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.1 Trostschrift an David Müller
.2 »Die Zeit so wir«
.3 Threnen zu Ehren der Ewigkeit: »Ach! was ist diß«
Spiegel aller Christlichen Matronen/ | oder | Ehrengedächtnuß | Der ... | ... Frawen Marien gebor-|nen Rhenischen/ Herren Da- vid | Müllers geliebten Haußfrawen: | Von gelehrten gutten Freun- den | geschrieben. | Gedruckt zum Brieg/ bey Augustin Gründern/ | Im 1628. Jahre.
4°: A–K, M 2 Exemplare: Breslau 4 V 65/48; Göttingen UB, Poet. Germ. 2731
Auf Bl. B1–D3 der Text von Martin Opitzen | Trostschrifft. Der Zwischentitel steht auf B1a, die Rückseite ist unbedruckt. Kopftitel ist mit dem Zwischentitel identisch, der Text endet Mitte D3b mit einem kleinen rechteckigen Ornament. Auf Bl. D4a wird unter dem Kopftitel Eben sein Martin Opitzen Trostgesang. das Gedicht »Die Zeit so wir verschliessen«, Nr. 90, wiederholt. Schließlich folgt auf Bl. K2–D3b »Ach! was ist diß?«
Nr. 91.2 (als Einzeldruck Nr. 90) stellt Opitz’ erste Schrift zum Tode von Maria Rhenisch dar. Etwa gleichzeitig erschien eine wei- tere Veröffentlichung, SSLS III 437 (2169); sie enthält auf 7 Quart- seiten den Lebenslauf der Verstorbenen und die Predigt von Pastor David Faber. Ein Ungenannter stellte eine dritte Leichenschrift zu- sammen, den hier behandelten Spiegel: Mende 405 (R4071); SSLS IV 946 (24575). Diese Sammlung ist im Hinblick darauf, daß es sich um den Tod einer Bürgersfrau handelt, überdurchschnittlich um- fangreich. Allerdings entstammte die Verstorbene einer angesehe- nen Gelehrtenfamilie, und der Witwer war Breslaus bekanntester Verleger und Buchhändler, der mit vielen Männern der Feder in Verbindung stand. Die Beiträger, ›ein gantzer hauffe‹ (Bl. D3b), über 75 an der Zahl und manche mit zwei oder drei Beiträgen sind natürlich z. T. dieselben, welche vier Jahre zuvor den Tod von Maria Müllers Bruder beklagt hatten (siehe die Nummern 61 und 62). Er- wähnenswert sind vor allem die Lehrer der beiden Breslauer Gymna- sien: David Rhenisch (der Vater der Verstorbenen), Elias Major,
Der nächste authentische Druck von .1 findet sich in C II, S. [423]–450. Zwischentitel, S. [423]: Martin Opitzen | Trost- schrifft; | an Herrn Davidt Müllern. S. 424: Kopfleiste, 1,3 × 7,9 cm; Linie, 7,9 cm; Kopftitel: Martin Opitzen | Trost- schrifft. Initial-F, vier Zeilen im Geviert (1,7 × 1,7 cm). Der Text endet in Spitzkolumne im oberen Drittel von S. 450, dem vorletzten Blatt des Buches. Auf das Wort ENDE. folgt noch ein groteskes Mas- kenornament, 4,9 × 4,7 cm. Kolumnentitel sind nicht vorhanden; Seitenzahlen in der Mitte über der Kolumne; die Kustoden enthal- ten keine Irrtümer oder Unregelmäßigkeiten.
In F II steht .1 auf S. [167]–192 wie folgt: S. [167]: MARTINI | OPITII | Trostschrifft: | An Herrn David Müllern. S. [168] enthält die unten abgedruckte Notiz »An den Leser«, deren Überschrift aus der Tertia gesetzt ist. Unter einer Linie von 6,9 cm Länge folgt der aus der Textfraktur gesetzte Wortlaut der Notiz. Die Initiale W mißt 1,2 × 1,4 cm. S. 169: unter dem Kolumnentitel Trostschrifft. und einer Kopfleiste von 0,8 × 7,2 cm der Kopftitel wie in C. Initia- le F, 1,3 × 1,2 cm; der Text der Trostschrift endet in Spitzkolumne mit der 4. Zeile auf S. 192; in der Mitte der Seite ein medaillonähnli- ches Ornament von 2,4 × 3,3 cm. Kolumnentitel: MART. OPITII || Trostschrifft. Seitenzahlen l. und r. außen über der Kolumne. Auf S. 192 steht rechts vom Kolumnentitel auch noch die fehlerhafte Sei- tenzahl 272. Unregelmäßige Kustoden: 187 Rettulit 188 Retulit; 189 muß 190 Sie; 191 Leuthen 192 Leuten.
Der einzige erwähnenswerte spätere Abdruck findet sich bei Tril- ler: Bd. I/II. S. 707–28. Triller benutzte F als Druckvorlage und fügte 22 Anmerkungen hinzu, davon enthalten einige Quellenanga- ben.
Der Text von .1 ist recht nachlässig gesetzt. Hrsg. hat Umlautzei- chen dort stillschweigend eingefügt, wo sie in C oder F oder in beiden aufscheinen.
Wie der Dichter selbst betont (Bl. B2a), hat er die Schriften der Alten weitgehend herangezogen, sie umschrieben oder zitiert. Es sind vor allem Senecas Dialoge und Briefe, die er verwendet hat. In seinem Aufsatz »Martin Opitz und der Philosoph Seneca«, Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur VIII bzw. XV (1905), 334–44, hat Eduard Stemplinger auf eine Anzahl von Quellen und Parallelen hingewiesen. Die Zahl ließe sich noch vermehren, wenn es gälte, die in der »Trostschrift« vorhandene Mischung von Übernommenem und Selbstformuliertem zu zerlegen. Gellinek 237–41 analysiert und kommentiert .1 mit Hervorhebung der beiden Sonettübersetzungen.
Zu .2 siehe Nr. 90.
»Threnen | zue ehren | der ewigkeit« beginnt auf Bl. K2a und en- det unten auf Bl. K4b über einem aus zwei Blättchen bestehenden Ornament. Die Vorlage findet sich in dem Traktat Nicetas seu triumphata incontinentia des Konvertiten Jeremias Drexel, S. J. aus Augsburg. Nicetas erschien zuerst 1624 bei Nicolaus Heinrich in München und war bis 1628 an verschiedenen Orten elfmal aufge- legt worden. Die deutsche Übersetzung von Christoph Agricola kam zuerst 1625 heraus. Weitere Auflagen und Übersetzungen in andere Sprachen folgten; siehe Dünnhaupt ›Jeremias Drexel‹, Nr. 8.
Drexels Gedicht »Lachrimae aeternitatis sacrae« ist in Buch II, Kapitel 11 zu finden und besteht aus 44 vierzeiligen Strophen. Das Wort aeternitas ist durch Großbuchstaben hervorgehoben. Hierin und in der Länge hält Opitz sich eng an die Vorlage. Bei Opitz sind die Strophen weder numeriert noch im Satz abgesetzt, doch sind die Zeilen 1, 5, 9 usw. nach links vorgerückt. Zu Opitz’ Über- setzung liegt bisher noch keine Spezialuntersuchung vor. H. Max, 146/47, kommentiert das Gedicht, als ob es Opitz’ eigenes sei, und weist auf Rists Paraphrase »O Ewigkeit, du Donnerwort« hin. Zu Drexel siehe Karl Pörnbacher, Jeremias Drexel, Seitz, München 1965; bibliographisch bringt Dünnhaupt einige über Pörnbacher hinausgehende Titel.
Zur Identifizierung der Vorlage siehe John Bruckner, »›Threnen zu Ehren der Ewigkeit‹: Überlegungen zur Vorlage einer Opitz- Übersetzung, 1628«, Dt. Barockliteratur u. europäische Kultur, Bd. 3, M. Bircher u. E. Mannack, Hrsg., Hamburg 1977, 227–29.
In den Sammlungen ist .3 wie folgt abgedruckt: C II, S. 396–402 in der Abteilung Oden oder Gesänge. Dort unter einer Kopfleiste, 0,6 × 7,9 cm und einer Linie derselben Länge, der Titel »Threnen | Zu Ehren der Ewigkeit; | Auß eines andern seinem | Lateinischen. | IV.« Initial-A vier Zeilen in Geviert; das Wort Ewigkeit ist zwar hervorgehoben, doch die für die Emphase verwendete Type (Schwabacher in gleicher Größe wie die für dies Gedicht verwendete Frakturschrift) ist nur schwer wahrnehmbar. Auf der unteren Hälfte von 402 ein kleines Ornament aus drei Blättern um (o) grup- piert.
In E steht das Gedicht in der Abteilung Geistliche Oden oder Ge- sänge. Es nimmt die unteren drei Viertel von S. 235 (verdruckt als 253) ein und erstreckt sich bis 240. Über dem Titel eine Zierleiste, 0,7 × 7,4 cm; der Titel lautet nun »...| Auß eines andern Latei-| ni- schen. | Auff die Weise deß 9. Psalm. | Ich will dich Herr/ von Hert- zen grunde.« Hervorhebung des Wortes Ewigkeit ist nun nicht mehr vorhanden.
[.1]
〈Nur F II, S. [168]:
An den Leser.WIewol diese Trostschrifft nicht Poetisch ist/ dennoch weil sie zu- vor bey diesen Büchern gewesen/ auch gleichmässigen Inhalt mit den Begräbnüßgedichten hat/ ist sie dabey gelassen worden.〉
Martin Opitzen
Trostschrifft.
FReundtlich geliebter Herr Müller; Vber dem abschiede Ewerer seligen Haußfrawen bin ich ewrentwegen nicht vnbillich beküm- mert/ vnndt trage ein solches mitleiden/ wie dem jenigen gebüh- ren wil/ dessen freundtschafft sich weiter erstreckt dann die
Was ist es aber/ das jhr dem schmertzen so viel einräumet? Be- weinet jhr nicht einen Menschen/ der eben das jenige gethan [B2b] hatt/ was wir alle thun müssen? Es hatt einen solchen zuestandt vmb die allgemeine notwendigkeit/ das sie alle dinge/ sie wieder- fahren mitt jhrem willen oder vnwillen/ an eine vrsache die vber vns vndt Göttlich ist verbindet; das sie fodert/ vndt nimpt wann man nicht giebet; das sie für schreibt/ vndt jhr nicht fürschreiben leßt: welcher darumb ein weiser mann/ nichts versaget/ vndt sich auß dem lauffe deß gantzen vndt der theile/ vnter die er auch ge- höret/ in das jenige was jhm geschiehet mitt beständigkeit schi- cken lernt〈/ vnd eben das saget was Cleantes beim Seneca:
+ + + + +
Duc me parens, celsique dominator poli,
Quocunque placuit: nulla parendi mora est.
Assum impiger: fac nolle, comitabor gemens:
Ducunt volentem fata, nolentem trahunt:
5 Malusque patiar, quod pati licuit bono.
O Vater aller ding’/ vnd Herr der gantzen Welt/
Nim hin vnd führe mich wohin es dir gefellt;
Es ist kein säumniß hier; ich bin geschickt darzu/
Vnd muß auch/ wann ich schon es nicht gar gerne thu.
5 Du führst den der dir folgt/ vnd schleppst die widerstehn/
Vnd wann ich guet nicht wil/ so muß ich böse gehn. CF〉
Dieses grosse Gantze was wir Welt nennen/ was in himmel/ erden vndt see besteht/ hanget an gemeldeter Notwendigkeit dermaßen/ das nichts bestendiges darinnen gefunden wirdt als die vnbestendig- keit. Die elemente/ auß denen alle andere sachen herrühren/ fan- gen vnendtlich zuegleich an zue leben vndt zue sterben; vndt von jhrer verenderung pfleget dieses zue werden/ jenes vnter zue ge- hen. Die fackel der welt die Sonne/ das schöne liecht des erdtbo- dens/ weichet der nacht/ vndt drewet täglich/ was sie dermaleins/ wann alles krachen vndt brechen soll/ wirdt thun mäßen. Sie wirdt zue weilen vertunckelt/ vndt zeiget an/ es werde ein tag sein/ an dem sie nicht mehr sein wirdt. Dieser jhrer Königinn folget nebenst dem vnbestendigen Monden/ das andere heer der sternen/ gehet so offt hinweg als es kömpt/ vndt gesegnet vns die wir sämptlich gesegnen sollen. Es ist niemals allzeit früling/ allzeit sommer/ allzeit herbst vnd winter/ vndt diese zeiten sindt mitt der Zeit vmbschloßen.
Die thiere der erden/ was laufft vnd kreucht/ die fische vndt wundergeburt des meeres/ die kinder der lufft die vögel/ führen vns mitt jhrem tode den vnsrigen zue gemüte. Die bäwme laßen jhre blätter fallen/ vndt scheinen zue sterben so offt der winter jhre ziehr hinweg reißt. Der felder glantz die blumen hangen jhr wolschmeckendes Haupt/ vnd verwelcken entweder von sich + + +
Es wehren allhier wenig sachen lange/ keine nicht ewig. Lucius Anneus Seneca/ oder wer es sonsten ist/ spricht gar wol:
Omnia tempus edax depascitur, omnia carpit;
Omnia sede movet: nil sinit esse diu.
Flumina deficiunt: profugum mare littora siccat:
Subsidunt montes et juga celsa ruunt.
5 Quid tam parva loquor? moles pulcherrima mundi
Ardebit flammis tota repente suis.
Omnia mors poscit: lex est, non poena, perire.
Hic aliquo mundus tempore nullus erit.
Die zeit setzt jhren zahn in alle sachen ein;
Reißt alles mit sich hin; leßt nichts nicht lange sein.
Die flüße trucknen auß/ das meer verleßt den randt/
Die klippen stürtzen ab/ ein berg wirdt ebnes landt.
5 Was sag’ ich dieses nur? der schöne baw der welt
Soll endtlich von der glut noch werden gantz gefeltt.
Durch ordnung nicht durch straff’ ist alles rauch vndt windt;
Die erde wirdt nicht sein in der wir menschen sindt.
Gehe nun einer hin/ vndt beklage den betrübten zuestandt Deutschlandes des schönsten theiles von Europa. Er beweine die verwüstung so vieler länder vnd städte; weil auch die erde vnter- gehen vndt fallen soll/ die doch keinen ort hatt wo sie hin fallen kann. Betrawret Ihr ewre Liebste/ nach dem so viel tausendt men- schen/ so viel ritter vnd helden beyderseits/ durch jetzigen jäm- merlichen krieg vndt einheimische waffen hingewürgt vndt auffge- opffert worden sind.
Freylich wird ohn schmertzen nicht verlohren/ was mitt liebe beseßen ist worden: Doch wollet jhr sie je betrawren daß sie ge- storben ist/ so betrawret sie auch das sie ein mensch gewesen ist. [B3b] Der erste eingang zum leben ist schon ein schritt zum tode. Mitt dieser bedingung sindt wir herein kommen/ das wir wieder- umb wollen hinaus gehen. Vndt wann wir alles was menschlich an + + +
Was sindt wir anders als ein spiegel des elendes/ ein hauß der kranckheit vndt sorgen? Keiner stirbet so arm/ als arm er geboh- ren wirdt. Die thiere bringen jhre diecke häute/ jhre haare/ bor- sten/ schuppen vndt schalen mit sich: Die bäwme sindt mitt jhrer rinde vmbhüllet. Der Mensch das göttliche thier/ dessen vrsprung vom himmel ist/ hebet nicht ehe an zu leben als zue weinen/ vndt zeiget mitt seinem klagen an/ daß er dahin gelange wo nichts als klagen sein werde. 〈So das er keinmal weniger leuget/ als wann er das Leben mit weinen anfängt. CF〉 Lachen 〈aber CF〉 wirdt man für dem viertzigsten tage/ wann es zeitlich geschiehet keinen se- hen. Wann lernet er gehen? Wann reden? wann eßen? Also das er auch das jenige nicht gern zue thun scheinet/ was er thun muß/ im fall er anders leben wil. Seine kindtheit ist ohnmächtig/ sein alter kindisch/ seine jugendt vnbeständig/ seine manneszeit mühselig/ vnd wo er hinsiehet/ da findet er nichts als mangel der nottdurfft/ vndt vberfluß der dürfftigkeit.
Betrachte den steten einmahner seines zolles den leib; wie vnge- stüm pflegt er täglich von vns zue fodern? Vnd wann du gleich einmal ein vbriges gegen jhm thust/ so wird doch die folgende schuldt darvon nicht geringer. Wir gehen wie ein roß auff der mühlen deß lebens mitt verbundenen augen herumb/ vnd bringen nichts für vns als die zeit die vns mitt sich fort reißet. Dieses radt das wir treten ist hoffnung/ furchte/ hunger/ füllung/ wachen vnd schlaffen/ vndt das gantze leben ein trawm des schattens. Allein der mensch kennet von allen thieren die wollust/ den geitz vndt + + + + + +
Vergebens/ jhr armen sterblichen! Es ist kein ort da der todt nicht hinkömpt/ keine festung die er nicht ersteiget. Wir sindt nir- gendt vndt niemals sicher. Stehen wir auß dem bette auff/ so wis- sen wir nicht/ ob wir vns noch einmal legen; legen wir vns/ ob wir noch einmal auffstehen mögen.
– – tibi crescit omneEt quod occasus videt et quod ortus:
Parce venturis, tibi Mors paramur:
Sis licet segnis, properamus ipsi.
Todt/ es wächset alles dir/ Wo das rote tageliecht Vndt der abendt kömpt herfür. Ruff’ vns zue dir oder nicht: Dann was hilfft vns dein verweilen? Müßen wir doch selber eilen/
steht beym Seneca im wüttenden Hercules. Keine königliche krone/ wie sehr sie gläntzet/ verblendet dem tode die augen/ keine heldenstärcke bindet jhm die hände/ keine kunst wiederleget seine halßstarrigkeit/ keine beredtsamkeit beuget seine vnbarm- hertzige sinnen. Meinet jhr/ mein Freundt/ das es vns helffen könne/ euch das jhr bücher habet/ vndt mich das ich bücher schreibe? Didymus von ien ist mitt alle seinen drey tau- sendt fünfhundert büchern/ die er soll gemacht haben/ gestorben vndt vertorben. Jetziger augenblick darinnen ich dieses schreibe/ ist ein theil von meinem leben. Keine schönheit gilt bey demselbi- gen/ der in vnsern augen der häßlichste ist. Er ist vndt mach gräw- lich. Dann so bald die seele gese-[B4b]gnet hatt/ so sehen wir was das übrige gewesen sey: ein schleim vndt galle/ ein gestanck/ vndt etwas das ich nicht nennen mag/ damit auch die gedancken da- durch nicht beleydiget werden.
Dieses faule kleydt das wir tragen ist eine zusammenflickung der vnwißenheit/ eine steiffe des muttwillens/ ein bandt der verwe- sung/ ein finsterer zaun/ ein lebendiger todt/ ein fühlendes aaß/ ein herumbgehendes grab/ ein eigener haußdieb/ vndt wie etwan Hermes Trismegistus weiter saget. Ich schäme mich zue dencken/ viel mehr zue sehen/ was das jenige sey mitt dem wir groß zue thun vndt zue prangen pflegen. Peter Ronsardt/ der gelehrte Frantzösi- sche Edelmann vndt Poet/ hat es kurtz für seinem tode am besten an sich selbst zue beschreiben wißen; Dann folgendes Sonnet ist fast sein schwanengesang gewesen:
Ie n’ay plus, etc.
Ich bin nur haut vndt bein/ bin durch des todes klawen
Geädert/ abgefleischt/ verdörrt vndt außgewacht;
Die sieche lagerstat hatt gantz mich hingebracht:
Ich fürchte meine händ’ vndt armen an zue schawen.
5 Apollo/ vndt sein Sohn/ ich habe das vertrawen
Vmbsonst gehabt auff euch vndt ewrer kräuter macht:
Die fenster brechen mir: O Sonne/ guete nacht:
Mein leib der taug nicht mehr zue flicken vndt zue bawen,
Kan jemandt welcher mir mitt seiner trewen handt
10 Die todten augen wischt mich sehen vnverwandt/
Behertzt zue hause gehn/ vndt vnbesorgter sachen
Gedencken an den leib der jetzt verwesen soll?
Ihr Freunde/ grüß’ euch Gott/ gehabt euch alle wol:
Ich reise zuevor an euch oben raum zue machen.
Was war damals/ O du ziehr der wissenschafft/ an dir übrig als die seele/ welche über den leib ist/ vndt in jhre freyheit kömpt/ wann sie jhn wie ein kleydt das nicht mehr taug hatt abgelegt? Oder/ Ihr/ was hatte das lange lager ewer Liebsten von dem je- [C1a]nigen gelassen das wir schönheit nennen? Wo waren die zeu- gen jhrer keuschheit die wangen? Sie waren eingefallen. Wo die + +
Ewere Haußfraw/ wie sie euch vndt den vnerzogenen Kindern zum besten noch hette leben wollen/ also befandt sie letzlich/ das sie mehr entlehnet als genommen/ mehr vorangeschickt als ge- trennet würde. Sie erkandte den höchsten als Gott/ von dem kein böses kommen kan: sie ehrete jhn als den Herren/ deßen willen ein jetweder vollbringen muß: sie gehorchte jhm als einem Vater/ der beydes hertzlich liebet/ vnd auch die liebe selber ist. Sie be- trawrete nicht jhren todt/ sondern ewren Witwenstandt; nicht die frewden der Welt/ sondern jhre kinder die neben euch jhre frewde auff der welt gewesen waren. Sie hatte bey jhrem leben sterben gelernet/ vndt war bey langwierigem siechbette alle tage gestor- ben. Ihr wißet mitt was für begiehr sie die Threnen von der Ewig- keit/ so ich jhr zue gefallen auß einem nicht vngelehrten manne auff der eyll deutsch gegeben/ vndt hierbey zue setzen habe ver- gönnen wollen/ zue lesen/ vndt sich nach dem was künfftig ist zue + + +
Liebsten Eltern/ fieng sie an/ begehret mich 〈lenger CF〉 nicht weil mich Gott begehret/ vndt trawret ja nicht wie die Heyden. Wie trawren die Heyden/ du selige seele?
Animula vagula, blandula,
Hospes comesque corporis,
Quae nunc abibis in loca,
Pallidula, rigida, nudula,
5 Nec, ut soles, dabis jocos?
Mein seelichinn/ mein flattergeist/
Deß leibes gast vndt spießgeselle/
Der bleich/ verstarrt vndt bloß verreist/
Du weißest nicht in welche stelle
5 Du ärmste von mir scheiden mußt/
Wirst nicht mehr schertzen wie du thust;
spricht Käyser Hadrian als er sterben soll in seinen nicht bösen versen sehr böse. Ein anderer sagt:
Πάντες τῷ ϑανάτῳ τηρούμεϑα ϰαὶ τρεφόμεσϑαὩς ἀγέλη χοίρων σφαξομένων ἄλογος.
Wir menschen müßen vns/ O todt/ zue deinem besten Wie eine herde säw’ ohn trost vndt sinnen mesten.
Quintilian/ als er der seinigen absterben beklaget/ fengt vnter an- dern an: Welcher redlicher Vater wil es mir verzeihen/ wann ich jetzundt noch studiren kan? vndt wil diese meines gemütes härtig- keit nicht haßen/ wann ich meine rede zue was anders gebrauche/ als das ich/ der ich von allen den meinigen allein vbrig bin/ die Götter verklage? das ich spreche/ es sey keine versehung die sich vmb den Erdtboden bekümmere? Wo nicht meinenthalben/ dem +
Ich kan der armen leute Grabschrifften/ darinnen sie den todt einen ewigen schlaff/ das grab ein ewiges hauß nennen/ bißweilen ohn lachen/ mehrmals aber ohn mitleiden nicht lesen. Ist diß ein ewiger schlaff/ auß dem wir zum ewigen leben erwachen? Kan diß ein ewiges hauß sein/ aus welchem wir in die himmlische wohnung versetzt sollen werden? Wie viel beßer/ du Gottsfürchtige Chri- stinn/ kanst du die deinigen auffrichten/ mitt dem troste der ewig- keit die für der zeit gewesen ist/ vndt nach der zeit sein wirdt?
Meine Eltern/ liebster Mann/ wündtschet jhr mich lieber allzeit kranck/ als einmal genesen zue sehen? Ist das sterben mir etwas guetes; warumb wollt jhr mir es nicht vergönnen? Ist es euch etwas böses/ so bedencket/ das es gueten leuten gemeiniglich vbel/ vndt bösen leuten wol gehet. Ihr habt meinen todt auß vielen vmbsten- den bißher wol ersehen/ vndt leichtlich verspüren können/ das ich nur geraden weges auff das jenige zue eile/ wohin jhr sämptlich kommen müßet. Habt jhr es aber nicht gemeinet/ so habt jhr nicht nachgedacht/ welch ein zerbrechliches guet das leben sey. Es be- treuget einen jeglichen sein glaube/ vndt die willige vergeßenheit der sterbligkeit in dem jenigen das jhm lieb ist. Die Natur hatt keinem verheißen/ das sie jhm zue gefallen einen andern wolle lenger leben laßen. Da jhr mich erzeugt habt vndt gebohren/ wußtet jhr das ich sterben würde. Da jhr mich geheyrhatet habt/ + + +
In warheit/ Herr Müller/ keinen kummer/ beydes den leib vndt die seele betreffendt. Jenem habt jhr bey jhrem leben zue rhaten kein mittel hinterlaßen/ habt verständige ärtzte gefodert/ die der kranckheit zum öfftersten/ dem tode niemals begegnen können. Nunmehr nach jhrem abschiede ist von euch alles das jenige ge- schehen/ was der getrewen liebe gegen jhr vndt ewrem zuestande gemeß ist. Mitt jhrer seelen hatt es so gar keine noth/ das sie auch jetzt erst durch den todt in jhre freyheit gesetzt ist worden.
Ist sie in der blüte jhres alters von ewrer seiten gerißen/ so wis- set das niemand zue zeitlich in den Himmel kömpt. Es ist hewer so gutt selig werden als vber hundert jhare. 〈Spricht doch ein Heide: ὅν φιλεῖ ϑεὸς ἀποϑνήσϰει νέος. Wen Gott lieb hatt/ der stirbt jung. CF〉 Muß sie ewerer/ der kinder/ jhrer freunde vndt der jrrdischen dinge entberen/ so ist sie dahin gereichet/ wo man kei- nes ehegattens/ keiner kinder/ keiner bekandten bedürffen wirdt; wo keine sorge noch begiehr etwas zue genißen raum hatt. Es be- stehet doch das menschliche wesen in lauter müh vndt jammer; ja das jenige auch/ wormit wir vns glückselig zue sein glauben vndt ausgeben/ kan den namen der eitelkeit vndt des elendes nicht ent- fliehen. Dann was ist so hoch/ so schön/ so süße/ wann es schon was newes vndt sonderliches ist/ das durch seinen steten gebrauch vndt gewohnheit nicht bey vns geringe wirdt/ vndt einen eckel hin- ter sich nachzeucht?
Sie ist vber sechs vndt zwantzig jhar kommen: Auch die helffte darvon ist schon ein großes theil des alters. Στιγμὴ χρόνου πᾶς ὁ + + +
Wir leben neben dem leben; sagt Ennius. Vndt Manilius:
Victuros agimus semper, nec vivimus unquam.– – Wir wollen allzeit leben/ Vndt leben kein mal nicht. – –
Martialis ingleichen/ im 6. buche.
At nostri bene computentur anni,Et quantum tetricae tulere febres
Aut languor gravis aut mali dolores,
Infantes sumus et senes videmur.
Vndt wann wir in der zahl der zeitverrechnung kommen Auff das was feber/ schmertz vndt weh hatt hingenommen/ Entscheiden glück vndt fall/ die wolfarth von der pein/ So sindt wir kinder noch/ wie alt wir mögen sein.
Laß vns auch ein hohes alter erreichen/ werden wir nicht eben hernach derselbige staub sein der wir jetzt sein köndten? Haben wir nicht von den wenigen tagen so vbrig sindt nur dieses zum besten/ das wir theils viel böses sehen/ theils leiden/ theils auch wol selber thun; endtlich aber dennoch vnvermeidentlich der natur jhren tribut ablegen/ anderen folgen/ anderen fürgehen/ vndt +
Es bestehet nur in einer vergleichung/ das man dieses ein kurt- zes/ vndt jenes ein langes leben heißt. Dann die thierlein beym fluße Hypanis im Europischen Scythia/ von denen Aristoteles mel- det/ welche des morgendts jung werden/ vndt mit der Sonnen vntergange auch vntergehen/ wann sie zu mittage sterben/ so kan [C3b] man sagen/ sie weren kurtzen lebens gewesen; sindt sie biß auff den abendt verblieben/ sie hetten ein hohes alter erreicht; welches sich doch kaum vber zwölff stunden erstreckt. Wann eine fliege zwey sommer erlebt/ so ist es sehr viel: Wie hoch ist aber jhr alter zue rechnen gegen dem menschlichen? Eines hundes weite- ste lebens zeit sindt zwölff jhare: ein mensch hatt schon lenger gelebt wann er gleich noch in der jugendt stirbt. Dennoch müssen wir sein alter nicht nach der anzahl der jhare/ sondern nach dem gemüte/ der tugendt vndt allem was zum recht leben von nöthen ist schätzen. In einem kleinen leibe kan doch ein vollkommener mensch sein: so auch in einem kurtzen begrieffe der zeit kan ein vollkommenes leben sein.
Sein alter hatt keiner in den händen. Es stehet nicht bey mir/ ob ich lange leben werde; es stehet aber bey mir/ ob ich wol werde leben. Dieselbigen leben am kürtzesten/ die das vergangene ver- geßen/ das gegenwärtige vbersehen/ vndt auff das künfftige nicht gedencken. Ein Christ weiß das er von der arbeit zur rhue/ vom kummer zur lust/ von der furchte zur sicherheit kömpt. Welcher Kauffmann begehrt länger auff der see zu schweben/ wann er nach wolverrichteten sachen in den hafen einlauffen kan? Des leibes leben ist der seelen todt/ vndt des leibes todt ist der seelen frey- heit.
+Das alter bringt kranckheiten mitt sich/ vndt ist an sich selbst eine kranckheit. Die klare haut des frawenzimmers wirdt runtz- licht/ der zarte halß gekrümmet/ die hellen augen trieffendt/ das haar weiß/ die zähne schwartz/ vndt was vns zuevor dermaßen ge- fallen hatt/ das pflegt auch nur nicht ein kennezeichen seiner ge- wesenen ziehr hinter sich zue verlaßen. Wir männer verliehren vnsere kräfften/ vergeßen nicht allein des reitens/ sondern auch des gehens/ nehmen für den degen einen stab in die handt/ schlei- chen gebücket als müßten wir sehen wo wir hin sollen/ wincken mitt dem kopffe dem grabe/ werden kahl vndt zeigen die hirn- schale/ so dem tode am ähnlichsten ist. Jener sagt:
Scito jam capitis perisse partem.
Damit du glauben kanst wie baldt der todt wirdt kommen/ So ist dir schon ein theil des kopffes weggenommen.
Wir werden furchtsam/ vnd müßen doch ohn diß baldt sterben; sammlen viel Geldt vndt zehrung/ da wir noch den kürtzesten weg zu reisen haben. Die sinnen dienen nicht mehr dem leibe/ die vernunfft den sinnen: wir bringen die nacht ohn schlaff/ die mahl- zeit ohn eßen hin/ machen vns andern vnd vns selbst verdrießlich. In summa das leben ist wie der wein: wann er auff die neige kömpt/ so wirdt er sawer.
Derhalben gönnet ewrer Liebsten das sie damals gestorben sey/ als sie jhr das leben/ welches gemeiniglich den alten beschwerlich ist/ noch hatt wündtschen können. Eines jungen menschen todt ist allzeit weniger zue zeitlich/ als eines alten zue langsam. Wir kön- nen nicht wißen/ ob es jhr guet gewesen daß sie lenger gelebet hette. Bey jetziger beschaffenheit vndt zuestande scheinet nichts gewiß zue sein/ als was fürüber ist. Hetten wir nicht mehr als das zeitliche zue bedencken/ so würde keiner von vns das leben anneh- men/ wann es nicht einem jeglichen ohn sein wißen gegeben würde. Darumb sindt völcker gewesen/ die bey des menschen ge- + +
Seidt zue frieden mitt dem was ist; weil es doch sein muß wann jhr schon nicht zue frieden seidt. Klaget jhr das sie gestorben ist/ so hettet jhr allzeit klagen sollen; dann jhr habt allzeit gewußt das sie sterben würde. Gedenckt jhr das es viel sey was sie verlohren/ so gedenckt auch das es mehr sey was sie bekommen hatt. Sagt jhr [C4b] sie habe die kinder verlaßen/ so trawret also damit sie nicht auch von euch verlaßen werden. Das betrübniß kan vns zue den todten/ die todten aber nicht zue vns bringen.
Zwar es ist menschlich das man sein vbel fühle; aber auch männ- lich das man es ertrage. Ein mann mag wol seufftzen: heulen vndt schreyen soll auch ein weib nicht. In einem weichen holtze wachsen die würmer am ersten: der schmertz nistet am ehsten in einem weichen hertzen. Ein mann steht vnbeweget: es ist allzeit hell/ allzeit heimlichs wetter in seinem gemüte. Seine tugendt er- scheinet auß der prüfung des vnglücks. Wo nicht geschlagen wirdt/ da kan auch nicht gesieget werden. Ein schiffmann wirdt im vnge- witter/ ein soldat im treffen erkandt. Ein bawm der tieff gewurt- zelt ist fragt wenig nach dem winde: ein wolgebawtes schiff wirdt von den wellen getrieben/ nicht zerschlagen. Die sprew fleugt em- por/ das korn bleibt liegen. Große gemüter laßen sich mehr sehen in wiederwertigkeit/ als in glück vndt wolfarth. Ihnen ist mitt gue- ten tagen nicht gedienet. Der gelehrte Hadrian/ als Florus/ jhm seine stete reisen/ müh vndt arbeit für zue rücken/ sagte:
+ + + + + + + +Ambulare per Britannos,
Scythicas pati pruinas.
Ich mag nicht Käyser sein/ nicht rhue vndt wollust meiden/ Britannien durchziehn/ der Scythen frost erleiden.
gab gar recht zur antwort:
Ego nolo Florus esse,Ambulare per tabernas,
Latitare per popinas,
Culices pati rotundos.
Ich mag nicht Florus sein/ durch küch vndt schenckhauß reisen/ Schmarotzen tag vndt nacht/ die runden fliegen speisen.
[D1a] Die tugendt liegt in keinem bette; sie wil herfür gesucht/ gefodert vndt auff die probe geleget werden. Vbel vndt vnglück ist jhre beste gelegenheit. Sie klaget nicht himmel/ erde/ lufft vndt dergleichen an/ wie die Poeten thun/ die eines theils lieber zue anderer als zur zeit der anfechtung zue lesen sindt: wie dann Pe- trarcha sonderlich hierinnen meister ist. Es thut mir bange das ich noch der sprache nicht besser kündig bin. An ein Sonnet wil ich mich gleichwol machen:
Valle, che de’ lamenti, etc.
Ihr thäler die jhr voll von meinem schweren klagen/
Ihr flüße die jhr groß von vielen threnen seidt;
Du wildt der wälder ziehr; jhr vögel lust der zeit;
Ihr fische denen strandt vndt bäche wolbehagen;
5 Du lufft die meine lufft vndt seufftzer pflegt zue tragen;
Du vormals süße bahn/ nun weg der bitterkeit;
Ihr hügel die ich hieß mein leben/ jetzt mein leidt;
Ihr örter wo ich frey kan meinen kummer sagen;
Den alten standt vndt art erkenn’ ich an euch wol/
10 Nicht aber auch an mir: Vor war ich frewden voll/
Jetzt herbrigt angst bey mir/ ich muß mich selber haßen.
Nun hier besinn’ ich mich/ vndt bin auff sie bedacht
Die blos vndt nackendt sich nach himmel hatt gemacht/
Vndt jhren schönen raub den leib hier hinterlaßen.
Warumb klagen wir das jenige an/ das vns nichts gethan hat? Warumb ruffen wir denen sachen zue/ die vns nicht helffen kön- nen? Laßet vns bedencken/ das es bey dem frölichen anblicke der wolfahrt leichte sey mutig zue sein/ vndt die bestendigkeit auß dem kreutze muß erkandt werden. Was weiß ich wie einer armut ver- tragen kan/ wann er geldes vndt guetes genung hatt? Wannher kan ich wißen wie er sich zue der seinigen absterben schicken werde/ wann er alle siehet die er gerne siehet?
Machet euch ewer vbel nicht größer/ vndt laßet euch mitt kla- [D1b]gen vnbeschweret. Meinet nicht es sey euch vnrecht gesche- hen/ das jhr eine solche ehegattinn verlohren; sondern haltet es für eine wolthat/ das jhr jhrer liebe so lange genoßen habt. Der jenige thut vnrecht/ der es jhm nicht für einen gewinn helt was er bekommen hatt; sondern für einen schaden was er wiedergegeben hatt. Gott hatte sie euch geliehen/ nicht geschencket: nunmehr abgefodert weil es jhm also beliebet: vndt nicht ewrer sättigkeit/ sondern seinem willen gefolget. Ist es euch eine lust gewesen das jhr sie gehabt; so ist es menschlich/ das jhr sie nicht mehr habt. Wie woltet jhr ewren todt annemen/ wann jhr eines andern so hoch empfindet? Laßt Gott machen/ der nichts böses macht.
+ + + +Wollt jhr aber nicht glauben/ das es euch zum besten geschehen; so glaubet auch nicht/ das manchem zum besten ein schenckel/ ein arm vndt dergleichen abgelöset werde/ was ohn vntergang des gantzen leibes daran nicht bleiben köndte. Er siehet der höchste artzt wo er vns in die haut schneiden/ wo er eisen vndt fewer brau- chen soll. Er hatt ein väterliches hertze gegen vns/ vndt weiß wie viel wir ertragen können. Der heilige Egidius/ als er gefragt wardt; was wir in trübsall vndt angst zue thun hetten? sagte: Ob der HERR gleich steine vndt klüfften vom himmel regnete/ so würden sie vns nicht schaden/ wann wir also weren wie er vns haben wil. Ihm stellet alles heim; jhm vertrawet. Die hoffnung auff Gott ist eine starcke schantze/ durch welche keine anfechtung dringet. Dann wer die begiehr weltlicher sachen ablegt/ vndt an das jenige denckt was nicht sterblich ist/ der liegt so feste zue ancker/ das jhn kein sturm vndt vngewitter zum minsten beweget.
Hierbey thut auch die zeit nicht wenig/ die allem kummer/ er sey so starck als er wolle/ dennoch endtlich obsieget. Was heute nicht ist/ das kan morgen sein: also wirdt das leben fortgetrieben.
Rettulit in melius; multos alterna revisens
Lusit et in solido rursus fortuna locavit.
Die strenge müh der zeit/ vndt der geschwinde tag Hatt viel ding guet gemacht was vor darnieder lag: Das spiel des glückes hatt mitt vielen sich ergetzt/ Vndt wiederumb jhr thun auff starcken grundt gesetzt;
sagt Virgilius. Die hoffnung ist eine muter der gedult/ vndt die gedult vberwindet alles.
Zue euch kan sie ferner nicht kommen; jhr aber könnet vndt sollet zue jhr kommen. Sie hat das böse kleidt des leibes abgelegt: Dann was ist diese haut/ diß gerippe/ dieses fleisch anders als eine hülle/ ein verdrüßlicher rock/ den man wegwirfft wenn er nicht
Vnter so vielen meinungen der Heiden von der seelen/ haben die vernünfftigsten selbst (sonderlich jhre älteste lehrer die Poe- ten) sie für vnsterblich gehalten. Dann/ solte sie sterblich sein/ warumb dürfften wir dem leibe abbrechen/ seine wollust ver- schneyden/ seine begiehr zähmen/ vndt vns wehe thun/ damit wir der tugendt genung thun mögen/ welche entweder in diesem/ oder in dem andern leben/ wie die Platonischen vndt Pythagorischen recht vermeinen/ jhre belohnung sucht? Was hülffe vns die reli- gion vndt Gottesfurcht/ welche vns mit Gott vereiniget/ vndt die seele dahin schickt von wannen sie entsproßen ist? Wannenher fühlten wir bey vns ein solches verlangen der vnsterbligkeit/ die in diesem leben nicht zue hoffen ist? Warumb begräben wir die tod- ten mitt solcher vorsorge/ als ob sie zuegegen weren?
Es ist je nichts geschwinders als die seele: sie durchlaufft in ei- nem augenblicke die weite lufft/ wandert durch alle vier theil der Welt/ beschawet die gestalten vndt art der dinge die sindt vndt ge- [D2b] wesen sindt; vndt je mehr sie des leibes vergißt/ je schneller/ je besser verbringt sie was jhr obliegt/ in betrachtung das sie desto reiner vndt mehr für sich selbst ist. Muß sie derowegen noch rei- ner vndt mehr für sich selbst sein/ wann der leib weiter mitt jhr nichts zue schaffen hatt. Weil sie nun also für sich selbst vndt ein- fach ist/ so kan sie nicht getheilet/ vndt folgendts auch nicht auff- gelöset vndt zum vntergange gebracht werden.
Sie allein beschawet GOtt dessen bildtniß sie ist: sie allein kömpt seinem erkäntniß allhier auff erden am nechsten. Vndt angesehen das jhre eigenschafft mit dem leibe nichts zue thun hatt/ so hatt sie auch nichts zue thun mitt seinem vntergange. Sie reget sich von jhr selber/ ist jhrer bewegung eigener vrsprung/ vndt macht also das solche bewegung vnendtlich bleibet. Auß jhr rühret das le- + + +
Andere leibliche sachen werden von jhr/ sie aber von Gott er- halten/ der das leben ist/ vndt es jhr hatt mittgetheilet. Darumb weil sie das was in dem leibe sterblich ist zuesammen helt/ was darnieder liegt auffhebet/ was welck ist erfrischet/ so ists nicht glaublich wann sie vom leibe geschieden ist/ das sie jhre krafft durch welche sie den leib geheget hatt verlieren könne. Sie wird weder zue waßer/ noch zue fewer/ lufft oder erden/ in welche alles was vergänglich ist kommen muß. Sie ist von dem/ deßen wort/ vngeachtet alles andern beweises/ gar genung ist: Fürchtet euch nicht für denen die den leib tödten/ dann die seele können sie nicht tödten. Sie ist vom Himmel/ vndt steiget zue himmel.
Daselbst war Ewre Liebste/ als sie noch allhier war. Ihre frömig- keit hub sie dahin/ wohin sie GOTT anjetzt erhaben hatt. Derhal- ben sollet jhr jhren todt nicht beweinen/ sondern ewre zue- [D3a] sammenkunfft frölich hoffen. Es ist jhre sterbligkeit geen- det/ nicht jhr leben. Sie ist zue großem vndt ewigen frieden kom- men. Sie erfehrt nicht das gegenwertige/ vndt fürchtet nicht das künfftige: ist befreyet der last welche die flügel jhrer seele darnie- der druckte. Was jhr jhren todt heißet/ das ist jhr sicherer hafen/ jhre rhue/ eine verreisung zum gueten/ eine entlaßung vom bösen/ ein weg von der erden zum Himmel/ von den menschen zue den engeln denen sie allhier mitt dem leben nachgeartet/ vndt zue dem Herren der engel/ der die ewige wahrheit/ die wahre liebe/ vndt die geliebte ewigkeit ist. Sie siehet des Vaters gewalt/ des Sohnes weißheit/ des heiligen Geistes güte. Sie siehet Gott in sich selbst/ jhn in jhr/ vndt sich in jhm. Sie ist wo Salomons verstandt eine thorheit/ Absolons schönheit ein grewel/ Samsons stärcke eine schwachheit/ Mathusalems alter eine sterbligkeit ist. Vber jhr hatt sie Gott/ vnter jhr den sitz des himmels/ in jhr die verklerung/ außer jhr die gesellschafft der engel vndt außerwehlten. Sie wünd- schet nicht was wir haben/ vndt hatt alles was wir wündtschen.
+Sie führet ein leben das ohn arbeit/ ohn schmertzen vndt ohn ende ist. Ihre frewde können wir nicht begreiffen/ können leichtli- cher sagen was sie nicht hatt/ als was sie hatt. Sie weiß von keinem tode/ von keinem trawren/ keiner müdigkeit/ schwachheit/ hun- ger/ durste/ hitze/ verwesung/ dürfftigkeit vndt dergleichen. Das vbrige hatt kein rechenmeister gezehlet/ kein landtmeßer abge- stochen/ kein gelehrter außgelegt/ kein auge gesehen/ kein ohr gehöret/ vndt ist in keines menschen hertze nicht kommen. Diese seligkeit/ dieses vnbegreifliche guet/ hatt sie jhrem Heylande/ dem Erlöser der sterblichen/ zue dancken. Ihm gehöret es zue/ das sie bey den außerwehlten im himmel ist.
Damit sie aber auch allhier nach dem tode bey vns verbleybe/ laßt jhr/ Herr Müller/ an euch nichts erwinden/ vndt/ weil jhr je [D3b] mehr zue thun nicht vermöget/ so haltet jhr darfür/ es könne jhr gedächtniß beßer als durch die handt gelehrter leute/ derer euch dann ein gantzer hauffe hierinnen willfahren/ nicht bekleiben.
Ich/ der schlechteste sonst von jhnen/ habe doch allhier nicht der letzte sein wollen; vndt wie ich dieses/ nebenst dem nechtsfol- genden trostgesange/ welchen an vnterschiedenen orten zwey für- neme Poeten auff eben eine zeit in Latein vmb zue setzen gewürdi- get/ der seligverschiedenen Matron zue ehren geschrieben/ also wündtsche ich mir/ wann dermal eines auch mein tag/ welchen ich allzeit frölich zue empfangen willig bin/ wirdt fürhanden sein/ das ich wol sterben/ vndt von gueten leuten möge gelobt werden. Oder woferren meine wenigkeit vndt geringschätziges wesen solchen ruhmes würdig zue sein nicht befunden wirdt/ so laße ich mir doch an mir selbsten lieb sein/ das ich von todten leuten gerne alles guetes rede vndt schreibe/ vndt jhnen nach vermögen erzeige/ was ich wolte das mir nach meinem tode von andern möchte erzeiget werden.
+ + + + + +[.2] Die Zeit so wir verschliessen ... = 90
[.3] [K2a]Threnen
zue ehren | der ewigkeit.
ACh! was ist diß? mein hertz’ ist wundt/
Das schrecken schleußt mir zung’ vndt mundt/
Der sinnen krafft fellt gantz darnieder/
Mir zittern alle meine glieder.
Mein’ augen werden eine bach/
Die wangen schwimmen nach vndt nach:
Diß quell das stets zue fließen pfleget
Wirdt durch ein bloßes wort erreget.
Ein schrecklichs wort/ von deßen macht
Vndt drewen furcht vndt angst erwacht;
Das kein tag/ keine nacht wirdt schließen/
Kein stern wirdt zueverdecken wißen.
Ein wort von eisen vndt von stein/
Vndt was noch sonst mag härter sein/
Ist in mein kranckes hertze kommen/
Hatt marck vndt bein mir eingenommen.
Diß donnerwort heißt Ewigkeit/
Für dem jhr himmel schwach noch seidt/
Ob schon jhr ewres wetters flammen/
Schloß/ plitz vndt hagel rafft zuesammen.
Es ist vndt heißet Ewigkeit/
Das gar kein ziehl hatt weit vndt breit/
Das die gemüter heißet stehen
Nach sachen welche nicht vergehen.
Vndt in geringe kappen bracht;
Hatt viel gelehret einsam leben/
In wüste hölen sich begeben;
Hatt tausendt Lauren eingehüllt/
Vndt tausendt Mandren lust gestillt;
Gekleidet sehr viel frome seelen/
Mitt rawen haaren von Kamelen.
Die Ewigkeit nimpt gantz mich ein/
Macht das ich nicht kan ruhig sein;
Die Ewigkeit bringt meinem hertzen
Ein stetes sorgen/ furcht vndt schmertzen.
O ferres end’ vnendtlich weit!
O große zeit ohn alle zeit!
O jhare/ jhare nicht zue nennen!
O anzahl die kein mensch kan kennen!
Steig ab/ steig in die hölle hin/
Nicht zum verbrennen/ O mein sinn!
Bedencke nur die glutt vndt leyden/
Daßelbe beßer zuevermeiden.
Ich nem’ Ixions radt auff mich/
Ich trage/ du berg Etna/ dich/
Ein geyer mag sich an mir stillen/
Den bauch mitt meiner leber füllen.
Ich wil der spinnen schädlichs safft/
Der bleichen nattern böse krafft/
Die gelben molch’ vndt scorpionen
Zue eßen meiner nicht verschonen.
Gieb gifft her so das leben nimpt/
Gieb pech das erst vom fewer kömpt/
Vndt laß mich goldt wie Craßus sauffen.
+ + + +
Ich schewe nicht das Drachenblut/
Wil schlingen kohlen von der glut/
Wil keiner pest nicht wiederstreben/
Noch dem was Styx vndt Lethe geben.
Den rost am fewer flieh’ ich nicht/
Vndt das ein spieß mich gantz durchsticht/
Es mag mein grab ein holtzstoß werden/
Zerstücke meinen leib mitt pferden.
Ein roß das glüet/ des schwefels pein/
Der sack mag meine marter sein/
Ich wil durst/ hunger vndt die plagen
Der meßer vndt die hacken tragen.
Vndt dieses tausendt jhar ohn rhue/
Vndt tausendt jhare noch darzue/
Im fall ich hoffen kan vndt wißen
Die zeit werd’ endtlich noch verfließen.
Die marter sey auch wie sie wil/
So hofft man hatt sie nur ein ziehl:
Die Ewigkeit ists die mich plaget/
Die tag vndt nacht mein hertze naget.
Sie sie macht erst die hellenpein/
Sie heißt das creutz ein creutze sein/
Sie rufft die straffen gantz zuesammen
Vndt duppelt jhre grimme flammen.
Ach! Ach! was ist die Ewigkeit?
Wie groß ist sie/ wie weit vndt breit?
Nicht vieler tag’ vndt monden hauffen/
Die als ein waßer sich verlauffen.
Nicht zeit die doch der Sonnen liecht/
Der erden fackel/ also wendet
Das sie da anfängt wo sie endet.
+ + + + +
So geht man durch die kurtze zeit
Hin zue der steten ewigkeit;
Zwar Phebus steiget auff vnd nieder;
Hier geht man hin/ vndt kömpt nicht wieder.
Der anfang ist ein end’ allhier/
Das end’ ein anfang für vndt für.
O ärger als der todt ein leben!
O todt der keinen todt kan geben!
Geh’/ hurer/ in die hölle hin/
Du wirst da nicht zurücke ziehn;
Die jhr nur sauffen köndt vndt freßen/
Ihr sollt der wiederkunfft vergeßen.
Hinunter ist ein grader weg/
Herauffwerts sieht man keinen steg;
Der den man ein mal hin wirdt treiben/
Wirdt allzeit wol darunten bleiben.
Wer in des himmels zahl wirdt stehn/
Soll fort für fort in frewden gehn;
Wer in der hellen schlundt wirdt rennen
Soll stets mitt angst vndt zittern brennen.
Der fromen seelen fröligkeit
Wirdt haben weder ziehl noch zeit;
Der bösen jhren heißen zehren
Vndt seufftzen wirdt kein ding nicht wehren.
Der vngeleschte höllenbrandt
Soll stündlich nemen vberhandt:
Mitt jhren henckern ewig tragen.
Laß frölich sein ein himmelskindt/
Laß leben die so selig sindt:
Die aber so hinab gedeyen
Laß ewig in den flammen schreyen.
Gedenckt den himmel auff zue gehn/
Er wirdt nicht allzeit offen stehn:
+ + + +
Es ist zue spat erst büßen wollen
Im fall wir schon verrecken sollen.
Herauß jhr hunde/ freßt vndt bellt
Mitt Cerberus der euch gefellt.
Zur keuschheit schloße sollen kommen
Die lämmer so Gott angenommen.
Herauß du geyer/ es soll dir
Prometheus speise legen für;
Den tauben wirdt diß mahl geschencket/
Der weißen schar die an Gott dencket.
In dem ein steter himmelsgast
Nun ewig ißt mit rhu vndt rast;
Was hatt ein hundt der Gott vergeßen
In seiner großen qual zue eßen?
Das bitten wirdt sein in der noth
Ein tropffen nur/ ein bißen brodt:
Doch wirdt der himmel jhrem klagen
So ein geringes auch versagen.
Nur threnen wirdt die Ewigkeit
Zue trincken geben jederzeit/
Wirdt jhnen sonsten nichts bescheren
Als waßer jhrer heißen zehren.
Die strenge flut der angst vndt pein
Wirdt einig jhr geträncke sein/
In dem sie brennen vndt nicht sterben.
Zum waßer das jhr antlitz netzt
Wirdt ein krug galle noch gesetzt/
Der niemals wirdt ein loch gewinnen
Vndt außgetruncken werden können.
Die galle wirdt in ordnung gehn/
Der strenge Wirth für jhnen stehn/
Vndt sie zue trincken allzeit plagen.
Wie beßer wer’ es durst ertragen!
Alleine dieses faßnacht spiel
Ist lenger als man wündtschen wil.
+ +
Du kanst nun einmal nicht entkommen:
Warumb hast du es angenommen?
Der dem du einmal zuegesagt
Leßt keinen wann es jhm behagt.
Es ist nicht wie man hier gedencket
Wann nicht genung wirdt eingeschencket.
Es bleibt allzeit der erste gang/
Die erste speis’ vndt erste tranck:
Wann du schon satt wirst wollen gehen/
So wirdt die erste tracht noch stehen.
Der höllenschlundt der vbrig hatt
Ist kostfrey vndt macht mehr als saat:
Weh dem der also saat muß leben/
Weh dem auch der jhm saat muß geben.
Schrey immer Cras, O rabe/ schrey/
Vndt sing dein’ alte melodey:
Der Ewigkeit jhr ziehl zue sehen
Kan warlich morgen nicht geschehen.