Rezeption

Martin Opitz ist der Begründer der Neueren Deutschen Literatur – so sahen es schon die unmittelbaren Zeitgenossen, so sah es die Nachwelt, so sieht es die heutige Barock-Forschung. Mit seinem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) begründete Opitz das Deutsche als Literatursprache im Anschluss an die europäische Renaissanceliteratur, die er in seinen Deutschen Poemata (Straßburg 1624 bzw. Breslau 1625) in Übersetzung und Bearbeitung rezipierte. Opitz’ Versreform – die Entscheidung für den natürlichen Wortakzent als regulatives Prinzip des Verses – setzte sich rasch und weithin unangefochten durch. Damit wurde Opitz auch zu einer Schlüsselfigur in der deutschen Sprachenfrage: Mit ihm und in seinem Gefolge setzte sich die mitteldeutsche Varietät gegen die oberdeutschen (z.B. das Bayerische) nachhaltig durch. Durch seine weiteren Dichtungen in allen Gattungen der späthumanistischen Poetik eröffnete Opitz seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen ein weites Spektrum an Gattungsoptionen – vom „heroischen Gedicht“ über das Singspiel (Daphne) bis hin zur griechischen Tragödie (Antigone) oder zum deutschen Epigramm (Florilegium variorum epigrammatum). Nachdem Opitz 1639 in Danzig an der Pest verstarb, entstand eine Fülle von Trauergedichten (Epikedien), in denen die Bedeutung des Dichters für die deutsche Literatur und Nation gewürdigt wurden. Ein langes Epikedion des Hamburgers Johann Rist (Lob- Trawr- und Klag-Gedicht) und eine berührende bukolische Trauerode des Königsberger, dann Tübinger Dichter-Professors Christoph Kaldenbach (Galatee. Des weitberühmten Poeten Martin Opitzen. Grab-Lied) zeigen exemplarisch den Rang, der Opitz von den Zeitgenossen zugeschrieben wurde. Das „opitzieren“ – d.h. der Anschluss an die sprachlichen, prosodisch-metrischen und stilistischen Vorgaben des Martin Opitz – wurde zum Königsweg der deutschen Dichtung. Schon kurz nach seinem Tod entstanden die ersten Biographien. Sein Freund Christoph Köhler (Colerus) verfasste eine Vita, die Opitz vor allem in seinem diplomatischen Wirken am Hof darstellte; bis 1690 erschien sie in immerhin vier Auflagen. Das Interesse an und die Hochschätzung von Opitz’ weltlichen und geistlichen Werken blieb ein Jahrhundert lang unangefochten, auch wenn sich in den Jahren nach seinem Tod ein markanter Stilwandel vom ‚vorbarocken Klassizismus‘ (Richard Alewyn) zum hochbarocken, manierierten Stil eines Lohensteins vollzog.

Es war der Leipziger Literaturpolitiker Johann Christoph Gottsched, der in einer Gedächtnisrede anlässlich des 100. Todestages von Martin Opitz an der Universität Leipzig programmatisch den Anschluss an den ‚Klassiker‘ Opitz forderte und dessen kulturpatriotisches Programm mit dem Gedankengut der Aufklärung verband. Schon in seiner poetologischen Schrift Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730)nahm Gottsched würdigend auf Martin Opitz und sein Buch von der Deutschen Poeterey Bezug. Auch die Generation nach Gottsched war noch von der ausgesprochenen Wertschätzung für den ‚Vater der deutschen Dichtkunst‘ bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts geprägt, so etwa Lessing in einem frühen Lehrgedicht mit dem Titel Aus einem Gedichte über den jetzigen Geschmack in der Poesie. Eine noch ausstehende Würdigung des ersten Jahrhunderts der Rezeption in Deutschland könnte zeigen, wie Opitz in den unterschiedlichsten Gattungen den Grundstein für die weitere Entwicklung legte. Auf dem Feld des politisch-heroischen Romans wirkten seine Übersetzungen von Barclays bzw. Mouchembergs Argenis-Romanen (erster Teil 1626, zweiter Teil 1631) und der Arcadia Philip Sidneys (1638) als Initialzündung. Auf dem Gebiet des Lehrgedichts setzte Opitz’ Vesuvius (1633) Maßstäbe, insbesondere für die Darstellung von Krankheit und Katastrophe. Noch Daniel Trillers Pandemie- und Impf-Gedicht Geprüfte Pocken-Inoculation (1766) schloss markant an Opitz’ Vulkangedicht an.

Erst mit dem peotologischen Paradigmenwechsel nach 1770 wendete sich das Blatt. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts richteten sich Herder und andere gegen die vormoderne Regelpoetik und das – auch von Opitz geteilte – Prinzip der Nachahmung vorbildlicher Autoren, Traditionen und Gattungen. Andererseits fanden insgesamt vier der schlichteren, volkstümlichen Lieder wie Ich empfinde fast ein Grawen Eingang in die bedeutende romantische Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn (1806, unter dem Titel Überdruß der Gelahrtheit). Vor dem Hintergrund der patriotischen Begeisterung der Befreiungskriege trat zunehmend Opitzʼ sprach- und kulturpatriotische Sendung, z.B. sein Sprachpurismus ins Zentrum: Opitz wurde zum Sinnbild eines patriotischen, deutschen Nationaldichters und schließlich im 20. Jahrhundert auch für die Zwecke des Nationalsozialismus instrumentalisiert. Wegweisend wirkten die Darstellungen von Friedrich Gundolf (Martin Opitz, 1923) und Richard Alewyn, der in seiner Studie zur Antigone-Übersetzung (1925/26) die prägnante Formel vom ‚vorbarocken Klassizismus‘ fand. Daneben wurde Opitz sogar zum Romanhelden, so in Max Halbes unvollendetem Roman Die Friedensinsel (1945), der das irenisch-kosmopolitische Danzig beschwört, in dem Opitz seine letzten Lebensjahre verbrachte.

Einen Überblick über die (literatur-)wissenschaftliche Beschäftigung mit Martin Opitzʼ Werk bietet eine von Julian Paulus und Robert Seidel herausgegebene Opitz-Bibliographie. Sie umfasst sämtliche Werkausgaben sowie Monographien und Aufsätze über Opitz und seine literarische Produktion ab 1800 bis 2002. Einen Wendepunkt in der Opitz-Forschung und der Barock-Forschung insgesamt markiert Richard Alewyns Dissertationsschrift Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie (1625/26). Um die Erschließung des Werks machten sich Gerhart Dünnhaupt und Marian Szyrocki verdient, letzterer vor allem auch mit einer Werkbiographie zu Martin Opitz. Eine umfassende Geschichte der Rezeption des Martin Opitz verdanken wir Klaus Garber, der auch die jüngste Gesamtdarstellung des Dichters und seines Werkes verfasste. Herausragende Wegmarken der Opitz-Philologie sind die Editionen der lateinischen Werke durch Veronika Marschall und Robert Seidel (2009-2015) sowie des Briefwechsels und der Lebenszeugnisse durch Harald Bollbuck und Klaus Conermann (2009). Nach fast dreißigjähriger Pause wird nun auch die historisch-kritische Edition der deutschsprachigen Werke, die der amerikanische Germanist George Schulz-Behrend schon 1968 begonnen hatte, durch Prof. Dr.  Jörg Robert und sein Tübinger Team in Zusammenarbeit mit dem Hiersemann-Verlag (Stuttgart) zu Ende geführt. Das Projekt wird als Hybridedition in enger Kooperation mit der Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel) durchgeführt, die federführend die digitale Komponente betreut.