131 Trostrede an H. David Müller

131 Trostrede an H. David Müller

1632 Dü 138 Sz 143

Martin Opitz: Funebria, Beatae Trium, Davidis Mülleri […]. Brieg: Augustin Gründer 1632, Fol. E3v–E4v. (VD 17 1:633335S).

Das Gedicht findet sich in einem Sammeldruck, der Epikedien auf Angehörige der Familie von Opitz’ Drucker David Müller enthält (s. Überblickskommentar zu Auff Herren David Müllers geliebten Söhnleins Davidts Begräbnüß [vgl. Nr. 130]). Offenbar war dieser jüngste Todesfall – der letzte in einer ganzen Reihe – für die Familie zum Anlass genommen worden, die Zusammenstellung anzulegen. Opitz steuerte insgesamt vier Texte bei (Auff Herren David Müllers geliebten Töchterleins Annen Magdalenen Früzeitiges doch seliges absterben [vgl. Nr. 132], Auff Carol Sigismundts […] Begräbnüß [vgl. GW 4, 1, 214], Auff Herren David Müllers geliebten Söhnleins Davidts Begräbnüß [vgl. Nr. 130] und abschließend der vorliegende Text). Der Sammeldruck enthält ferner die Leichpredigt auf den verstorbenen David Müller, verfasst von dem Breslauer Juristen und Stadtsyndikus Reinhard Rosa von Rosenigk. Es folgen lateinische und deutsche Nachrufe und Epikedien auf die Müller’schen Kinder von Breslauer Gelehrten und Schriftstellern wie Nicolaus Henel von Hennenfeld, Caspar Conrad, Bernhard Nüßler und vom Großvater der Verstorbenen, David Rhenisch. Auch Johann Heermann, zu dessen Postille Opitz 1631 ein Geleitgedicht lieferte (vgl. Nr. 129), widmet David Müller ein Lied (Valet-Gesänglein). Opitz begleitete das Leben der Familie Müller durch Kasualgedichte. Wie in den anderen Fällen traf Müller der Tod seiner Kinder schwer.

Das Gedicht variiert in sinnreicher Weise die Form des Epikedions. Der Dichter spricht nicht selbst, sondern »vnter der Person« des Verschiedenen, der in einer Art Prosopopoiia unter die Lebenden zurückkehrt. Mit dieser überraschenden Umkehrung der Perspektive – der Tote spricht die Lebenden an – verschiebt sich auch die Topik: laudatio (aus dem Mund des Gelobten selbst!) und lamentatio treten zugunsten der consolatio zurück. Der Verstorbene spendet den Hinterbliebenen Trost, indem er auf die Auszeichnung hinweist, die ein früher Tod bedeutet. Die Vorstellung des ›guten Todes‹ sowie die protestantische Gnaden- und Prädestinationslehre (v. 24: »außerkiest«) sind zentrale Argumente der consolatio.

Ariès, Philippe: Images de l’homme devant la mort. Paris 1983.

[E3v]

Trostrede an H. David Müller ⧸ | Vnter der Person | Seines selig verstorbenen einigen vnd hertz- | lieben Söhnleins Davidts.

OB je ein Vater hatt sein Kind mit gleichen sinnenGeliebet weiß ich nicht; er hat es schwerlich könnenMehr lieben als jhr mich: Jch war euch jederzeitDie mehrung ewrer lust⧸ der trost in trawrigkeit⧸Die hoffnung ewrer stab hinfort zue sein auff Erden⧸Herr Vater⧸ wann euch Gott so alt ja ließe werdenAls euch mein hertze wünscht. die lust ist nun vorbey⧸Der trost ist kümmerniß⧸ der grüne stab entzwey:Von ewrem Haupte wird die Crone weg gerißen⧸Die Jhm der bleiche Todt zue seinen schnellen füßenHatt in den sarch gelegt. Es ist nur ewre ziehrSo weit an jetzt von euch als diese Welt von mir⧸Die mit dem Himmel kriegt⧸ auff der ich nichts gelaßen⧸Das einem der Gott liebt nicht billich sey zue haßen;

5

10

15

[[E4]r]

Euch eltern nem’ ich auß⧸ vnd mein geschwister dich.Doch Vater⧸ bin ich fort⧸ so denckt jhr doch wie ichAn diesen hohen ort der seligkeit zue kommen⧸Darinnen keinem nicht was liebes wird genommen⧸Darinnen niemand neid vnd haß tregt⧸ niemand kriegt⧸Als wie der menschen grim bey euch zue Felde liegtSo weit man Waffen macht. soll ich bey der nicht LebenDie mir das leben hat⧸ nechst Gott vnd euch gegeben?Klagt mein geschwiester mich das noch auff erden ist⧸So bin ich doch bey dem dem Gott hat außerkiestVor mir hieher zue gehn. Was dürfft jhr mich beweinen? Jch sterbe jung⧸ doch wol. Man zehlet ja die kleinenNicht minder in die zahl der großen menschen ein⧸Vndt kurtze lebenszeit kan auch vollkommen sein. Wollt jhr den vnterscheidt an zweyen leuten wißen⧸ Der wol lebt⧸ oder der die zeit vmbsonst leßt fließen?Der eine bleibet doch wann schon der leib vertirbt⧸Der andre lebet nie⧸ ist todt eh als er stirbt. Wer nun die schlechte zeit so wol hat angeleget⧸Als sich in mir das Lob der frömigkeit gereget⧸Jst der nicht jung schon alt? So halt’ ich auch dafürJch muße der Natur mehr folgen⧸ als sie mir. Was hilfft es ferner dann ob ich diß todte lebenSoll langsam oder baldt alt oder jung begeben⧸Dieweil es endtlich doch wil überlaßen sein?Wol sterben oder nicht ist einig diß alleinNach dem man sehen muß. Ein alter der nicht sorgetWarumb ein mensch hier lebt⧸ der hat nur auffgeborgetDes lebens edle zeit⧸ die er durch faulheit stiehlet⧸Jn dem er auff den zweck des lebens nimmer ziehlet.Was wolt jhr mehr von mir? bin ich je bald gestorben⧸So hab’ ich mir doch diß durch Gottes furcht erworbenWas Gottes gnade schenckt. Der Himmel schawt nicht anDen ältern⧸ sondern den der jhn beschawen kan⧸

20

25

30

35

40

45

[E4v]

Vndt liebt die ewigkeit. mein letztes wort war beten;Mitt dieser rede bin ich hin für Gott getreten⧸Der von dem tode mich zum leben jtzt gebracht. Vndt auß der Kindtheit mir ein alter hatt gemachtDas nimmer altern kan. mein güldnes haar wirdt erde⧸Vmb meinen zarten leib kreucht eine gantze herdeVon schnöden würmern her⧸ doch ist nichts auff der weltDarvon der menschen pracht so hohes urtheil felltDas mir an schönheit gleicht. wann nacht vnd schatten sincken⧸Vnd jhr mitt voller lust den morgenstern seht blincken⧸Für welchem alles goldt nicht heller ist als rauch⧸So sagt: in gleicher ziehr ist jetzt mein Davidt auch.

50

55

60

Martin Opitz | von Boberfeld.

Titel: Im Druck: Müllers.

5 Die hoffnung … auff Erden] Gemeint ist die Fortführung der genealogischen Linie, die auch die Übernahme der Offizin in Breslau bedeutet hätte. Die folgenden Verse in Anlehnung an Ijob 18, 19: »Er wird keine Kinder haben vnd keine Neffen vnter seinem volck⧸ Es wird jm keiner vberbleiben in seinen Gütern«.

9 Von ewrem Haupte wird die Crone weg gerißen] Vgl. Ijob 19, 9: »Er hat meine Ehre mir ausgezogen⧸ vnd die Krone von meinem Heubt genomen«.

10 ihm] sich.

10 Die jhm der bleiche] Vgl. Horaz, Carmina 1, 4, 13 f.: »Pallida Mors aequo pulsat pede pauperum tabernas | Regumque turris.« In bildlichen Darstellungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist der Tod als bleiche Gestalt weit verbreitet. Dies verweist auf die bleiche Gesichtsfarbe der Sterbenden (vgl. Ariès 1983, 182 f.).

21 soll ich bey der nicht Leben] Gemeint ist die 1628 zur Zeit der Leipziger Herbstmesse bereits verstorbene Maria Müller, geb. Rhenisch, die leibliche Mutter des verstorbenen Kindes und zweite Ehefrau David Müllers (vgl. BW 1, ep 251011).

23 geschwiester] Zum Zeitpunkt des Todes lebt noch eine Schwester, deren Geburt Opitz ebenfalls mit einem Gedicht gewürdigt hat. Außer dem jungen David Müller (gestorben im Alter von fünf Jahren) sind auch seine Schwester Anna Magdalena (vor 1632, wahrscheinlich am 21. Mai 1622, im Alter von einem Jahr und fünf Monaten) und sein Bruder Karl Sigismund (8. Oktober 1628, im Alter von acht Monaten) gestorben und von Opitz mit Epikedien bedacht worden.

24 außerkiest] vorherbestimmt.

24 So bin ich doch bey dem dem Gott hat außerkiest] Hier muss der oben erwähnte Karl Sigismund gemeint sein. Allerdings spricht der Singular (»dem«) dafür, dass seine Schwester zum Zeitpunkt der Abfassung des Epikedions noch lebte; auch auf ihren Tod am 21. Mai 1622 findet sich ein Gedicht in der Sammlung (gedruckt 1632).

26 Jch sterbe jung⧸ doch wol] Der vorzeitige Tod ist als der gute Tod eine Auszeichnung, die auf die Vorsehung verweist (vgl. LThK 10, 897; Classen 2012). Die Wortwahl in v. 24 unterstreicht diesen Sachverhalt (»außerkiest«): Wer jung stirbt, wird im Sinne der Prädestinationslehre auserwählt. Die Bevorzugung der Kinder geht wohl auf Mk 10, 14 f. zurück: »[...] Lasst die Kindlin zu mir komen⧸ vnd weret jnen nicht⧸ Denn solcher ist das reich Gottes. Warlich⧸ Jch sage euch⧸ Wer das reich Gottes nicht empfehet⧸ als ein Kindlin⧸ Der wird nicht hin ein komen«.

38 begeben] verlassen. Vgl. DWb 1, 1279.

39 überlaßen] aufgeben. Vgl. DWb 23, 365 f.

45 bin ich je] auch wenn ich bin.

45 bald] früh.

58 Vnd jhr mitt voller lust den morgenstern seht blincken] Opitz verbindet hier den Verstorbenen mit Christus, der in Offb 22 ebenfalls als Hoffnung verheißender, glänzender Morgenstern beschrieben wird.




Zitierempfehlung:

, , in: Hybridedition der deutschsprachigen Werke des Martin Opitz. , hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2018ff. URL: (abgerufen am: )

Zitierempfehlung der Druckausgabe:

, , in: und (Hrsg.),