Das IX. Capitel.

Gobrias fängt an dem Arsidas die Historien von dem Astioristes zu- erzehlen. Wer Britomandes gewesen/ vnd wie weit sich sein König- reich erstreckt. Deß Commindorix Tyranney. Anschlag der Königin Timandre/ die Geburt jhres Sohns zu verbergen. Astioristes wird fortgeschickt/ daß er heimlich auff dem Lande erzogen würde.

Das IX. Capitel.

IHr werdet derhalben/ sagte Gobrias/ etwas hören/ das der Griechi- schen Gemüter werth ist. Dann es sindt bey vns viel Thaten ritter- licher Leute fürgegangen/ die den jenigen/ welche andere Völcker von sich selber schreiben/ im geringsten nicht weichen. Wir haben aber nichts als die Verse der Druiden/ so würdige Dinge die bey vns geschehen/ erhalten. Sie sindt auch weder auff Holtz noch in Wachs eingedruckt; sondern werden der Jugendt in das Gedächtniß ge- pflantzet/ auß dessen singen [691] wir vnserer Vorfahren Tugen- den erkennen. Aber/ damit ich mich nicht lang vber vnsere Sitten beklage/ es ist besser/ weil jhr es begeret/ meiner Zusag mit der Er- zehlung ein Genügen zu thun. Es regierte bey vns ein König Brito- mandes geheissen/ dessen Name vnsern Leuten noch jetzundt ange- +

[Druckausgabe S. 417]
nehmist/ ein erfahrner Mann im Kriege vnd Friedenssachen. Ar- sidas fiel jhm ein/ vnd/ Ihr berichtet mich/ sagte er/ eher vom Könige/ als vom Lande in welchem er regieret hat. Wiewol ich auß ewerer Leute Reden muthmasse daß jhr Frantzosen seydt. Ihr erinnert gar recht; antwortet Gobrias. Wir bewohnen das größte Theil deß Frantzösischen Vfers/ an welches die See zwischen den Alpen vnd Pyreneischen Gebirgen schlägt. Hernach erstrecken wir vns weiter hinein in die länge des Lands/ wo die edlen Flüsse der Rhodan vnd vber jhm Araris die fettesten Felder durchschneiden. Es ist das beste theil von Franckreich; hat sehr trächtigen Boden/ vnd streitbare Innwohner. Arsidas entsetzte sich vber den Namen Araris vnd Rhodan/ welchs die Wasser deß Poliarchus Reichs wa- ren/ wie er auß der Argenis Bericht verstanden. Als Gobrias jhn so bestürtzt sahe: Ich erzehle euch vielleicht/ hub er an/ von dem jhr vor diesem reden gehöret/ vnd würde nur die Zeit verlohren/ wann es euch schon bekandt were. Aber sagt mir/ was habt jhr in Sicilien von dem verlauff vnsers Hoffs vernommen? Arsidas gab zur Ant- wort: Verzeihet mir/ wir [692] haben zwar gehöret/ daß in Franck- reich viel Könige seyn sollen; aber wann man vns schon etwas er- zehlet/ so ist es doch nur als ein leichter Wind/ oder ein kleines Gewölcke/ das bey denen die darumb nichts wissen geschwinde für- über geht. Dann für diesem sind etliche wenige Kauffmänner hin vnd her gereiset/ an jetzo aber auch durch vnsere Empörungen gäntzlich außgejaget worden. Wir andern aber/ die wir nach Grie- chischer Art leben/ sind dermassen träge/ daß wir vns vmb die Thaten derer Völcker die auff Mitternacht zuliegen nicht sonderlich bekümmern; außgenommen wann die Sage gehet/ daß jhr mit Hee- reskrafft auß ewerem Lande ziehet/ vnd die Gefahr der gemeinen Freyheit vns furchtsam macht. Lasset es euch darumb nicht zuwie- der seyn/ mir als einem der nichts hiervon weiß/ vnd es doch zuwis- sen begierig ist/ alles anzuzeigen. Dieses sagte er aber/ nicht daß er in den Frantzösischen Sachen gäntzlich vnerfahren war; sondern daß Gobryas von seiner Rede nicht außschritte/ vnd jhn fragte/ was jhm davon bekandt oder vnbekandt were. Dann weil er allbereit deß Rhodans vnd Araris erwehnen gehöret/ wündschete er hefftig die Historien/ als ob sie jhn selber angienge/ eigentlich zuverneh- men.

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[Druckausgabe S. 418]

Vber ein so grosses Volck/ fuhr Gobrias fort/ herrschete auß vät- terlicher Erbschafft der Britomandes. Er hatte einen Sohn auch deß Nahmens Britomandes; der aber nach erreichung deß mann-[693] lichen Alters mit so vielen Kranckheiten zerrissen ward/ daß jhm die vnendlichen Schmertzen zugleich die Kräfften deß Gemüts ver- zehreten. Doch begab er sich in Heyraht mit einer seines Geblütes von solcher Tugend/ daß ich zweiffele/ welches man an jhr höher halten solle/ entweder jhre Keuschheit/ oder Frömmigkeit/ oder mannlichen Verstandt vnd Klugheit. Sie heisset Timandre. Als Britomandes der Vatter Todes verbliechen/ gleichsam als mit jhm auch vnser Glück gestorben were/ sind alle Sachen in bösen Zustand gerahten. Wir erkandten nichts das an dem newen Könige dem Vat- ter zutraff/ ausser die Frömigkeit vnd den Nahmen. Vnter den für- nemsten deß Landes war einer Commindorix geheissen/ sehr mäch- tig/ edeler vnd reicher als Privatpersonen zuseyn pflegen/ vnd end- lich eben so einer/ wie jhr saget daß Lycogenes gewesen sey. Dieser war bey Zeiten deß alten Britomandes wegen Ansehens eines der- gleichen Königes zimlich in Furchten gehalten worden. Bey dem Sohne aber vermochte er/ deß Beruffes sonderlicher Weißheit vnd Gewalt halben/ so viel/ daß er in seinem Namen selber regierete/ mit grossem Vnwillen der Timandre/ die jhren Gemahl zu vätterlicher vnd angebohrener Hertzhafftigkeit anzumahnen nicht auffhörete. Er aber vertrawte auß Schwachheit der Sinnen dem Commindorix/ der alle seiner Gemählin Rhatschläge listiglich außforschete. Wir/ als wir das gute Glück/ zu welchem der ältere Britomandes das [694] Landt angewehnet hatte/ verloren/ kamen bey seiner Grabschafft offtmals zusammen; zwar vnter dem Scheine einer Andacht/ in Warheit aber/ nach vnseres Landes Gebrauche daselbst vom Orackel zu erfahren/ ob etwan ein gutes Glück/ oder ein Gott vns ein Mittel entdeckte den Commindorix außzurotten. Dann vnserer viel hielten es für eine Tugendt wann wir jhn hasseten; sonderlich aber/ wie von jhm das Geschrey gieng/ als hette er auß brennender Regiersucht der Timandren Sohn durch Hülffe der Ammen hinge- richtet. Warumb aber die Königin nicht auch sey mit gleichem Auß- gange weggeraffet worden/ kan man nicht wissen; ob sie sich viel- leichte weißlich vor dem Giffte vnd Betruge gehütet/ oder er sich das +

[Druckausgabe S. 419]
Leben eines Weibes nicht hat jrren lassen. Ich für meine Person halte dafür/ sie sey von den Göttern selbst errettet worden; dann sie verblenden die Tyrannen offtmals/ daß sie/ in dem sie ängstiglich vnd mit aberglaübischer Grawsamkeit jhre Sicherheit suchen/ die rechte vnnd gewisse Gefahr nicht kennen/ noch fürchten.

Als Timandre noch einmal mit schwerem Leibe gieng/ vnd sich wegen jrer armseligen Frucht/ welche für jhrer Geburt zum Tode bestimmet wardt/ besorgete/ brachte sie in Zeiten die Hebammen an sich/ nebenst zweyen Matronen/ vnter denen ich vnlängst die eine durch Vermittelung der Königin geheyrhatet habe. Von diesen begehrte die Königin/ wann sie einen Sohn zur Welt brächte/ daß man ein an-[695]deres Kindt an die stelle geben/ vnnd das jhrige heimlich retten solte. Die Frawen entdeckten solchen Anschlag einer anderen auff dem Lande/ die mit meiner bekandt war/ vnd das Kindt erziehen kundte; sie heisset Sicambre. Als die Königin gleich liegen solte/ führete sie meine Fraw nebenst jhrem Manne/ dessen man auch bedurffte/ nach Hofe. Nachdem sie nun sich mit dem tewresten Eyde verbunden hatten/ die Sache in geheim zuhal- ten/ wardt niemandt in der Königin Gemach gelassen/ als die so darumb wusten. Die Götter halffen. Timandre wardt eines Sohnes entbunden; vnnd die betrüglichen Weiber legten eine Tochter in die Königliche Wiege. Was für Gedancken meinet jhr wol daß die Kö- nigin damals gehabt habe? Sie empfandt ein beben nach dem an- dern/ vnd hielte es für eine Freundtschafft/ wann man jhr die Geburt hinweg neme/ welche die Mütter sonst mit so grossen Schmertzen kauffen. Ich hab es offt auß jhrem Munde gehöret/ sie hette nichts- mehr gefürchtet/ als daß durch deß Kindes schreyen/ oder der Wei- ber Furchtsamkeit der Anschlag möchte verrahten werden. Nichts- destoweniger/ ob schon jhre Marter vnd Pein vnaußsprechlich war/ redete sie doch mit leiser Stimm die Sicambre/ welche das Kindt vnter dem Getümmel weg tragen solte/ also an: Meine Freundin/ vergönnet mir/ daß ich euch bey allen Göttern beschwere mir Trew zuseyn; damit ich nicht/ in dem ich andere zu betriegen gedencke/ durch wegschickung meines Kindes von mir selbst betrogen werde. Dann ich [696] muß doch das jenige für das meine erkennen/ welchs jhr mir geben werdet. Die Fraw gab zur Antwortt. Die Götter/ Gnä- digste Königin/ welche jhr anruffet/ haben gemacht/ daß euch nie- mandt durch List/ für welcher jhr euch befahret/ schaden könne; so +

[Druckausgabe S. 420]
wol ist das Kindt gezeichnet. Auff dieses nam sie es nackendt/ vnnd zeigete ein wenig vnter dem Nacken die Gestalt einer ähren/ als von lebendiger Purpurfarbe. Eben diese Figur war auch an dem rech- ten Schenckel. Dies Vrsache solcher glückseligen Merckzeichen war die Mutter selbst gewesen/ so ohngefehr/ wie sie zu Fusse vmb das Feldt gespatzieret/ für einem stracken Winde erschrocken war/ der das Getreyde/ als es die Schnitter vmbgeleget/ durchfahren hatte. Timandre/ nach dem sie jhr liebstes Pfandt geküsset; Fliehe/ sagte sie/ mein Kleines/ für der Gefahr deß Pallastes deines Vattern. Fliehe/ mein Astioristes. Dann ich wil daß du also nach deß Vattern Großvatter genennet werdest. Wöllen die Götter/ daß du baldt mö- gest Rache nemen an denen/ die deine Kindtheit an meinen Brüsten nicht lassen sicher seyn. Sie küste jhn noch einmahl vnnd fieng an zu weinen. Alsbaldt nam jhn Sicambre/ wickelte jhn ein/ vnnd machte sich durch eine verborgene Thür/ so hierzu bereitet worden/ von Hofe. Man satzte stracks die kleine Tochter/ so an statt deß König- lichen Blutes angenommen wardt/ auff die Erden; da dann nach dem Britomandes geschickt wardt sein Kindt zubesehen: der mit dem Commin-[697]dorix hienein kam/ vnnd ein frembdes Kindt/ mit betrogener Zuneigung/ auff die Armen hub. Wie er es nachmals den Saügammen anbefohlen/ vnd die Kindtbetterin getröstet hatte/ gieng er in den Tempel den Göttern zudancken; denen er wegen einer grösseren Wolthat verbunden war als er selbst vermeinete.

Sicambre/ welcher die Königin jhr Kindt vertrawet hatte/ war eine Fraw von mittelem Zustande; dann bey fürnemen Leuten were das Kindt nicht wol verborgen blieben/ vnnd bey Armen hette so ein zarter Leib nach Notturfft nicht mögen versehen werden. Sie hatte jhren Mann/ so Cerovist heisset/ mit sich gebracht; welchem sie nicht weit von dem Pallaste das heilige Pfandt sanffte zu tragen vbergeben hat. Die Barmhertzigkeit vnnd grosse Hoffnung mach- ten daß er auff das Kindt genawe Achtung gab. Derhalben ent- wieche er von der Frawen/ damit seine Leute in keinen Argwohn geriethen/ vnd gieng in sein Vorwerck. Dann er hatte zimlich viel äcker an dem Strande deß Rhodans/ so keiner Statt nahe gelegen/ vnd hielte sein gesinde in ehrbarem Wandel nach Bäwrischer Ein- falt. Als er nach Hause kommen/ gab er für/ er hette dieses Kindt + + +

[Druckausgabe S. 421]
nahe bey dem Walde gefunden. Wie nachmals auch seine Fraw kam/ lieff er jhr entgegen/ vnd bate in Anwesenheit der Seinigen/ daß sie dem Armen die Brüste reichen wolte; Dann sie war noch bequem darzu/ weil sie kurtz zuvor jhren Sohn ge-[698]säuget hatte. Die Fraw aber/ gleichsamb ob sie nichts von der Fabel wiste/ fragte fleissig nach allem/ wer das Kind were/ warumb man es verstossen/ vnd den jungen Knaben/ von solcher Schönheit daß die Natur nichts an jhm vergessen/ also weggeworffen hette. Er gab für/ jhm were weiter nichts wissendt/ als daß er jhn auff einem Scheidwege am Wald/ da niemandt als Hirten vnd Jäger hin kämen/ gefunden; da- hin er entweder vnbarmhertziger weise/ oder auß höchstdringender Noth müßte gelegt worden seyn. Also nam Sicambre das weinende Kindt/ vnd schweigte es/ in dem sie jhm zu trincken gab.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),