Das XX. Capitel.
Arsidas machte sich zu der Argenis/ vnd sagte jhr/ mit was für
Eyfer dieser Andächtige jhrer in dem Tempel wartete. Die Jung- fraw ward
gantz bestürtzt der Gefahr halben/ in welche sich Poliar- chus setzte/ vnd
empfindung der Frewden/ wegen dieser guten Zei- tung. Nachdem sie fleissig
Bericht eingenommen von allen Zeichen wie sie den verkleideten erkennen solte: Es
steht/ sagt sie/ grosse Gefahr darauff/ angesehen daß Poliarchus/ wann der König vnd Lycogenes in den Tempel kommen/ sich bloß der frembden Tracht vnd
Haaren vertrawen muß. Vermeinet jhr daß von so vielen Leuten welche sie
begleiten/ niemandt deß Betrugs jnnen wirdt werden? Sonderlich weil die so dem
Könige wol wöllen/ vnd die andern die es mit dem Lycogenes halten/ in solchem Mißvertrawen vnablässig auff alle
Personen werden Achtung geben/ vnd allem dem was [162] verdächtig seyn kan mit grosser Fürsorge nach forschen. Ich wolte sagen
er solte hierein in das Schloß kommen/ aber die Wache möch- te den Betrug
mercken. Besser ist es/ ich gehe zum Vatter/ vnd sage jm/ daß ich/ so lange er
mich der Göttin Pallas hat dienen lassen wol- len/ dem gemeinen Volcke niemals
versaget habe jhre Andacht auff dieses Fest zu volbringen. Weil er aber zu
bestettigung des Frie- dens mit dem Lycogenes bald zur Opfferung gehen solle/ als würde die Kirche
voller Wache vnd Auffwärter sein/ so daß die Leute nicht hienein/ vnd jhr Gelübde
thun könten. Wo es jhm derwegen gefiele/ damit die Gewonheit nicht abgebracht
würde/ so wolte ich stracks für den Altar gehen/ daß die Leute wie gebreuchlich
jhr
[Druckausgabe S. 105]
Gebett verrichteten/ vnd wann solches abgefertiget/ er das
angestalte Opffer desto besser vollbringen köndte. Also werde ich ohn alle Sor-
gen den Poliarchus schawen mögen/ vnd vnsere heimlichkeit wirdt vnter dem
vnachtsamen Volcke desto besser verdecket bleiben. Ar- sidas ließ jhm
diesen Anschlag gefallen/ vnd vermahnete sie/ sol- ches eilendts fort zustellen.
Darauff gieng die Princessin zum Könige/ der jhre Meinung nicht minder lobete/ da
er doch so artlich berücket wardt. Darauff nam sie es eilendts für die Handt
(wiewol die Priester/ der Göttin Pallas Diener/ gesagt hatten/ daß es erst vmb die andere Stunde nach Auffgange deß Tages were) vnd wardt zwischen den Trabanten vnd
Dienerinnen auff den Tempel zugeführet.
[163] Die Ordnung der Ceremonien/ von der Zeit an als Argenis
drüber gesetzt worden/ ward also angestellet. Die Sicilier hielten auff gewisse Zeit eine Messe vnd Marckt wegen der
Kauffmann- schafft/ auff welchen der König seine Satzungen anschlagen/ vnd
Vrtheil wider die Verbrecher ergehen ließ. Die vbrige Zeit ward auff
Geistliche Sachen vnd offentliche Gebräuche gewendet. Da dann auß allen
Benachbarten Stätten/ Flecken vnd Dörffern zusammen lieffen/ die so Bäwrische
Nahrung feil haben/ oder Bürgerliche Not- turfft kauffen wolten. Dieser
Tag aber war zur Opferung der Pallas
bestimmet/ damit desto mehr Volcks die Argenis sehen möchte/ welche wo sie
auch in Sicilien hin reisete/ allezeit in jrem Geleite Priester vnd Geistliche
mit sich hatte. Hernach folgten die grossen Opffer/ vnd alsdann die andern. Auff
den Neundten Tag/ wann ein Tempel der Minerven in der nähe war/ trug man
dahin das Bildnüß der Göttin zu deren Ehren man das Fest feyerte: wo nicht/ so
ruffte man auß dem bequemesten Tempel den Gott oder die Göttin so dar- innen
wohnet/ damit durch solche entweichung Pallas möchte be- herbriget werden: weil zwey Götter in einem
Tempel nicht zu woh- nen pflegen. Die Thüren wurden mit Lorbeerzweigen
behangen/ vnd mit Ampeln vnd schönen Tüchern gezieret. Das Bildnüß so man
auff dem Altar anbetete sahe ernsthafft auß/ mit den gewöhn- lichen Waffen dieser
Göttin. Die emporgehobenen Augenbrawen/ das drewende [164] Antlitz/ vnd der Helm der biß mitten auff die Stirne gieng/
machten denen ein Lust die sie anschawten. Ihr Gesicht war Jungfräwlich/ aber
darneben vnerschrocken: der Spieß von fei- nem Gold/ vnd machte Stralen wegen deß
Glantzes am Metall;
dar-
+
[Druckausgabe S. 106]
von
vnter dem gemeinen Pöfel die Rede geht/ daß sie jhn offtmals
erschüttet habe. Der Mahler hatte auff jhrem Schild auch die Egis mit allen
Farben die sich an den Schuppen der Schlangen eräugen abgebildet. Sie stundt
also/ gleichsamb ob sie zum Streitte fertig were/ vnd satzte den lincken
Fuß herfür/ daß jhr gantz Bildnüß sich etwas auff die seitte lenckete. Zu jhren
Füssen lag Erichthon in Schlangen Gestalt/ der sich vnten vmb das Heffte deß
Spieses flochte. Im vbrigen brachte man in den Tempel (weil man darinnen
kein Blut vergiessen dörffte) die außerlesenen Opffer/ mit Bändern vnd anderm vblichem Gepränge außgezieret/ biß auff das Meel. Als sie die Opffer
gewaschen/ kam Argenis sehr köstlich bekleydet als ein fürnemme Priesterin vnd
königliche Tochter. Sie trug einen Rock von künstlicher Arbeit mit erhöheten
Bildern. Fürnämlich war Pallas daran zu sehen/ wie sie auß Jupiters Gehirn geboren wirdt; Item wie sie vber den
Neptunus triumfieret nachdem sie den Oel- baum erfunden. Von hinden
zu waren sechs Jungfrawen/ welche die langen Falten dieses heiligen Zieraths
auffhuben. Die Haar der Argenis waren mit einem Schaarlachen Bande darein ein
Oelzweig geflochten/ vmbwickelt. [165]
Auff jhr Haupt
hatten sie einen Krantz gesetzt von eben demselbigen Baume. Mit solchem
Schmuck gieng sie auff die Opffer zu/ vnd als sie jhr Haupt mit einem Schleyer
bedeckt/ fieng sie an das gewönliche Gebett der Opfferung zu sprechen/
bestrewete die geheiligten Thier mit Saltz vnd Meel/ vnd gab jhnen mit jhrer
zarten Hand einen Schlag auff das Haupt mit einer silbernen Keule. Stracks
tratten die Priester vmbgeschürtzet hin/ machten sich mit den Messern an die
Opffer/ vnd nachdem sie solche abgestochen/ vermeinten sie in jhren Eingeweyden
das Ver- hängnüß vnd den Willen der Götter zu finden. Darauff gieng Arge-
nis in den Tempel mit einem silbernen Rauchfaß/ trug den Göttern den
gewöhnlichen Geruch für/ vnd nachdem sie zum Altar kommen/ nam sie den Krantz von
jhrem Haupt/ vnd legte jhn dem gewaffne- ten Bild demütig zu den Füssen. Da
wurden der Weyrauch vnd andere Gerüch auffs newe entzündet/ vnd in dessen fiengen
die Jungfrawen an ein Lobgedichte zu singen. Nachmals geschahe ein Gebett für Wolfart deß Königs/ gesunde Lufft/ vnd guten Zuwachs der Frucht im
Felde. Ein jeglicher bettete auch mit stillem Munde für seine vnd der seinigen
eigene Angelegenheit. Alsdann satzte sich Argenis zu der rechten Hand deß Altars
auff einen erhabenen Stul/ hielt in jhrer Hand einen Zweig mit Bändern vmbwunden/
welchen man
[Druckausgabe S. 107]
in das geweyhete Wasser getaucht/ vnd etwas mit dem Blut der
Opffer besprengt hatte. Sie mei-[166]
neten/ es hette eine
grosse Krafft/ wann man ihn auff das Haupt legte/ oder küssen möchte. Vmb
die Princessin her stunden die Trabanten auff beyden seiten/ vnd machten
denen die hinzu wolten so viel Platz/ daß zweene vnd zweene gehen kundten; damit
nicht in der Vnordnung von dem vn- verständigen Volck an das Altar oder die
Argenis gestossen würde. Wie sie also herzu gelassen worden/ fielen sie zu jhren
Füssen/ vnd tratten nach berührung deß Zweiges widerumb zurücke. Es ward auch der geringste nicht außgeschlossen; vnd kamen jhrer mehr da- hin
der Argenis als der Pallas wegen.
Den Tag gleich als Arsidas den Poliarchus herzu geführet/ ward das Fest in einem alten Tempel/ so
der Pallas zu Magella geheiliget worden/ begangen; vnd Argenis gieng destoeher
vom Schlosse/ vnter dem Schein/ als sie zuvor das gemeine Volck abfertigen
wolte/ ehe dann Meleander vnd Lycogenes kämen; in Warheit aber/ geschahe es darumb/ daß sie
ausser Gefahr den Poliarchus sehen möchte. So bald sie für der Thür deß Tempels die
angerührten Opffer denen welche sie schlachteten verlassen/ vnd im Eingange das
Rauchfaß genommen/ kam sie mit vnrührigem Gemüte vnd das sich nicht
länger gedulden möchte auff den Ort wo Arsidas gesagt hatte daß Poliarchus sitzen würde. Als sie jnnen ward wie erbärmlich er in
dem elenden Kleyde vnd Frembden Gesichte die Augen auff sie warff/ ward sie
für Zorn vnd Mitleyden dermassen [167] entzündet/ daß sie fast auß Verwirrung der Ordnung deß heiligen Gepränges dar- über
vergasse. Doch gieng sie mit Mühe zum Altar/ sahe der Göttin Bildnüß an/ vnd
beklagte sich heimlich mit vielen Seufftzen. Sie ruffte auff der Götter Trew vnd
Glauben/ vnd stellte jhnen mit still- schweigender verweissung jhre Vnschuld vnd
Frömmigkeit für Augen. Wo sie jhr helffen wolten/ so hetten sie jetzundt
Zeit. Im Fall es war were/ daß sie sorge für die Sachen der Menschen trügen/
vnd dieselben regiereten/ warumb belohneten sie die Tugend nicht? warumb
erzeigten sie sich so grausamb gegen jhr vnd dem Poliar- chus/ von denen sie
niemals beleydiget worden? Es köndte jhnen nicht verborgen seyn/ daß jhre
Liebe gegen einem solchen Mann vnziemlich vnd wider die Keuschheit so einer
Jungfrawen gebühret nicht gewesen. Wann es das Gesetz der Natur hette zugelassen/
so wolte sie gewündscht haben daß er jhr leiblicher Bruder worden were. Zum
wenigsten/ sagte sie/ so stehet jhm in wehrender seiner
[Druckausgabe S. 108]
Flucht bey; vnd wo jhr etwas vnbarmhertziges gegen vns beyde zu-
thun gesonnen seydt/ so befreyet jhn/ vnd lasset alles vber meinen Kopff
hinauß gehen. Ob sie aber diese Seufftzer vnd Flehen gleich auß ernstem Eyfer
außstieß/ doch ward sie durch eine geschwinde Flut der gedancken davon
abgewendet. Sie hatte ein Mitleiden bald mit jhr/ bald mit dem Poliarchus. So trug sie auch einen vnversöhn- lichen Haß wider den
Lycogenes. Stracks bedachte sie/ daß jhr [168]
Vatter selbst nicht vnschuldig were/ der so leichtlich in deß Poliar-
chus Verderb eingewilligt: vnd fürchtete sich hergegen die schuldige Kinder liebe weg zu legen/ kehrete jhr Hertze widerumb zu den Göttern/ vnd ob
sie zwar für Bestürtzung nicht reden kundte/ so er- weichete sie dieselben doch
mehr mit jhrem Vnglück/ als mit jhrem Bitten. Gleichwol behielte sie die Threnen
noch in jhrer Gewalt/ in dem sie die Scham zurücke hielt/ daß sie so offentlich
vnd zur Vn- zeit nit weinete: vnd vielleicht war der Schmertzen
〈Last〉 grösser/ als das sie Zähren hette vergiessen
können.
Poliarchus war nicht minder bekümmert vnd verwirret. Er muste den
angenehmen Ort verlassen/ vnd als ein Vbelthäter darvon fliehen. Wie schickte
sich dieser Zustandt zu seinem Geschlechte vnd ritterlichen Gemüte so gar
vbel? Was zu vorhin seine beste Lust vnd Ergetzung gewesen/ das erfüllete an
jetzo sein Hertze mit den eusersten Schmertzen. Alle Tugenden der Argenis/ alle
jhre Gaben kamen jhm in den Sinn: vnd auch dieselben Sachen welche er für
die geringsten an jhr gehalten/ erfülleten jm nun da er sie ver- lassen
muste mit einer ansehnlichern Gestalt die Gedancken. Vnter so vielen Vbeln aber
war jhm nichts beschwerlicher/ als daß er Vr- sach an der Argenis Schmertzen seyn
solte. So erhub sie auch in seinem Gemüte nicht ein geringe Furchte/ es möchte
die Zeit vnd Abwesenheit das Verbündtniß vnd die Zusage zwischen der Prin- cessin vnd jhm außleschen/ vnd der Argenis etwas gefallen/ was er
[169] hassen muste. Bald erzürnete er sich/ vnd nam jhm für mit
ge- waffneter Hand widerumb in Sicilien zu kommen: Baldt fürchtete er die
Argenis in der Person jhres Vatters vnd Landes zu beleydi- gen/ vnd ward von Zorn
vnd Trawrigkeit also getrieben/ daß er jetzt in Gedancken verstarrete/
jetz hin vnd wider schweiffete.
Als er in solchen Bewegungen deß Gemühtes war/ ward der Ge-
sang/ den sie zum drittenmal widerholet/ zu Ende gebracht.
Arge-
+
+
[Druckausgabe S. 109]
nis
satzte sich nicht weit von dem Altar/ vnd reichete den herzuna-
henden den heyligen Zweyg. Selenisse/ vnd die fürnemsten auß dem
Frawenzimmer stunden hinter jhr: Eurimedes vnd Euristhenes/ ein vngleiches par/
auff der Seiten. Von diesen zweyen an waren die Soldaten biß mitten in den
Tempel in zwo Ordnungen gestellet/ vnd machten einen Weg zu der Princessin zu
kommen. Eurimedes/ als er gespüret daß sich Argenis im Gesichte so offt
verändert/ neygete er sich zu jhr/ vnd fragte/ ob sie sich vbel befinde. Argenis
nam diese Gelegenheit in acht/ vnd sahe jhn vnverwandt an/ so offte jhr die röhte zu sehr vnter die Augen trat. Als das Volck abgefertiget/ war
Poliarchus fast der letzte/ der zu dem geheyligten Zweyge hinzu
gieng; aber es wolten weder Gemühte noch Füsse fort: die Jungfraw auch
erwartete seiner gantz erstarret vnd jhrer selbst fast nicht mächtig. O die
verwegenen Rathschläge der verliebten! Also groß war jhre Künheit/ einen
Augenblick der Frew-[170]
den zu empfa- hen/ vnd eine so
vergängliche Zusammenkunfft zu haben/ darbey sie kein Wort reden durfften. Es
gerewete sie/ daß sie sich solchem Schmertzen vnd Gefahr außgesetzet/ vnd hetten
mit grösserer Weh- mut jr Glück angeklaget/ wann jhnen mehr Freyheit zugelassen
worden. Endlich gieng der armselige mit seinem Stabe/ dessen er zu
diesem mal wol benötiget/ kniete für sie hin; vnd gleichsam als ver-
richtete er sein Gebete/ Gute Nacht/ sagte er/ allerkeuscheste Prie- sterin;
dencket jhm nach daß ewere Pallas hinweg scheydet/ die all- zeit ewer verbleiben/ aber/ wo jhr
es erlaubet/ nicht ohn jhres Vat- ters Blitz vnd Donner zurück kommen
wird. Die betrübte Princes- sin verstund es wol/ dürffte aber nichts darzu sagen;
doch sahe sie ihn trawrig an/ vnd redte mit den Augen kräfftiger/ als wann sie
viel Worte gemacht hette. Poliarchus aber vermochte von jren Füssen nicht wegk zu kommen/ ob
er etwan vber solchem Betrübnüß sein selber vergessen/ oder sich befahret
hat/ daß er vor Bestürtzung straucheln möchte: so das auch Selenissa Sorge trug/
er möchte durch diese vnbequeme Säumung das Spiel verrathen. Eurimedes
vermeynete der Mensch bliebe auß bäwrischer Grobheit der Argenis zun Füssen/
vnd gab jhm lachende mit dem Stabe den er in der rech- ten Handt hielte
einen zimlichen harten Streich in die Seiten/ vnd hieß jhn fortgehen. Poliarchus war einer von deß Eurimedes besten Freunden/ vnd wuste
wol daß [171]
dieses Vnrecht auß keinem Haß herkäme/
sondern es geschehe jhm der Kleydung wegen von dem/ der nicht wüste wen er
schlüge: stundt also geschwinde auff/ vnd
[Druckausgabe S. 110]
erkandte daß er nicht sehr zu vnrecht gezüchtiget worden.
Argenis aber war bey jhr selbst hierüber nicht zu frieden/ vnd wurde durch
Scham kaum zu rück gehalten/ daß sie den Eurimedes jhr nicht hiesse auß den
Augen gehen. Baldt sahe sie dem Poliarchus nach so weit sie mochte/ vnd erblickte gleich zu
rechter Zeit an der Schwel- len deß Tempels den Arsidas/ der dem fliehenden/ wie sie muht- massen kundte/ den Weg
wolte zeygen. Dann nach dem er dem Kö- nige wegen getroffenen Friedens Glück
gewünschet/ gab er vor daß er nohtwendig zu seinem Schweher in Italien müste: vnd als er vom Könige Erlaubnuß erlanget/
gieng er in der Pallas Tempel/ vnd sahe den Poliarchus vom Altar zu rück kommen. Hernach fuhrte er jhn etwas
beseite/ vnd hieß jhn sich zu dem Thore hinauß verlieren da wenig Volckes fürbey
gieng; auch den Weg nach Messana jnne hal- ten/ biß er eine Meil Weges darvon sich in den
Dörnern die er finden würde verhalten köndte; er wolte nach dem Abschiede
von der Ar- genis jhm als baldt folgen.
In dessen schickte Meleander zu der Argenis/ daß sie den gemei- nen Pöfel von jhrem
Feste baldt abfertigte; dann es were schon zimlich lange in den Tag/ vnd muste
man jhm vnd dem Lycogenes
den [172] Tempel räumen. Sie war nicht bey jhr
selber/ vnd gab ge- mach vnd gemach den Schmertzen nach/ welche sie vermeynete
daß sie durch jhre Beständigkeit weren gedämpffet worden. Doch liesse sie
dem Könige anmelden/ es were vollbracht was das Volck be- langete; er könte nun
sein Opffer/ wann es jhm gefiele/ zu Werck richten. Die Zubereytung war
herrlich/ vnd die Herren/ so dem Meleander vnd Lycogenes zu Ehren vnd Diensten erschienen/ stun- den fornen an dem
Pallaste/ vnd warteten biß sie in den Tempel giengen.
Lycogenes war in deß Meleanders Zimmer gleichsam auß schul- diger Pflicht/ vnd
hielte mit dem Könige mancherley Gespräche/ die mehrentheils nicht viel auff sich
hatten. Als es Zeit war/ trat Meleander in königlicher Tracht vnd einem Purpurmantel/ in der Hand
das Zeichen deß Königreiches haltendt/ auff die Trabanten zu. Zu nechste für jhm
gienge Lycogenes vnd an seiner Seiten auff Befehl deß Königes
Archombrotus: für jhnen die fürnembsten be- ampteten/ vnd andere
die in sonderlichen Gnaden waren. Fornen an eine grosse menge junger vom Adel.
Die Wache kundte auch das gemeine Volck nicht gnugsam zu rücke treiben/ weil es
begierig war zu sehen/ vnd sich am meisten hindrang wo es weichen solte.
Vber
[Druckausgabe S. 111]
den königlichen grossen Nahmen war das Alter/ vnd das Gesichte
so ein sonderliches gutes Gemühte anzeygete/ wie auch die Majestät solcher
hohen Würden [173]
gleichförmig; welches alles machte/
daß ein jeder auff den Meleander sahe. Es bewegete auch diese seine Gegenwart nicht
allein seine getrewe Vnterthanen/ sondern auch viel der jenigen seiner Feinde/
von denen man sagen möchte/ daß sie mehr nur gejrret als gesündiget hetten: so
daß dieser Tag den König nicht gerewen dörffen/ da diese sich beklagten/ vnd die
an- dern sich schämeten/ daß man jhn zu solchem Verbündnüß gezwun- gen. Soll dann der König dem Lycogenes schweren? soll er sich mit einem seiner Leute in Bund
eynlassen? Vnd diß offentlich/ für der gantzen Welt? gleichsam als es
rechtmässiger Weise ergienge. Was köndte ein frembder Fürst/ einer der dem Könige
gleich were/ was köndte ein Feindt durch einen billichen Krieg mehr thun? Wel-
che aber besseren Verstandes/ vnd auß Furchte oder Hoffnung
scharffsinniger waren/ kamen noch weiter mit jren Gedancken: Man muste
diesen Tag nicht ehren als einen solchen Tag der den Frieden widerbrächte: es sey
noch was ärgers zu besorgen/ vnd köndte das vernehmen nicht Bestandt haben/
welches der König gezwungen mit einem von seinen Vnterthanen eyngienge.
Dann was von Fürsten mit Vnrecht abgedrungen worden/ das holeten sie
offtmals hernach mit Vnrecht wider. Würde derentwegen der Kö- nig/ da es jhm
möglich/ sich rechen/ oder/ wann er solches nicht thete/ vom Lycogenes vntergedruckt werden. Es ward ohngefehr ein alter
Hoffeman von einem seiner [174]
Freunde gefraget/ ob er
auch jemals einen freundtlichern König gesehen/ der gab jhm zur Antwort/ daß
es der König wol verstehen kundte: Mein Freundt/ ich hielte jhn noch für
freundlicher/ wann er nicht hierdurch vn- freundlich wider sich selbst were.
Meleander nam diese Worte/ so er von einem seiner trewesten
Leuten auffgefangen/ also zu Hertzen/ daß er/ vber voriger Verwirrung vnd Kummer
wegen der Reden welche Lycogenes/ wie jhm gesaget worden/ bey gestrigem deß Eurimedes
Gastgebote außgestossen/ dermassen auff einen Stein der herfür ragete anstieß/
daß jhm die Hände biß auff die Erde ent- glitten. Die so es sahen schryen
vberlaut: die nechsten aber lieffen hin zu dem Könige auffzuhelffen. Welche von
ferrnen stunden/ vnd nicht wusten was da were/ erschracken viel hefftiger/ biß
man
ge-
+
[Druckausgabe S. 112]
sehen
daß es nur ein leichter Fall vnd ohngefehr geschehen. Er sel-
ber lachte/ vnd fieng an; Er were der Erden viel zu dancken schul- dig/ so
den König dermassen geehret/ daß da sie nicht vermocht auff- zustehen/ jhn doch
zum Küssen hinunter gezogen hette/ welche er dann/ als die seine/ willig
vnd gern vmbfienge. Doch hielten alle Leute dieses für ein gutes oder böses
Zeichen/ wie ein jeder gegen dem Lycogenes/ oder dem Könige gesonnen war. Dann was solte das
bedeuten/ daß der König dem Lycogenes zu den Füssen kom- men? daß er als ein Opffer gelegen/ da
er selber zum Opffer [175]
ge- gangen? wie leichte
vnd geschwinde were er doch gefallen?
In dem sie solche Gedancken hatten/ waren die ersten auff den
Platz kommen/ darinnen die Opffer mit schönen Bändern gezieret waren; vnd
die Priester warteten schon gantz bereytet/ biß Argenis mit gebührlichen Worten
die Götter solche Opfferung anzunehmen beruffete. Sie aber ward mehr vnd
mehr vom Schmertzen vber- lauffen/ hieß die andern ein wenig von jhr tretten/ vnd
redete in einem heimlichen Orte deß Tempels also mit sich selber: Was hast
du gesehen/ du elende Argenis? Was hast du gesehen/ du Vrsache deß Vbels
eines so fürtrefflichen Mannes? Was hast du gesehen/ vnd zu was für einem
Vnglücke wirst du fürbehalten? Daß Poliarchus
fliehe/ vnd Lycogenes triumphiere? Kanst du das leyden? Du eine königliche
Tochter? Der die Krone bestimmet ist? Wann du dich für eine Fürstin erkennest/
warumb erhältest du jhn nicht hier? Bist du seine Braut/ warumb fleuchst du nicht
mit ihm? Ich sehe wol es hat nichts gemangelt/ als daß du ein Heroldt
würdest/ den Frie- den helffen fortzustellen/ welchen dein Vatter vnd Lycogenes treffen. Den Frieden/ o jhr Götter/ welchen sie gemacht
haben zum Vnter- gange deß Poliarchus. Mit was für Gewissen wirst du künfftig den Poliarchus ich sage nicht dörffen schawen/ sondern nur abwesende anreden/ seiner Tugendt erwehnen/ sein [176] Gesichte vnd Worte dir mit heimlichen Gedancken eynbilden. Man möchte sagen/ ich
würde hierzu verbunden durch die kindliche Liebe gegen dem Vat- ter/ vnd die
allgemeine Wolfarth deß Königreiches. Was kan ich aber böses wider den Vatter
thun/ wann ich so ein vnglückseliges Laster zu begehen vnterlasse? Oder
was darff ich mich vmb das Königreich bekümmern/ da ich zu sterben entschlossen
bin? So be- stehet auch die Wolfart der Königreiche nicht allezeit in der
Furch-
+
+
[Druckausgabe S. 113]
te. Vielleichte kan ich mit meiner Künheit
verbessern/ was der Vatter mit Gelindigkeit verderbet hat. Aber was solst du
machen? Die Gefahr kömpt näher vnd näher/ vnd wird dich vnversehens
vberfallen. Schawe den Vatter/ schawe den Lycogenes. Man ruffet mich zum Opffer. Wann ich mich weigere
bey diesem verfluchten Frieden das meinige zu thun/ was sol ich sagen? Was für
Vrsachen sol ich offentlich bey meinem Vatter eynwenden?
Also sagte sie/ vnd war nicht mehr trawrig: sondern das Toben
welches sie eyngenommen hatte machte jhr Antlitz viel ansehen- licher
als zuvor: sie warff die ernsthafftigen Augen von einer Seiten zu der andern/ als
ihr die letzten Worte deß Poliarchus bey seinem Abschiede eynfielen: Sie solte gedencken/ daß
jre Pallas entweichen muste/ aber mit Donner wider kommen könte. Gewiß/
sagte sie/ ist meine Pallas wegk; was sol ich vmbsonst hier warten? Das Gebete in
diesem Tempel ist vergebens; [177] der Tempel hat nichts mehr
von der Gottheit. Der beste Rath ist dieser/ daß ich mich stelle als fienge
ich an wahr zu sagen/ vnd mir von der Göttin verboten würde diesem Feyer weiter
beyzuwohnen. So werde ich der Schuldt deß Friedenmachens entgehen/ vnd hernach
Fug haben grösseren Ge- dancken obzuligen. Als sie diesen Anschlag gut
befunden/ wie sie dann sehr verständig vnd damals mit kluger List gantz außgelas-
sen war/ fieng sie an eine Rede zu ertichten/ wie die waarsagenden pflegen
fürzubringen. Sie wuste/ daß/ wann sie sich ergrimmete/ oder an den Abschiedt deß
Poliarchus gedächte/ jhr Antlitz vnd Augen einen solchen
Glantz von sich geben könten/ daß ein jeder sie für rasende halten würde. Wie sie
dessen sich entschloß/ ward sie gefodert das Opffer zu heyligen. Dann der König
wartete/ vnd der Heroldt hette bereyt ein Stillschweigen außgeruffen. Sie war
vber diesem Anschlage/ als auff dem sie beruhen kundte/ etwas lustiger worden/ darumb gab sie zur Antwort: sie wolte baldt gehen/ vnd bereytete jhre
Sinnen vnd Tritte zur Comedien welche sie spielen wolte. Der König vnd Lycogenes fasseten schon das Opffer ein jeg- licher auff einer
Seiten. Die Herren stunden vmbher/ vnd hielten jhre vngleiche Zuneygungen vnter
einem gleichen Stillschweigen zu rücke. Das Volck hatte alle Winckel
erfüllet/ vnd die Soldaten kondten den Platz der zur Opfferung bestimmet war/
kaum mit dem Schrancken be-[178]schlossen halten. Aber es
war ein Wunder- werck die Argenis an zuschawen: So bald sie auß dem Tempel ge-
gangen mit vnstetten vnd scheutzlich herumb fliegenden Augen/
[Druckausgabe S. 114]
fieng sie an zu zittern vnd zu taumeln. Ihre Gestalt war
wütende/ welche die Regung der Götter/ so noch im Gemüht nicht gäntzlich
Grund gesucht/ auff die erste Verwirrung begundte herauß zu stossen.
Meleander verstarrete sonderlich/ vnd wuste nicht was für ein
Fall/ für Furien vnd für Götter seine Tochter rühreten. Aber sie/ nach dem sie
eine Weile die Augen sehr heßlich verdrehet hatte/ fieng an also zu reden: Warumb
fleuchst du/ o Göttin/ vnd verläs- sest diese heylige Stelle? Meine Pallas ist wegk: ich sehe jhren flie- genden Wagen/ vnd die
erzürnete Göttin. Wer macht vns so ver- wegen? sie fleucht/ weil wir sie
in das Elendt verbannet haben. Was sol ich viel Rauchwerck anzünden? Was sol ich
das Altar mit Blute der Opffer besprengen? O Göttin/ nimb viel lieber mich mit
dir/ vnd trag mich wo dir hinzu fliegen geliebet. Aber wie? du dräwest vns
mit deinen Waffen. Dein Spieß vnd deine Egide krachen: ich höre das
Getümmel in der Lufft; ich sehe das schreckliche Anschawen der blinckenden
Gestirne von dem Himmel. O Göttin/ verschone ja vnser; reche ja dich nicht an vns
mit deinen Waffen/ vnd schlag mit deinem Donner nicht in diese Gegendt! O der
Furien! wo wil der Götter Zorn hinauß? Worzu ha-[179]
ben
wir Tempel auffgebawet/ worzu den Göttern geopffert/ weil wir jetzt Krieg
wider sie erregen/ vnd sie von jhren Altaren verjagen? Als sie dieß gesaget mit
einem Gesichte wie die Prophetinnen bey Erzehlung jhrer Weißsagung haben/
machte sie daß man glauben muste/ daß sie eine Göttliche Bewegung rührete. Es
sahe sie ein jeder bestürtzet an: fürnemlich aber stundt Meleander in Sorgen/ der sich bekümmerte vber dem was sie als eine
Propheceyung herfür gebracht; daß Pallas nemb- lich vertrieben worden/ daß die Göttin bey jhrem
weichen dräwete/ vnd letztlich daß man eine grosse Vbelthat begangen. Je weniger
er dieses verstunde/ je hefftiger geriethe er in Furchte. Argenis aber gleichsam als sie die Gewalt deß Geistes triebe/ der in jhrem Hertzen solch
warsagen erreget/ ließ den Priesterlichen Schmuck welchen sie auff dem Haupte
gehabt ligen/ kam zu jhrem Vatter vnd bate er wolte sie dieser Opfferung
erlassen. Dann sie schämete sich wegen deß vngewönlichen Wütens/ vnd könte das
Anschawen deß Vol- ckes also bald nicht vertragen. Der König war
bestürtzet vber so vielen Anzeygungen/ vnd stund in Furchten/ daß nicht Lycogenes
einen Argwohn auff jhn würffe/ als hette er solche Ebenthewer zu
+
[Druckausgabe S. 115]
Hinderhaltung deß Bundes mit Fleisse ertichtet. Die Princessin
war/ in dem jr Vatter kein Wort sagete/ entgangen/ vnd hatte sich mit
Begleytung jhrer gewöhnlichen Leibtrabanten wider nach Hofe gemacht. Arsidas/ [180]
welcher jhr gleichsam
auffzuwarten nach- getretten/ nach dem er eyngenommen was sie dem Poliarchus zu entbieten ließ/ gieng stracks vom Schlosse wider
hinunter.
Vnter dessen erhub sich ein Gemurmel/ vnd das Volck fieng dar-
auff fast zimlich laut an vnter einander zu reden. Etliche sagten/ daß die
Göttin an diesem Bündnüß keinen Gefallen trüge: andere zogen solche
Wundergeschichte auff das künfftige Vnglück welches Sicilien zuhienge. Eines
theiles wolten die Priester solten mit dem Opffer eylen/ vnd damit bevorstehendes
Vbel ablehnen. Welche man vmb Rath nicht fragte/ sagten jhre Meynung am aller
ersten. Die allgemeine Stimme aber war/ man solte den Heroldt deß Heylig- thumbs ruffen. Dann wie die Sicilier in Ansehung jhrer Ankunfft die Griechischen Sitten
mehrentheils behalten/ so hat die Nachbar- schafft Italiens jnen viel Gebräuche angewehnet/ vnd vnter andern alle
Ceremonien solcher geistlichen Herolde. Meleander derwegen/ damit er die vnterschiedenen Meynungen
befriedigte; Es ist nichts daran gelegen/ fieng er an/ ob die Sache welche
die Menschen auff guten Glauben handeln/ durch die Pallas oder den Jupiter besteti- get werden. Kompt her jhr Heroldt der Sicilier/ vnd verrichtet die gebürlichen Gebräuche der
Verbündnüsse. Der Heroldt in einem langen Rocke fieng eine weitläufftige
Beschwerung an/ darinnen die eydbrüchigen verfluchet worden. Nachmals
schlach-[181]tete man das Opffer/ dessen Eyngeweyde der
König vnd Lycogenes hiel- ten. Als sie diß verrichtet/ giengen sie in den
Tempel/ rühreten das Altar vnd Küssen an/ vnd schwuren widerumb den Frieden
heylig zu halten. Nach diesem wandte sich das Gepränge auf die königliche Burgk zu. Aber weder das Volck gab ein Zeichen der Frewden von sich:
vnd den Freunden so hierzu Glück wünschten gieng es auch nicht von Hertzen.
Nichts desto weniger verbarg doch der König seinen Vnwillen/ wie jhm dann auch
gebühren wolte; vnd machte sich sehr frölich/ hielte offentlich Pancket; den
nachfolgenden Tag sahe er den Comedien zu/ welche alle in lächerlichen vnd
dem ge- meinen Volck behäglichen Sachen bestunden. Dann daß man etwas von
königlichen vnd wichtigen Geschäfften spielen solte/ war da- mals nicht gelegene
Zeit darzu. In wehrenden solchen Tagen ent- hielten sich auff deß Königes vnd deß
Lycogenes Warnung
beyder
[Druckausgabe S. 116]
seits
Freunde nicht allein von allem Widerwillen/ sondern es lude
je einer den andern/ vnd beschöneten jhr Mißtrawen mit Sicher- heit vnd
Frewden. Argenis auch selber/ welche mit Vorgeben einer Kranckheit jnnen gelegen/
ließ sich offentlich anschawen/ nach dem Arsidas jhr zugeschrieben/ daß er vnd Poliarchus frisch vnd gesund weren angelanget.
[182: Kupfer Nr. 5]