Das XVI. Capitel.

Deß Astiorists Frommigkeit gegen dem Aneroest. Seine Reisen in vnbekandter Tracht. Wie er den Namen Poliarchus angenommen habe. Verwunderung vnd gemeine Frewde deß Arsidas vnd Gobrias.

Das XVI. Capitel.

Arsidas hüpffete wegen vernommenen Siegs für Frewden/ als ob er in einem Schawspiel vber dem der seinen Feindt erlegt hette/ fro- lockte/ vnd also baldt: Mich dünckt/ fieng er an/ Gobrias/ ich sehe ewern Astiorist für meinen Augen/ wie er nach vberwundenem Widersacher für dem Vatter vnd euch erschienen/ vnd durch seine Arbeit vnd [743] Gefahr grösser worden sey; wie jhm die Frewden vnd der glückliche Fortgang ein Hertze gemacht; wie lange er den blossen Degen/ der mit deß Feindes Blute genetzet gewesen/ in der Hand wird gehalten haben. Ich trage Lust mich in so lieblichen Gedancken auffzuhalten. Wie stelleten sich aber die Soldaten vnd das Volck als Commindorix vmbgebracht worden? Astiorist (gab Gobrias zur Antwort) hatte das Volck also wie jhr wündtschen möchtet. Man hörete nichts als ein Geschrey/ ein Hände klopffen/ vnd allerley Zeichen der Fröligkeit. Hernach schwur der Soldat als- baldt auff Befehl deß Britomandes dem Fürsten noch einmal. Auff

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die Nacht wurden Frewdenfewer gemacht/ vmb welches die Bür- gersleute mit Kräntzen geziehret tantzeten. Man hörete auff den Gassen nichts anders als Verschmähung deß Tyrannen/ oder Lob deß Astiorists. Ich wil euch nicht verdrießlich seyn mit vberflüssiger Erzehlung/ was die Druiden vnd Rittersleute den Fürsten zu Ehren angestellet haben; wie viel Tage die Dancksagungen gegen die Göt- ter gewehret; was für Volck in allen Tempeln gewesen; vnd wie endlich allesampt (welches bey solchen deß Commindorix Anhange kaum zu hoffen gewesen) entweder von sich selbst oder auß Furchte gewilliget. Weil es spat in die Nacht ist/ vnd ich euch mit zu vielem Reden müde gemacht habe/ so wil ich mit kurtzen Worten den Ver- lauff mit dem Astiorist biß zu dieser Zeit erzehlen/ welcher seine Gewalt nit [744] mit Wollüsten oder vngewönlicher Hoffart der Ehren/ sondern mit freygebigster Frömigkeit zu Anfange hat sehen lassen. Er forderte den Cerovist vnd die Sicambre/ welche jhn in seiner Kindtheit erzogen/ nach Hofe: machte den Cerovist/ der deß Haußhaltens gewohnet war/ zum Verwalter seines Hofes; die Si- cambre vbergab er der Mutter/ so in kurtzer Zeit den fürnembsten Matronen gleiche gehalten wardt. Mit jhrem Sohn/ der auch Cero- vist heisset/ hatte er Knaben weise zuspielen pflegen/ vnd damals hielte er jhn mit ernewrung der Kundtschafft vnter seinen Hofe- leuten sehr lieb vnd werth. Noch rühmlicher war das Gedächtniß vnnd die Danckbarkeit gegen dem Könige Aneroest. Dessen Liebe gegen sich war er ingedenck; die hundert Talendt/ so er für jhn/ einen Knaben vnnd Gefangenen gebotten/ rühreten sein danckbares Gemüte; vnnd Timandre frewete sich/ daß jhr Sohn vber dem Vn- fall selbigen Königes leydt trüge/ weil sie jhres Verdienstes wegen bey sich befandt/ wie viel mehr wol sie muste geliebet werden. Wir haben also dem Aneroest ein Ehrengrab auffgerichtet/ vnd den Tyrannen die sein Königreich jnne hielten Krieg angesaget. Solche Gutthat deß Astiorists gegen dem der jhn erzogen ist vnserem Reich nützlich gewesen. Dann nach Vberwindung der Feinde sindt die Länder vnd Völcker so Aneroest vormals beherschet vns heim- gefallen. Der Astiorist hat diesen Krieg selbt geführet/ vnd jnner- halb sechs Monaten seinem Vatter die festesten Schlösser in [745] den Alpen sampt aller Macht selbiger Völcker also vnterthan ge- +
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macht/ daß wir folgends keine trewere Provintz gehabt haben. Als er die Tyrannen/ so sich mit deß Aneroests Plünderung bereichert hatten/ theils in der Schlacht/ theils durch straffen hingerichtet hat/ ist er mit herrlichem Siegesgepränge wiederumb zu seinen Eltern kommen.

In solcher Glückseligkeit regierete er vnter dem Ansehen deß Vattern nach deß Commindorix Tode drey Jahr. Britomandes befahl alles was er heissen würde genehm zuhaben. Er gab der Obrigkeit/ er gab den Kriegesbefehlshabern Anordnung; von jhm worden die Herren befördert/ oder/ wann sie es verdieneten/ abgestossen. Dar- auff beruhete Timandre/ vnd schätzte sich im Friede vnd Kriege Glückselig. Sie hatte drey Kinder gehabt. Der elteste Sohn war von dem Commindorix durch Zuthun der Saügammen vmbgebracht worden. Astiorist der andere hat gemacht/ daß sein Hauß vnver- ruckt geblieben ist. Zum dritten kam eine Tochter/ sechs Jahr jün- ger als Astiorist. Diese eine schöne vnd verständige Princessin/ er- halten vns die Götter. Sie heisset Cyrthea. Timandre erlüstigte sich mit diesen jhren zweyen Kindern/ vnnd bey allen war das erlittene Elendt in Vergessen kommen; als jhm Astiorist/ auß sonderlichem Eingeben/ wie ich vermeine/ einen newen Anschlag fürnam. Auß Begier Länder vnnd Leute so ausserhalb Gallien sind zuschawen wolte er sich auff das Mehr ohne einige begleitung begeben. [746] Er wandte ein/ daß Hercules/ Theseus vnd so viel Helden von dem ferrnesten Auffgange durch solche Gefahr vnd Art zu leben jhnen einen grossen Namen gemacht hetten. Vber dieses/ sagte er/ daß von seinen Mißgönnern außgesprenget würde/ als ob er bey die- ser hohen Gewalt mit der er den Hoff regierete nicht so sehr den Vatter in seinem Reich bestättiget/ als mit newer Dienstbarkeit vn- tergetruckt hette. Aber/ wie ich darfür halte/ es waren andere vnd geheimere Sachen/ die jhn zu dieser Reise verleiteten.

Derhalben/ als er die fürnembsten deß Königreiches beruffen hatte/ so sich vber seinem newen Anschlag wunderten/ fieng er an/ daß er jhnen seine Eltern vnd das Regiment zu beschützen auff ein kurtze Zeit vberliesse. Er hette vorlängst den Göttern ein Gelübd gethan/ einen Tempel von Gallien sehr weit entlegen/ zu besuchen; welchem er nun wolte nachkommen. Sie solten sich vber diesem sei- +

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nemFürhaben nicht bekümmern/ vnd mit jhren Threnen kein böses Zeichen seines Abschieds geben. Die Götter seines Lands/ vnd die jenigen zu welcher Ehren er verreisete/ würden jhn frisch vnd ge- sund zurück bringen. Als wir alle darwider waren/ vnd zu dem bit- ten auch Seufftzen vnd Threnen kamen/ damit er vns eine Hoffnung machte/ als änderte er seine Meinung/ vnd wir nicht so hefftig bey jhm anhielten/ schiene er in vnser Ansuchen einzuwilligen; machte sich aber noch dieselbige Nacht plötzlich von Hofe. [747] Zu solcher verborgenen vnd gefährlichen Reise wolte er keinen Gefehrten bey sich haben als den Sohn deß Cerovists vnd der Sicambre/ welchen er fürweilen im Spielen vnd wichtigen Sachen zum Gesellen lange Zeit gehabt hatte. Wo sie hin gereiset/ wo sie gelebt/ was für Gefahr sie außgestanden/ was für Tugendt erwiesen ist noch bißher/ wiewol sie newlich nach Hause kommen/ fast vneröffnet. So trewlich wis- sen sie jhr herumbschweiffen zuverdecken. Als sie damals verreise- ten/ was für Schmertzen empfunden wir? Wie war dem Volck vnd den Herren zumuthe/ da man vernam daß Astiorist hinweg war? Die Leute giengen als verruckt/ suchten an den Wegen vnd Flüssen/ ob sie jhn finden/ vnd an seinem Abschiedt verhindern köndten. Allein Timandre war in solcher Verzweiffelung nicht/ vnd ließ nach etlichen Tagen kundt thun/ wie sie schreiben von jhrem Sohne/ der wol auff were/ bekommen hette; wie sie dann nicht nur damals/ sondern auch hernach zum offtern fürgab; entweder daß es sich in Warheit also verhielte/ oder damit sie durch diesen nothwendigen Trost die trawrigen Gemüther zufrieden stellen köndte.

Astiorist war nicht viel vber ein Jahr aussen gewesen/ als Brito- mandes diese Welt gesegnete. Sie klagten sämptlich vber den jungen Printzen/ der das Königreich verlassen/ vnd keine Nachrichtung von seinem Verreisen gegeben hette; also daß bey deß Brito-[748] mandes Leichbegängnisse die Klagen deß Todten wegen so groß nicht waren/ als das Geschrey deren/ die dem Abwesenden rufften/ zu erhaltung deß Vatterlandes sich einzustellen. Vnterdessen mußte man die Angelegenheiten fortstellen/ vnd Timandre sagte für ge- wiß/ jhr Sohn were noch lebendig vnd gesund/ man solte nur jhr/ so lange biß er zurück käme/ das Regiment vberlassen. Es strebten allein die jenigen darwider/ denen daran gelegen war/ daß Astiorist nicht lebete. Diese sprengten hin vnd wider seinen Todt auß/ vnd +

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sagten/ man solte die Königin nicht dulden/ welche sich eines männlichen Regiments vnterfienge. Also geschahe eine Trennung. Der grössere Theil fiel der Königin bey. Andere hiengen sich an deß Commindorix seinen Vettern. Die zwey Theile waren dermassen hitzig/ daß man zu Wasser vnd Land in Waffen war. Sonderlich brachte man ein Schiffsheer auff: Dann die Feind versicherten sich deß Sieges/ wann sie nur Timandren auß Massilien schlagen könd- ten; sie aber hatte zu Bewahrung deß Hafens vnd der Statt Schiffer vnd Galleren zusammen gebracht/ als Astiorist gleich zu rechter Zeit nach Hause kam. Wir wurden plötzlich mit solcher Frewde vberfallen/ daß wir kaum den Göttern selber/ dem Glück vnd vnsern eigenen Augen traweten. Wir waren begierig/ denselbigen mehr als ein mal anzurühren vnd zusehen/ den wir so sehr begehrt hatten. Es kamen Jung vnd Alt von allen Ständen auß Häusern vnd Stätten herzu gelauffen. Ein [749] grosser Sieg nach einem langwirigen Krieg hette solch Frolocken nicht verursacht. Als baldt worden den Auffrührern die Waffen auß den Händen geschlagen. Ein jeder schrie/ Es lebe vnser König. Vnd damit er seine Regierung nicht mit Blutvergiessen anfienge/ ließ er eine gemeine Vergebung aller Verbrechen biß auff selbigen Tag offentlich kundt machen; vnd war sonderlich darüber froh/ daß man so viel Kriegsvolck bereit auff den Beinen hatte. Er sagte es were nicht ohngefehr/ oder durch ein bö- ses Verhängniß wider Gallien geschehen; sondern die Fürsichtig- keit der Götter hette solches Heer zu dem jenigen was er jhm für- genommen/ zusammen geruffen. Derowegen/ als er nach Lands Ge- brauch gekrönet war/ setzte er Timandren so lange zur Regentin/ als er den Krieg führen möchte. Dann er hette etliche Feinde in Gre- cien/ welchen er eylends nachzuhängen gesonnen were. Auff dieses theilte er die wehrhafftigste Soldaten in Schiffe ein/ vnd in dem er vom Port abstieß/ befahl er mir/ daß ich mit einem geringen Theil deß Heers voran segeln/ vnd mich auff der See/ sonderlich zwischen Ligurien vnd Sardinien erkündigen solte. Nach verrichtung meines Ampts/ vnd erforschung aller Gelegenheit/ lasse ich die Ruder nun- mehr langsamb rühren/ in Meinung seiner Ankunfft zuerwarten. Auß seinem Gesicht vnd Reden werdet jhr erkennen/ daß ich einen solchen König viel zuwenig gelobt habe. Aber [750] weil viel Oerter in Sicilien von Griechen bewohnet werden/ vnd er in den meisten +
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Griechischen Städten gewesen ist/ saget mir/ kennet jhr den Astio- rist nicht etwan von Gesichte oder Nahmen?

Arsidas/ der seiner Hoffnung nunmehr besser glaubete/ vnd die Augen niederschlug/ nach dem er alles bey sich erwogen hatte; Ich kenne/ sagte er/ keinen Astiorist: wann er noch einen andern Nah- men hat/ so mag ich vielleicht wol von jhm gehöret haben. Ja/ fieng Gobrias stracks an/ wie ich selbst von jhm verstanden/ als hat er sich anders geheissen/ darmit er in dem niedrigen Stande/ welchen er fürgab/ destomehr möchte gesichert seyn. Er sagte/ man nennete jhn daselbst Poliarchus. Seinen Gefehrten auch/ der Cerovist seinem Vattern nach heisset/ nannte er/ ist mir recht/ Gelanor. Arsidas ver- lohr vber diesen Namen alle Kräfften/ vnd Gobrias/ als er jhn so be- stürtzet vnd für Frewden verkehret sahe/ ward ingleichen vber Er- wartung solcher Fröligkeit verwirret; biß jener anfieng: Welcher Gott hat mich in eine so glückhafftige Bestrickung fallen lassen? Ich were vmb ewer Vfer herumb gejrret/ nach dem der König abge- fahren ist/ vnd hette mit vergebener Mühe bey denen so vmb die Sache nicht wissen an statt deß Astiorists nach dem Poliarchus ge- fraget. Dieser ist der Poliarchus welchen ich suche/ vnd jhm etwas erzehlen wil/ das jhm zu seinem besten nicht sol [751] verborgen bleiben. Wie glückselig seydt jhr wegen eines solchen Königes? Wie wirdt Gallien von den Göttern so sehr geliebet? Wer wirdt für dem Schrecken ewres Namens nicht zittern? Wie für glückhafft werden sich die Könige vnd frembde Völcker schätzen/ die jhr in ewere Freundschafft vnd Bündtniß nehmen werdet? Vnd was mich noch mehr vergnüget/ ist dieses/ daß ich euch mit gewaffneter Handt schiffen sehe; wiewol ich weiß daß es mehr wirdt eine herr- liche Siegespracht/ als ein Kampff oder Schlacht seyn. Dann ewere Feinde begehren die Waffen nur zu sehen/ nicht zu versuchen. Aber ich muß eylendts zum Könige/ der mir die Ehre gibt/ daß ich mich seinen sonderlichen Freundt rühmen mag. Gobrias/ als er dieses ge- höret/ ehrete er den Arsidas mehr als zuvor/ vnd fragte frey herauß/ was er brächte vnd von wem er käme. Aber Arsidas/ der nach vn- achtsamer Vberfallung der plötzlichen Frewde die Rede klüglicher zurücke hielt/ war sehr vngehalten auff sich selber/ daß/ da Gobrias weißlich verbergen können/ daß dieses Volck in Sicilien schiffete/ er so vnbedächtig herauß gestossen hette/ wie jhm das gantze Wesen +

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bewust were. Darumb brachte er allezeit was anders in deß Gobrias Fragen/ vnd begehrte jnständig jhn mit einem geschwinden Schiffe zum Poliarchus zu befödern. Gobrias gab jhm zur Antwort: Wir wöllen [752] vnsere Schiffe nicht allein mit Ablassung der Segel zu- rück halten/ sondern auch Ancker werffen/ wo es in dieser See seyn kan. Also werden wir die königliche Flotthe/ welche/ wie mir be- wußt/ sehr eylet/ ohne allen zweifel diese Nacht allhier haben. Wird er auff den Morgen vns nicht erreichen/ so wil ich euch eine Gallere nebenst den stärckesten Ruderknechten vbergeben/ damit jhr fort kommet. Vnter dessen ruhet hierinnen/ vnd befehlet nicht anders als vnter ewren eigenen Leuten. Nach diesen Worten ließ er jhn ein- schlaffen/ vnd legte sich auff das nechste Betth bey jhm. Wiewol die Frewde den Arsidas kaum entschlaffen ließ/ der sich vnter anderm wunderte/ warumb Argenis jhm nicht gemeldet hette/ daß Poli- archus eigentlich Astiorist hiesse. So offt der Princessin ingleichem einkam/ daß sie vergessen hette den Arsidas dessen zu erinnern/ wie dann hefftige Begier leichtlich gejrret wirdt/ so offt bildete sie jhr auß vergebener Forchte ein/ Arsidas würde jhn nicht finden können.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),