Das XV. Capitel.

[111] Arsidas besucht den Poliarchus: macht daß er seine Klei- der verändert. Argenis erfährt daß Poliarchus frisch vnd gesundt sey. Archombrotus wirdt für den König geführet.

Das XV. Capitel.

Arsidas aber bliebe von jhnen vnverwachet/ weil sie wußten daß er weder Poliarchus/ noch Herr deß Hauses were. Dieser gienge/ auff +

[Druckausgabe S. 76]
Berathschlagung mit der Timocleen in die Kammer darinnen der Eingang zum Poliarchus war schlaffen. Verriegelte nachmals die Thür/ stiege in die Höle/ vnd trug die Kleider mit sich welche die Fraw zu veränderung deß Poliarchus zugerichtet. Dieser so bald er den Arsidas alleine kommen sahe/ machte er jhm Gedancken eines Vbels/ vnd fragte/ wo Archombrotus vnd Timoclee verblieben. Arsi- das erzehlte das wüten der Bawern/ vnd deß Archombrotus Gefahr dem Poliarchus/ welcher auß Forcht zu einem jeglichen Wort zit- terte/ biß er hörete/ daß er noch frisch vnd wol auff were. Nachmals legte er das Kleid so jhm Timoclee geschickt/ an/ vnd bate den Ar- sidas hoch vnd sehr/ daß er bey frühestem Tage sich zu der Argenis vnfehlbar auffmachen/ vnd mit Befehl der Princessin/ so bald er Abschiedt von jhr [112] genommen/ wieder zurück in die Höle keh- ren wolte.

Sie hatten ein gutes theil der Nacht mit solcher Vnterredung ver- schlossen als Arsidas wieder in sein Schlaffgemach kam nur ein wenig zuruhen. Aber die rauhen Stimmen/ vnd der Trunckenen Geschnarche erweckten jhn alßbald wider/ so das er ohn alle Hoff- nung zuschlaffen/ mit Lachen auff die elenden Soldaten schelten/ vnd die fürnembsten von jhnen erwecken muste/ mit Anzeigung daß er nach Hofe müste/ vnd sie jhm wann es jhnen gefiele/ mit dem Archombrotus folgen möchten. Es waren drey Meilen biß da- hin/ nach welcher Reise er in das Königliche Hauß einkehrete/ als noch jhrer wenig von der Argenis Leuten vom Bette auffwaren. Sie Argenis hatte die gantze Nacht wegen steter Kümmernuß der Ge- dancken keinen Schlaff in jhre Augen gebracht; nicht ohne Furcht vnd Schrecken der Selenissa/ welche jndenck deß wütens darinnen sie vorigen Tag gewesen/ allezeit bebete/ wann sich nur etwas rhü- rete/ vnd zum offtersten mit ängstlicher Fürsorge auffstundt zu- sehen/ wie es umb sie stünde/ vnd was sie fürhette. Sie war noch in solcher Verrichtung/ als Arsidas die Diener auffweckte/ vnd be- gehrete hienein zu der Selenissen. Sie meldeten es den Kammer- mägden an/ von welchen die eine/ so es Macht hatte/ der Argenis Gemach/ darinnen Selenissen Bette stundt/ eröffnete/ vnd sagte daß Arsidas da were/ vnd begehrete mit der Frawen zu reden. Weil er so früe kam/ da man sonsten einander nicht [113] zu besuchen pfle- get/ vnd sie auch wuste/ wie lieb Arsidas dem Poliarchus gewesen/ + +

[Druckausgabe S. 77]
so kundte sie jhr leichtlich einbilden/ er würde newe Zeitung von den Sachen welcher wegen sie in Kummer waren/ bringen. Im fall selbige aber böse were/ so müste es Argenis nicht erfahren. Darumb befahl sie/ daß man den Arsidas in das nechste Zimmer weisen solte/ vnd gieng zu jhm dahin nur in jhrem Schlaffmantel. Alß sie nun daselbst allein waren/ fienge sie zum ersten an: Ich weiß/ daß jhr vns etwas vom Poliarchus zu sagen kommen seidt. Derowegen saget nur stracks/ bringt jhr vns das Leben/ oder sollen wir sterben mit jhm? Arsidas kundte die alte nicht lenger im zweiffel stehen las- sen/ sondern sagte jhr/ Poliarchus were wolauff/ vnd er sey von jhm zu der Argenis geschickt worden. Selenisse gantz verwirret von Frewden reisset den Arsidas so sehr sie kan in der Argenis Kammer/ vnd als sie bey das niedrige Bette gekniet/ fienge sie ohn alle Vmbstände an/ vnd sagte: Princessin/ Poliarchus lebet/ vnd ist frisch vnd gesundt. Hier ist Arsidas der euch versichern kan wegen so frölicher Zeitung. Argenis empfandt fast nichts mehr nach ver- giessung aller jhrer Threnen/ vnd gleich als Selenisse kam hatte sie jhres Schmertzens vergessen/ vnd lag gantz verstarret; als sie auß Vberfallung so eines vnvorsehenen Trostes fast in grössere Gefahr durch die vnuerhoffte Frewde/ als zuvor durch den Schmertzen gerhiete. Nach dem sie aber zum Athem kommen/ bate sie den Arsi- das [114] zureden/ saß im Bette auff/ vnd schawete jhn begierig an; welcher jhr vom Poliarchus einen Gruß brachte/ der aus der Feinde händen entflohen were/ vnd in einem sicheren Winckel verborgen lege. Sie sprang vor Fröligkeit auff/ doch nichts destoweniger also/ daß sie der Furchte nicht gäntzlich entlediget den Arsidas zu schwe- ren bezwang/ die Sache verhielte sich nicht anders als wie er sagete. Hierauff vorsicherte er sie/ wann es jhr Begehr were/ so würde Po- liarchus selber zu jhr kommen: er hette sein Gesichte mit frembdem Barte vnd Haare verborgen/ vnd ein Kleidt angezogen wie die ärme- sten Leute pflegen. Er vergaß auch nicht zu erzehlen von dem wü- ten der Bawren/ welche jhnen gestrige Malzeit verstöret; was für Gewaldt sie gebrauchet: wie sie sich zu frieden gegeben/ vnd einen jungen Edelman/ sehr anmuttiger Natur des Poliarchus trewesten Freund/ welchen sie für den Poliarchus selber hielten/ nach Hofe führen würden. Argenis lies sich nicht begnügen solches nur ein- mahl zuhören; doch hiesse sie den Arsidas den König zubegrüssen +
[Druckausgabe S. 78]
gehen/ vnd jhm die Ankunfft der Bawren vermelden/ aus furchte/ dem Archombrotus möchte etwas böses angethan werden: nach dieser Vorrichtung köndte er wider zu jhr kommen. In dessen wolte sie bey jhr nachsinnen/ wo Poliarchus sich hin begeben/ vnd was er thun solte.

Arsidas war kaum von der Argenis hinweg [115] gegangen/ als die Bawren für der Statt anlangeten/ vnd den Archombrotus/ der von jhnen auff allen seiten vmbringet war/ daher führeten. Die Wacht fragte was sie wolten/ vnd brächten. Darauff sie zur Ant- wort gaben: Sie hetten den Poliarchus gefangen/ vnd wolten jhn dem König liefern. Derentwegen als man sie eingelassen/ giengen sie auff das Schloß zu/ dessen Thore noch vneröffnet waren. Euri- medes fragt sie wer sie weren/ vnd was sie suchten? Sie gaben eben vorige Antwort/ daß sie kämen den Poliarchus dem König zuvber- geben. Als Eurimedes solches hörete/ erfrewete er sich höchlich daß Poliarchus noch lebte: doch gleichwol war er in ängsten seines Freunds Gefahr halben/ vnd begehrte den Poliarchus zu sehen. Sie zeigten alle mit Fingern auff jhren Archombrotus. Der Verwalter aber ließ sich diß vnbekandte Antlitz nicht lange auffhalten/ wandte das Gesicht weg/ vnd sagte/ dieser were es nicht von dem sie sagten: befahl darauff/ sie solten die Gewehr niderlegen/ auß Forchte daß sie nicht vom Lycogenes angestifftet vnd außgeschicket worden. Für- nämlich aber sahe er den Archombrotus an/ Vnd/ mein junger Mensch/ sagt er/ was ist das für eine Comedie? warumb gebt jhr euch für den Poliarchus auß? Er antwortete/ daß er solches niemals gethan hette/ vnd were wider seinen Willen von diesen Leuten nach Hoffe geführet worden. Er hoffete/ dieser der Bawren Irrthumb würde jhme nicht verfänglich seyn. In dem sie also reden/ [116] kompt gleich Arsidas dazu/ vnd fordert sie auff Befehl deß Königs alle in den Vorhoff. Daselbst sagte Cleobulus/ der obriste im Rath/ im Namen deß Königs wider die Leut/ welche nun erfuhren/ daß sie gejrret: Ihre Mayestät wolte jhrer angewendten Trewe in Gnaden hinfort jndenck seyn: vnd sie solten auch nachmals bey aller Ge- legenheit diesen jhren Muth vnd Hände/ Gott vnd dem Könige allein zu dienen/ gebrauchen. Nachmals führte er/ wie jhm befoh- len worden/ den Archombrotus für den König: welcher nach ge- bürlicher Ehrerbietung gegen Königlicher Majestät also zu reden anfieng: Herr/ Wöllen die Götter/ daß es kein böß Zeichen möge seyn/ daß ich als ein Verbrecher zum ersten euch vnter die Augen

[Druckausgabe S. 79]
geführet werde. Mein höchstes Verlangen ist gewesen/ an eweren Hoff zukommen. Derentwegen auch hab ich mein Vatterlandt ver- lassen/ vnd mich nach Sicilien/ welches ich wegen ewers Regiments für das glückseligste Land schätze/ gewendet. Im vbrigen/ ob ich zwar hette wünschen mögen anders als auff diese weiß vnd mit sol- chen Leuten mich bey ewerer Majestät anzutragen/ jedoch halte ich dafür/ daß es nicht ohn sonderliche Fürsehung der Götter ge- schehen sey. Kein Mensch/ so viel ich verstehe/ ist mehr euch zu trewen Diensten ergeben/ auch berühmbter in Kriegssachen gewe- sen/ als Poliarchus. Warumb solte ich mich dann nicht glückselig schätzen/ daß ich für würdig gehalten worden/ den man an statt seiner ergriffe? So gewiß als ich jhme [117] an geschickligkeit der Waffen weiche/ so gewiß wil ich Fleiß ankehren/ daß er mich doch an Trewe gegen euch nicht sol vbertroffen haben. Daß ich aber deß Poliarchus erwehne/ geschicht auß keiner Widerspänstigkeit. Ich weiß daß er angeklagt ist worden: doch weil er noch nicht verdam- met ist/ als verhoffe ich/ daß man jhn gegen euch loben/ vnd sein Gedächtnuß schützen mag. Geliebet euch sonsten meiner Hand vnd Waffen zugebrauchen/ so solt jhr erkennen/ daß ich mein Leben geringer wil achten als ewern Befehl.

In dem Archombrotus dieses vnd anders mehr redete/ sahe jhn Meleander mit begierigen Augen jnnständig an. Seine Jugend/ seine Schönheit/ sein glimpffliches Antlitz/ vnd weder zu ernsthaff- ter noch leichtsinniger Glimpff vermehreten die Lust jhm zu zu hören. Nachdem er auch außgeredet/ bedanckte sich der König fürs erste/ daß er in sein Land kommen; vnd wolte er jhm durch alle Gnade hergegen zuerkennen geben/ daß jhm für andern dieselben am liebsten weren/ die von jhrem freyen Willen auß frembden Or- ten ein solche Tugendt in Sicilien brächten/ dergleichen dasselbe nicht verdienete/ auch nicht trüge. Zugleich reichete er dem jungen Herrn die Hand/ welcher sie mit Vnterlegung der seinigen nam/ vnd so tieff zur Erden gebogen küssete als jhm möglich war. Dar- auff vmbfieng jhn der König; weil er sich was grosses zu jhm ver- sahe: er aber/ als er von seinem Lande vnd Ankunfft ge-[118]fraget ward/ gab nichts anders zur Antwort/ als daß er auß Africa bürtig. Welches dann grössere Begierde beym Meleander erweckete/ zu wissen wer er seyn müßte: doch kundte er weiter nichts von jhme + +

[Druckausgabe S. 80]
erzwingen/ weil er sich nicht gedacht zu offenbaren. Nur als man etwas hefftiger auß ihm forschete/ wannher das gute Vernehmen zwischen jhm vnd dem Poliarchus käme/ ob sie Landsleute/ oder Verwandten/ oder nur sonst gute Freunde weren? sagte er nach der länge vngeschewet alles was er wußte; der Timocleen heimliche Grufft außgenommen.




Zitierempfehlung:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

Martin Opitz, Martin Opitz. Gesammelte Werke, in: George Schulz-Behrend und (Hrsg.),