Das III. Capitel.

Der Selenissen schreiben für jhrer Entleibung: Ihr Todt; warumb Argenis frölich ist: Ihre Grabschrifft: Rahtschlag deß Königes we- gen deß Radirobanes vnd seines Heroldes: Zurückkunfft deß Sardinischen Königes in sein Landt.

Das III. Capitel.

SElenisse entschloß sich auff diese Worte/ nam Papier/ vnd schrieb mit zitternder Hand vnd bösen Buchstaben nachfolgenden Inhalts: An Meleandern den gütigen König/ vnd Argenis die gütige Princes- sin: Wann etwas nach dem Tode vbrig were/ so hette ich mir das- selbe zur Straffe gewündschet. An jetzo nemet mein Blut/ welches mit seinem Laster noch nicht so sehr befle-[630]cket ist/ daß es den Göttern nicht könne geopffert werden. Richtet auch auß der Schär- ffe meines Todes den ich mir anthue/ mehr meine Rewe/ als das Ver- brechen. Ihr selber/ die ich erzürnet habe/ werdet meinen daß jene grösser sey als dieses. Dann ich bekenne/ daß ich entweder auß Drin- gung deß Verhängnisses/ oder Krafft einer Zauberey das grosse Ge- heimniß von der List vnd Stärcke deß Poliarchus verrahten habe. Wann ich aber/ liebste Princessin/ wieder ewren guten Nahmen etwas darzu gesetzt/ oder darzu hab setzen können/ so wündschte ich daß die höllischen Götter gegen mir müssen so grawsam seyn/ als ich vntrew gegen euch gewesen bin. Glaubet mir sterbenden/ vnd erlasset meinem euch sonst von Redligkeit genugsam bekand- ten Leben/ oder wann es zu viel ist/ diesem Degen der euch an mich rechet/ diese einige Schuld. Hernach gab sie nach Versiegelung/ das Schreiben einem Diener; Gehe hin/ sagte sie/ vnd befiehl in meinem Nahmen dem Thürwärter für deß Königes geheimbden Zimmer/ daß er diesen Brieff den Herren alsbaldt vbergeben solte. Der König hat befohlen/ daß ich 〈jhn〉 jhm vnverzüglich solte zuschicken.

Als der Bote hinweg kommen/ ward sie noch wütender jhr durch den Todt abzuhelffen/ eilete vnd hielte zugleich jnnen/ fieng bald ein rasendes Wehklagen an/ bald beschüldigte sie mit gedämpfften + +

[Druckausgabe S. 381]
Seufftzen jhre Beständigkeit. Es hörete ohngefehr in einem Gema- che darein man auß der [631] Schlaffkammer gehen kundte ein Dienerin alle Worte. Diese hatte Selenisse nicht gesehen/ vnd sie vermochte auch/ auß Scham daß sie zu jhrer Frawen Geheimniß kommen were/ weder zu reden/ noch hinweg zugehen. Dann sie bil- dete jhr nicht ein/ daß die Worte voll von Verzweiffelung zu solchem vnsinnigen Außgange gerahten würden/ vnd wartete/ biß sie nach Abweichung der Frawen sich auch heimlich hienauß stelen könte. Selenisse aber/ die darfür hielte es bestünde das gantze Lob deß fürgesetzten Todes in einer Geschwindigkeit/ vnd daß man bald et- liche schicken würde/ die sie mit Gewalt zurück hielten/ eröffnete eine kleine Truhen in der ein kurtzes Schwerdt lag/ welches jhr Mann vor diesem dem Sohne als er noch jung gewesen gegeben/ vnd sie darumb auffgehaben hatte/ damit sie es auff seinen Hoch- zeittag nebenst seinem Kinderspiele der Juno Lucinen heiligen köndte. Es begab sich gleich durch einen Fall/ daß es wenige Tage zuvor den Rost zubenehmen geschärffet worden. Es war auch nichts im Frawenzimmer so bequem/ jhr die Brust zuöffnen. So bald sie diesen Degen ergrieffen/ erinnerte sie sich zugleich deß Mannes den sie verlohren hatte/ vnd deß Sohnes welchen sie vnwissendt verlies- se. In häuffiger Betrachtung nun so vieler vnd wichtiger Sachen/ küssete sie das mördtliche Eysen/ redete es an/ vnd hielte den etwas säumenden Todt eine Zeit lang [632] auff; biß die Dienerin/ welche sich besorgte/ dieses Trawerspiel möchte Ernst seyn/ herauß sprang jhr das Schwert außzuwinden/ vnd sie die Leute so auff deß Königes Befehl herzulieffen kommen hörete. Alsdann wardt die Alte durch Bemühung derer die jhr wehren wolten angereitzet/ vnd weil die Hände noch frey waren/ stieß sie jhr die Spitze so tieff in den Leib daß jhr wegen entgehung der Kräfften die Handt baldt anfieng zuhangen/ vnd sie mit der Brust auff die Erde fiel/ das Hefft auch kaum biß auß der Wunden gieng. Die Magd vmbfassete schreiendt die Sterbende/ vnd erschreckte die Leute/ so ohn dieß ver- wirret waren/ mit kläglichem heulen. Dann Archombrotus/ Euri- medes/ vnnd nach jhnen andere waren mit aufflauffung der Thür hinein gegangen/ auff Befehl sonderlich deß Königs/ als er das trawrige Schreiben empfangen/ damit sie zu der Armseligen eileten/ vnd sie zwingen möchten sich nicht hinzurichten. Eurimedes hieß die Magd beseite tretten/ vmbfassete sie/ derer Augen allbereit ver- +
[Druckausgabe S. 382]
starretwaren/ vnd/ Was ist das/ sagte er/ für eine Vbelthat/ meine Fraw? Warumb wöllet jhr euch vnd die ewrigen vmbringen? Sie sagte nichts/ ohn daß sie mit neigung deß Hauptes die Augen noch etwas verwandte vnd zugleich Blut vnd Seele herauß gab.

Es war durch das gantze Zimmer ein tieffes Stillschweigen/ bald erhub sich ein Gemurmel/ vnd drauff wardt durch algemeines Gerüchte eine grosse Menge zu dem schräcklichen Spectackel ge- locket. [633] Stracks erdachte man vnterschiedliche vnd gefährliche Vrsachen jhres Todes. Der Könige als er von der Ermordung hörete erschrack häfftig: an der Argenis aber kundte man kein Zeichen weder der Barmhertzigkeit noch deß Hasses spüren; entweder daß sie meinete/ Selenisse were noch nicht genug gestrafft/ oder daß sich jhr enzündetes Hertze verwunderte daß es sich durch eine sol- che Busse auff einmal gäntzlich besänfftigen liesse/ vnd also zwi- schen beyden regungen deß Gemütes gleichsam vnempfindtlich war. Nichtsdestoweniger sahe sie/ wie Selenisse jhr auch mit jhrem Tode geschadet hette. Was würde Sicilien/ was würde Radirobanes sampt den seinigen sagen? Die Alte hette durch eine so schreckliche Rach an jhr selber/ mehr als durch die Verrhäterey das Geheimniß von der Theocrine offenbahret. Vber dieß/ weil ja die Sache darzu ge- rhaten/ als hatt sie verhofft/ der König würde von der Selenissen die Verheissung den Poliarchus zu heyrathen vernemmen; welche Heimligkeit sie zwar an den Vatter nicht bringen dürffte/ aber dennoch standthafftig zu vertheidigen entschlossen war. Im vbrigen so ließ der König die menge deß Volckes abschaffen. Hernach wardt der Cörper ohn alles Gepränge eingesencket/ vnd/ als die Vr- sache der entleibung offenbahr worden/ weiß ich nicht welcher Po- et jhr folgende Grabschrifft gemacht hat:

Hier/ Leser/ siehestu ein Grab voll grimmer Schmertzen/
Ein Weib die selbst befandt in jhrem rawen Hertzen
[634]
Daß sie den Todt verdient. Doch wündsche gleichwol du/
So lieb du ruhen wilst/ jhr weder Angst noch Ruh.
Sprich nur: Es müssen dir die Götter nach dem Leben
Das du geführet hast/ O Geist/ Belohnung geben.
Es ist die Seleniss’/ ein Weib von böser That/
Doch die sich ärger selbst an jhr gerochen hat.
+ + + +
[Druckausgabe S. 383]

Meleander/ der von so vielen Sorgen vberhäuffet war/ vnd nicht wuste/ was er mit dem Radirobanes/ dem Herolde/ vnnd dem Schrei- ben machen solte/ beruffte seine Räthe/ vnd gab jhnen zuverstehen/ wie seine Sachen so vbel stünden: in dem Radirobanes seine Ho- heit mit Schmehworten angrieffe/ vnd vber diß wegen auffwendung zu vorgeliehener Hülffe dreyhunter Talendt nicht glimpfflich/ sondern mit Bedrewung foderte. Es wolte jhm zwar gebüren/ sol- ches Vnrecht mit der Faust zu rechen/ wann nicht allein Sicilien mit einheimischer Vnsinnigkeit seine Kräfften erschöpffet hette/ son- dern auch dem Radirobanes wegen der erwiesenen Wolthaten 〈wenigstens Gelegenheit〉 zu der Berewung gelassen werden solte. Dann er were für wüten nicht bey sich selbst/ vnnd bestätigte den gestrigen Argwohn mit vnbesonnenem Zorne. Wiewol er nun dieses weitläufftig erklärete/ jedennoch hütete er sich sehr/ damit er nichts herfür brächte/ wie dieser Feindt der Argenis jhren guten Namen abschneiden wolte: nicht zwar daß jhm vnbewust wann es würde endlich alles außkommen: sondern weil er theils die an- wesende Tochter nicht wolte Schamroth [635] machen/ vnd theils durch sein Stillschweigen zuverstehen gab/ es solte jhm nachmals niemandt mit Erwehung einer solchen verhaßten Anklage be- schwerlich seyn. Nichts destoweniger damit sie wisten in was für einer Sachen er jhren rhat begehrete/ so sagte er/ wie Selenisse ver- rhäterischer weise etliche Heimlichkeiten so den König angiengen dem Radirobanes vertrawen dürffen; welche zwar für sich selbst nicht böse weren/ er aber durch eine vnehrliche Außlegung vbel gedeutet hette: wie er dann in jetzigem Schreiben jhn Ehrenrühri- ger weise angriffe. Deß Radirobanes Fürnehmen belangend were Selenisse zwar vnschüldig; dennoch were sie in der Meinung ge- standen/ daß sie jhr verbrechen allein mit dem Todte büssen köndte. Sie stimmeten einhellig/ er solte den Radirobanes für Siciliens offentlichen Feindt erklären. Seine Hülffe so er gethan sey nicht auß gutem Willen herkommen/ sondern er were mit hinterlist in die Insel eingesessen/ vnnd hette den Lycogenes darumb auß dem Wege raümen wöllen/ damit er das jenige/ was der vorige zuthun +

[Druckausgabe S. 384]
gesonnen war/ selber zu Wercke richten möchte. Von dem Herolde waren sie mancherley Meinung; in dem etliche wolten/ daß er auff- gehangen/ etliche daß er mit vnterschiedener Straffe zerstümmelt dem Radirobanes wiederumb solte zugeschickt werden. Doch folgete man dem Cleobulus/ man müste wegen beleidigung deß Heroldes nicht Vrsache geben zum widerwillen/ weil es der Feindt wol vmb was grosses [636] geben möchte/ daß er vmbgebracht würde. Man könte diesem hoffärtigen Könige mehr wehthun mit Verachtung/ als mit solcher Rache. Als dieses der König gut geheissen/ ließ Eury- medes den Herold für sich fodern (dann sie wolten jhn in deß Me- leanders Gesichte wiederumb nicht kommen lassen) vnd redte jhn auff Befehl also an: Wann du mit so einem leichtfertigen Schreiben von einem Könige der seine Sinnen hette kommen werest/ so sol- test du diesen Tag nicht vberlebet haben. An jetzo halten wir deß Radirobanes Vnsinnigkeit etwas zu gute; welchem du im Nahmen deß Königes sagen magst/ man könne einem Rasenden nicht ant- worten. Es were jhm auch zurathen/ daß er hinfort Königen nicht ehe schriebe/ biß er zuwüten auffgehöret hette.

Nach dem der Herold abgeschieden/ ward alsbald dem Arsidas eine starcke Besatzung zugegeben/ die er an den Port auffführen solte. Timonides trieb die Seeleute zu Schiffe/ damit man dem Radi- robanes/ wann er es ja bey den Worten nicht verbleiben liesse/ mit gewehrter Hand begegnen köndte. Nicht allein der Hoff/ sondern auch die Stadt ward dermassen beweget/ als ob der Krieg von newem angienge. Vnd Radirobanes fieng sich auch allbereit an zu- fürchten/ nicht allein daß vielleicht sein Herold wegen deß vnver- schämten Schreibens mit der Haut bezahlen müssen/ sondern auch/ daß auch wol Sicilien wieder seine Schiffe auff-[637]geboten würde. Der Zorn hatte etwas nachgelassen/ vnd kamen jhm deß Krieges Vngelegenheiten ein/ welche er zuvor auß grossem Zorne nicht er- wegen. Sein Volck war zu wenig gegen die Kräfften deß gantzen Siciliens. An dem Vfer lag eine Besatzung; so war er auff dem Meer mit Proviant nicht versehen. Solte man jhn nun angreiffen/ so were es wieder seine Ehre wann er etwas außschlüge/ bevorauß weil er erstlich gefordert hette. Als er in solchen Gedancken auff den Strand zusahe/ ward er gewar daß ein Nachen auß dem Port abstieß. Es war eben der/ auff welchem der Herold zurück fuhr. Dieser/ so noch für Furchten zitterte/ sagte was er vom Eurymedes verstanden/ +

[Druckausgabe S. 385]
vnd wuste die Vngestümmigkeit der Antwort/ wie auch den Tumult bey Hofe/ von dessen Vrsach er nicht wuste/ hoch herauß zustrei- chen. Dann als bey Entleibung Selenissen ein groß Murmeln vnd Getümel entstanden/ hatte Cleobolus den Herold verwachen lassen/ damit er diesen Fall nicht erfahren/ vnd die so jhm auffstiessen/ darumb fragen köndte. Radirobanes/ der in so vielerley Sorgen stundt/ entschloß sich ehe weg zu schiffen/ als er entweder schla- gen/ oder fliehen muste. Dann worzu würde diese vnzeitige Vnter- fangung dienen/ als daß er mehr jhm selber dann dem Feinde Scha- den zufügete? Er hette seinem gähen Grimm allbereit gar zuviel verhangen. Es were rhatsamer sich zurück in den Port bey Calaris zubegeben (selbi-[638]ges war damals die Hauptstadt in Sardinien) vnd nach Stärckung deß Volckes bald darauff mit vnversehener Schiffsmacht Sicilien zuvberfallen. Doch befand er auch nicht für rahtsam so gar eylends weg zuweichen. Dann er wuste/ daß Mele- ander noch wenig Leute zu Schiffe hette/ vnd Zeit darzu gehörete/ ehe man zu der Flott von Palerme vnd Lilybee mehr Volck erhei- schen köndte. Derhalben lag er noch den Tag vber stille. Gegen Abendts/ als der Wind etwas besser ward/ hieß er die Ancker auff- ziehen/ vnd auff sein Sardinien zusegeln. Damit es aber nicht das Ansehen hette/ als ob er auß Furchte/ oder verstolen entwiechen/ befahl er das Schiffgeschrey doppelt so groß als sonsten zumachen im Fall sie die Ancker außhüben/ oder jhrem Gebrauche nach ein ander Zubereitung deß vbrigen Schiffzeuges anmahneten. Es er- schalten auch der Soldaten Stimmen an das Vfer/ die entweder jhr noch abwesendes Vatterland grüsseten/ oder die Seegötter anruffe- ten. Meleander/ welcher sich einer instehenden Schlacht versahe/ hieß die Schiffer bereitet seyn/ vnd nebenst dem Port das vmblegene Vfer mit Volcke belegen. Dann er hatte den Schiffen ausser dem Port zu kämpffen verboten/ damit sie von dem Läger zu Lande/ wel- ches zimlich mächtig war/ entsetzet/ vnd die Sardinier durch zwey Heer angegrieffen würden. Gleichwohl vermehrte die einbrechende Nacht [639] jhr Schrecken vnd Forchte. Aber die Feinde/ als sie mit gutem Windt auff die Höhe lieffen/ wurden erstlich nicht mehr ge- höret/ vnd hernach nicht mehr gesehen. Dann es fiel auch zu An- + + +
[Druckausgabe S. 386]
fangsder Nacht ein dicker Nebel. Auß besorgung aber/ daß es nicht möchte ein ertichtete Abscheidung seyn/ vnd sie vnversehens einen Einfall theten/ hielten nicht allein die Soldaten/ sondern auch viel auß den Befelchshabern in dem Hafen Wacht.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),