Lob des Feldlebens

54. Sz 42 1623 Lob des Feldlebens

Einzeldruck X: MARRTINI | OPITII | Lob deß Feldtlebens.

4°: A–B Exemplare: Breslau 4 V 283/5 (defekt); Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften, Milichsche Sammlung, Görlitz, SW V 26b

Die Größe der Kopfleisten auf Bl. A2a und B1a beträgt 21 × 109 mm, die des dreieckigen Zierstücks am Ende, 73 × 103 mm. Bl. A1a Titel; A1b und B4b leer. Die für die Widmung verwendete Schriftgröße erweckt den Eindruck, als ob mit dem vorhandenen Manuskript Bogen A gefüllt werden sollte. Der zweite Bogen ent- hält das in normaler Typengröße gedruckte Gedicht. Der einzige Hinweis auf das Datum der Veröffentlichung steht in der Wid- mung; die Möglichkeit, daß es 1624 gewesen sein kann, ist nicht auszuschließen. Die Entstehungszeit läßt sich zwischen Juni 1619 und Oktober 1620 festlegen. Gellinek (S. 46) mutmaßt Spät- sommer oder Herbst 1619.

Druck in Sammlung A: Das Gedicht steht ohne Widmung unter der Überschrift »Die Lust deß Feldbawes.« auf S. 10–14. Aus die- ser Position erhellt, daß der Text sich schon in dem Manuskript befunden haben muß, das Opitz bei der Abreise Zincgref hinter- ließ. Dessen editorische Änderung hat Opitz nicht übernommen. Bei Witkowski (1902) findet sich unser Gedicht als Nr. 6.

Sammlung B: Zwischentitel auf Bl. P2a (= S. [30] unbeziffert aber gezählt) MARTINI | OPITII | Lob des Feldt- | lebens. P2b (unbeziffert und ungezählt) ist leer. Unter einer Kopfleiste von

[Druckausgabe S. 107]
13 × 104 mm auf P3a (= S. 31) bis P4b (= S. 34) die Anrede und Widmung an Teubner. Das Gedicht selbst folgt unter einer Kopf- leiste, 9 × 99 mm, auf S. 35–40. Rechteckiges Schlußornament, 29 × 68 mm. Kolumnentitel, S. 36–40: (l.) Der Poetischen Wäl- der | (r.) Ander Buch.

Sammlung C, Erster Teil: S. [119] Zwischentitel wie in B; C2 buchstabiert jedoch deß. Unter einer Kopfleiste von in C1 14 × 79,5 mm, in C2 11,5 × 77 mm, auf S. 120 Anrede und Widmung an Teubner; S. 123 Schlußornament: in C1 Fratze, 50 × 49 mm, in C2 Engelkopf mit zwei Adlerköpfen, 37 × 44 mm. Unter jeweils der- selben Kopfleiste wie auf S. 120, das Gedicht von S. 124–128. Bei C1 eine dreieckige Arabeske, 51 × 64 mm; bei C2 derselbe Engel- kopf wie auf S. 123. Kolumnentitel, S. 124–129: (l.) Der Poetischen Wälder | (r.) Anderes Buch.

Sammlung F, Erster Teil: Auf P5a (= S. [233]) Zwischentitel wie in B aber mit der Zeilentrennung ... Lob des | Feldtlebens. Auf P5b (= S. [234]) Anrede und Titel Teubners; der Text der Widmung folgt unter einer Kopfleiste, 19 × 72,5 mm, von S. 235–238; am Ende, dreieckige Arabeske, 51 × 64 mm. Unter einer Kopfleiste, 9 × 73 mm, der Text des Gedichts bis S. 244. Kolum- nentitel S. 240–243: (l.) Lob des | (r.) Feldlebens. Auf S. 244: Lob des Feldlebens.

Keine der Ausgaben hat Zeilenzählung. In allen Sammlungen steht die Widmung in größerer Schrift, der Zitiertype der be- treffenden Ausgabe.

Unter den späteren Ausgaben verdienen nur die von Bodmer und Breitinger (1745, S. 597–618) und die von Triller (1746, Bd. I, S. 137–44) Beachtung. Unser Gedicht erscheint nicht bei Tittmann, Oesterley und Schöne. Die Schweizer drucken Lesarten zu dem von ihnen aus F gebrachten Text. In den Anmerkungen polemi- sieren sie stark gegen Gottsched, der das Lob des Feldlebens unter den Beispielen zu seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst ab- gedruckt hatte. (Reprint aus der 3. Auflage, 1742, Wissenschaft- liche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968, S. 135–140.) Bodmer und Breitinger bezeichnen die Gottschedschen Modernisierungen als unnötig, eigenmächtig, als bloßes Flickwerk usw.

Triller, der grundsätzlich keine Lesarten bringt, hält sich eben- falls an Sammlung F, doch sind seine Änderungen im Vergleich mit Gottscheds zaghaft und geringfügig.

[Druckausgabe S. 108]

Im Grunde handelt es sich bei unserem Gedicht um eine erwei- terte Paraphrase von Horaz’ zweiter Epoche. Daß Opitz die Über- setzung derselben von Johann Fischart (1579) benutzt hatte, wurde von Oberlehrer Opitz festgestellt; siehe »Opitz als Benutzer Fischarts«, Zeitschrift f. dt. Philol. VIII (1877), 477–82. Mit der- selben Materie befassen sich A. Lehnerdt in »Die deutsche Dich- tung des 17. und 18. Jahrhunderts in ihren Beziehungen zu Ho- raz«, Programm, Königsberg 1882; und E. Stemplinger in »Martin Opitz und die Antike«, Blätter f. d. Gymnasial-Schulwesen XLI (1905), 177–90. Am gründlichsten hat zum Thema beigetragen Gertraud Wüstling, »Fischart und Opitz. Ein Vergleich ihrer Be- arbeitungen der 2. Epoche des Horaz«, Diss. (masch.), Halle 1950, 71 S. Horst Nahler, »Das Lehrgedicht bei Martin Opitz«, Diss. (masch.), Jena 1961, bespricht Lob des Feldlebens kurz auf S. 101/02. Conrady 201–08 zieht die ersten 25 Zeilen zu einer Charak- terisierung von Opitz’ Stil heran. Gel. 41 und 44–46 macht auf das Vorhandensein von Ersparungsreihen aufmerksam, weist auf die zahlreichen Beziehungen zu Nr. 40.2 hin und nimmt etwa gleich- zeitige Entstehung an. Eine kurze Besprechung bringt Richard D. Hacken in The Religious Thought of Martin Opitz (Stuttgarter Ar- beiten zur Germanistik 18) Stuttgart 1976, S. 42–44.

Wie bei Zlatna ist es kaum möglich alle Quellen anzugeben, da viele der Bilder und Motive geläufig und weit verbreitet sind. Nach den üblichen Hinweisen auf Horaz und Fischart macht Wit- kowski (1902) folgende auf Bodmer und Breitinger basierende An- gaben: Vergil, Georgica I, 105 (Lob Feldl. 33 f.); IV, 202 (LF 50); I, 307 ff. (LF 79); I, 259 (LF 90). Culex 51 f. (LF 41); 144 ff. (LF 65 ff.). Bei Z. 160 weist Triller auf das von Opitz zu Zlatna 464 an- gezogene Zitat aus Senecas Thyestes hin.

[Druckausgabe S. 109]
[A2a]

Dem Edlen/ Ehrenvesten/ vnd Wolbenambten Herrn Marcus Teub- nern auff Bilaw vnd Hermßdorff/ Fürstlichem Lignitschem Rathe/ Meinem groß- günstigen HerrenSachanmerkung.

ALs ich newlich bey meiner gutten Freunde einem im Durchreisen einsprach/ fand ich vnter andern seinen Sachen auch diß Gedichte von Glückseligkeit deß Feldlebens/ welches ich vor etlichen Jah- ren/ als ich mich noch auff hohen Schulen befunden/ sol geschrie- ben haben/ Dann ich mich dessen kaum entsinnen kan. Weil aber mein Zlatna, so nicht vnlengst aufgeleget worden/ fast eben dieses inhalts ist/ vnd auch von der Ruhe deß Gemüts redet/ als habe ich lust halben/ vnd damit ich jnnen würde/ ob [A2b] ich auch diese Jahr her in denen Sachen etwas zugenommen/ sie beyde gegen einander halten/ vnnd den vnterscheid derselben/ welchen die so von der Poesie recht zu vrtheilen wissen leichte kennen/ betrachten wollen: Angesehen/ daß wir theils in der Jugend alles freyer vnd mit feisteren worten (daß ich so sagen darff) zu geben pflegen/ Theils aber nicht alle stunden einerley Geist vnd antrieb zum schreiben haben. So sehen wir auch/ daß die Alten offte von einem dinge mehr als ein mahl mit andern wörtern/ vnd an vnterschiedenen Stellen zu reden pflegen. Wie dann eben dieses Ackerleben Virgilius in seinem + + + + + + + + + +

[Druckausgabe S. 110]
vierden Buche vom Feldbaw/ vnd widerumb im Culice, Horatius aber beydes in seinen Satyrischen Gesprechen/ vnd dann in dem schönen Liede: Beatus ille qui procul negotiis, &c. welches ich hier mehrentheils außgedruckt/ mit lebendigen Farben heraus ge- strichen haben. Wird mich demnach hof-[A3a]fentlich niemand verdencken/ daß auch ich solcher grossen Leute Exempel nach meine Deutsche Poesie/ in dem ich ein ding auff vielerley art zu geben mich befleisse/ reicher zu machen gesonnen bin. Daß ich ferner/ der ich nunmehr entweder bey Hofe/ oder auff Reysen/ da man stündlich mit Leuten vmbgehen muß/ mich befinde/ das ein- same Leben so sehr lobe/ thue ich wie die jenigen/ welche zwar/ wenn sie ja in Kriegsleufften auffgefodert werden/ dem Feinde ge- trost vnter augen ziehen/ vnd jhren Mann nach vermögen wehren: Nichts desto weniger aber auff den Frieden als ein Kleinot dieses/ vnd ein Vorbildt deß künfftigen Lebens mit sehnlichem Verlangen hoffen. Wie dann Leuten so die Bücher lieben/ das Feldt vnd des- selben Ruhe so hoch von nöten ist/ daß ich gäntzlich vermeine/ hetten nicht Epicurus/ Sallustius/ Lucanus vnd andere jre Gärte/ Virgilius die Neapolitanischen Felder/ Cato sein [A3b] Sabinum/ Cicero sein Tusculanum/ Plinius Nepos sein Laurentinum/ Petrarcha sein Occlusam, oder verschlossenes Thal/ Ficinus sein Villam montis, oder BergForwerck (welches jhm Cosmus Medices verehret) Mirandulanus vnnd Politianus jhr Fesulanam/ vnd Sannazar sein Mergilline so offt besucht/ sie weren nimmermehr so weit kommen. Saget also vnser LotichiusSachanmerkung, der Fürst aller Deut- schen Poeten sehr wol:

Rura sacros vates, gelidaeque in vallibus umbrae,
50 Blandaque graminei cespitis herba juvant,
+ + + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 111]
Grataque delectant ignobilis otia vitae;
Rura dapes, umbram dat nemus, amnis aquas.
Das Feld/ das küle Thal/ das Graß/ ein freyer Mut/
In gleichfals freyer Lufft/ ist den Poeten gut/
55 Hier wo das schöne Feldt tregt Speise wol zu leben/
Der Pusch vns schatten macht/ die Bäche Wasser geben.

Daß ich aber/ günstiger Herr Teubner/ jhn mit diesem Gedichte verehre/ meine ich/ daß ich mehr als genung vrsache darzu habe. Dann mir vnd andern wissend/ wie ein grosses zuneigen Er zu den jenigen/ welche [A4a] jhres studierens halben jm anbefohlen wer- den/ treget/ vnd wie er auch alle gelegenheit in acht nimpt/ jhnen bestes vermögens auffzuhelffen vnd Vorschub zu thun. Wordurch dann gutten Gemüttern anlaß wird gegeben werden/ dem Herren auch bey den nachkommenen ein solches Lob zu ertheilen/ welches die Reichen nicht schencken/ vnd die Vntugendthafften nicht kauffen können. Ferner hat er absonderlich mir vnd den meinen eine zeitlang her so viel guttes erwiesen/ daß ich mehr mich jhm verpflichtet zu sein befinde/ als daß es durch Zuschreibung auch viel grösserer Sachen von mir könne gutt gemacht werden. Ich wil aber auch sonsten nicht vnterlassen/ mein danckbares Gemüte in allen vorfallenden gelegenheiten so viel an mir ist zu erweisen. Letzlich scheinet sich auch der Inhalt dieses Gedichtes auff den Herren nicht vbel zu schicken/ dann [A4b] Er zweiffels ohne inn Erkauffung seiner Landgütter vornehmlich auff die Ruhe vnd Lust deß Feldbawes/ von welcher ich hier schreibe/ gesehen hat. Die ich jhm dann von Hertzen wündsche/ vnd verbleibe

Sein willigster Freundt Martin Opitz.

+ + + + + + + +
[Druckausgabe S. 112]

[B1a]
WOl dem/ vnd mehr als wol/ der weit vom streit vnd Kriegen/
Von Sorgen/ Müh vnd Angst/ sein Vatergut kan pflügen/
Lebt sicher vnd in ruh/ noch wie die alte Welt/
Bey deß Saturni zeit/ vnd pflügt sein kleines Feldt.
5 Spant Roß vnd Ochsen für/ darff seinen sin nit krencken/
Mit armer schweiß vnd blut/ weiß nichts von wechselbencken/
Von Wucher vnd Finantz/ ist alles kummers frey/
Daß nit sein hab vnd gutt im Meer ertruncken sey:
Darf auff der wüsten See nit jmmer furchtsam schweben/
10 Von Winden vmbgefürt/ da zwischen Todt vnd Leben
Ein Daumendickes bret: gibt nit aufs bergwerck acht
Da stoll vnd schach sich offt verlieren vber Nacht:
Erwacht nit von dem schall der starcken heerposaunen/
Erschrickt nit von dem blitz vnd donner der Kartaunen/
15 Wie zwar der Landsknecht lebt/ der Tag vnd Nacht das Land/
Das doch dem Meyer bleibt/ schützt mit gewehrter Hand.
Er denckt nit wie er komm’ hoch an das Bret für allen/
Vnd könne Königen vnd Herren wolgefallen.
[B1b]
Trit nit auf schlipffrig eiß/ gibt seine Freyheit nicht
20 Vmb eine Hand voll gunst/ die eh als glaß zerbricht.
Er lest sich auch nicht ein in frembder Leute Sachen/
Verurteilt niemand falsch/ hilft krum nit grade machen
Sachanmerkung + + + + + + + + + + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 113]
Steht nit in furcht vnd trost/ helt für der reichen thür
Sein hütlein in der Hand/ vnd kömpt doch selten für.
25 Das alles darff er nicht/ er hat was er begehret/
Sein gut wird jm von Gott/ auch wann er schläft bescheret/
Hat mehr als der sein Hertz auff blosses Reichtumb stelt/
Vnd hat nicht was er hat/ ist arm bey seinem Geldt.
Er gehet frölich hin/ führt jetzt die süssen Reben
30 An Vlmenbäumen auff/ daß sie beysammen kleben
Als ehelich vermählt: jetzt weil die schösse klein/
Bricht er was wild ist ab/ impfft gute sprößlein ein.
Nimt bald die schauffel her/ macht furchen frey zu flissen
Dem Wasser vber Feldt/ die Wiesen zu begiessen
35 So dürr vnd dürstig sein/ spatziert bald durch das graß
Das von dem silberTaw deß Morgens noch ist naß.
Bald stützt er einen Baum der von der frucht gebeuget
Vor last zerbrechen wil/ vnd sich zur Erden neiget:
Vnd etwan siht er gehn dort in dem grünen Thal
40 Die Schafe/ Kälber/ Küh vnd Ochsen vberal:
Schawt er dann vbersich/ so siht er seine Geissen
Das laub von dem gestäud an einer Klippen reissen;
Dabey jr Man der Bock für lust vnd freuden springt/
Hört wie sein Hirte wol von seiner Phyllis singt/
[B2a]
Die hinter einen Baum sich hatte nechst verkrochen/
46 Als er jhr schönes Obst vnd Blumen abgebrochen:
Hört wie die braune Kuh im nechsten Thale brüllt/
Daß jhre rauhe stimm’ hoch vber Feldt erschüllt/
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[Druckausgabe S. 114]
Bißweilen leert er aus den Honigmacherinnen/
50 Ihr wächsen Königreich das sie mit klugen sinnen
Sehr artlich aufgebawt/ nimpt auch zu rechter zeit
Den feisten Schafen ab jhr dickes Wollekleidt.
Kompt dann/ nach dem er hat den sommernutz empfangen/
Der Obst vnd Trauben-man der reiche Herbst gegangen/
55 Wie frewt er sich so sehr/ wann er die Bieren ropfft
Vom Baume/ den er selbst vor dieser zeit gepfropfft.
Vnd lieset öpffel auff die selber abgefallen/
Nimpt jhm hernachmals für die schönsten vnter allen/
Beist ungeschelet an/ geht dann/ besieht den Wein/
60 Bricht reiffe Trauben ab/ die Purpur ehnlich sein.
Ist er vom gehen laß/ so kan er sich fein strecken/
Bald an ein schatticht ort da jhn die Bäume decken/
Bald in das grüne graß/ an dem fürüber fleust
Das wasser/ vnd durchhin mit stillem rauschen scheust:
65 Bey dessen Rande dann die Feldhewschrecken springen/
Vnd mit dem langen Lied’ jhr Winterleid versingen:
Der Vögel leichtes Volck macht seinen Lobgesang/
Schreit vberlaut/ vnd wündscht den Sommer noch so lang/
Die schöne Nachtigal lest sonderlich sich hören/
70 Schwingt ihre stimme hoch dem meyer wie zu ehren:
[B2b]
Die Frösche machen auch sich lustig an dem Bach/
Vnd jhr coax coax gibt keinem Vogel nach.
Nicht weit von dannen kömpt aus einem külen Brunnen/
Ein bächlin durch das graß gleich dem cristall geronnen/
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[Druckausgabe S. 115]
75 Draus schöpft er mit der hand eh er sich schlaffen legt/
Worzu der bach gerausch’ vnd murmeln jhn bewegt.
Wann aber mit dem eiß’ vnd rauhen scharffen winden
Der grawe Winter kömpt/ so kan er doch was finden/
Auch mitten in dem schnee das nutzet vnd ergätzt/
80 In dem er jtzt ein schwein mit seinen Hunden hetzt.
Vnd jtzt ein flüchtig Reh in dem gehäge fellet/
Bald mit dem garne dann den schnellen Hasen stellet:
Kompt auch nachdem er hat vom jagen vmbgekehrt/
Lockt das Geflügel an auff seinen Vogelherdt/
85 Fengt etwan einen Kranch der in den Lüfften jrret/
Durch altes Zauberspiel in seiner Flucht verwirret:
Das thewre Haselhun geht jhm nicht selten ein/
Rebhüner auch so sonst die ziehr der Tische sein.
Verfüget er sich heim/ da hat er viel zu bawen/
90 Macht blancken in den zaun/ schnitzt flegel/ stielt die hawen
Ergentzt den Pferdezeug/ verwart das Taubenhauß/
Strickt netz’ vnd jägergarn/ putzt alles sauber aus.
Schawt dann den Pfawen zu/ siht wie die stoltzen Hanen
Die Hüner vbergehn/ lockt zu sich die Fasanen:
95 Die Tauben haben sich gelägert vmb das Dach/
Die Rantze laufft der Magd mit jhren Fercklinn nach.
[B3a]
Wie wolt’ er dann nun wol diß freye Leben hassen/
Vnd nicht der städte lust für seinen Wäldern lassen?
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[Druckausgabe S. 116]
Vornemlich auch wann jm sein Weib entgegen kömpt/
100 Vnd jhren lieben Mann frisch in die armen nimpt.
Hat keine Larven für/ ist schwartzbraun von der sonnen/
Ir antlitz ist geschminckt mit wasser aus dem Brunnen/
Ihr Huet ist Haberstro/ jhr Kittel ist parat
Von Seiden die sie selbst zuvor gesponnen hat.
105 Sie macht ein Fewer auff/ ist mühsam vnd geschwinde/
Lauft hin vnd milckt die Küh so bald als das Gesinde/
Ergreift den weiten Krug/ bringt seinen blancken wein/
Der nicht darff allererst mit Zucker süsse sein.
Dann decket sie den Tisch/ vnd setzet auff die Speisen/
110 Darnach man nit erst darf sehr viel meil weges reisen/
Vnd die das wilde Meer hier an das Land gebracht/
Kaufft keinen stör den nur die Würtze thewer macht.
Kennt nicht was Austern sein/ weiß gar nichts von Lampreten/
Die erst der weise Koch im Malvasier muß tödten/
115 Artschocken findet man in seinem Garten nicht/
Melonen sein jhm auch nie kommen zu gesicht’.
Er helt bey sich viel mehr auff einen gutten Schincken/
Vnd eingesaltztes fleisch das lust jm macht zu trincken/
Sein bestes essen ist Milch/ Eyer/ Honig/ Schmaltz/
120 Für spargen isst er kraut/ an stat der Würtze Saltz.
Er lobt ein Lamb das er dem Wolff erst abgejaget/
Ein frischer Kalbskopff jhm für straussenhirn behaget/
[B3b]
Sticht ein jung Fercklin ab/ würgt einen feisten Han/
Der vnwerth ist gemacht/ vnd nicht mehr bulen kan.
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[Druckausgabe S. 117]
125 Die öpffel schmecken jhm viel besser als Citronen/
Rapuntze/ kresse/ lauch/ Kohl/ Rüben/ Erbsen/ Bohnen/
Sawrampffer/ Peterlin/ Salat im frischen öl/
Ist mehr jhm angenehm als Saffran vnd Kanell.
Bey dieser seiner Kost er viel gesünder bleibet/
130 Als der zu essen pflegt eh jhn der Hunger treibet/
Was mancher tewer kauft das zeucht er aus der Erd/
Sein vorrat ist das feld/ sein holtz kömpt auf den herd.
In dem er also isst/ hört er der Schafe schellen/
Die von der Weide nun sich wieder heim gesellen/
135 Sieht wie die stoltze Geiß wil für dem Wieder gehn/
Wie seine feiste Küh in vollen Eytern stehn.
Bald sihet er darauff die starcken Rosse bringen
Den vmbgestürtzten Pflug/ vnd noch für geilheit springen/
Mit denen vnd zuvor sein mühsames Gesind’
140 Eins nach dem andern sich gemach zu Hause find.
Auff diß sie an den Tisch heißhungrig nider sitzen/
Vnd essen daß sie mehr als vor zu Felde schwitzen/
Wann nachmahls allzugleich gesettigt sind vollauff/
Schmeckt aus der grossen Kann ein gutter Trunck darauff.
145 Legt sich hernach zu ruh/ schläfft frey von angst vnd sorgen/
Biß jhn vnd sein gantz Hauß der Han weckt/ wann zu morgen/
Aurora sehen lesst jhr rosenfarben Haar/
Vnd mit dem klaren schein’ vmbhüllt der Sternen schar.
[B4a]
Es stehe wer da wil hoch an deß Glückes spitzen/
150 Ich schätze den für hoch der kan hierunten sitzen/
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[Druckausgabe S. 118]
Da keine Hoffart ist/ kein eusserlicher schein
So nur die Augen füllt/ kan seine selber sein.
Bleibt von deß Neides gifft’ vnd eifer gantz verschonet/
Weiß von der sünde nicht die in den Städten wohnet/
155 Vnd in den Winckeln steckt; stellt da sein Leben an/
Da seiner Vnschuldt selbst der Himmel zeugen kan.
Vertrawet Gott allein sein wesen vnd vermögen/
Siht alles vnter sich/ laufft seinem Tod’ entgegen/
Vnd schewt sein stündlein nicht. Der hat ein schweres endt/
160 Der allen ist bekandt/ vnd sich nicht selber kennt.
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Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Lob des Feldlebens, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. Band II, 1, hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: https://opitz.hab.de/edition/band-ii-1/ii_1_54/ (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Lob des Feldlebens, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.), Band II, 1