Selenisse fehrt fort dem Radirobanes zu erzehlen/ wie Theocrine in das Schloß darinnen man die Argenis verwachete/ genommen wor- den sey: Wie sich auch Lycogenes einer Verrätherey vnterfangen habe.
Das IX. Capitel.
DIe Schiffleute verdingten sich vns in Sicilien zubringen. Nachdem sie solchem sind nachkommen/ so schawet mich hier/ Selenisse/ die ich an vorige Freyheit nicht gedencke/ vnd bekennen wil daß ich dem Icciobates/ der mich auß meinem Lande gejaget hat/ noch et- was schuldig sey/ wann jhr mir die Ehre thun/ vnd mich zu ewerer Dienerin annemen wöllet. Den ich bey mir habe/ ist [480] Praxetas/ meines Vettern eines natürlicher Sohn/ der mir darumb in so knechtischer Kleydung nachfolget/ daß vnsere Sach destobesser verdeckt bleibe. Wie wir herumb gejrret/ vnd das vbrige was ich nur kurtz erzehlet habe/ könnet jhr weitläufftiger von jhm vernehmen.
Diese Rede brachte sie mit solcher Sittsamkeit für/ vnd gab jhr Betrübniß mit dermassen Anmuth zuverstehen/ daß ich eben wie sie Kummer zuempfinden schiene. Mich verlanget auch gewiß/ sag- te Radirobanes darzwischen/ zuhören/ wie jhr mit jhr verfahren habt. Wann sie mich hette angetroffen/ ich wolte es bey einem schlechten erbarmen nicht verbleiben lassen/ sondern dem Iccio- bates die Beuthe/ welche er vielleicht anjetzt besitzt/ auß den Hän- den gerissen/ vnd jhn gefänglich mit höchster Schmach der Jung- frawen auffgeopffert haben. Selenisse lächelte/ vnd lobete deß Radirobanes Barmhertzigkeit. Ich stundt/ sagte sie/ im Zweiffel. Dann ich kundte sie ja nicht abweisen/ weil jhr auffrichtiges Ge- sichte/ vnd grosses Reichthumb mich von jhren Worten nichts ar- +
Radirobanes fiel jhr wieder in die Rede: Welcher Meinung/ sagte er/ war Meleander? Eilete er bald sie zutrösten/ oder gab er jeman- den anders dessentwegen Anordnung? Ich krencke mich schon/ daß jhr der Armseligen so langsam geholffen habet. Zwar ich verhoffte/ jhr würdet mir einen Weg zeigen mich meiner eigenen Sorgen zu entledigen/ so bringet jhr mich noch in andere. Aber ich wil meines Leides ein wenig vergessen/ in dem ich zuhöre wie es der vnglück- seligen Theocrinen ergangen ist: erzehlet nur alles vmbstendtlich. Darauff fieng Selenisse ferner an: vermeinet nicht daß ich ohn Vr- sach auff diß Gespräche kommen sey; dann jhr werdet letzlich wol befinden/ wie sehr es euch angehe. Meleander entrüstet sich nicht weniger [482] als jhr vber dem Elende dieser Jungfrawen. Vnd/ Wie were es/ sagte er/ wann ich die Betrübte besuchte. Thut es nicht/ Herr/ gab ich zur Antwort: ewere Gütigkeit möchte jhr nicht wol außschlagen. Dann wer ist vnter den Herren oder Frawen/ so mit der Außländerin hernach nicht begeren würde zureden? vnd sie möchte durch solches Geschrey nicht verborgen bleiben; welches sie einig bey vns suchet. Wann jhr verlaubet/ daß man sie zu der Argenis in das Schloß nemme/ so könnet jhr sie viel bequemer zu +
Als ich sie zu der Argenis nemmen durffte/ kam ich gantz frölich wider zu meiner Schwester/ sagte jhr von deß Meleanders Gütig- keit/ vnd wie ich alles erhalten hette was wir begehrten. Nunmehr/ sag-[483]te ich/ Theocrine/ seidt jhr meine andere Sorge; ich habe Befehl/ euch so wol als die Argenis in acht zunemen. Sie bate aber instendig/ man wolte jhr nicht grössere Ehr anthun als den an- dern; dann sie köndte vnter jhnen destobesser verborgen bleiben. Es krenckete mich sehr/ daß ich nicht alsbaldt mit jhr auff das Schloß zureisen solte; weil Argenis sonder Zweiffel vber Beywoh- nung einer solchen schönen Jungfrawen/ welche die Götter vns zu- geschicket hetten/ ein grosses Gefallen tragen würde. Aber es hielte mich der Meinigen jährliche Opfferung auff/ die ohn mich nicht wol kondte volbracht werden. Den andern Tag schickten wir den Praxetas nach verrichtung deß heiligen Wesens auff Delphos zu. Dann er sagete/ Icciobates möchte es jnnen werden/ wann er sein Gelübdte nicht ablegete. Nach befragung deß Gottes wolte er wiederumb zu meiner Schwester nach Syracuse kommen/ damit wir auff etwas köndten sinnen/ daß er dem Tyrannen erzehlete/ gleichsam als es das Orackel zur Antwort gegeben hette.
Nach seiner Abreise/ nam ich Theocrinen auff meinen Wagen: ich kundte mich auch mit jhrem Gespreche nicht genugsam ersättigen/ so daß ich vnter dem vielen Reden eher zu dem Schloße kam/ als ich vermeinete daß wir von Syracuse weg weren. Als Argenis die Jungfraw ersehen/ entsetzte sie sich etwas/ vnd war nicht vergnü- get/ jhr gantzes Gesichte nur einmal zubeschawen vnd zubetrach- ten. [484] Ich redte in Gegenwart der andern von der Theocrine gar +
[486] In solcher freyen Lust waren wir/ als Lycogenes vns mit seiner vnehrlichen Verrätherey alle Lust verderbte. Er kundte es nicht vertragen/ daß Argenis vom Könige so feste verwahret würde/ vnd stundt nach beyder jhrer Vntergange. Wann er einen guten Für- satz gehabt hette/ so würde jhm die That sehr schwer/ vnd vielleicht vnmöglich zu vollbringen gewesen seyn: aber es ist nichts listigers als ein vnehrbares beginnen. Er kauffte also zween Männer an sich/ welche jhm verhiessen/ vnd bey Glauben zusagten/ jhrer Degen zu aller/ sonderlich aber dieser Gelegenheit nicht zu schonen. Diesen zeigte er das Castel/ mit Bekräfftigung/ es were eine Reiche Beuthe daselbst zuerlangen/ wann sie sich nur als Männer erzeigen wolten. So bald der König seine Tochter zu besuchen hinein kommen were/ solten sie bey Nacht die Mauren ersteigen: dann es würde keine Wache/ kein Freund noch Diener hinein gelassen. Wie bald könd- ten sie einen vnbewehrten/ alten vnd vielleicht schlaffenden Mann vberwältigen? Sie müsten aber auch die Argenis ergreiffen; dann im Fall er sie zu seiner Heyrath gezwungen hette/ wolte er nach deß Königs Todt alles dahin richten/ wie es jhme bey solcher geschwin- den Veränderung das Glück an die Handt würde geben. Dieses selt- zame Laster frischete die Mörder auff/ daß sie von diesem Eben- thewer wolten einen Namen bekommen. Aber/ sagten sie/ wer wirdt vns in das Schloß nemmen? oder wer wirdt vnser im herzu- gehen nicht gewahr wer-[487]den? sonderlich weil so starcke vnd fleissige Schildwache gehalten wirdt/ daß sie/ so zusagen/ alle Vögel die vorbey fliegen/ zehlen können. Nach langem Streitte befunden sie die Seitte am bequemesten zu seyn/ welche gegen der See gehet. Weil der König/ in Ansehung daß selbiger Ort von Natur versichert genug were/ dahin keine Soldaten geordnet hette. Man köndte mit einem leichten Schifflein daselbst anlenden/ vnd wegen der rau- schenden Wellen destoverborgener hinauff kommen. Doch besorg- ten sie auch/ sie würden wegen deß gehlingen Hügels/ der mit kei- ner Leyter zu erreichen were/ nicht fort können. Aber einer von den Mördern/ wie man hernach bey seiner Außsag erfahren hat/ +