.1 O wol dem welcher noch .2 O clara divae stella

47. Sz 37 1622 .1 O wol dem welcher noch .2 O clara divae stella

Druck X: Virtuti honorique ... Sophiae-Elisabethae ... Georgii Rudolphi ... conjugis ... [Am Ende:] Lignici ... Nicolai Sartorii.

4°: A–P. Exemplare: Breslau (4 E 515/10 =) 355071 und 4 V 33/8; die beiden Gedichte auf Bl. I1a und L2a–L4b.

Druck Y: Consolatio ad ... Dn. Georgium Rudolphum ... cum ... Sophiae-Elisabethae conjugis ... obitum lugeret. Scripta a Bernhardo Guilielmo Nüslero. ... Accedunt carmina ejusdem argumenti. Typis Sartorian. Lignici ... [1622].

4°: A–D, E2. Exemplar: Breslau (4 E 515/9 =) 355070. Die beiden Gedichte auf Bl. D3a–E2a.

[Druckausgabe S. 4]

Das deutsche Gedicht ist in beiden Drucken von demselben Typensatz abgezogen; die Abweichungen in dem lateinischen Beitrag sind unwesentlich.

Die Verstorbene war die am 10. (oder 13.) Februar 1589 ge- borene Tochter des Johann Georg von Anhalt-Dessau. Der neun- zehnjährige Herzog Georg Rudolf hatte sich auf der Rückkehr von seiner Bildungsreise mit ihr verlobt, und die Hochzeit hatte am 4. November 1614 zu Dessau stattgefunden. Das reformierte Bekenntnis der Prinzessin soll zum zeitweiligen Bekenntniswech- sel Georg Rudolfs beigetragen haben. Die Ehe war kinderlos. Todestag ist der 9. (nicht der 2.) Februar 1622. (Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit gibt Grotefend X, 32 den Todestag nach dem alten Stil, also als den 30. Januar, an.) Das Begräbnis fand am 12. April statt.

Triller, I/II, 479, verzeichnet unter dem Text die klassischen Vorbilder für Formulierungen in Z. 35 und 42. Trillers Verteidi- gung Opitz’ gegen Tscherning in Sachen Akzentuierung von »Göttin« verkennt, daß Opitz meinte, der niederländischen Beto- nung folgen zu dürfen.

Die bei Witkowski (1902) unter Quellen zu seiner Nr. 40 mit- geteilten Randnotizen Barths – »Fere ex Hugonis Grotij ad Gernandum, pag. 269, ›Beatus ille, qui fugaces actibus,‹ etc. Iuxtaque ex Heinsii Iambis ad Manes Iani Dousae, pag. 111, ›Felix, qui medio suppositus polo‹«. – enthalten nicht eigentlich Hinweise auf Quellen. Bei Grotius’ Gedicht an den kurpfälzischen Rat Gernandus (Poemata Amsterdam 1670, S. 186) haben wir es mit dem Motiv des erfüllten Lebens zu tun und die Gemeinsam- keiten sind ganz allgemeiner Art. Aus dem Jambengedicht des Heinsius (Poemata, Leiden 1617, loc. cit.) findet sich bei Opitz nur das Motiv der Entrückung und des Herabblickens auf das eitle Treiben der Welt. Siehe auch Weevers, »Aspects«, Mod. Lang. Rev. 34 (1939), 236.

Das lateinische Gedicht, eine alkäische Ode, wird von M. Krause auf S. 86–88 besprochen und z.T. übersetzt. Gel. 55f. weist darauf hin, daß .1 Opitz’ erstes deutsches Gelegenheitsgedicht auf eine fürstliche Person sei. Zeilensprung, Ersparungsreihen und einige andere Stilmittel machen dies zu einem »recht gut gelungenen« ersten Versuch auf dem Gebiete des prunkhaften Epicediums; siehe auch Gel. 241/42 und 244.

[Druckausgabe S. 5]

[.1]
Begräbnüßgetichte.

O Wol dem welcher noch weil seine jugend blühet/
Vnd gantz bey kräfften ist/ schon auff das Ende siehet/
Das allen ist bestimmt/ vnd laufft mit lust vnd rhue/
So bald jhm GOtt nur winckt/ auff seine Stunde zue.
5 >Er wird von eitelkeit der dinge nicht verblendet
Die bloß im wahn bestehn; hat allezeit gewendet
Sein Himmlisches gemüt auff das so Ewig wehrt/
Verleßt was aussen ist/ ist in sich selbst gekehrt.
Je weiter er dann geht aus dieses Leibes ketten/
10 Je höher er auch kömpt/ kan vber alles tretten
Was Welt genennet wird/ sieht vnter sich die klufft
Der schnöden Sterbligkeit: Wie wann der printz der lufft
Der Adler ohngefehr aus seinem keficht reisset/
Vnd vber alle Berg’ hin in die Wolcken schmeisset/
15 Schwingt mit der flügel krafft sich auff das blaue Dach
Deß schönen Himmels zue/ vnd eylt der Sonnen nach.
Ein solcher grosser sinn/ wann er wil in sich weichen
Vnd gantz sein selber sein/ vermag nicht zu verbleichen
Für keiner Sterbensangst; er sieht den schwartzen Todt
20 Mit frischen Augen an/ legt allen Fall vnd Noth
Zue seinen Füssen hin/ wird niergend eingeschlossen/
Steigt vber sich zue GOtt von dannen er entsprossen/
Sachanmerkung + + + + + + + + + + +

[Druckausgabe S. 6]
Vnd lest die Erde stehn; gleich wie das Feuer thut
Wann es zu kräfften kömbt/ stößt von sich selbst die glut
25 Biß an der Sternen sitz. Es ist mit allen dingen
Die wir diß wüste rund sehn weit vnd breit vmbringen
Nur schlecht genung bestellt. Der eitelen begiehr/
Der Furcht’ vnd Kranckheit last beschwert vns für vnd für.
Die Freyheit hat der HErr der Herren weit erhaben/
30 Zue welcher schon allhier die hohen Seelen traben
Mit ernster embsigkeit/ verachten allen schein
Der Fleischlichen gewalt/ vnd wündtschen loß zu sein.
Sie sehen wie wir nun gemach von Jahr zu Jahren
Sind sämptlich Jung vnd Alt einander nachgefahren:
35 Wie jmmer eine Flut die andere vertreibt/
Vnd keine durch den Strom ohnfortgerissen bleibt.
Sie sehen das jetzund von vielen schönen Städten
Noch kaum der Name lebt; sie selbst sind eingetretten/
Verheert vnd ausgebrandt. Wie feste sie auch stund
40 Die grosse Mutter Rom/ noch fiel sie auf den grund.
Sie sehen das wo sonst das Meer ward von den Winden
Bestritten vnd gejagt/ jetzt Graß sich pflegt zu finden/
Vnd schön Geträyde wächst; vnd das numehr ein Schieff
Herein geht wo man vor im grünen lag vnd schlieff.
45 Ein jedes ding verstäubt; Der Anfang zeucht das Ende.
Diß lehrt mich die Natur. Wann ich die Augen wende
Auff diesen Baw der Welt/ merck’ ich das der Gebrauch
Nur allenthalben ist. Die grossen Cörper auch
Die Elemente selbst/ die werden stets gebohren/
50 Vnd gehn stets wieder ein: Wird eines wegverlohren/
+ + + + + + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 7]
So kombt ein anders auff. Ein jedes ist bedacht
Auff jenen grossen Todt/ wann nach der langen Nacht
Die man hier schlaffen muß diß Wohnhaus ab wird brennen/
In dem wir armes Volck so lauffen/ thun vnd rennen
55 Nach dem was auch vergeht/ vnd wann der blinde schein
Der falschen Herrligkeit wird Staub vnd Asche sein.
Das wild’ vnd zame Vieh mag nicht dem Tod’ entspringen:
Die Vögel geben sich; man hört sie auch wol singen/
Vnd gleichsam frölich sein: Wie sonderlich der Schwan
60 Sein Süsses Grabelied jhm selber tichten kan.
Ein jeder Baum der muß sein Haar die bletter legen/
Ist todt biß sich der West im Lentzen pflegt zu regen:
Die Blumen fallen ab/ vnd werden durch die krafft
Der Sonnen bald erzeugt/ bald wieder hingerafft.
65 Das grosse Liecht der Welt fehrt mit den müden Pferden
Auch täglich von uns weg/ vnd lesst es finster werden:
Der Güldnen Sternen Schar/ so bald die Morgenröht’
Aus jhrem Bette kömbt/ verblasset vnd zuegeht.
In summa/ allem ist sein mahl vnd ziehl bestimmet.
70 Drumb handelt dieser wol der von der Erden klimmet/
Vnd nimbt schon hier voran ein theil derselben lust
Die keinem noch zur zeit von vns ist recht bewust:
Der seinen sinn erhöht/ so viel diß schwache Leben
Vergönnen wil/ vnd schaut die schönen Geister schweben
75 Vmb jhren Schöpffer her/ erkennt das wahre Liecht
Zu vns hieher gesand/ das nunmehr weiter nicht
Als wir zwar sterblich ist. So bald man seine Wunden
Im glauben recht ergreifft/ so bald wird auch gefunden
Die Aertzney wieder das das alle furcht/ vnd noth
80 Sonst hier bey vns erregt; da sucht man auch den Todt.
Da wird/ ob schon das Hertz’ in lauter Flammen stehet/
Vnd jetzt zuebersten wil/ ein Mensch so weit erhöhet
Als er gelangen mag/ wann Fried’ vnd Freuden voll
+ + + + + + + +
[Druckausgabe S. 8]
Deß Lebens müdes Schieff die Segel streichen soll.
85 Nicht anders hat auch euch/ jhr Perle der Heldinnen/
Das Elend dieser Welt geführet eure sinnen
Zu dem was weder Feind noch sturm der zeit zuestört/
Vnd euch hier gutte Nacht zue geben recht gelehrt.
Auch so/ jhr wahres Bild vnd Spiegel aller Tugend/
90 Hat das Verhängniß euch/ noch eben in der Jugend/
Von hinnen weggerufft/ vnd euch dahin gesetzt
Da gantz in Ewigkeit kein Auge wird genetzt.
Da lebet jhr jetzund bey vielen tapffern Helden
Vnd Frawen/ derer Lob die Bücher noch vermelden.
95 Wo euer hoher Geist so offte hinbegehrt/
Da seyd jhr endlich nun mit Ehren eingekehrt.
Es ist die Frömigkeit euch selbst entgegen kommen/
So jetzt im Himmel wohnt/ vnd hat euch angenommen/
Vnd frölich eingeführt: Die süsse Frömigkeit/
100 An derer stelle wir jetzt hegen Haß vnd Neid/
Der keinen Selig macht. Ihr Kleid war mit dem Blutte
Deß HErren noch gemahlt/ das er/ bloß vns zu gutte/
Nach dem er auff sich nahm die frembde Missethat/
Durch diesen gantzen Kreiß der Welt gesprenget hat.
105 Diß war jhr schöner Rock in dem sie euch gegrüsset/
Vnd an die Brust gedruckt/ vnd freundlich hat geküsset/
O jhr/ jhr liebstes Kind/ auff die jhr Tag vnd Nacht
Für allen dingen hier so embsig habt gedacht:
Mit derer trefligkeit der Edle Stand vnd Orden/
110 Diß Reichthumb vnd gewalt ist vbertroffen worden.
Was Irrdisch ist vertirbt: Die Frömigkeit besteht
Wann Glut/ Lufft/ Erd’ vnd See zu grund’ vnd boden geht.
+ + + + + + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 9]
Wer ist doch vnter vns der eure Jahre zehlet?
Die Tugend bringt es ein was euch an alter fehlet/
115 O Menschliche Göttinn’ vnd eurer gaben zahl
Mit welchen euch auch fast vns Männern allzumahl
Deß milden Himmels gunst hatt scheinbar vorgesetzet;
Euch/ sag’ ich/ die jhr nie das Leben habt ergetzet
Mit dessen Volckes lust das an der Erden klebt/
120 Vnd seinen schwachen Geist gar nimmer auffwerts hebt.
Jetzt seyd jhr nun befreit von dieses Leibes bande/
Der Asche war vnd wird/ lebt in dem Vaterlande
Auß dem wir euch entlehnt/ schaut auff vns Menschen her/
Verlachet vnser thun/ die wir das trübe Meer
125 Deß Irrthumbs fort für fort mit grosser müh durchreisen/
Verfolgen vberall durch zwang/ durch Eiß vnd Eisen
Den theuren Koth das Geld/ mit recht’ vnd mit gewalt/
Vnd werden allgemach bey vnserm wündtschen alt.
Ihr habt den bleichen Todt nun vnter euch geleget/
130 Der euren Heldensinn zum minsten nicht beweget/
Den jhr/ als einen Freund vnd neuen lieben Gast
Der gerne wird gesehn/ habt vnverzagt gefaßt.
Noch trauren wir vmb euch: Der suchet eure Gaben/
Der eure Frömigkeit die jetzt mit euch begraben
135 Vnd eingesencket wird. Doch euch ist recht vnd wol;
Wir die wir vbrig sind stehn Noth vnd Jammers vol.
Deß Höchsten Rächers zorn/ der wegen vieler Sünden
Nicht länger rasten kan/ lesst häuffig sich jetzt finden/
Reißt allenthalben aus: Es ist zue wenig noch/
140 Zu wenig vber vns der Waffen schweres Joch
Vnd Bürgerliche Krieg/ die hochbeschwerten Zeiten
Mit Theurung/ Hungersnoth vnd was zu allen seiten
Vns mehr vnd mehr bedrängt. Es ist ein neues schwerdt
Mit dem deß HErren Hand vns durch die Hertzen fehrt/
145 Vnd durch den sinn darzue/ verkürtzet vnser hoffen/
Das gar zue eitel ist. Ein jeder wird getroffen
+ + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 10]
Von vns durch euren Todt: Wie wann ein Baw gestellt
Auff einer Säulen steht/ vnd sie darnieder fellt/
So muß er auch hernach. Wir sollen hier noch ringen/
150 Vnd zwischen Furcht’ vnd Trost die rawe zeit vollbringen/
Erwarten mit Gedult auch vnser letztes ziehl
Wann der so alles schafft vns zue sich haben wil.
Nun euch/ jhr Königinn der Tugendhafften Frawen/
Sey besser als vns hier/ die wir jetzt nicht mehr schawen
155 Die grosse freundtligkeit/ vnd vieler Gaben Schar
Mit der kein Sterblich Mensch euch zuvergleichen war.
Es mussen Rosenbäum’ aus eurer Grufft fürschiessen/
Es mussen euren Sarch Violen rings vmbschlissen
Vnd Blumen vieler art/ es musse diß Gebein
160 Mit aller Specerey vmbher verschüttet sein.
+ + + + + + +

[.2]
Ad Serenissimum Principem |
GEORGIUM RUDOLPHUM, | Obitum conjugis
incomparabi- | lis lugentem, | Lyricum ejusdem.

O Clara divae stella Silesiae,
Heroa conjux impete quo tibi,
Nil tale quicquam cogitanti,
E mediis properante fato
5 Aufertur ulnis, dum superest catae
Fervor juventae nec roseus fugit
Candor genarum? Jure moestis
Numina sollicitas querelis
Sachanmerkung

[Druckausgabe S. 11]
Demptasque luges delitias, memor
10 Harum sodalis quas thalami trahit
Dulcedo rerum. Sed protervus
Cuncta feret per inane Corus.
Jus quippe lethi sanctaque vis deum
Quenquam reverti post obitum vetant
15 Ad nos in has orbis minantes
Interitum putridi ruinas.
Nobis terenda est haec quoque semita,
Justo sorores stamina pollice
Cum fluxa deducunt; virili
20 Interea tolerare sortis
Multum frementis tela animo decet,
Certos nec isto nos stabiles solo
Durare semper nec perenni
Compositos recubare terra.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, .1 O wol dem welcher noch .2 O clara divae stella, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. Band II, 1, hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: https://opitz.hab.de/edition/band-ii-1/ii_47/ (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, .1 O wol dem welcher noch .2 O clara divae stella, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.), Band II, 1