalten wor- den/ daß er jhn nun hette fortgelassen/ so jämmerlich durch Schiffbruch vmb zukommen? Warumb hette er jhn/ vnd zwahr alleine von sich geschickt/ da er jhm doch so hoch von jhr anbe- fohlen worden? Als er dieses vnd anderes bedachte/ schätzete er diß für das geringste/ daß die Belohnung aller seiner Trew vnd Fleisses nun dahin sey. Er fürchtete sich für der Princessin Zorn vnd vermeinete auß jhren Augen zusehen/ ob er lenger leben solte. So kundte sie auch weder mit verdeckung betrogen/ noch mit auff- ziehung der Zeit gesänfftiget werden. Dann were es wol möglich/ wann Meleander etwas wissen muste/ daß es für der Argenis köndte verborgen bleiben? Wann er auch gleich schweigen wolte/ vnd dem Könige diesen trawrigen Fall nicht offenbahren/ was würde Timonides thun/ der für grossem Schmertzen genugsam weder schweigen noch reden köndte? was würden jhrer beyden Leute thun/ die selber Anlaß geben würden/ daß sie von solcher newen Geschichte nur offte möchten gefraget werden?

In dem er in so vngewissen Gedancken stundt/ lieff das Schiff in dem Hafen ein/ vnd ludt sie in Sicilien ab. Zum ersten verboten sie den Dienern/ kein Wort von den bewusten Sachen zu melden/ biß sie bey dem Könige fürgewesen. Als sie durch den Weg der in die Stadt tregt kommen waren/ giengen sie in den Königlichen Vor- + +

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hoff/ vnd der erste [250] den sie daselbst antraffen (wie wunderlich gehet doch die Bestimmung der Götter durcheinander) war Gelanor/ der zwischen zweyen Siciliern mit frölichem Gesichte spatzieren gieng. Arsidas wardt seiner zum ersten gewar/ zohe den Timonides beym Mantel daß er jhn auch sehen solte/ vnd stundt eine gute weile mit außgestrackter Faust sprachloß/ vermochte auch kümmerlich Athem zu schöpffen. Als er sich etwas erholete/ Ist es/ sagte er/ ein Wunderzeichen das vns äffet? oder was für eine seltzame Verwir- rung aller Sachen ist dieses? Ist jenes nicht Gelanor/ deß Poliarchus sein getrewer/ der mit ihm Schiffbruch gelitten? Welch Mercurius hat jhn wider auffgewecket/ vnd den Todten vnter die Lebendigen gemenget? Timonides erschüttete sich für Schrecken/ gab auch dem Arsidas hierauff keine Antwort/ sondern lieff auff den Gelanor zu/ der in gleichen/ als er jhrer ansichtig worden/ jhnen entgegen eilete. Sie waren aber so bestürtzet/ daß sie nur stunden vnd jhn ansahen. Endlich erseufftzete Arsidas/ vnd/ Gelanor/ sagte er/ sehe ich euch frisch vnd gesundt? oder seidt jhr ein Geist/ vnd suchet euch vnd ewerem ertruckenen Herren ein lediges Grab? Gelanor sagte/ sie solten alle Furchte bey seite setzen/ Poliarchus sey noch bey Leben/ vnd beydes den Wellen vnd Seeräubern entgangen. Er were von jhm zum Könige geschickt worden/ vnd gestriges Tages nach Epeircte angelangt. Sie fiengen an mit grosser Be-[251]gier von allem nachzufragen/ wie es jhnen ergangen/ wie sie sich ge- rettet/ vnd dem Meer vertrawet hetten/ nach Vntergange jhres Schiffes? Aber Meleander kam zwischen jhrer Rede/ welcher sie auß dem Fenster gesehen hatte/ vnd für sich fordern ließ; weil er wegen eines andern Ebenthewers in Sorgen stundt/ vnd der Hoff- nung war/ daß sie jhn darvon würden zu berichten wissen.

[252: Kupfer Nr. 7]




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),