Es ist in Engelland

[Druckausgabe S. 133]

34. Sz 26 1619 Es ist in Engelland

[Viro Cl. Dn. Caspari Kirchnero Poetae-Caesareo et Philologo & Marthae Queisseriae, Sponsis, Solemniter Boleslaviae Silesiorum maritandis Amici εὐγαμει̃ν. Argentorati, Excudebat Marcus ab Heyden 1619.]

4°: A. Exemplar Breslau verloren; Titel nach dem alten Katalog.

Unser Gedicht steht als Nr. V auf Bl. A3a–A4b; der Text nach Höpfner, ›Straßburg und Martin Opitz‹, Beiträge zur deutschen Philologie (Zacher-Festschrift, 1880), 295–302.

Wir können nicht mehr feststellen, wer unter Kirchners Straß- burger Freunden die Hochzeitsschrift angeregt hatte. Dies Epitha- lamium ist Opitz’ drittes größeres deutsches Gedicht; die zwei frü- heren sind die Hochzeitsgedichte für Namsler-Weigel, Nr. 22, und für Ruttart-Namsler, Nr. 26.

Caspar Kirchner, Opitz’ Landsmann, Gönner und Vetter (Kirch- ners Mutter war die Schwester von Sebastian Opitz, des Dichters Vater), wurde am 31. Dezember 1592 in Bunzlau geboren. Nach dem Unterricht bei Christoph Opitz and Valentin Senftleben, ging Kirchner im Alter von 18 Jahren nach Breslau, wo er, wie Opitz später, in den Häusern der gebildeten und einflußreichen Patri- zier wie Cunrad, Hoeckelshoven, Bucretius, Henel u. a. Zutritt fand.

Im Jahre 1610 noch ließ er sich »Reminiscere, nundinis« (Ru- bensohn VI, 218) in Frankfurt immatrikulieren. Doch ist nicht zu ermitteln, ob er tatsächlich damals oder überhaupt in Frankfurt studiert hat. 1615 ging er zum Studium nach Straßburg, wo er sich zwei Jahre aufhielt. Da er bei einem Besuch in Basel von dem berühmten Johann Grasser (1579–1627) die Laurea erhielt, muß er sich vorher dichterisch betätigt haben. In Leiden, wo er am 30. Juni 1617 als »theologus Silesius« eingeschrieben wurde (Rei 925), machte er die Bekanntschaft des großen Altphilologen und Dichters Daniel Heinsius. Durch ihn wurde er auf das Dichten in der Muttersprache aufmerksam gemacht. Als er sich nach Be- endigung seiner Bildungsreise, die ihn durch Belgien, Frankreich und England führte, 1618 auf den Heimweg begab, überreichte

[Druckausgabe S. 134]
ihm Heinsius ein lobendes Propemptikon und ein Exemplar seiner Hochzeitsschrift von 1617 mit seinem eigenen niederländischen Epithalamium.

In Schlesien fand Kirchner zunächst eine Stellung als Lehrer (Kantor) an der Bunzlauer Schule, wo er am 19. April 1618 feier- lich eingeführt wurde. Die Hochzeit mit Martha Queisser fand am 19. März 1619 statt. Nach vierjähriger Lehrtätigkeit in Bunzlau ging Kirchner als Bibliothekar des Fürsten Georg Rudolf nach Liegnitz; später wurde er dessen Rat. 1622 schlug ihn Herzog Christian Georg von Brieg als Lehrer für die von Bethlen Gabor neu eingerichtete Akademie in Gyula Fehérvár vor, doch lehnte er ab.

Im Jahre 1625 reiste Kirchner nach Wien mit einer Gesandt- schaft, die von den schlesischen Fürsten und Ständen den Auftrag erhalten hatte, dem Kaiser zum Tode des Erzherzogs Karl, des Bischofs von Breslau, der am 26. Dezember 1624 in Madrid ge- storben war, zu kondolieren. Durch Kirchners Vermittlung durfte sich Opitz dieser Gesandtschaft anschließen. In Wien erhielt Kirchner von Ferdinand den Titel eines kaiserlichen Rates und Opitz wurde zum Poeta Caesareus Laureatus gekrönt.

Schon 1626 begann Kirchner zu kränkeln. Er starb am 15. Juni 1627 zu Liegnitz und wurde auf seinen Wunsch in der Pfarrkirche zu Bunzlau an der Schulwand begraben. In einem letzten lateini- schen Gedicht bittet er seinen Freund, den Pastor Paul Hallmann, sich seiner Witwe und der fünf Kinder (vier Töchter und des Sohnes Kaspar) anzunehmen.

Kirchners deutsche Gedichte, neun an der Zahl, sind im An- hang von Opitz’ Sammlung A gedruckt (oder wieder abgedruckt) worden. Es handelt sich, außer dem Epithalamium auf Ruttart- Namsler (nach Heinsius, siehe Nr. 26) noch um den kleinen Zy- klus ›Frauenlob‹, der fünf Gedichte enthält und für die Hochzeit Bartsch-Burckhard bestimmt war (siehe Nr. 49), sowie um ein Gratulationsgedicht an den Herzog Georg Rudolf, ein Epigramm auf den Bunzlauer Arzt Georg Kober und das Epigramm ›Phoe- bus pfleget jetzt zu rennen‹.

Opitz’ Wertschätzung Kirchners ist durch eine ganze Reihe von Widmungen und Gedichten bezeugt. Opitz widmete Kirchner (zu- sammen mit Nüßler) den Hipponax ad Asterien (Nr. 28) und Kirchner allein die Übersetzung Lobgesang Jesu Christi aus dem

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Niederländischen, die Kirchner angeregt hatte (Nr. 45). Auf die Geburt von Kirchners Tochter Maria Theodora schrieb Opitz das Sonett ›Komm/ liebes Kind‹, Nr. 72. 23 (Sammlung B). Drei Gedichte in Silv. lib. III. sind an ihn gerichtet: ›Felix qui patriis‹ S. 51; ›Frustra retentas‹ S. 66 und ›Curarum doctam‹ S. 121 (dies schon als Nr. 72. 38). Siehe auch Nr. 35 und das Register.

Auf Ersuchen des Silesiographen Nicolaus Henel schrieb Opitz 1635 eine Lebensbeschreibung Kirchners für Henels Silesia to- gata. Diese Vita, die auch für obige Darstellung die Hauptquelle war, ist bei Reifferscheid in Brief 481 (und weniger genau bei Palm S. 186–189) abgedruckt. Darin befindet sich der einzige erhaltene Brief Kirchners an Opitz.

Auff Herrn Caspar Kirchners vnd Jungfrawen
Martha Queisserin Hochzeit.

Es ist in Engelland/ wo sonst Diana hetzet/
Vnd an der Temse rand sich mit der Jagt ergetzet/
Nicht weit von Windesoor ein lustig grünes Thal/
Mit Gaben der Natur gezieret vberall.
5 Die Klippen oben zue seyn fürgesetzt der Sonnen/
Die Wiese wird erfrischt von vielen süssen Brunnen/
Die Blumen vnd das Graß ist niemals abgemeyt/
An Winters statt ist Herbst/ an Sommers Frülingzeit.
In dieses edel’ Orth ist Venus endlich kommen
10 Nach dem der Selymus jhr Cypern eingenommen/
Da hat jhr Volck ein Hauß von Rosen auffgebawt/
So die Poeten nur sonst niemand angeschawt.
Der Mond’ ist viertzig mal nun fast mit frischen Pferden
Gereiset vmb vnd vmb den runden Kreiß der Erden/
15 Als jhr/ Herr Bräutigam/ alldar seydt angelangt/
Vnd euch ward zu erkendt was jhr erst jetzt empfangt.
Sachanmerkung + + + + + + + + +

[Druckausgabe S. 136]
Dann als die Göttin sah wie jhr auß lust der Tugend
Auffgabet williglich die blüt’ an ewrer Jugend:
(Nicht wie die meisten thun so wandern vber Meer/
20 Vnd bringen für Verstand frembd’ Art von Lastern her/
Ertappen newe tracht anstatt der Weißheit güter/
Verändern nur die Lufft/ behalten die gemüter.)
Hat sie es so versehn/ weil sie Poeten huld/
Daß jhr in diesem Port’ euch hier erholen solt.
25 Wo ist nun die Natur/ wo seind die grossen sinnen
Mit derer Hoheit jhr zuvor erschöpffen können
Den grund der wissenschaft? Wo ist der Weißheit zier
Mit der jhr ohne schertz giengt vielen andern für?
Wo ist der Circkel denn mit welchem jhr der Sternen
30 Vnd Himmels eygenschafft gepfleget zuerlernen?
Hier/ hier ist ewre Sonn’/ ist ewer Firmament/
Ist ewer Erdenkreiß: hier hat die Welt ein end.
Laßt Aristoteles/ laßt liegen Epicteten/
Vergeßt der hohen Künst der Himmlischen Poeten:
35 Was mein Ovidius geschrieben/ hilfft euch nicht;
Was Maro nie gewußt/ wird jetzt ins Werck gericht.
Vergönnet mir den Lauff der tapffern werthen Helden/
Die vmb das Vatterland sich opffern/ zu vermelden:
Daß so jhr jetzund thut ich nicht zuthun beger/
40 Daß so ich wolte thun wer’ euch mit dem zuschwer.
Ihr werdet von der lust davon jhr offt geschrieben
Mit grosser Höffligkeit/ jetzt selber auch getrieben:
+ + + + + + + + + + + + + + + + + +
[Druckausgabe S. 137]
Wovon jhr vor der zeit so schöne Verß erdacht/
Wird billich dermal eins euch nun zu Hause bracht.
45 Vnd sehet/ es kömpt gleich von Venus ein Postirer/
Der gülden’ Hesperus/ der Sternen einfurirer/
Der meldet jhr solt fort/ es sey schon hohe zeit.
Geht hin/ jhr liebes par/ den weg der Ewigkeit.
Geht/ geht/ es ist gewiß ohn’ einige gefehre;
50 Vnd wenn das würgen nicht in Böhmen grosser were/
Es solte mancher wol der bey der Mutter ligt/
Vnd nur das Pflaster drückt/ hinlauffen wo man kriegt.
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Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Es ist in Engelland, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. Band I, hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: https://opitz.hab.de/edition/band-i/i_34/ (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Es ist in Engelland, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.), Band I